„Verbesserung von Führen und Leiten in der evangelischen Kirche“ Einführung in die Problemstellung

Dr. Peter Barrenstein

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

in den kommenden 15 Minuten möchte ich Ihnen einen Überblick über die Problemstellungen im Bereich „Führen und Leiten“ geben – so, wie sie sich bisher der damit befassten Steuerungsgruppe des Reformprozesses unserer Kirche darstellen. Dabei wird das aus unserer Sicht und aus der Sicht vieler beteiligter Landeskirchen zu bearbeitende Aufgabenspektrum auch für unsere Diskussion hier in der Zukunftswerkstatt umrissen.


Schaubild 1:  Führung und Leitung - Was ist das?


Lassen Sie mich zunächst mit einer kurzen Beschreibung dessen starten, was wir unter Führen und Leiten in der EKD verstehen.

Gemeint sind die beständige Ausrichtung der evangelischen Kirche, ihrer Glieder und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf einen klar formulierten Auftrag bei paralleler, kontinuierlicher und maximaler Erschließung der Leistungs- und Begabungspotenziale aller betroffenen geführten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Klare Zielvorgaben einerseits und Weiterentwicklung/Potenzialerschließung bei den Geführten andererseits sind also die beiden aus unserer Sicht wesentlichen Aspekte. „Führung“ meint dabei im Schwerpunkt mehr den personalen, „Leitung“ mehr den institutionellen Bereich.


Schaubild 2: Führungskonzept


Für die bisherige Diskussion hat es sich über die vergangenen Monate als hilfreich erwiesen, fünf Arbeitsfelder von Führung und Leitung zu differenzieren. Diese Einzelbereiche hängen dabei in oft starkem Maße zusammen und beeinflussen sich auch gegenseitig. Die fünf Bereiche sind auf dem Schaubild 2 dargestellt.

  • Startpunkt – abgebildet in der Mitte des Schaubildes – bildet die Definition der übergeordneten Führungsziele unter Einschluss der jeweiligen konkreten Situation unserer Kirche. Letzteres umfasst auch die zukünftige Strategie, beschrieben etwa durch bestimmte zielgruppenbezogene oder generelle Wachstumserwartungen oder auch Restrukturierungsanforderungen.

  • Der zweite wesentliche Bereich umschließt die Führungsfähigkeiten, wobei man im Detail zwischen eher technischen Führungsfähigkeiten, beispielsweise in den Bereichen der Motivation und Mobilisierung, der Kommunikation oder des reinen Managements einerseits und charakterlichen Fähigkeiten, beschrieben etwa durch das Vorhandensein und Vorleben vorhandener Werte und Normen, die Bedeutung von Grundtugenden und auch die eigene Lern- und Veränderungsbereitschaft, differenzieren kann.

  • Der Bereich – links unten – der Führungskonzepte und -instrumente umfasst Fragen der Gewinnung geeigneter Mitarbeiter, deren Aus- und Weiterbildung, die Frage von Stellenzielen, Zielvereinbarungen und Jahresgesprächen, die Frage von Förderungsmaßnahmen, Motivation, Belohnung aber auch „Bestrafung“ bis hin zu Beförderungen und Entlassungen – das ganze personalwirtschaftliche Instrumentarium also.

  • Im vierten Bereich – rechts oben – der Führungs- und Leitungskultur geht es um den Umgang miteinander, um das Verhalten gegenüber den zu Führenden ebenso wie gegenüber den Führern selbst. Es geht um die interne Unternehmenskultur, aber auch um die entsprechende Ausstrahlung der Institution und ihrer Repräsentanten nach außen.

  • Letzter und fünfter Bereich – rechts unten – ist der Bereich der Leitungsstrukturen und
    -rollen. Im Mittelpunkt stehen hier Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation, also beispielsweise auch die Frage der Gestaltung wesentlicher Prozesse, Kernprozesse in den diversen Gremien unserer Kirche.


