Wussten Sie, dass Halloween ein christlicher Feiertag ist? Oder dass alle Juden Vegetarier sind? Oder dass Muslime Kreuze klauen? – Sie zucken zusammen? Sehe ich da die eine oder andere erhobene Augenbraue? Wie kann man denn so einen Blödsinn erzählen? Ja, wer von Religion keine Ahnung hat, der glaubt am Ende alles.
Manche Ahnungslosigkeit führt nur zur Dummheit. Die kann dann im Karneval in Köln gehörig durch den Kakao gezogen werden. Manche andere Ahnungslosigkeit ist allerdings längst nicht so harmlos. Sie führt zu Missverständnissen und Vorurteilen, zu Ausgrenzung oder zur verschämten Haltung des Verschweigens. Spätestens hier führen Halbwissen, Gerüchte, aufgeschnappte Meinungen und medial verkürzte Schlagzeilen zu Einstellungen, die gefährlich werden können. Denn in unserer Gesellschaft wohnen die Weltreligionen längst Tür an Tür. Wissen über Religion hilft deshalb nicht nur in der Schule oder bei der Hunderttausend-Euro-Frage bei der Quizsendung „Wer wird Millionär?“. Wissen über Religion ist in unserer Gesellschaft Überlebenswissen.
Das Religionsportal des Westdeutschen Rundfunks, das heute mit dem Wilhelm-Schrader-Preis der rheinischen Landeskirche ausgezeichnet wird, und den Sie, verehrte Frau Piel, heute in Empfang nehmen, steht deshalb an der Schwelle zu einem neuen Umgang mit Religion in den Medien. Das ist bemerkenswert und in mehrerer Hinsicht preiswürdig.
Religion drohte in den Medien lange zu einem Randthema zu verkommen. Nur Unverbesserliche schienen noch glauben zu wollen, dass der Prozess der radikalen Säkularisierung und Privatisierung des Religiösen aufzuhalten sei. Nicht einmal mehr niveauvolle Religionskritik war en vogue. Schon gar nicht auf attraktiven Sendeplätzen. Das hat sich geändert. Von der Rückkehr der Religion ist landauf landab die Rede. Nun sollte man allerdings vorsichtig sein mit der Ausrufung von Renaissancen. Das, was wiederkehrt, das war schließlich schon mal da. Skepsis ist deshalb angebracht. Da, wo der Pilgerweg des Comedians Harpe Kerkeling zu oberst auf dem Nachttisch liegt, liegt vielleicht darunter gleich auch noch der Bestseller des Gotteswahnkriegers Richard Dawkins. Doch bei aller Vorsicht: die öffentliche Sichtbarkeit der Religion und ein neues Interesse der Medien am Thema ist nicht zu leugnen. Das gilt nicht nur für den Islam, der einen gehörigen Anteil an der neuen Aufmerksamkeit aufs Religiöse hat und dem, wenn ich es recht sehe, auch die Entstehung des Religionsportals beim WDR zu verdanken ist.
In der Tat besteht auf den ersten Blick da die größte Informationsnot, wo wir es mit einer fremden Religionskultur in tausend Ausformungen zu tun haben. Hier ist ein gutes journalistisches Auge ohne rosa oder schwarze Brille das A und O. Und hier bewährt sich die Idee des Religionsportals zuallererst: wenn mehrere Redaktionen kooperieren – die Redaktion „Theologie und Kirche“ und das Funkhaus Europa – und sich dabei gleich der drei großen Massenmedien bedienen – Fernsehen, Hörfunk und Internet –, dann vervielfacht sich nicht nur die Perspektive derer, die sich des Themas annehmen. Auch die Zahl der Zugänge vermehrt sich. So macht die Einsicht in die fremde Welt islamischer Alltagsreligion in Deutschland nicht nur klüger, sie macht sogar Spaß und verlockt dazu, mehr und immer mehr wissen zu wollen. Es ist dabei typisch für den WDR, dass die kritische Perspektive dabei nie fehlt. Sie versteht sich von selbst. Nicht als mäkelnde Kritelei oder aufgeblasene Anti-Religionskampagne, sondern als die Urteilsfähigkeit von Journalistinnen und Journalisten, die die Recherche ernst nehmen und genau hinsehen. Deshalb ist der Wilhelm-Schrader-Preis auch ihr Preis. Die Grenzen der Religionsfreiheit sind nämlich genauso Thema wie das Zuckerfest im Kindergarten, der Karikaturenstreit genauso wie das neue Kinderbuch über Mohammed. Und damit nicht genug: Wer will, erfährt auch noch so einiges über den Umgang der Muslime mit Bildern. Das ist Wissen über Religion als handfestes Lebenswissen!
