„Vor uns die Sintflut? Mit der Erde leben, Gottes Bund trauen“ – Predigt im Ökumenischen Frauengottesdienst beim 2. Ökumenischen Kirchentag München

Margot Käßmann

Liebe Gemeinde,

seit der Bibelarbeit heute Morgen begleitet uns dieser so besondere Bund, den Gott mit allem Leben auf der Erde geschlossen hat.

Der Alttestamentler Jürgen Ebach hat angemerkt, dass in diesem Bund, dessen Zeichen der Regenbogen ist, nicht mehr „der Mensch (männlich und weiblich)“1 angesprochen, sondern Noah und seine Söhne werden angeredet. Sind das also mit der Herrschaft des Mannes über die Frau „nachparadiesische(n) Lebensminderungen“2?

In der Tat, wir finden etwas vor, was James Brown in seinem berühmten Lied als „a man´s world“ nennt. Er singt: „Man made the boat for the water like Noah made the ark“. Ja, Noah und die drei Söhne Sem, Ham und Japhet haben Gott vertraut, die Arche gebaut und nun schließt Gott einen Bund mit ihnen. Wenn wir noch ein männliches Gottesbild zugrunde legen, geht es um Vertragstreue unter Männern sozusagen. Sie wird zur Grundlage der Zukunft der Menschheit.

Vor vielen Jahren habe ich zur Arche Noah eine Bibelarbeit in Korea gehalten. Meine Kinder waren noch klein und wir hatten ein Bilderbuch zur Geschichte. Diese Bilder habe ich während der Bibelarbeit an die Wand werfen lassen. Bei einem gab es eine ungeheure Heiterkeit im Saal. Ich habe unterbrochen und mich umgedreht: Es war ein Bild mit gut gefüllten Wäscheleinen auf der Arche. Eigentlich wollte ich das heute mitbringen, aber ich habe es leider nicht mehr gefunden...

Doch in der Tat, wenn wir die biblische Geschichte von der Arche ganz realistisch nehmen, dann musste definitiv auch gewaschen werden! Wer hat gekocht auf der Arche, wer hat die Küche aufgeräumt und die Toiletten gereinigt? Das sind Fragen, die bei großen Alttestamentlern wie Westermann und von Rad nicht vorkommen, wahrscheinlich schlicht, weil sie sich im eigenen Leben keine Gedanken machen mussten… Was für ein interessanter Blickwinkel aber! Jemand musste kochen, waschen, aufräumen, abwaschen auf der Arche. Wer war das wohl? Sagen wir so: Die Vermutung legt sich nahe, dass Noahs Frau und die drei Schwiegertöchter hier eine zentrale Rolle spielten. Sie haben doch sicher auch beim Beladen der Arche daran gedacht, dass Essensvorräte mitmüssen, Kochtöpfe, Trinkwasser, Seife. Wir sprechen hier wohl kaum über ein reales Ereignis. Aber wir sprechen über in dieser Erzählung verdichtete Menschheitserfahrungen und Glaubenserfahrungen, um ein Gedächtnis an große Not, an sintflutartige Zerstörung und wunderbare Rettung. Und dieses Gedächtnis sollte die Erfahrungen von Frauen nicht ausklammern, weil es sonst unvollständig ist.

Was die Bibel erzählt, das ist ungeheuer eindringlich, selbst Jahrtausende später. Gott hat die Welt geschaffen. Das glauben wir als Christinnen und Christen gemeinsam mit Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens. Gott schuf diese Welt, um aus dem Chaos Ordnung hervorzubringen, wie im ersten Schöpfungsbericht: Gott scheidet Licht und Dunkel, Wasser und Land, und kreiert den Menschen zu seinem Bilde, Mann wie Frau als Gottes Ebenbild. Am Ende ist in Gottes Augen alles „sehr gut“ (2. Mose1,31) – die beste aller möglichen Welten sozusagen. Der Segenszuspruch sagt: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.“ (1. Mose 1, 28).

