Bibelarbeit während des 2. Ökumenischen Kirchentages (Genesis 9,8-17)
Margot Käßmann
Guten Morgen in München! Es ist schön, hier zu sein.
Vorbemerkungen
Lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen. Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Bremen letztes Jahr hatte die Organisationsleitung mir eine wunderhübsche ungarische Sängerin zur Seite gestellt. Sie war großartig! Aber dann wollte ich gern einen Choral singen zwischendurch. Das war ihr eher rätselhaft. Wir haben ihn schließlich ganz schön a capella gesungen, einfach so. Hinterher schrieb mir ein Posaunenchor: „Liebe Frau Käßmann, nächstes Mal begleiten wir Sie gern!“ Und dieser Posaunenchor ist heute hier eigens von der Schwäbischen Alb aus Genkingen angereist und deshalb können wir jetzt fröhlich mit einem Lied in guter Begleitung beginnen.
Morgenlied: „Dich rühmt der Morgen“, Nr. 124 im Liederheft.
Die Sintflutgeschichte bzw. Noah und die Arche. sind heute Grundlage für die Bibelarbeit: Zorn Gottes, Archebau unter Häme der Nachbarn, Rettung der Guten und von allen Tieren je ein Paar, Taube, grüner Zweig, neuer Anfang, Regenbogen… Kennen wir alle…. Aber merken wir dabei noch, was für eine wunderbare Erzählung das ist? Wenige Autorinnen und Autoren der Menschheitsgeschichte haben so geschrieben, dass ihre Worte und Bilder über Jahrtausende eindrücklich blieben, ja weltweit Glauben, Sprache, Symbole geprägt haben….
Die Erzählung entstand in der so genannten „Perserzeit“, verfasst von dem biblischen Erzählfaden, den die alttestamentliche Forschung die „Priesterschrift“ nennt. Die Quelle dürfte im 5. bzw. 4. Jahrhundert vor Christus zu datieren sein. Ein uralter Text also. Und doch hat er Menschen fasziniert, inspiriert bis heute. Diese Geschichte finden wir in der Literatur und im Film verarbeitet, als Karikatur, die jeder Mensch einordnen kann. Selbst eine Playmobilversion der Arche mit vielen Tieren gibt es! Und der Regenbogen ist ein Symbol, das die Friedensbewegung auch unserer Tage inspiriert hat.
Der Text
In Ihrem Programmheft finden Sie den Text für unsere Bibelarbeit auf den Seiten 30 und 31, die Einheitsübersetzung und die Lutherübersetzung (1984). Ich nehme als Grundlage den „Übersetzungsversuch“ von Jürgen Ebach im Vorbereitungsmaterial für diesen Kirchentag:
„Da sprach Gott so zu Noah und zu seinen Söhnen mit ihm: ‚Was mich betrifft, so bin ich dabei, meinen Bund aufzurichten mit euch und mit all euren Nachkommen und mit allen lebendigen Wesen, die mit euch sind, mit Fluggetier, mit Vieh und mit allen Lebewesen, die mit euch auf der Erde sind - mit allen, die aus dem Kasten herausgegangen sind, mit allen Lebewesen der Erde. Und mit folgender Verpflichtung richte ich meinen Bund mit euch auf: Nicht noch einmal soll alles Fleisch durch Wasser der Flut abgeschnitten werden und nicht noch einmal soll eine Flut kommen, die Erde zu verderben.’
Und Gott sprach: ‚Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich festlege zwischen mir und euch und allen lebendigen Wesen, die mit euch sind – für alle künftigen Generationen: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt und er soll da sein zum Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde. Und so soll es sein: Wenn ich Wolken über der Erde auftürme, dann wird der Bogen in den Wolken sichtbar werden. Dann will ich mich erinnern an meinen Bund, der zwischen mir und euch und allen lebendigen Wesen, allem Fleisch besteht. Nicht noch einmal sollen die Wasser zur Flut werden, alles Fleisch zu verderben! Der Bogen wird in den Wolken sein, ich werde ihn sehen und mich dann an den Bund erinnern zwischen Gott und allen lebendigen Wesen, allem Fleisch, das auf der Erde ist.’
Und Gott sprach zu Noah: ‚Das ist das Zeichen des Bundes, den ich aufrichte zwischen mir und allem Fleisch, das auf der Erde ist.’“
Da uns Pädagogen wie Neurologen erklären, der Mensch könne heute nur fünf Minuten am Stück zuhören, ist eine einstündige Bibelarbeit selbst mit musikalischer Unterbrechung eine Hör-Zumutung. Deshalb ist es sicher gut, wenn wir uns eine ganz kurze Zeit nehmen, die Ihnen Gelegenheit gibt, zu überlegen, wo Ihnen die Noah-Geschichte schon begegnet ist, was der Text gerade heute für uns bedeutet…
Im Folgenden werde ich dem Text mit Blick auf fünf Aspekte nachgehen: der Bund, die Welt, der Bogen, der Mensch und unser Leben heute.
1. Gottes Bund
Gott hat die Welt geschaffen. Das glauben wir als Christinnen und Christen gemeinsam mit Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens. Das trennt uns übrigens meines Erachtens nicht von den Erkenntnissen der Physik! Wir können Gottes Existenz nicht beweisen, aber die geglaubte Existenz Gottes steht eben nicht im Widerspruch zu dem, was die Naturwissenschaft erforschen konnte mit – wie Christinnen und Christen sagen würden – der Kreativität, die Gott Menschen geschenkt hat. Ein Urknall belegt eine Energie, deren Entstehung auch Physiker nicht erklären können. Eine Energie, die Leben ermöglicht, eine Energie, die wir auch spüren können, wenn wir be-geistert sind. Und wunderbar hat der biblische Erzähler den Prozess, der folgte, in einprägsame Bilder verwandelt, ja er beschreibt auch eine Evolution: Gott schuf diese Welt, um aus dem Chaos Ordnung hervorzubringen, wie im ersten Schöpfungsbericht. Gott scheidet Licht und Dunkel, Wasser und Land, und kreiert den Menschen zum eigenen Bilde - Mann wie Frau als Gottes Ebenbild. Am Ende ist in Gottes Augen alles „sehr gut“ (2. Mose1,31) – die beste aller möglichen Welten sozusagen. Der Segenszuspruch sagt: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.“ (1. Mose 1,28; Lutherübersetzung).