Schaubild 3: Wahrgenommene Stärken

Akzeptiert man einmal diese fünf Aufgabenbereiche von Führung und Leitung und schauen wir uns davon ausgehend die aktuelle Situation unserer Kirche auf ihren verschiedenen Ebenen an, so kann sicherlich gesagt werden, dass wir in allen Aufgabenfeldern gute Einzelbeispiele haben.

  • Im Bereich der übergeordneten Führungsziele verfügt unsere Kirche über eine prinzipiell klare Zielvorgabe, und die Vielfalt und auch Freiheit bei der Interpretation einzelner Ziele ist, unserem protestantischen Selbstverständnis folgend, immens.

  • Bei den Führungskonzepten und -instrumenten gibt es eine Vielzahl bereits heute existenter guter Einzelbeispiele – denken Sie beispielsweise an den Bereich von Visitationen oder Coaching in einzelnen Landeskirchen. Und die über die vergangenen Jahre deutlich zugenommene Bereitschaft zur Erprobung neuer Vorgehensweisen ist sicherlich auch eine Stärke.

  • Bezogen auf die Führungsfähigkeiten fallen Ihnen, die Sie im kirchlichen Bereich arbeiten, sicherlich eine ganze Reihe guter Führerinnen und Führern auf den verschiedensten Ebenen ein. Darüber hinaus ist nicht zuletzt bei den betroffenen Personen selbst über die vergangenen Jahre die Erkenntnis der Notwendigkeit zu weiteren Verbesserungen stark gewachsen: Voraussetzung für weitere positive Veränderungen.

  • Im Bereich der Strukturen gibt es prinzipiell eine klare Aufgabenteilung zwischen den Ehrenamtlichen, dem Geistlichen Amt und der erforderlichen Fachorganisation. Darüber hinaus (wieder eine besondere Ausprägung unserer protestantischen Kirche) ist das Mitwirkungsrecht der Mitgliederbasis, beispielsweise über die Synoden oder in den Kirchenvorständen, immens und fest verankert.

  • Im Bereich der Führungs- und Leitungskultur schließlich ist in der Regel ein partizipativer Führungsstil gewollt und vorhanden, und die Eigenverantwortlichkeit wird, bezogen auf viele Ebenen, betont und gelebt.


Schaubild 4: Übersicht Schwächen

Diesen genannten Stärken stehen aber oft nicht minder stark ausgeprägte Schwächen gegenüber, die für unsere zukünftigen Diskussionen das vorhandene Verbesserungspotenzial beschreiben.

  • Bei den Führungszielen konstatieren die dort engagierten Kirchenmitglieder vielfach eine mangelnde Basisloyalität und die teilweise damit einhergehende Übergewichtung von Partikularinteressen – Übergewichtung gegenüber einer generellen Stoßrichtung und Strategie unserer Kirche.

  • Bei den Führungskonzepten und -instrumenten sind oft zwar gute Einzelinstrumente vorhanden aber ein wirkliches personalwirtschaftliches Gesamtkonzept ist in der Regel nicht existent. Darüber hinaus ist auch hier – wie bei vielen anderen Aufgabenfeldern unserer Kirche – hinsichtlich eines systematischeren Erfahrungsaustausches in unserer Kirche aber auch extern zweifellos noch viel Verbesserungspotenzial vorhanden.

  • Bezogen auf die Führungsfähigkeiten gibt es eigentlich systematisch keine wirklich breite Diskussion der hierarchie- und aufgabenbezogenen Anforderungen und dem folgend auch keine wirklich systematische Aus- und Weiterbildung zukünftiger Kirchenführer.

  • Natürlich sehr eng zusammenhängend mit der großen Stärke des breiten Mitwirkungsrechtes der Mitgliederbasis weisen die Leitungsstrukturen vielfach sehr lange Entscheidungswege und Ineffizienzen auf. Darüber hinaus findet sich oft keine Übereinstimmung zwischen definierter Aufgabe, zugeordneter Kompetenz und erwarteter Verantwortung. Auch die Antwort auf die Frage nach einer für die haupt- und ehrenamtlichen Mitglieder motivierenden und fördernden Gestaltung unserer kirchlichen Strukturen muss vielfach kritisch beantwortet werden.