Dieser Segensspruch steht auch am Anfang des Kapitels, in dem unser Predigttext zu finden ist. Wir sehen diesen Segenszuspruch kritischer heute. Zur Zeit der Entstehung des Textes war es wichtig, dass die Menschen sich vermehrten, das Volk Israel sollte und wollte wachsen. Heute ist die Erde überfüllt. Zwischen 1980 und 2005, also in einem Vierteljahrhundert ist die Weltbevölkerung von gut 4,4 Milliarden auf über 6,5 Milliarden angewachsen, das entspricht etwa dem Dreifachen der gesamten Bevölkerung Europas! 2010 wird die Weltbevölkerung 6,9 Milliarden erreichen, 56 Prozent mehr als noch im Jahr 1980. Zwar wird inzwischen eine Abnahme der Zuwachsrate erwartet, trotzdem wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf mehr als 9 Milliarden anwachsen.

Das alles ist Statistik. Eine bedrängende Statistik, die unsere Mutter Erde an den Rand der Belastbarkeit bringt. Und die für viele Frauen eben nicht Segen, sondern wahrhaftig Fluch bedeutet. Ja, jedes Kind soll geliebt sein und willkommen, jedes Kind ist ein Geschenk Gottes. Aber welche Frau will denn ein weiteres Kind gebären, von dem sie weiß, dass sie es nicht wird ernähren können? Jedes Jahr sterben mehr als 300.000 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft oder Geburt – 99 Prozent von ihnen in den armen Ländern des Südens. „Eine Geburt zu überleben, ist für Millionen Frauen auf dieser Erde reine Glückssache“, schreibt Susanne Iden. „In Afghanistan und Sierra Leaone bezahlt jede achte Frau ihre Schwangerschaft mit dem Leben.“3 Die meisten dieser Todesfälle wären vermeidbar. Auf den dringenden Handlungsbedarf hat ein Bündnis von zehn Nichtregierungsorganisationen bei der „Mutternacht“ am 6. Mai in Berlin aufmerksam gemacht.

Wer solches Elend von Müttern und Kindern verhindern will, wer den Segen des Gebärens nicht zum Fluch werden lassen will, wird für Geburtenkontrolle, für einen offenen Zugang zu Verhütungsmitteln eintreten. Vor 50 Jahren wurde die so genannte Pille eingeführt. Die Kirchen waren nicht begeistert. Etwas Anrüchiges hatte sie für viele. Wir können sie aber auch als Geschenk Gottes sehen. Denn da geht es um die Erhaltung von Leben, um Freiheit, die nicht gleich in Pornografie ausarten muss, so sehr die Sexualisierung unserer Gesellschaft natürlich ein Problem ist. Es geht um Liebe ohne Angst und um verantwortliche Elternschaft. Und für Frauen in der Tat um Sorge für das eigene Leben und das der eigenen Kinder. Oder eben auch die Entscheidung für ein Leben ohne Kinder, die unsere Kirchen nicht immer gleich abwerten sollten. Es geht um den Bund Gottes mit den Menschen, die Erde zu erhalten und zu bewahren.

Es war bei einem Besuch unserer Partnerkirche in Äthiopien, als ich im Krankenhaus auf eine Frau traf, deren achtes Kind bei der Geburt quer gelegen hatte. Nach zwei Tagen in Wehen wurde sie auf einem Esel in die Klinik gebracht. Das Kind war bereits tot. Und sie hatte so viel Blut verloren, dass der Arzt meinte, ihre Überlebenschancen seien gering. Ich habe die verzweifelten Augen dieser Frau gesehen und über alle kulturellen und ökonomischen Grenzen hinweg geahnt, was das heißen mag. Du musst sieben Kinder unversorgt in Armut zurücklassen... Keine Frau will so viele Kinder gebären, wenn sie diese nicht versorgt weiß.

Auch die biblische Rahel stirbt bei der Geburt ihres zweiten Sohnes. Sie weiß, dass sie sterben muss. Als ihr „das Leben entwich“, nennt sie ihren kleinen Sohn Ben-Oni, Sohn meines Unglücks. Wie grausam muss das für sie gewesen sein! Sie hatte sich dieses zweite Kind herbeigesehnt. Und dann weiß sie in ihrer letzten Stunde: sie wird diesen Jungen nicht aufwachsen sehen. Nicht einmal stillen kann sie ihn, nichts mehr kann sie ihm mitgeben ins Leben.