Damals war das eine gute Weisung Gottes. Der Mensch musste im besten Sinne „Land gewinnen“, sich einen eigenen Lebensraum erkämpfen. Hart war das. Es war wichtig, viele Kinder zu haben. Wir sehen diesen Segenszuspruch in anderem Licht heute. Die Fruchtbarkeit überfüllt die Erde! Fast sieben Milliarden Menschen leben derzeit auf diesem Planeten. Sie kennen sicher den Witz: Zwei Planeten begegnen sich im Weltall. Sagt der eine: „Du siehst schlecht aus!“ Sagt der andere: „Homo sapiens!“ Der erste: „Kenn ich, die Infektion hatte ich auch schon mal, stirbt sich aus“….
Ein wenig zynisch, sicher. Aber die Vermehrung der Menschen wird zur Belastung der Erde und ihr Herrscherverhalten wirkt zerstörerisch. Aber am Anfang war es gut. Und das können wir doch auch nachempfinden. Etwa an einem Tag in diesem Wonnemonat Mai. Da können wir die Natur sehen, erleben, riechen, fühlen (für Heuschnupfengeplagte allzu sehr!) und sagen: ja, das ist gut! Das gibt uns Energie! Wunderschön. Wunderbar. Wie am ersten Schöpfungstag. Es war sehr gut. Und es ist oft sehr gut, das sollten wir nicht vergessen. Die christliche Spiritualität nimmt dieser Tage einen wunderbaren Neuanfang über konfessionelle Grenzen hinweg, wo sie etwa auf Pilgerwegen, Männerwanderungen, bei Atemübungen und Gottesdiensten im Freien die Schöpfung bewusst wahrnimmt, wo Menschen sich als Teil der Schöpfung sehen. Die ökumenische Bewegung hat bei der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Sibiu/Hermannstadt in Rumänien einen Schöpfungstag ausgerufen, der dem nachgeht. Da können gerade kopflastige Protestanten manches lernen: nicht nur denken ist gut, sondern auch spüren, riechen, tasten, schmecken, sehen….
Im Laufe der Zeit aber zeigt sich, dass der so geschaffene Mensch einen sehr eigenen Willen hat, eigene Interessen verfolgt. Da wird ein Egoismus, eine Selbstbezogenheit wach, die nicht Gott im Zentrum des Lebens sieht, sondern sich selbst. Das ist der biblische Sündenfall, das Ende vom Paradies. Der Mensch isst vom Baum der Erkenntnis und diese Erkenntnis ist bitter. Denn sie führt weg vom Paradies hin zu Missgunst und Neid und Auseinandersetzung. Gott wird zornig und ist enttäuscht. Keine „sehr gute“ Welt. Ein geradezu menschlicher Gott wird da geschildert, in dem der Drang entsteht, zu vernichten, was geschaffen wurde und zwar gerade auch angesichts des Gewaltpotentials, das in Kains Brudermord sichtbar wird. Dieses personifizierte Gottesbild ist zum einen problematisch: Wenn Gott so ist wie wir Menschen, was ist dann göttlich? In dieser Erzählung wird Gott menschlich nachvollziehbar. Wir alle kennen ja dieses Gefühl: Wir haben es gut gemeint, aber es ist böse ausgegangen. Das Gottesbild, das in der Sintflut sichtbar wird, kann uns unruhig machen. Kann Gott so zornig sein? Ist Gott nicht der große Liebende, der auch noch im elendsten Elend, in aller Verzweiflung für Hoffnung und Leben einsteht? Oder projizieren wir immer wieder unsere eigenen Gefühle in unser Gottesbild. Weil wir den strengen Vater wollen oder die liebende Mutter. Aber sind diese Bilder nicht viel zu eng?
In der biblischen Erzählung wird Gott zornig, als aus der guten Ordnung Chaos wächst. Der Mensch entwickelt die eigenen Kräfte: Begierde, Neid, Herrschsucht, Gewalt. Angesichts dessen zeigt uns die Bibel einen Gott, der Emotionen kennt, zürnt, sich ärgert geradezu, dass er sich hat verleiten lassen zu dieser Schöpfung Mensch. So großes, wunderbares Potential gibt es im Menschen! Und so großes, entsetzliches, furchtbares Versagen. Solche Möglichkeiten der Gestaltung liegen im Geschöpf Mensch und doch auch solche entsetzlichen Fähigkeiten zur Zerstörung. Gott hat dem Menschen Freiheit gegeben. Aber diese Freiheit birgt beides: Glück und Unglück, Bewahrung und Zerstörung. Es ist Wahl-Freiheit.
Gott zerstört. Dafür zuallererst steht die Sintflut. Den Zorn Gottes sollten wir nicht klein reden, Gott nicht verniedlichen zum nachgiebigen, liebenswerten Großpapa. Gott ist zornig und schickt nach der biblischen Erzählung wahrhaft zerstörerische Kräfte. Eine Flut, die vernichtet, die Mensch und Tier und Pflanze mit sich reißt, dem Untergang preis gibt. Das ist ein ziemlich schreckliches Gottesbild. Beim Erdbeben von Lissabon 1755 wurde Lissabon zu nahezu 85 Prozent zerstört. Zudem überrollte ein 15 bis 20 Meter hoher Tsunami, der über die Mündung des Tejo eindrang, die Stadt. Die meisten der über 60.000 Toten waren in den Fluten ertrunken. Viele Gebäude, die von der Katastrophe verschont blieben, fielen der darauf folgenden, fast eine Woche andauernden Feuersbrunst zum Opfer.
Die Katastrophe hatte zwei große Folgen. Eine praktische, die bis heute gilt, nämlich die Maßgabe für ein schnelles und geplantes Handeln. Als der König seinen Staatssekretär Sebastían José Carvalho e Melo fragte, was zu tun sei, sagte der: „Die Toten begraben, für die Lebenden sorgen!“ Das war der Grundstein für modernes Katastrophenmanagement.
Neben dieser praktischen Frage gab es auch eine geistliche Erschütterung. Wie kann Gott das zulassen. Diese so genannte Theodizeefrage treibt Menschen immer wieder um: Wo sind Gottes Engel in solchen Katastrophen, wo ist Gott? Wie kann Gott das zulassen?
