I.
Sonntagabend in Berlin Adlershof: Fünf Männer diskutieren moderiert von einer Frau über die Finanzmarktkrise und deren gesellschaftliche Auswirkungen. Nach 65 Minuten einer offenen Diskussion sind sich bei der Aftershow-Party alle einig: Das war eine gelungene Momentaufnahme einer gesellschaftlichen Debatte. Morgen könnte sie schon wieder anders aussehen. Das Hauptstichwort des Gespräches war die Frage, wie in einem demokratischen Gemeinwesen mit globaler Einbindung in wirtschaftlichen wie in politischen Entscheidungen Verantwortung geübt werden kann.
Verantwortung, das wird in dem Gespräch bei Anne Will deutlich, ist zuerst und vor allem eine personale Kategorie. Es ist nicht damit getan, Gesetze zu erlassen, Rahmenregelungen zu bestimmen und Normen einzuhalten, sondern jeder Handelnde muss – das ist ein wichtiger protestantischer Beitrag zum Grundverständnis der Ethik – sein Handeln selbst verantworten, und dies zugleich im Blick auf die Gesellschaft, im Blick auf seine Zuständigkeit, im Blick auf sich selbst und vor Gott.
Drei zentrale Aussagen waren für mich an jenem Sonntagabend vor etwas mehr als einer Woche besonders wichtig: Wenn man schon die jetzige Lage mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 vergleicht, liegt mir daran, Respekt für eine handlungsfähige Politik zu bezeugen. Innerhalb einer Woche wurde parlamentarisch eine Bürgschaft von schwer vorstellbaren Ausmaßen bereitgestellt – nicht um der Banken, sondern um der Bürger willen. Sodann: Ebenso wie wir verantwortungsbereite Politiker brauchen, brauchen wir auch verantwortungsbereite Banker. Sie können nicht nur nach dem Vorteil für das eigene Unternehmen schielen, sondern müssen auch Verantwortung für das Ganze erkennen lassen. Ob dem mit dem Verzicht auf noch zuerkannte Boni zu Gunsten von Bankmitarbeitern gedient ist, kann man bezweifeln. Schließlich aber muss man angesichts der aktuellen Entwicklungen mit voller Klarheit die Gerechtigkeitsfrage stellen. Verantwortung wird konkret angesichts der vorrangigen Option für die Armen, die der christlichen Ethik von ihren Ursprüngen in der Prophetie des Alten Testaments her mitgegeben ist. Sieht man die Rechenschaftspflicht einer Hartz-IV-Empfängerin, die ihre gesamten Kontobewegungen offen legen muss, so verbindet sich damit unausweichlich die Frage, wie das bei Banken sein wird, die staatliche Bürgschaften erhalten.
Drei Aspekte der Verantwortung, dreimal die Forderung, das eigene Handeln nicht allein im Rahmen der gesetzlich geregelten Möglichkeiten, sondern angesichts der tatsächlichen ethischen Herausforderungen zu bewerten und zu gestalten. Aus der Sicht protestantischer Ethik könnte man sagen: Es handelt sich um drei Selbstverständlichkeiten. Aber wenn wir die Debatten seit dem Beginn der Finanzmarktkrise betrachten, müssen wir erschüttert konstatieren: Der Tanz um das goldene Kalb der „maximalen Rendite“ hat selbstverständlich erscheinende Verantwortlichkeiten in den Hintergrund treten lassen. Und wenn ich die Briefe und mails lese, die ich selbst und massiver noch der Pressesprecher der EKD und mein persönlicher Referent seit einer Woche erhalten habe, dann verstärkt sich dieser Eindruck. Hinsichtlich der Verantwortung der Politiker schallt mir vielmehr eine ungebrochene Politikerschelte entgegen, mit der sich für mich die Frage verbindet, wer denn in einem solchen Klima noch die Bereitschaft entwickeln soll, politische Verantwortung zu übernehmen. Hinsichtlich der Banken aber werde ich mit der Aussage konfrontiert, dass die Bereitschaft zu längerfristiger, über die Quartalsergebnisse hinausblickender Verantwortung allenfalls noch bei den Inhabern von Familienunternehmen möglich sei; bei Dax-Unternehmen und Großbanken sei eine solche Vorstellung von Verantwortung dagegen dysfunktional. Die Tatsache aber, dass unsere Gesellschaft sich immer tiefer in Verlierer und Gewinner aufspaltet, wird von den einen mit bitterer Resignation, von den anderen dagegen mit zynischer Gleichgültigkeit hingenommen.
