Es fügt sich gut, dass dieser Besuch von Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel in der Ländlichen Heimvolkshochschule am Seddiner See in die Zeit des Erntedankfests fällt. Das größte Erntedankfest, das unsere Region zu bieten hat – im Evangelischen Johannesstift in Berlin-Spandau – hat schon am vergangenen Sonntag stattgefunden. In vielen Orten wird der kommende Sonntag in Gottesdiensten, Umzügen und festlichem Beisammensein durch dieses Thema bestimmt sein. Die Erntekronen werden aufgerichtet oder aufgehängt; vielleicht wird auch in meinen Diensträumen wie im vergangenen Jahr vom Erntedankfest bis zum Ersten Advent eine Erntekrone stehen. Ich würde mich darüber freuen.
Diese Zeit im Jahr lenkt unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf zwei Ereignisse: auf das Geschenk der deutschen Einheit und auf die Gaben von Feldern und Wiesen, aus Äckern und Gärten. Erntedank in Stadt und Land. Aber nicht nur der Dank für Gottes gute Gaben, sondern auch manche Sorge um die Entwicklung im ländlichen Raum wird in diesen Tagen vor Gott gebracht. Denn beides gehört zusammen.
Gerade wenn man durch die kleinen Dörfer und Städte der Mark fährt, wird einem deutlich, dass der ländliche Raum von den Umbrüchen der letzten zwei Jahrzehnte mindestens so stark betroffen ist wie die Städte. Die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten ging dramatisch zurück; die Umstellung auf neue Produkte und Produktionsweisen vollzog sich in einem dramatischen Tempo; die Notwendigkeit, in einem zunehmend internationalisierten Wettbewerb Schritt zu halten, stellte die landwirtschaftlichen Betriebe vor gewaltige Herausforderungen; die Abwanderung aus unseren Regionen hat gerade den ländlichen Raum in überproportional hohem Maß betroffen. Gerade die junge Generation fragt sich, ob es für sie in der Landwirtschaft überhaupt noch eine Zukunft gibt.
Das sind Herausforderungen, die nur in gemeinsamen Anstrengungen bewältigt werden können. Sie haben zugleich wirtschaftspolitische, berufsständische und elementar menschliche Aspekte. Ich bin froh darüber, dass wir in der Heimvolkshochschule einen Ort haben, an dem dieser innere Zusammenhang zwischen der menschlichen und familiären Situation, der beruflichen Durchhaltekraft sowie den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zur Sprache kommen kann.
Ländliche Bildungsarbeit ist in diesem Zusammenhang unentbehrlich. Was wir als Kirche dazu beitragen können, geht von einem ganzheitlichen Bildungsverständnis aus. Es bezieht sich auf den menschlichen Lebenslauf im Ganzen; und es bezieht sich auf alle Dimensionen der menschlichen Existenz.
Wir sehen deshalb in dieser Heimvolkshochschule einen Ort, an dem Menschen ihre Fach- und Sachkompetenzen weiter entwickeln, aber auch das nötige Orientierungswissen und die notwendige Handlungskraft entwickeln können, um den Herausforderungen unserer Gegenwart standhalten zu können. Dieser Ort lädt gerade dazu ein, die Netzwerke zwischen den verschiedenen Akteuren dörflichen Lebens und Arbeitens zu stärken – den Akteuren aus Landwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen, aus den Vereinen und der Politik, aus Kirchen und Kommunen.
Bildungsangebote holen Menschen aus ihrer Vereinzelung und aus den sehr verbreiteten Ohnmachtsgefühlen heraus und ermutigen sie dazu, ihr Leben selbstbewusst in die Hand zu nehmen, sich gegenseitig zu unterstützen und sich auf künftige Herausforderungen vorzubereiten.
Ländliche Erwachsenenbildung kann auch dazu beitragen, unter möglichst breiter Bürgerbeteiligung tragfähige Konzepte zur Dorfentwicklung und zur Förderung der Dorfkultur zu erarbeiten. Auch wir in den Kirchen wollen Brückenbauer sein, um Bürger wieder miteinander ins Gespräch zu bringen, zum ehrenamtlichen Engagement zu ermutigen, wichtige Traditionen zu beleben und das Ja zum Leben im ländlichen Raum zu stärken.
Gern spreche ich am heutigen Tag auch für unsere Kirche dieses Ja aus zum ländlichen Raum und zu den Bildungsaufgaben, vor die er uns stellt. Die Arbeit der Heimvolkshochschule begleite ich mit herzlichen Segenswünschen.