Ich bin zutiefst überzeugt, die Antwort auf diese Frage lautet: Gott will nicht Leid, Gott straft nicht durch Katastrophen, sondern Gott begleitet Menschen, die Katastrophen erleiden müssen in einer Welt, die, wie wir sagen, „unerlöst“ ist. Erst in Gottes Zukunft, so sagt das Buch der Offenbarung, werden alle Tränen abgewischt sein und Not, Leid und Geschrei ein Ende haben. Diese Welt kennt Naturkatastrophen und menschengemachte Katastrophen, aber in ihnen kennt sie die Spur der Liebe und Begleitung Gottes. Aber wir können als Christinnen und Christen in aller Klarheit sagen: diese Naturkatastrophen zeigen, dass wir die Schöpfung eben nicht beherrschen. Strafen Gottes jedoch sind sie nach biblischem Zeugnis nicht!
Ist der Mensch geschaffen zu Gottes Bilde, gibt es das, was wir tief in uns kennen, eben auch bei Gott. Zorn, Wut, ein latentes Gewaltpotential. Gottesbild und Menschenbild sind verwoben, weil wir ja glauben, dass Gott den Menschen zum eigenen Bilde schuf. Als Christin aber ist mir bewusst, dass Jesus Christus das Bild des zornigen Gottes endgültig überwunden hat. Er geht ans Kreuz. Die schlimmste aller Demütigungen. Die allertiefste Erniedrigung vor den Augen der Öffentlichkeit. Tiefer kann man nicht fallen. Aber diese Erniedrigung war eben nicht das Ende, nicht der Endpunkt, sondern ein Doppelpunkt hin zum Leben. Deshalb wird das gebrochene Gottesbild, wird der Gott am Kreuz auch zur Hoffnung für ein gebrochenes Menschenbild.
Als meine vier Töchter klein waren, hatten wir ein Bilderbuch zur Arche Noah. Da gab es eine Seite mit einem Bild, das die Arche zeigt, wie sie sozusagen in See sticht mit den Tieren am Bord. Und die Tiere an Land versinken langsam im Wasser. Ich musste diese Seite beim Vorlesen immer überblättern, weil die Kinder diese Vorstellung so grausam fanden. Die armen, armen Tiere. Sie werden ertrinken! Warum hat Gott nicht alle in die Arche gelassen? Flut. Zerstörung. Liebstes und Wichtiges zurücklassen - ungeheuerliche Erfahrungen. Das alles birgt Urängste menschlicher Existenz, denke ich.
Die Flut muss kein bestimmtes Ereignis der Urzeit sein, wie Claus Westermann in seinem viel beachteten Genesiskommentar 1974 schreibt. Vielmehr steht dahinter eine Urerinnerung an Katastrophen, wie Menschen sie immer wieder erleben mussten. Eine Gefährdungserfahrung spiegelt sich hier. Oder auch die archetypische Angst vor Zerstörung, wie sie die Menschheit immer wieder erfährt und deren Wahr-werden eben leider auch. Nach vielen Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten des Fortschrittglaubens, können wir das heute wieder sehr wohl nachvollziehen. Der Mensch beherrscht nicht alles. Der Tsunami 2006 war eine solche Erfahrung, die alle Welt berührt hat. Die Erdbeben dieses Jahres auf Haiti, in Chile, in China. Diese Zerstörungen durch die Kräfte der Natur machen uns bewusst, dass der Mensch eben nicht alles beherrscht. Es sind Demutserfahrungen einer oft genug überheblichen Menschheit. Auch der Vulkanausbruch auf Island war eine solche. Alle Technik und alle Fähigkeiten von Lotsen und Piloten kommen gegen eine Aschewolke nicht an. Da kann sich der moderne, mobilitätsgewohnte Mensch noch so sehr empören: ich will fliegen! Ich will mobil sein! Das ist doch eine hochtechnologische, mobile, globalisierte Gesellschaft! Es geht nicht. Die Flieger bleiben am Boden. Eine wichtige Erfahrung, finde ich, weil sie dem sich so allmächtig fühlenden Menschen Grenzen zeigt, Demut lehrt. Und gleichzeitig ist wichtig zu sagen: nein, Gott will das nicht zulassen. Wir glauben nicht an einen Gott, der mal eben mit einem Handstreich ein paar hundert Menschen der Vernichtung preisgibt. Wir glauben an den Gott, der Leid, Not, Geschrei und sogar dem Tod ein Ende setzen will. Dafür steht Jesus Christus ein.
Claus Westermann schrieb in seinem Genesiskommentar 1972: vorausschauend: „Es ist möglich, daß in einer Zukunft, die noch mehr als die Gegenwart Bedrohungen und Gefährdungen der Menschheit als ganzer kennt, die Erzählung von der Sintflut wieder neu gehört wird.“ In der Tat, das war weise Voraussicht! Die Sintflutgeschichte ist für uns heute eine aktuelle Erzählung, weil sie etwas spiegelt von dem Wissen: es könnte eine Vernichtung der Erde geben. Weil wir ja nach dem Motto leben: „nach uns die Sintflut“. Dabei geht es weniger um Naturerfahrungen als um selbst verantwortete Zerstörung. Die Katastrophe von Tschernobyl von 1986 ist ein Symbol dafür geworden. Sie ist eine Warnung an den Hochmut und den Machbarkeitswahn des Menschen, der meint, alles beherrschen zu können. So war der Schöpfungsauftrag von Anfang an nicht gemeint. Neben dem Auftrag zu bebauen, stand der des Bewahrens. Wer damit rechnet, dass der Mensch fehlerlos ist und Kernkraftwerke somit „sicher“ sind, macht den Menschen zu Gott. Ein fataler Fehler, der n der Folge Tausende das Leben gekostet hat. Christinnen und Christen engagieren sich für erneuerbare Energien und gegen Risikomeiler, weil sie um die menschliche Fehlbarkeit wissen.
Und auch die Klimakatastrophe, abstrakt wie sie noch erscheint, kann für viele Menschen zur Sintfluterfahrung werden, die Weltklimakonferenz in Kopenhagen hat uns das gerade erst vor Augen geführt. Unseligerweise gefährdet sie zuallererst die Armen auf den Inseln des Pazifiks und an den Küsten von Indien und Bangladesh, die sie am wenigsten zu verantworten haben.