II.
Warum berichte ich von diesem Vorgang und meinen Nachgedanken zu ihm bei der Verabschiedung des siebten Jahrgangs der Evangelischen Journalistenschule? Finanzmanagement hat doch mit Ihrem Beruf nur insofern etwas zu tun, als der eine oder die andere von Ihnen, die wir heute verabschieden, eines Tages auch darüber berichten wird. Maßstäbe für diese Berichterstattung werde ich jetzt nicht formulieren; das würde den Rahmen einer Abschiedsfeier ohne Zweifel sprengen. Das Handwerkzeug für derartige Berichterstattung haben Sie in den vergangenen eineinhalb Jahren in der Journalistenschule unserer Kirche gelernt. Doch in einem anderen Sinn können die Talkshow von Anne Will und die sich an sie anschließenden Reaktionen doch exemplarisch sein. Denn es wird Ihnen nach dem einen oder anderen Beitrag als Journalisten ebenfalls widerfahren, dass Sie sich zwischen allen Stühlen der Zustimmung und der harschen Kritik wiederfinden. Das mag gerade bei diesem Beruf ein gutes Zeichen sein, niemand nach dem Mund geredet zu haben.
Sie, sehr geehrte Absolventinnen und Absolventen der Evangelischen Journalistenschule, aber auch Sie, liebe Mentorinnen und Mentoren, werden sich freilich in Ihrem beruflichen Handelns auch immer wieder fragen, wann berechtigte Kritik an Verantwortungsträgern in unberechtigte Schimpferei und gemeinschaftsschädliches Gemaule übergeht. Es bleibt meine Überzeugung, wenn es jetzt nicht gelingt, auch die Art von Politikbeschimpfung hinter uns zu lassen, die wir über Jahr und Tag betrieben haben, ohne uns zu überlegen, ob wir damit eigentlich befähigten Menschen eine Lust darauf machen, politische Verantwortung in diesem Land zu tragen, dann machen wir einen riesigen Fehler. So habe ich es bei Anne Will gesagt, daran hat sich auch durch die Reaktionen nichts geändert. Aber heute Abend will ich noch einmal betonen, dass dies auch eine besondere Verantwortung der Journalistinnen und Journalisten ist. Wer nach der Regel „Bad news are good news“ nur von Schlechtem in der Politik berichtet, schadet der Demokratie.
Das Gleiche gilt auch für den Vorwurf, einem „billigem Populismus“ aufgesessen zu sein. Wer das, was er sagt, schreibt oder sendet, in protestantischem Selbstverständnis ethisch verantwortet, wird auch dort, wo er Volksmeinung äußern kann, dieses verantwortlich tut. Populismus schaut danach, was die Mehrheit hören will. Verantwortung sagt das, was die Mehrheit hören muss – und wo das eine in das andere trifft, mag es manchmal helfen, aber Demokratie als Volksherrschaft wäre missverstanden, wenn Populismus der Maßstab verantworteten Redens und Handelns wäre. Das gilt gerade auch für das journalistische Arbeiten: Natürlich müssen Medien verkauft werden und die Quote – ob am Zeitungskiosk oder beim Einschalten des Fernsehers – ist natürlich im Blick; aber das kann nicht zur Folge haben, den Konsumenten der eigenen Medien nach dem Mund zu reden. Verantwortliches Handeln ist gerade von denen gefordert, die die öffentliche Meinung mit prägen.