Für Mütter ist es entsetzlich, ihre Kinder zurück lassen zu müssen, auch heute. Eine 48jährige Mutter von fünf Kindern hatte letzte Woche die Diagnose: Bronchialkarzinom, Metastasen streuen bereits, keine Chance. Was für ein Leid. Mütter wollen das Kind ja schützen, behüten, behutsam hineinführen in das Leben. Es mag sein, dass sich andere kümmern, die Hoffnung ist da, dass der Vater dem Kind beisteht, vielleicht setzt Rahel in dieser Stunde sogar auf ihre Schwester Lea, mit der sie all die Jahre in Konkurrenz und Eifersucht lebte. Aber der Schmerz, das Kind zurück zu lassen, das neugeborene Baby und auch den älteren Sohn, Josef, der war und ist grausam. Da helfen keine Beschwichtigungen. Es ist gewiss, dass die beiden Söhne ihre Mutter ein Leben lang vermissen werden, diese Trauer nehmen sie mit auf ihren Lebensweg. Bitter klingt es da: Seid fruchtbar und mehret euch…

Ja, die zweitbeste aller Welten. Wie soll da die Melodie der Hoffnung denn aufklingen, hörbar werden? Aber da ist der Regenbogen. Bei der Vorbereitung kam mir Grummel Griesgram in den Sinn. Einige der Frauen hier werden sich erinnern, das war eine Serie mit Kinderkassetten. Regina Regenbogen war diejenige, die mit ihren Farben alles rettet und Grummel Griesgram konnte alles nur in grau sehen. Pädagogisch wertvoll waren diese Beiträge nicht. Und bei mancher Autofahrt habe ich mich fast schon danach gesehnt, das Trörö von Benjamin Blümchen zu hören, auf das ich im Lauf der Jahre nahezu mit Allergie reagiert habe. Aber das Bild ist gut und eindrücklich. Wer sich vom Grau des „Ich kann doch nichts tun“ einfangen lässt, wer stehen bleibt bei dem Erschrecken über all die Zerstörung, wird unbeweglich sein.

Die Bibel dagegen ist ein Hoffnungsbuch. Sie kennt die Zerstörung. Sie weiß um Sintfluten, die das Leben dahinraffen, Angst und Schrecken verbreiten wie die Ölkatastrophe im Süden der USA, wie ein Tsunami. Und Christinnen und Christen wissen zudem um die personale Zerstörung aller Lebensträume wie sie in diesem Jesus von Nazareth, der als verspotteter Verbrecher am Kreuz stirbt, sichtbar wird. Aber all das kann die Melodie der Hoffnung nicht verstummen lassen. Das Kreuz ist in aller Welt ein Symbol dafür, dass aus tiefster Hoffnungslosigkeit neues Leben wachsen kann. Dass die Zerstörungskräfte der Welt nicht das letzte Wort haben. Nicht bei der Sintflut. Nicht am Kreuz. Gott kann Neues schaffen über die Zerstörung hinweg. Und wir dürfen daran teilhaben. Das wussten Frauen schon, als sie am Ostermorgen nach Golgatha gingen…

Wir können in diesem Frauengottesdienst heute Abend die Hoffnungskraft feiern, die von Frauen immer ausgegangen ist. Meines Erachtens gibt es zwei Formen von Hoffnung. Die Eine ist die Hoffnung auf ein besseres Leben, eine bessere Welt hier und in dieser Zeit. Margarete Buber-Neumann schreibt in ihrem Buch „Als Gefangene zwischen Hitler und Stalin“ wie sie auf einem Transport aus einem Gulag in der Sowjetunion im Viehwaggon von Hoffnung sprechen. „Wir hofften darauf, frei gelassen zu werden, endlich nicht mehr gefangen zu sein, nicht mehr das Lagerelend erleben zu müssen.“ Da hält der Zug und alle hoffen auf geöffnete Türen, einen neuen Anfang. Vor den Türen aber stehen SS-Männer. Es geht in das nächste Lager, ein deutsches Konzentrationslager. Frau Buber-Neumann sagt: „Bei einigen, vor allen Dingen den Männern, zerbrach in dem Augenblick die Hoffnung, und sie haben ohne Hoffnung nicht überlebt.“ Hoffnungslosigkeit heißt, keinen Sinn mehr zu finden für das eigene Leben, keine Möglichkeit der Veränderung. An Hoffnungslosigkeit kann ein Mensch sterben.