Aber nicht nur im wörtlichen Sinn haben wir eine Ahnung davon, was Sintflut bedeutet im Leben von Menschen. Was, wenn dein ganzes bisheriges Leben unterzugehen scheint, weil eine schwere Krebserkrankung diagnostiziert wird. Weil der Ehepartner dich verlässt. Auch das sind Untergangserfahrungen, in denen wir uns fragen, wie Gott erretten kann. Ob es einen neuen Anfang geben kann. Ob wir wie Noah und seine Familie noch einmal unter einem Regenbogen Zukunftshoffnung entfalten können.
Ja, es gibt eine zweite Chance. Gott ändert sich! Das ist das erstaunliche an unserem Text: Gott schließt wiederum einen Bund mit dem Menschen. Müssen wir mit bitterem Unterton sagen: Nachdem die Menschen bezahlt haben für ihre Sünden, schwer, ja auch völlig Unschuldige grausam bezahlen mussten? Oder weil Gott sich neu besinnt? Weil eben aus dem Gott des Zorns ein Gott der Zuwendung wird, der auch das Gebrochene lieben kann. Auch diejenigen, die nicht wie Noah absolut untadelig sind. Weil Gott erkennt, dass kein Mensch und damit auch nicht Noah ohne jeden Fehl und Tadel ist. Rettung ist dann eben nicht mehr nur für diejenigen denkbar, die keine Gebote überschreiten, sondern auch für das „geknickte Rohr“, den nur noch „glimmenden Docht“.
Sicher, zu einem Bund gehören zwei. Dennoch, bei „berit“, dem hebräischen Begriff für „Bund“, ist klar, das Handeln, die Initiative geht von Gott aus. Der Bund ist wesentlich Verpflichtung Gottes an den Menschen als Zusage. Berit ist im biblischen Sinne nicht ein Vertrag auf Augenhöhe, sondern eine Zuwendung Gottes. Gott gibt ein Versprechen. Und zwar nicht nur dem Menschen. Nein, an alles Fleisch, an Mensch, Tier, Erde. Die ganze Schöpfung, umfassend alles was lebt und wächst und kreucht und fleucht ist hier gemeint. Gott sagt der eigenen Schöpfung zu, nicht mehr zu zerstören. Es ist nicht der Mensch, der die Gnade, die Lebenszusage auslöst durch sein Verhalten. Es ist Gott, in aller Freiheit, in aller Liebe. Und so führt uns die uralte Erzählung von der Sintflut sehr nah an die neutestamentliche Erkenntnis, dass Gottes Liebe immer eine zuvor-kommende ist. Oder auch an die reformatorische Erkenntnis, dass es eine Rechtfertigung allein aus Gnade gibt, ohne Leistung des Menschen. Das ist im Übrigen keine nur lutherische Aussage, sondern darin haben wir als Katholiken und Protestanten 1999 Übereinstimmung festgestellt.
Der Alttestamentler Gerhard von Rad schreibt sieht im Zeitalter nach Noah die göttliche Geduld im Vordergrund. Aber das, so sagt er, mindert nicht den Anspruch Gottes an den Menschen. Hier können wir also schon einen Vorläufer der Rechtfertigung allein aus Glauben sehen. Luther übersetzt den Namen Noah mit „Ruhe“. Und Gerhard von Rad sagt in seiner Auslegung der Genesis: „Noah war nicht durch Werke erhalten, sondern durch den Glauben an Gottes Barmherzigkeit, dazu ihn die Worte der Verheißung brachten.“
Noah also war auch nicht allein durch seine Existenz ohne Fehl und Tadel auserwählt. Sein Gottvertrauen war entscheidend. Glauben heißt vertrauen, im lateinischen fides ist es derselbe Begriff sogar. In all unseren Ängsten vor Versagen, vor Bestrafung, vor Katastrophen in unserem Leben werden wir ermutigt, zu vertrauen. Das ist das Wagnis des Glaubens. Psychologen sagen, wir können das auch noch spät lernen, auch wenn es am besten ist, es im Kindheits-Ich zu erfahren, mit der Muttermilch einzusaugen im besten Sinne des Wortes. Er hat sich vollkommen auf Gott eingelassen und daher seine Zukunft und die seiner Familie in Gottes Hand gelegt und aus Gottes Hand genommen. Das ist eine Lebenshaltung! Und aus diesem Vertrauen heraus ist der biblische Noah wahrhaftig sehr aktiv geworden, mitten in der Welt, auch gegen den Zeitgeist, der den Archebau eher lächerlich fand.
Die drückt sich auch aus in dem Lied: Wer nur den lieben Gott lässt walten. Liederheft Nr. 17.
2. Die zweitbeste aller Welten
Wir befinden uns in einer Welt nach der Vertreibung aus dem Paradies. Eine Welt nach der Sintflut. Es ist, wie Jürgen Ebach schreibt, die „zweitbeste aller Welten“ . Das können wir an mehreren Belegen festmachen. Zum einen ist nun alles in die Hand des Menschen gegeben. Nicht nur das Gras darf der Mensch essen, nicht nur Vegetarier sein, platt gesagt. Nein, auch alles Vieh, so sagt es der Beginn des Kapitels, ist nun dem Verzehr frei gegeben. (Hier übrigens ist der Beleg für die beim jüdischen und muslimischen Schlachten verankerte Praxis des Schächtens zu finden.)
Die zweitbeste aller Welten aber wohl auch, weil anders als in Genesis 1,28 hier nur Noah und seine Söhne angesprochen sind. Nur mit ihnen schließt Gott offenbar einen Bund. Wo bitte ist Frau Noah? Wo sind die Schwiegertöchter? In einer Bibelarbeit habe ich vor zwanzig Jahren Bilder im Hintergrund gezeigt, die eine Wäscheleine auf der Arche zeigten. Da kam Heiterkeit auf im Auditorium. Aber wenn wir die Arche nun einmal als Wirklichkeit nehmen, dann, liebe Gemeinde, musste auch gewaschen werden. Wer hat gekocht auf der Arche, wer hat die Küche aufgeräumt und die Toiletten gereinigt? Ja, ich weiß, Frauen lassen sich längst nicht mehr auf diese Rollen festlegen. Aber all das sind doch relevante Fragen, die in der Exegese von Westermann und von Rad nicht vorkommen….