Das verweist auch auf den dritten Aspekt der heute angesprochen werden soll. Robert Geisendörfer, der Gründer des Gemeinschaftswerkes evangelischer Publizistik, zu dem die Evangelische Journalistenschule gehört und weiter gehören soll, hat die Aufgabe einmal so beschrieben: „Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen.“ Er hat so die evangelische Publizistik beschrieben, also eine Publizistik, die in sich eine bestimmte Tendenz trägt, zu der sie offen steht. Aber das Grundanliegen kann für alle publizistische Tätigkeit, so sie denn verantwortlich ausgeübt wird, übernommen werden: für die Schwachen, die Missverstandenen, die Ausgegrenzten Fürsprache zu üben, Barmherzigkeit auch darin zu vermitteln, dass man mit jenen, über die man schreibt, barmherzig ist, und den Sprachlosen eine Stimme zu geben – das stärkt unsere Gesellschaft. Medien können so das werden, was sie in einer Demokratie sein sollen: Wächter des Gemeinschaftssinns. Deshalb – um noch einmal auf das Beispiel der Finanzmarktkrise zurück zu kommen – muss bei einer Debatte um Banker und Politiker und deren Verantwortung eben auch die Hartz IV-Empfängerin im Blick sein und im Blick bleiben.
III.
Verantwortung ist eine Herausforderung. Die kann nur die Person wahrnehmen, die in ihrer Tätigkeit einen Beruf im wahrsten Sinn des Wortes erkennt. Der protestantische Ethiker Max Weber hat dies zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in Anlehnung an Martin Luther deutlich gemacht. Von dem, der Politik als Beruf wahrnimmt – und gemeint ist damit nicht ausschließlich der Berufspolitiker – ist ein Dreifaches gefordert: 1. Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit. 2. Verantwortlichkeit im Interesse des Sachanliegens. 3. Augenmaß als notwendige persönliche Distanz zu Dingen und Menschen.
Übertragen auf die Journalistin oder den Journalisten, für die oder den häufig Politik als Beruf durchaus eine Wirklichkeit ist, kann das nur heißen, dass Journalismus als Berufung von Ihnen Leidenschaft fordert. Leidenschaft für Ihre Themen, Leidenschaft für Leser, Hörer, Zuschauer, Leidenschaft für Ihre Ideen – aber auch Leidenschaft für diese Gesellschaft und unsere Demokratie. Da ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Darin sind wir uns sicher einig, aber die Politikverdrossenheit, die sich nicht nur, aber messbar in mangelnder Wahlbeteiligung zeigt, ist auch eine Folge fortwährender Politikerbeschimpfung, die zu einfach und zu billig ist. Bei all dieser Leidenschaft braucht es deshalb auch Sachlichkeit und sachliche Darstellung. Es muss von Journalisten erwartet werden, dass Sie – lassen Sie mich das nur pars pro toto anführen – nicht nur am Rand erwähnen, dass Diäten keine Entlohnung sind, sondern dies so darstellen, dass Menschen auf der Straße den Unterschied zwischen beidem verstehen.
Journalismus braucht zum anderen die Ernsthaftigkeit der Berufsausübung. Nichts was „als Beruf“ wahrgenommen wird, kommt ohne Verantwortlichkeit aus. Verantwortlichkeit hat Konsequenzen, konkrete Konsequenzen, die auch individuell zu spüren sind. Sie werden als Journalistinnen und Journalisten in die Situation kommen, nicht alles berichten zu können, was sie wissen. Sie werden in die Situation kommen, Informanten schützen zu müssen. Sie werden in die Situation kommen, auf eine gute Story oder auf ein tolles Bild verzichten zu müssen. Die Beispiele dafür sind Legion – viele davon werden Sie in den vergangenen anderthalb Jahren besprochen und diskutiert haben. Das ist die Verantwortlichkeit des Journalisten und der Journalistin auch im richtigen Moment nein zu sagen – auch – das sage ich im Blick auf alle Journalisten in der Zuhörerschaft – gegenüber der Chefredaktion oder den Kollegen in der Redaktion. Verantwortlichkeit ist zuerst und vor allem individuell wahrzunehmen und gilt der Frage, welche Auswirkung mein individuelles und unser gemeinsames Handeln hat.
