"Energiepolitik nach Fukushima. (Wann) Geht es in Deutschland ohne Atomkraft?"

Grußwort zum Treffpunkt Gendarmenmarkt und Statement des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen

Anrede,

morgen liegt der Ausbruch der Katastrophe von Fukushima genau zwei Monate zurück. Waren es zunächst die apokalyptischen Bilder des Bebens und der schier alles verschlingenden Flutwelle, deren Folgen uns fassungslos machten, so sind diese Bilder der Naturkatastrophe bald überlagert worden. Sie sind zugedeckt worden vom noch nachhaltigeren Schrecken über die Atomkatastrophe, die sich anschloss, und die Bilder vom verzweifelten Ringen um die Beherrschung einer Technologie, deren Risiken sich letztlich selbst im hochentwickelten Japan als nicht beherrschbar erwiesen.

Was bis heute, zwei Monate später, anhält – und dies gilt gerade auch für uns als Christinnen und Christen – ist zunächst das tief empfundene Mitleid mit denen, die unmittelbar leiden an den Folgen der atomaren Katastrophe und der Inkaufnahme eines vermeintlich vernachlässigbaren Restrisikos. Nun stehen wir vor der bitteren Einsicht, dass – wie schon in Tschernobyl - auch in Fukushima aller Voraussicht nach nicht nur die aktuell Betroffenen, sondern auch noch ungeborene Menschen künftiger Generationen leiden und sterben werden an den Folgen dieses Unglücks.

Als Christenmenschen, die wir den biblischen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung und zum solidarischen Miteinander ernst nehmen wollen und Verantwortung für die Zukunft tragen, mahnt uns Fukushima heute aber, nicht nur in Demut zurück zu blicken, sondern vor allem auch mit Mut nach vorn.

Unser Glauben fordert uns, ethisch Stellung zu beziehen und uns im Blick auf den künftigen energiepolitischen Weg unserer Gesellschaft als Dialogpartner zur Verfügung zu stellen. Das wollen wir heute gemeinsam tun, indem wir die Anforderungen und Eckpunkte eines ethisch fundierten Energiekonzeptes für Deutschland diskutieren und den Verantwortungsraum zu vermessen suchen, in welchem die Brücke in eine wirklich nachhaltige, zukunftsfähige Energieversorgung gebaut wird.

Dass die Energieversorgung der Zukunft auf erneuerbaren Energien fußt, dass wir angesichts sichtbar knapper Ressourcen und der globalen Erwärmung weitaus effizienter mit Energie umgehen werden, ja dass wir auch ein neues und vermutlich bescheideneres Maß dafür finden müssen, wie viel Energie wir überhaupt brauchen, um gut zu leben, das sind Orientierungspunkte für die Zukunft, die in Deutschland weitgehend unstrittig scheinen.
Kontroverser hingegen ist die Frage um die konkrete Ausgestaltung der Energiewende in die Zukunft: Wie schaffen wir es, den Atomausstieg zu vollziehen?

Wie können wir vermeiden, neue sehr klimaschädliche Kohlekraftwerke bauen zu müssen?

Wie schaffen wir die nötige Infrastruktur für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, d.h. auch die Netze und Speicher, damit auch zukünftig Versorgungssicherheit herrscht und wir nicht auf Kohle- und Atomstromimporte aus den Nachbarländern angewiesen sind?

Welche Anreize und welche verbindlichen politischen Vorgaben braucht es schließlich, damit wir eine stetige Zunahme an Energieeffizienz erreichen?

Und wie ist das alles zu finanzieren und im Rahmen einer gerechten Lastenverteilung darstellbar? Wie bekommen wir wirklich Alle mit auf den Weg, gerade auch dann, wenn jeder spürt, dass es auch an den eigenen Geldbeutel geht?

Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass wir wichtige, weichenstellende Zukunftsfragen zu diskutieren haben. Wir suchen Antworten, die uns nach vorn bringen in einer guten Mischung aus visionärem Weitblick und Mut zur Veränderung einerseits, und dem nötigen Augenmaß für das technisch, wirtschaftlich und sozial Machbare andererseits.
Die Welt blickt derzeit aufmerksam und vielleicht auch staunend auf uns Deutsche. Sind Atomausstieg und Energiewende ein deutscher Sonderweg oder taugen sie als internationales Vorbild?

Ich bin zuversichtlich, dass wir viele Nachahmer finden werden, wenn wir die Brücke in eine nachhaltige Energieversorgung der Zukunft erfolgreich bauen. Ebenso hoffe ich, dass die Brückenbauer dann weltweit sehr gefragt sein werden, die Energiewende also viel Potenzial hat, einen Investitionsschub für unsere Wirtschaft und unsere Arbeitsplätze auszulösen - und uns nicht zuletzt auch ethisch motivierte Anerkennung zu Teil werden wird.
Vor allem aber freut mich, dass wir uns in Deutschland diesen Fragen sehr schnell und dynamisch gestellt haben: Die Arbeiten am Bericht der Atom-Ethikkommission schreiten voran, die Regierungen auf Bundes- und Länderebene ebenso wie die politischen Parteien, die Umweltverbände, die Wirtschaft und viele Andere diskutieren intensiv miteinander, beraten und planen. Das ist im internationalen Vergleich ziemlich einzigartig und zeugt von Verantwortungsbewusstsein und einer hohen Lernbereitschaft.

Es freut mich sehr, dass Herr Bundesminister Dr. Norbert Röttgen, dem das Verdienst zukommt, einer der unermüdlichen Antreiber dieser Entwicklung zu sein, trotz seiner immensen Arbeitsbelastung in diesen Tagen heute Abend den Weg zu uns gefunden hat. Vielen Dank, dass Sie da sind, Herr Röttgen!

Sehr herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Frau Professor Claudia Kemfert, der Leiterin des Energie- und Umweltbereichs beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit. Ich danke Ihnen, Frau Professor Kemfert, für Ihre schnelle Bereitschaft, uns mit Ihrem Sachverstand als ökonomische Fachfrau für Energiepolitik in dieser Runde zu bereichern.
Schließlich freue ich mich sehr, den Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden, Herrn Dr. Ulrich Fischer, als dritten Teilnehmer der Diskussionsrunde begrüßen zu können. Dass Bischof Fischer in die Ethik-Kommission berufen wurde, die ihn in diesen Tagen sehr intensiv beschäftigt, mag auch Zeugnis ablegen für den Respekt und die Anerkennung, den unsere Kirche und ihre Werke für ihre engagierte Rolle in Fragen der Atom-, Klima- und Energiepolitik genießen. Dass Sie, verehrter Herr Bischof, dies mit Engagement und Freude tun, weiß jeder, der Sie kennt.

Für die Moderation konnten wir den Wissenschaftsjournalisten Herrn Thomas Prinzler vom rbb Inforadio gewinnen – vielen Dank auch an Sie, Herr Prinzler. Bevor ich Sie bitte, mit dem Mikrophon auch den weiteren Verlauf dieses Abends in Ihre Hände zu nehmen, möchte ich nun Herrn Minister Röttgen bitten, mich hier am Pult abzulösen und seinen Beitrag, der uns in den Abend einführen soll, zu beginnen.