Besonders interessant aber ist: Gott kann offenbar mit einer gefallenen Welt leben. Für mein persönliches Gottesbild ist das von ungeheurem Gewicht. Gott braucht nach der Sintflut nicht länger allein das „sehr Gute“, um menschliches Leben als lebenswert anzusehen, ja den Menschen zu lieben. Gott macht Mose zum Führer seines Volkes, obwohl er einen Ägypter ermordet hat. Gott lässt Sara zur Mutter eines großen Volkes werden, obwohl sie bei der Ankündigung einer späten Schwangerschaft lacht. Gott kann David als König Israels leben lassen, obwohl er Bathsebas Mann der Vernichtung preisgegeben hat. Petrus kann eine entscheidende Rolle spielen, nachdem er Jesus verleugnet hat. Und Maria Magdalena wird in die Kirchengeschichte eingehen, auch wenn ihr Ruf zweifelhaft war. Wir kennen als Christinnen und Christen keinen Gott, der nur das Perfekte gelten lässt und alles andere verachtet. Manchmal, ja manchmal scheint es in den biblischen Berichten fast, als hätte Gott eine besondere Liebe zu den gebrochenen Gestalten.
Aber nur manchmal? Ist es nicht gerade das gebrochene Rohr, von dem Jesaja spricht, das aufgerichtet werden soll? Und ist Kreuzestheologie nicht eine, die klar macht: gerade im Scheitern wissen wir, dass wir unser ganzes Leben in Gottes Hand zu legen haben. Es war der Theologe Henning Luther, der davon sprach, dass das Leben eines Menschen immer Fragment bleibe. Solange er lebt, ist der Mensch nicht in der Lage, sich selbst zu komplettieren und so zu einer Erlösung zu gelangen. In aller Fragmentarität aber wird er von Gott geliebt und gefördert.
Wenn Menschen fragen, warum Gott das zulassen kann, wie das Leid in die Welt kommt, warum die Welt und wir Menschen eben nicht perfekt sind, können wir genau mit diesen Grundüberzeugungen darauf eingehen. Es ist keine perfekte Welt, sondern eine fragmentarische. Durch Egoismus, durch Neid, Hass und Gewalt ist diese Welt gebrochen. Und doch: Gott liebt diese Welt. Das ist die Spannung, in der unser Glaube lebt. Darin liegt die Freiheit eines Christenmenschen, die Martin Luther entdeckt hat. Nichts, was ich tun und leisten kann, gibt meinem Leben Sinn, sondern allein diese Liebe, diese Lebenszusage Gottes. Wer darauf vertrauen darf, ist wahrhaftig frei.
3. Der Bogen
Aber es sind nicht nur Neid, Hass und Gewalt. Nein, auch die Natur ist bis heute vom Menschen nicht vollkommen beherrscht. Gewiss, sie seufzt, wie der Apostel Paulus sagt, nach Erlösung. Und sie seufzt dabei ganz gewiss unter dem Menschen, der sie erbarmungslos benutzt und zerstört mit Ölteppichen, Artenvernichtung und Klimaerwärmung. Aber wir dürfen die Schöpfung auch nicht allzu simpel romantisieren. Sturm, Gewitter, Flut gehören dazu, mächtige und schreckliche Naturkatastrophen, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben. Gott setzt mitten im Wüten der Gewalten seinen Bogen in den Himmel. Wichtig ist mir: Gottes Zeichen im Regenbogen ist auch eine Erinnerung für ihn selbst, seiner Zusage treu zu bleiben im Sinne einer „Selbstverpflichtung Gottes“: „alsdann will ich gedenken…“
Ich denke, jeder und jede von uns kann sich an ein Regenbogenerlebnis erinnern. Ich meine jetzt nicht unbedingt den alten deutschen Schlager. „Küsse unterm Regenbogen, die schmecken gut, die bringen Glück…“ Etwas tiefgründiger soll es schon werden ;-). Ich denke, Menschen spüren in der Unverfügbarkeit dieses Phänomens, das ja nur im Zwischenbereich von Sonne und Regen auftritt, das Geschenk des Augenblicks. Luther sagt in der Auslegung dieses Textes: „Der Regenbogen ist wie ein Buch oder gemalte Tafel, darin zugleich der vergangene Zorn und die gegenwärtige Gnade angezeigt wird.“
Mein eindrücklichstes war 1991. Ich war auf dem Weg zur siebten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra. Und ich war mehrfach verunsichert. Der erste Golfkrieg war gerade ausgebrochen, ich hatte meine drei Kinder für drei Wochen zurück gelassen und fühlte mich beunruhigt. Für die Jüngeren im Saal: es hieß damals, Raketen aus dem Irak könnten sowohl Israel als auch Westeuropa erreichen. Eine angespannte Atmosphäre. Zudem war ich mit meiner vierten Tochter im dritten Monat schwanger und die Ärztin hatte gesagt, es gäbe bei Langstreckenflügen immer eine „Abort-Gefahr“. Schließlich sollte ich mich in Canberra zur Wahl stellen für den Exekutivausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen. Zu guter letzt wollte ich der EKD Geld sparen und habe die billigste Flugvariante genommen. Das bedeutete 13 Stunden von Frankfurt nach Bangkok. Von da nach Jakarta. Von da nach Bali. Dort acht Stunden Aufenthalt, bis es weiter ging nach Sydney. Ich war fix und fertig, aber noch so mutig, mir ein Taxi an den Strand zu nehmen. Und da war e, ein gigantischer Regenbogen! Mir kamen bei diesem Anblick Tränen in die Augen und ich fühlte mich getröstet und ermutigt. Gottes Bogen in den Wolken. Darunter kannst Du getrost und gut beschirmt leben mit Deinen Ängsten und Befürchtungen. Also weiter nach Sydney und nach Canberra. Später erfuhr ich, dass der Rest der Delegation einen Direktflug Frankfurt – Sydney gebucht hatte…. Aber den Regenbogen war der Umweg letzten Endes wert….
Erinnern Sie sich an ein Regenbogenerlebnis? Ich füge noch einmal eine kurze Denkpause ein.
Was ist das für ein kraftvolles Symbol ist dieser Bogen! Bis heute steht er für die Vielfalt und die Kreativität des Lebens etwa in der Friedensbewegung oder auch in dem Engagement für die Gleichberechtigung von Menschen, die homosexuell lieben. Wir können sagen, der Regenbogen symbolisiert in seinen Farben die Buntheit des Lebens, das Überraschende, die Mischungen, die möglich sind gegen alle Konformität und alle Enge und allen Zwang. Gegen alle vermeintliche Eindeutigkeit von schön oder hässlich, warm oder kalt, trocken oder nass leuchten im Dazwischen alle Farben der Lebenspalette, die Gott geschaffen hat. Lasst Vielfalt zu, ruft diese Farbenpracht. Nicht so viel Konformität, nicht so viel Angst, sondern Lust und Liebe zum Leben!