Um dies zu erkennen, braucht es das Augenmaß, die Distanz schafft zu Themen und zu Menschen. Journalisten, die sich gemein machen mit den Interessen dritter, sind keine guten Berichterstatter. Jede und jeder braucht das Augenmaß zu erkennen, wann Solidarisierung in der Sache zur Kampagne wird – und Kampagnenjournalismus hat noch nie einer Sache gedient.
IV.
Leidenschaft – Verantwortlichkeit – Augenmaß, liebe Absolventinnen und Absolventen der Evangelischen Journalistenschule, wünsche ich Ihnen für Ihren weiteren Berufsweg. Leidenschaft – Verantwortlichkeit – Augenmaß kann eine Evangelische Journalistenschule nicht schaffen, aber – und in dieser Hoffnung unterstützt der Rat der EKD diese Schule – wecken. Es ist und bleibt Ihre individuelle Leidenschaft, Ihre individuelle Verantwortlichkeit, Ihr individuelles Augenmaß. Daneben braucht es das Handwerkzeug, das sie, dessen bin ich mir bei den Namen der Referentinnen und Referenten, den Teamerinnen und Teamern sicher, an dieser Schule gelernt haben. Schließlich aber hat die Evangelische Journalistenschule Ihnen noch etwas Besonderes geboten: Ihre Mentorinnen und Mentoren. Wenn andere Journalistenschulen, so konnte man in den letzten Wochen lesen, dies nun imitieren, ist das eine Auszeichnung, denn an der Evangelischen Journalistenschule ist das Mentorensystem seit dem ersten Jahrgang selbstverständlich. Neben den individuellen Tugenden und dem Handwerkzeug haben die Mentorinnen und Mentoren mit ihrer langjährigen Berufserfahrung als Journalistinnen und Journalisten, als Redakteurinnen und Redakteure eine Schlüsselfunktion, die dieser Ausbildung ihren besonderen, nämlich durch Vorbilder geprägten Charakter gibt.
An der Erfahrung derer partizipieren zu können und zu dürfen, die sich schon einen Namen gemacht haben, hilft selbst, erste oder weitere Schritte zu gehen. Deshalb wende ich mich nun gerade Ihnen zu, die Sie die Absolventinnen und Absolventen der Evangelischen Journalistenschule im siebten Jahrgang begleitet haben: Ihnen gilt mein persönlicher Dank wie auch der Dank des Rates – für Ihr Engagement, für Ihre Bereitschaft neben Ihren beruflichen Aufgaben einem jungen Menschen zur Seite zu stehen. Schon allein dies ist ein besonderer Ausweis gelingender Bildungsarbeit und Eliteförderung, die sich der Rat der EKD mit der Fortführung der Evangelischen Journalistenschule auf die Fahnen geschrieben hat.
Zum Schluss wünsche ich Ihnen, die Sie nachher die Abschlussurkunde in Empfang nehmen, dass Sie einen Weg in diesem schwierigen Beruf finden – ob festangestellt oder „frei“. In kaum einem anderen Berufsfeld sind die Zwänge „freier“ Tätigkeit so häufig wie im Journalismus; und sie sind hier genau so risikoträchtig wie in jedem Beruf. Ich wünsche Ihnen allen einen guten beruflichen Weg. Auf diesem Weg wünsche ich IhnenLeidenschaft, Verantwortlichkeit und Augenmaß – wohl wissend, dass es zu allem Gelingen auch Gottes Segen braucht. Deshalb: Gott befohlen!