  • Im Bereich der Führungs- und Leitungskultur zeigen eine ganze Reihe von auch externen Analysen eine oft weit verbreitete Misstrauenskultur und parallel die grundsätzliche Ablehnung von Führung oder gar starken Führungspersönlichkeiten. Darüber hinaus ist die Thematik der Definition klarer Leistungsanforderungen und dann auch deren Messung nach wie vor nicht überall breit akzeptiert.


Schaubild 5: Mögliches Wunschbild

Eine Problematik bei der Nennung der angeführten Stärken und Schwächen, beziehungsweise Verbesserungsfelder, ist, dass hier „Kirche“ recht grob über einen Leisten gekämmt wird. Natürlich wissen wir, dass die konkrete Situation unserer Kirche je nach Region, je nach Hierarchieebene und je nach beteiligten Personen außerordentlich unterschiedlich ist. Lassen Sie mich deshalb den genannten Stärken und Schwächen ein mögliches Wunschbild gegenüberstellen. Ein – so meinen wir – breit gültiges Bild einer möglichen Zukunft – wenn es natürlich auch hier noch viel Diskussions- und dann resultierend viel Handlungsbedarf gibt.

  • Kernelement zukünftiger übergeordneter Führungsziele sollte sozusagen als Startpunkt eine starke Loyalität zur Institution Kirche und zu ihren Gremien und auch gewählten Repräsentanten sein. Dabei ist das dem vorausgehende deutliche Bekenntnis zu unserem christlichen protestantischen Glauben vorausgesetzt. In der Zukunftsvision werden die vorhandenen Leistungs- und Motivationspotenziale aller Mitarbeiter erkannt und systematisch erschlossen. Und insgesamt haben Leistungsfreude und Erfolgsakzeptanz eine im Gegensatz zu heute stärkere Bedeutung.

  • Bei den Führungsfähigkeiten sollte es einen klar definierten und akzeptierten Katalog erforderlicher Fähigkeiten – differenziert nach Führungsebenen – geben. Auch situativ erforderliche unterschiedliche Führungsstile sollten beschrieben, gelehrt und gelebt werden. Und es sollte einen breiteren Kanon von Ansätzen zur beständigen institutionellen und individuellen Weiterentwicklung der erforderlichen Führungsfähigkeiten geben. Ganz explizit schließt dies auch kontinuierlich alle leitenden Geistlichen unserer Kirche ein.

  • Wunschbild bei den Führungskonzepten und -instrumenten wäre eine systematischere Verknüpfung der guten Einzelinstrumente, ein dem vorausgehender, breiter inner- und außerkirchlicher Erfahrungsaustausch und natürlich die kontinuierliche Erfolgskontrolle der vorhandenen Instrumente.

  • Bei den Leitungsstrukturen und -rollen sollten parallel Effektivität, das heißt Leistungsfähigkeit, und Effizienz, das heißt Kostenverantwortung, sichergestellt werden. Darüber hinaus gilt es, die angesprochene breite Einbeziehung von Mitgliedern und Mitarbeitern in wesentliche Entscheidungsprozesse sicher zu stellen und pro Führungsstelle eine Übereinstimmung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen zu schaffen. Die Führungsstrukturen und -prozesse sollten motivierend und unterstützend für alle Mitglieder und Mitarbeiter wirken.

  • Im Bereich der Führungskultur sollte unsere Kirche beispielgebend für andere, vielfach viel enger auf Einzelziele wie Gewinn oder Wachstum ausgerichtete Institutionen sein. Führung sollte als hilfreich akzeptiert sein und dies gilt auch hinsichtlich der Akzeptanz von Führungspersönlichkeiten.


Schaubild 6: Tatsächliche Veränderungschancen nach Einzelbereichen


Unsere vergangenen und dieser Werkstatt vorausgehenden Diskussionen haben gezeigt, dass die genannten Aufgabenfelder allesamt wichtig sind: Verbesserungen führen zu verbesserter Aufgabenwahrnehmung und Zielerreichung, und dies sollte idealerweise ganzheitlich erfolgen. Eine nur isolierte Veränderung von Teilbereichen verfehlt, aufgrund der vorhandenen Interdependenzen, das Optimum.