Dieser Aufruf kommt daher in Form des Bogens, wie ein Schirm, wie ein Dach, unter dem es sich leben lässt. Dazu zitiere ich aus Tobias 3,23: „Denn nach dem Ungewitter lässt du die Sonne wieder scheinen und nach dem Heulen und Weinen überschüttest du uns mit Freuden.“
Vor allem aber: der Regenbogen ist international bekannt als Friedenszeichen. Hier geht es um Gewaltverzicht! Gerhard von Rad schreibt (Ausgabe von 1972 wohlgemerkt!): „Das hebr. Wort, das wir mit Regenbogen übersetzen, bedeutet sonst im Alten Testament den Kriegsbogen. Damit ist eine Vorstellung von altertümlicher Schönheit gegeben: Gott zeigt der Welt, daß er seinen Bogen beiseite gestellt hat.“
Ich finde, das ist eine ganz wunderbare Deutung! Der Bogen, käschät, bedeutet hebräisch in der Tat einen Kriegsbogen. Wenn Gott nun diesen Bogen in die Wolken hängt, wird das Kampfsymbol umgerüstet zum Friedenssymbol. Jürgen Ebach hat das so erklärt: „Spannt man diesen Bogen, muss man ihn gegen seine natürliche Krümmung biegen. Im Ruhezustand ist ein solcher Bogen also nicht gerade, sondern in Gegenrichtung gewölbt. Also wäre Gottes Bogen in den Wolken gerade als nach oben gewölbter ein entspannter Bogen, das Bild des „Regenbogens“ mithin eines der Abrüstung, genauer der Umrüstung.“ Ich habe das nicht ausprobieren können. Aber die Erläuterung ist großartig!
Wer also im zweiten Bund, in der zweitbesten aller Welten, mitten in unserer gebrochenen Existenz lebt, kann den Regenbogen in der Tat als Wegweiser sehen zu einer Welt, die sich verändern darf. Wenn Gott den eigenen Sinn ändert, wenn es für Gott Nachsicht mit Schwäche gibt, wenn Gott die eigene Macht sozusagen in die dunklen Wolken hängt mitten im Unwetter, das mit den Sonnenstrahlen kämpft, um wie viel mehr sind dann auch wir aufgerufen zur Veränderung. Immer wieder heißt es doch in der Bibel: „Ändert euren Sinn!“. Das wird uns zugemutet. Und auch zugetraut. Das ist ein ständiger Stachel für Christinnen und Christen, die meinen, in Glaubensdingen sei alles unhinterfragbar und für Kirchen, die meinen, sie hätten die Wahrheit schon fest wie einen Besitz. Gott selbst zeigt sich offen für Neues, für eine veränderte Sichtweise, für Kreativität. Ja, warum sollten wir als Gottes Geschöpfe das dann nicht auch sein? Genau das ist lebensdienlich und heilsam…
Ich wünsche mir weiterhin mehr Fantasie für den Frieden! Und ich lasse mich gern lächerlich machen, wenn Menschen mir sagen, ich sollte mich mit Taliban in ein Zelt setzen und bei Kerzenlicht beten. In der dortigen Kultur ist das durchaus eine Form, Frieden zu schließen, jedenfalls wesentlich eher als das Bombardement von Tanklastzügen. Und es entspricht auch eher der christlichen Kultur, die nach Jesus „das Schwert an seinen Ort“ stecken soll, weil so kein Machtkampf zu gewinnen ist. Ich lasse mir auch gern Naivität vorwerfen. Lieber bin ich naiv und überzeugt, dass ein Kriegsbogen ein Regenbogen werden kann, als dass ich mich der Logik und Praxis von Waffenhandel und Krieg beuge.
Wie sieht es denn aus in Afghanistan? Bisher kamen demnach über 1700 Koalitionssoldaten ums Leben, darunter 43 Soldaten der Bundeswehr und drei deutsche Polizisten. Die Anzahl gestorbener afghanischer Soldaten und Aufständischer ist unbekannt.
Offizielle Angaben zu zivilen Opfern liegen nicht vor, Schätzungen sind sehr unterschiedlich:
- Marc W. Herold schätzte im Oktober 2003, dass 3100 bis 3600 Zivilisten bei US-Bombardierungen und "Special forces attacks" ums Leben kamen.
- Jonathan Steele nannte im „The Guardian“ eine Zahl zwischen 20.000 bis 49.600 Menschen, welche invasionsbedingt starben.
- Eine Studie der Los Angeles Times nannte eine Zahl von ca. 1.000 zivilen Opfern.
- Laut Angaben der ARD-Tagesschau haben Ende Juli 2008 einhundert afghanische und internationale Hilfsorganisationen des Dachverbandes ACBAR in Kabul erklärt, dass bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2008 bereits 2500 Menschen ums Leben gekommen seien, darunter 1000 Zivilisten, und dass für zwei Drittel der Opfer Aufständische verantwortlich seien.
Ja, wir trauern um die deutschen Soldaten, zuletzt am Karfreitag um Niels Bruhns (35). Robert Hartert (25) und Martin Augustiniak (28) - alle aus einem Fallschirmjäger-Bataillon im niedersächsischen Seedorf. Und eine Woche später, am 15. April 2010 um Thomas Clemens Broer (33), Jörn Radloff (38), Marius Josef Dubnicki (32) und Josef Otto Kronawitter (24). Aber wir sollten auch der Toten in Afghanistan gedenken. Marcel Mettelsiefen und Christoph Reuter haben in einem sehr eindrücklichen Buch etwa die Toten von Kunduz am 4. September letzten Jahres wahrnehmbar gemacht in der Trauer ihrer Angehörigen. Die 91 Toten sind da nicht länger ein „Schaden“, sondern Personen mit Namen und Geschichte. Das ist gut biblisch. Der Namen gedenken! Da sind etwa die drei Söhne von Hadschi Dschalat: Assadullah (18), Dschuma Gul (22) und Said Mohammed (32). Der 15jährige Gul Alam, Sohn von Mir Afgahn. Die drei Söhne von Adschi Abdul Basir: Samiuallah (20), Mohammed Ibrahim (22) und Abdul Rahim (25).