Was für ein Glück, dass auch der Protestantismus ein eigenes Thema des Portals geworden ist. Nicht als Nische im Christentum, wie es dann und wann in der Medienberichterstattung erscheint, weil Medien über die eigene Lust am Glamour stolpern, sondern als ein eigener gleichberechtigter Zugang zum christlichen Glauben. Mit eigenem Profil und eigenen Geschichten. Man sollte sich nämlich nicht täuschen: die Rückkehr der öffentlichen Rede über Religion und das neue Interesse an einem Sinn im Leben, der nicht käuflich ist, hat die Traditionsabbrüche und Bildungsverluste in Sachen Christentum nicht aufhalten können. Das gilt auch für den Protestantismus. Auch evangelische Christen treten aus der Kirche aus, um eine Äußerung des Papstes in Rom zu quittieren. Auch evangelische Christen glauben an die Reinkarnation, oder an die Version von Reinkarnation, die ihnen die Chi-Gong-Lehrer bei der örtlichen Krankenkasse vermittelt hat. Wer von Religion keine Ahnung hat, glaubt am Ende alles. Gut bedient sind die, die die Adresse im Kopf haben: www.religion.wdr.de.
Das Religionsportal öffnet nicht nur große, verzweigte Räume in den Häusern der Weltreligion. Es zeigt denen, die sich an dieser Schwelle aufhalten, auch, dass die Häuser der Religionen dichter nebeneinander stehen, als wir lange dachten. So entsteht schon im Aufbau des Portals eine Idee des religiösen Pluralismus, die in die Zukunft weist. Das Portal hängt keiner romantischen Idee hinterher, nach der alle Religionen „irgendwie“ und „eigentlich“ gleich seien, wenn man erst mal das kulturelle und politische Beiwerk wegnähme. Das Portal kassiert nicht jede Differenz, sondern achtet die Unterschiede. Erst so nimmt es die verschiedenen Religionen ernst. Es entsteht kein Weltreligionshochhaus, so dass fortan alle unter einem Dach wohnen müssten, komme was wolle, um am besten irgendwann einmal im Wohnzimmer Weihnachtszuckerchanukkafest zu feiern. Es entsteht vielmehr die Animation eines globalen Weltdorfes, in der die Religionen Nachbarn sind. Diese Nachbarschaft ist nicht immer unproblematisch, weil an den Hecken und Zäunen oft gestritten wird. So ist das eben auf dem Dorf. Und manche Bewohner sind sich näher als andere. Natürlich gibt es Konflikte zwischen Alteingesessenen und Zugereisten. Da müssen manche Spielregeln neu bedacht werden. Die einen oder anderen wechseln vielleicht sogar die Straßenseite, um mit dem Nachbarn nicht reden zu müssen. Doch alle sind unwiderruflich Bewohner des einen Weltdorfes. Vielleicht wusste man im Sendegebiet des WDR schon eher als andere, dass es zum friedlichen Zusammenleben der Weltreligionen auf kleinstem Raum keine Alternative gibt. Denn hier, in den Ballungszentren von Rheinland und Ruhrgebiet ist längst Alltag, was das Religionsportal vorführt. So leistet der WDR einen eigenen Beitrag zum Zusammenleben der Religionen, die die Freiheit der jeweils anderen achten, Gemeinsamkeiten suchen und Differenzen kundig und so sachlich wie möglich austragen. Natürlich ist das Zukunftsmusik. Doch anstatt resigniert mit den Schultern zu zucken vor der großen Herausforderung – „sollen sich doch andere um so heikle Themen kümmern“- hat der WDR seine Kräfte gebündelt.
Man stelle sich jetzt noch vor, dass die ganz normale Alltagsreligion, die das Religionsportal zeigt, sich auch noch im fiktionalen Programm widerspiegelte. Etwa, wenn die beiden Kölner Tatortkommissare mal auf den evangelischen Polizeiseelsorger von der Art träfen, wie er in einem Beitrag auf dem Portal bei seiner Arbeit vorgestellt wird. Oder auf eine fromme Muslima ohne Kopftuch und tyrannischen Vater. Oder Schenk zu spät zur Taufe seiner Enkeltochter käme. Denn das Religionsportal zeigt ja deutlich: Religion gehört zum Alltag dazu. Vielleicht nutzen ja in Zukunft auch Drehbuchautoren das Portal… Das Religionsportal hat seine Zukunft noch vor sich. Davon bin ich überzeugt. Es ist, um es zum Schluss etwas emphatisch zu sagen – das darf man ja als Laudatorin, verehrte Frau Piel – ein großartiger Beitrag, damit aus dem Kampf der Kulturen ein Kampf um Kultur werde.
Wer von Religion Ahnung hat, weiß am Ende alles.