Wiewohl insgesamt gesehen vergleichbar wichtig gibt es aber wohl doch hinsichtlich eines möglichen Arbeitsprogrammes aufgrund der unterschiedlichen Veränderungschancen der Arbeitsbereiche ein unterschiedlich zu priorisierendes Arbeitsprogramm.

Entlang der Einordnung nach mutmaßlichem vorhandenen Veränderungswillen bzw. vorhandener Veränderungsakzeptanz einerseits und – die horizontale Achse des Schaubildes 6 – der  mutmaßlichen Fristigkeit des Veränderungsprozesses, das heißt dem zeitlichen Pfad bis zur tatsächlichen Sicherstellung von Veränderungen, lassen sich die Aufgabenfelder aus unserer Sicht demfolgend sortieren.

  • Voraussetzung für jegliche Veränderung  ist dabei die Definition - Sie sehen das in dem Kreis in der Mitte – der übergeordneten Führungsziele. Hier gilt es, die übergeordnete Strategie unserer Kirche und die daraus abzuleitenden Führungsziele zumindest grob als Vorgabe zu skizzieren.

  • Davon ausgehend erscheint der Veränderungswille bei den Führungsinstrumenten hoch zu sein. Und vor dem Hintergrund einer bereits in vielen Landeskirchen vorhandenen großen Breite guter Einzelinstrumente dürfte auch der Zeitraum einer breiteren Veränderung sehr überschaubar, das heißt eher kurz sein.

  • Etwas kritischer ist das im Bereich der Führungsfähigkeiten. Auch hier ist prinzipiell eine große Akzeptanz zumindest auf Ebene vieler Meinungsführer vorhanden; kritischer dürfte die Thematik aber dann diskutiert werden, wenn man über die Führungsfähigkeiten auf auch niedrigeren Hierarchieebenen oder etwa auf Ebene von Kirchenvorständen diskutiert. Entsprechend dürfte hier der zeitliche Veränderungsbedarf auch etwas umfassender sein als bei den Führungsinstrumenten.

  • Kritisch muss wohl die Akzeptanz einer Veränderung von Leitungsstrukturen beurteilt werden.  Dies liegt unter anderem daran, dass es hier natürlich auch um „Macht“ bzw. Machtverlagerung oder -teilung geht. Auch der hier vielfach erforderliche Einbezug der ehrenamtlichen Steuerungsgremien – etwa der Synoden – dürfte eher bremsend denn fördernd wirken. Aber auch dies stellen wir natürlich gerne zur Diskussion.

  • Zur Frage der Führungs- und Leitungskultur kann ganz generell konstatiert werden, dass es sich bei kulturverändernden Prozessen überall um lange, leicht in den zweistelligen Jahresbereich laufende Veränderungsprozesse handelt. Eine grundlegende Veränderung der Führungs- und Leitungskultur setzt die erfolgreiche Installierung vielfältiger Pilotmodelle und die Verhaltensänderung – so gewünscht – bei den Meinungsführern in unserer Kirche voraus. Sicherlich auch dies eine Herkulesaufgabe, und die Frage nach der Veränderungsakzeptanz erscheint hier vergleichsweise offen.


Die Frage verbesserter Führung und Leitung ist aus Sicht vieler Beteiligter essentiell für die Zukunftsausrichtung, für die Positionierung unserer Kirche. Dem folgend ist auch die prinzipielle Bereitschaft zur Diskussion dieses Themas breit und über die vergangenen Monate und Jahre deutlich gewachsen. Wie bei allen Veränderungen wird es immer dann kritisch, wenn es dabei auch an die Notwendigkeit zur Veränderung des eigenen Verhaltens geht. Aber auch hier gibt es mit Blick auf die ganze EKD eine Vielzahl ermutigender und guter Beispiele.

Wir hoffen, dass auch die Diskussion in unserer heutigen Sitzung einen weiteren wichtigen Impuls für die gewünschten Veränderungen geben kann und ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und ihre kommenden Anregungen.