Offenbar bleibt der Krieg dabei auf allen Seiten eine Männerwelt. Väter, die um ihre Söhne trauern, Söhne, die ihre Väter betrauern. Und auch die toten Soldaten auf deutscher Seite sind Männer. Und Frauen verstehen nichts von Krieg? Sie trauern. Die Mütter in Deutschland, die Ehefrauen und Freundinnen, Töchter und Schwestern. Die Mütter in Afghanistan, die Ehefrauen, Töchter, Schwestern. Sie bleiben in beiden Nationen namenlos wie die Frauen auf der Arche Noah…
Die Bundesrepublik stockt nun den Etat für die Afghanistan-Schutztruppe deutlich auf. Laut "Wirtschaftswoche" stiegen die Ausgaben für 2010 von den ursprünglich eingeplanten 832 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro. Die Mehrkosten von 227 Millionen Euro seien der "neuen Situation" geschuldet, heißt es. Insgesamt gab die Bundesrepublik für ihr Afghanistan-Engagement seit 2002 bis einschließlich 2010 rund 6,2 Milliarden Euro aus.
Die jährliche Entwicklungshilfe für Afghanistan soll von 125 Millionen auf 250 Millionen erhöht werden. Ist das verhältnismäßig? Ich jedenfalls kann darin keinen „Vorrang für zivil“ sehen, wie wir ihn als evangelische Kirche immer gefordert haben. Wo sind denn da Visionen für ein Leben nach der Sintflut. Ist da ein Regenbogen der Hoffnung erkennbar oder versinkt nicht alles im Strudel der Hoffnungslosigkeit, in den Krieg und Gewalt die Menschheit noch immer geführt haben?
Ein wunderbares Lied zu solcher Hoffnung und solcher Haltung hat Shalom Ben Chorin gedichtet. Ja, es waren ganz andere Umstände. Von Israel aus wusste er um den Mord an den Juden in Deutschland, in Europa. Und er konnte nichts tun. Außer die Hoffnung nicht aufgeben…
Freunde, dass der Mandelzweig…. Liederheft Nr. 32.
4. Und der Mensch?
Gott schließt also einen Bund. Auf eigene Initiative. Gott bietet sich sozusagen als Bündnispartner an, eine ausgestreckte Hand. Erwartet Gott nichts mehr vom Menschen? Gibt es eine solche abgrundtiefe Enttäuschung? Gerhard von Rad sieht hier schon das abgezeichnet, was wir in den Aussagen Jesu als Gnade allein wahrnehmen. Er schreibt: „Dieser Noahbund unterscheidet sich aber vom Abraham- oder Sinaibund oder allen anderen geschlossenen Bünden: Waren dort einzelne oder das Volk ganz persönlich in ein Gemeinschaftsverhältnis mit Gott berufen und somit vor die Frage der Bejahung dieser Ordnung gestellt, so steht das Zeichen des Noahbundes durchaus ohne eine bekennende Aneignung seitens der irdischen Partner hoch über den Menschen zwischen Himmel und Erde als Unterpfand einer rechten gratia praeveniens (dem Willen zuvorkommende Gnade)!“
Das bedeutet: Gott wendet sich dem Menschen zu, auch wenn der Mensch nicht so ist, wie Gott ihn sich erhofft, geträumt hat, ihn gesehen hat, als er ihn schuf. Das kennen wir ja auch, wenn wir Menschen lieben und sie sind nicht so wie gewünscht: Die Ehepartnerin, der Vater, die Tochter, der Geliebte. Sie sind nicht so wie unser Idealbild sie malen möchte. Sie sind alle Mängelexemplare. Was für eine frustrierende Erfahrung! Natürlich könnten wir uns abwenden, sagen: so wollte ich das nicht. Warum soll ich mich für den einsetzen? Die ist für mich gestorben! Gott macht uns etwas anderes vor: die Liebe bleibt, auch über Enttäuschung und Scheitern hinweg. Und das wissen doch auch wir! Wir kennen uns selbst und unsere Mängel! Und wir lieben doch auch Menschen mit all ihren Fehlern. Und wir dürfen uns selbst lieben als Mängelexemplare. Das ist das wunderbare am christlichen Glauben, finde ich. Es geht nicht um Perfektionisten. Die sind eher irritierend, weil die Frage entsteht, ob so eine perfekte Lebenssituation nicht oft nur Fassade ist. Ob sie Brüche verdecken soll….
Aber der Anspruch Gottes bleibt auch. Die Gebote sind die unverrückbare Grundlage zu einem verantworteten, gelingenden, gemeinschaftsverträglichen Leben - auch in der zweitbesten aller Welten. Noah tut alles, um die Gebote zu halten. Bebauen und bewahren ist sein und unser Auftrag. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen. Und dabei müssen Menschen mit Scheitern und mit Schuld leben, denn sie werden kein perfektes Paradies schaffen können. Damit müssen wir uns abfinden. Aber die Hände in den Schoß legen, das gilt nicht, das widerspricht der Kreativität, die Gott uns als Geschöpfe geschenkt hat, der Verantwortung, die wir wahrzunehmen haben. Wir haben ja auch Freude, ja Spaß daran, zu gestalten, wenn wir dürfen. Wir haben eine unbändige Energie, einzutreten für Gerechtigkeit, wenn wir Unrecht wahrnehmen. Und wir können an unserem Ort, in unseren Zusammenhängen eine Spur legen von der uns geschenkten Kreativität, weil wir wie Noah doch gern neu pflanzen und auch wenn wir wissen, dass nicht alle Saat aufgehen wird.
Da ich ja immer wieder erlebe, dass die Poesie eine ganz eigene Sprache des Glaubens spricht, möchte ich hier ein Gedicht von Hilde Domin zitieren:
Die Bitte
Wir werden eingetaucht
Und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut
Der Wunsch nach der Landschaft
Diesseits der Tränengrenze
Taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.
Es taugt die Bitte,
dass der Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
dass noch die Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden.
Und dass wir aus der Flut,
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen immer versehrter
und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.