Andererseits kann Hoffnung eine ungeheure Kraft entfalten. Da ist die Mutter im Flüchtlingslager, die alles tut, damit ihre Kinder eine bessere Zukunft haben - Hoffnung auf Gerechtigkeit. Die Arbeitslose, die ihre 37. Bewerbung schreibt - Hoffnung auf Arbeit. Die Menschen, die ihre Häuser wieder aufbauen in der zerstörten Stadt Grosny, weil sie Hoffnung darauf haben, dass sie dort eines Tages wieder leben können -Hoffnung auf Frieden. Die krebskranke Frau, die eine schlimme Chemotherapie durchmacht – Hoffnung auf Heilung. Der Priester und die Pastorin, die unermüdlich vermitteln zwischen Konfliktparteien -Hoffnung auf Versöhnung. Wie viel lebendige Hoffnung existiert in dieser Welt! Und all diese Hoffnung legt Spuren des kommenden Reiches Gottes, in dem Gerechtigkeit und Heil und Frieden mitten unter uns sein werden. Solche Hoffnung kann ungeheure Kraft entfalten, ja sie kann Berge versetzen, sie steht im Zeichen des Regenbogens.

Solche Hoffnung ist immer gespeist von Glauben und Vertrauen. Das ist nämlich die andere Variante der Hoffnung: Gott begleitet mich, mein Leben ist nicht sinnlos und zwecklos. Nein, mein Leben macht Sinn, weil Gott mich ansieht, weil Gott dieses Leben will. Und wenn meine Pläne scheitern, wenn dieses Leben zu Ende geht und Krankheit, Sterben, Tod anzuschauen sind, dann habe ich Hoffnung darauf, dass Gott meinen Namen geborgen hält über Sterben und Tod hinaus. Diese Hoffnung gibt Lebenskraft und Lebensmut. Wenn die Hoffnung auf eine verbesserliche Welt und die Hoffnung auf Gottes Zukunft zusammenkommen, dann kann Hoffnung weltbewegende Kraft entfalten!

Der Regenbogen gibt Hoffnung. Er zeigt die Kraft der Farben. Nein, er wird uns nicht ablenken können von der Realität der Schöpfungszerstörung, von der wir gehört haben. Von der Sintflut, die vor uns liegt. Die wir zu verantworten haben und nicht Gott. Vom Bund, der droht zu zerbrechen, weil wir Menschen ihn nicht einhalten. Gottes Zusage steht. Aber, wie Alberte Bondeau uns klar vor Augen geführt hat: der Klimawandel ist menschengemacht. Er bringt heftige Konsequenzen mit sich. Aber angesichts all diesen Versagens und all dieser Schuld ist da auch der Mut. Raus, Wäsche waschen, Kinder versorgen, pragmatisch sein! Und: Ideen haben, über den Tag hinaus denken, etwas wagen, was unmöglich scheint. Solchen Wagemut haben Frauen immer wieder bewiesen in der Geschichte. Und auch in der Gegenwart. Es gilt, aus Gottvertrauen heraus anzutreten gegen die Zerstörung.

Ja, dazu haben Frauen Mut. Wie die alternative Nobelpreisträgerin Wangari Maathai. Wie die namenlose Frau, die in Äthiopien über Genitalverstümmelung aufklärt, Dorf für Dorf, wie die Frauen, die mit Nähmaschinen ihrem Ort eine Zukunft schenken, wie die Frauen, die eine Kampagne „clean clothes“ gründeten, wie die Frauen, die andere aufklären über Schwangerschaftsverhütung, wie die Frauen, die sich für ökologischen Anbau engagieren, wie die Frauen die nach der Landung der Arche anfingen, ein neues Leben aufzubauen, wie die Frauen…

O ja, da gibt es doch längst ein Netzwerk unter dem Regenbogen. Oder biblisch gesprochen: Ein Bund, den Gott uns schenkt. Und des Bundespartnerinnern wir sein wollen. Mit all unserer Kraft, von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Wie singt James Brown weiter: „This is a man's, a man's, a man's world. But it would be nothing, nothing without a woman or a girl.” Genau. So wie eben Männer und Frauen auf der Arche waren und der Bund Gottes ihnen bzw. uns allen gilt. Und uns gemeinsam in die Pflicht nimmt.

Amen.