5. Leben in der zweitbesten aller Welten
Ich denke, es sind im Leben die “Zwischenbereiche“, die Übergänge, die Bereiche zwischen Sintflut und Neubeginn, wo wir die Ermutigung, die Zeichen der Hoffnung besonders brauchen. „Gottes Bogen in den Wolken“ - das ist nicht die Verheißung des wolkenfreien Himmels oder eines von Sorge und Leid völlig unberührten Lebens. Da kann Depression den Himmel verdunkeln oder auch der Tod eines Menschen. Der Verlust des Arbeitsplatzes. Eine verlorene Liebe. Eine rote Ampel…. Aber mit der Zusage des Segens, dass wir diese Welt in Verantwortung gestalten dürfen, lässt es sich leben und die nächsten Schritte wagen. Wir wissen alle um die Begrenztheit unseres Lebens. Der Tod ist mitten im Jetzt gegenwärtig. Das Kreuz ist Teil unserer Existenz. Und doch gibt es in all den dunklen Wolken diese geradezu kindliche Freude an den Farben, an der Liebe, an den Möglichkeiten einer je neu eröffneten Zukunft.
„Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden Bach des Lebens.“, sagte Friedrich Wilhelm Nietzsche. Und damit sind wir bei der Losung dieses Ökumenischen Kirchentages. Manchmal stürzt der Bach des Lebens in der Tat herab. Das ist eine Erfahrung, die wir im persönlichen Leben, als Gesellschaft, aber auch als Kirche machen. Wie gut, wenn dann ein Regenbogen erscheint. Das Wunder des Regenbogens ist immer unverfügbar. Es ereignet sich als Geschenk, als ausgestreckte Hand Gottes. Der Gedanke an den Regenbogen kann uns Orientierung geben mitten in dunklen Wolken. Solche Farbenpracht hilft uns, Prioritäten zu setzen. Klar zu schauen und auch zu sagen, wo wir stehen. Nein, es ist nicht alles gut. Nicht in unserer Kirche, unserem Land, unserer Welt, nicht in Klimafragen, nicht in Afghanistan. Aber es gibt einen Hoffnungsbogen, der zeigt: Veränderung ist möglich. Kein Zurück und kein Paradies. Keine Perfektion. Aber ein Weg nach vorn. In die Zukunft. Und wir können – weiß Gott – etwas dazu beitragen. Noah hat die Arche gebaut. Sicher belächelt als Träumer oder Spinner. Aber seine Frau, seine Söhne, seine Schwiegertöchter haben sich anstecken lassen von der Vision. Sie haben die Hände nicht in den Schoß gelegt, sondern den Mut gehabt, miteinander aufzubrechen…
Als Christinnen und Christen, als Kirchen sind wir Teil der zweitbesten aller Welten. Aber wir sind von einer tiefen inneren Hoffnung getrieben. Gott liebt diese Welt und all ihre Geschöpfe nicht weil sie sind wie sie sind, sondern obwohl sie sind wie sie sind. Gott kennt die tiefsten Tiefen des Menschseins, weil Gott selbst Scheitern ertragen musste. Als die beste aller Welten scheiterte. Als Gottes Sohn verspottet wurde und elend starb. Aber all das hatte nicht das letzte Wort. Nach der Sintflut kommt der neue Bund unter dem Regenbogen. Nach dem Kreuz kommt der „neue Bund in meinem Testament“. Eine Gemeinschaft all derer, die um Scheitern wissen und um Grenzen, die an einem Tisch zusammenkommen aus Nord und Süd und Ost und West. Deshalb ist die ökumenische Bewegung doch vor 100 Jahren bei der Weltmissionskonferenz in Edinburgh entstanden, weil die Missionare gemerkt haben: je stärker wir unsere Trennung voranstellen, desto schwerer ist es, von der Hoffnungs- und Versöhnungskraft des Glaubens zu sprechen. Und deshalb drängt uns diese Hoffnung, dass wir endlich an einem Tisch zusammenkommen über alle Differenzen hinweg, ob es nun ökonomische, theologische oder soziale Differenzen sind. Ja, wir haben Sehnsucht nach dem gemeinsamen Abendmahl, weil es ein Zeichen wäre für Versöhnung unter den Christen, die Hoffnung geben könnte für die Welt, für eine Versöhnung zwischen den Religionen und zwischen den Nationen, damit die Erde ein bewohnbarer Planet bleibt für Generationen, die kommen. Wir können als Christinnen und Christen einen Regenbogen der Hoffnung schaffen, gerade dann, wenn wir unsere Fehler nicht leugnen. Gerade dann, wenn wir nicht behaupten, die Kirche sei eine unfehlbare Institution. Gerade dann, wenn wir den Blick wach halten für das Scheitern, die Schwäche, die Versuchung und sie mit Liebe anschauen. So wie Gott am Ende die gefallene Schöpfung, die doch auf den ersten Blick „sehr gut“ war.
Wer so realistisch und so liebevoll auf die Menschen und die Welt blickt, wird Mut gewinnen, sich einzumischen für eine bessere Welt. Und das ist unsere Aufgabe, davon bin ich überzeugt. Ja, wir sollten im Glauben verwurzelt sein, unseren Glauben stärken – und dafür kann ein solcher Kirchentag eine wunderbare Gelegenheit bieten! Aber dann sollten wir frisch, fromm, fröhlich, frei, ganz im Sinne von Turnvater Jahn daran gehen, die Welt zu verbessern. Das mag belächelt werden – das war schon bei Noah und bei Jesus so. Aber es ist ein Regenbogensignal: Der Kriegsbogen kann zur Lebenszusage werden. Die Wasser können weichen. Wir können alles tun, Bundestreue zu erweisen. Auf geht´s, liebe Kirchentagsteilnehmerinnen und –teilnehmer. Nicht entmutigen lassen! Stärken lassen hier in München und dann fröhlich vor Ort ran an die Herausforderungen mit weitem Blick für das Ganze und getragen von Gottes Zusage. Ja, wir können uns einbringen, Du und ich, jeder und jede am eigenen Ort für die Bewahrung der Schöpfung, für Gerechtigkeit und Frieden. Mögen wir dabei belächelt werden wie Noah und seine Familie. Am Ende zählt das Bebauen und Bewahren, das Säen und Pflanzen, das Hoffen und Lieben – und es ist wunderbar, daran teilhaben zu dürfen!
Und da unser Posaunenchor Genkingen so wunderbare mehrstimmige Sätze parat hat und diese Halle so wunderbar vierstimmig singt, lassen Sie uns schließen mit: Lobet den Herren, alle die ihn ehren. Liederheft Nr. 123.
Danke für das Zuhören. Ich wünsche uns allen einen gesegneten Ökumenischen Kirchentag in München!