Kirche als Anwältin der Kinder
Zum Weltkindertag 1996
"Deine Kinder werden sein wie junge Ölbäume." So denkt und redet die Bibel von den Kindern. Paßt dieses Bild noch in unsere Welt? Berichte über zunehmenden Mißbrauch von Kindern haben uns erneut aufgeschreckt. Solch ein Ausmaß an Gewalttaten gegen Kinder und an Entwürdigung haben wir uns in unserer zivilisierten Gesellschaft nicht vorgestellt. Nicht wegzuschauen, sondern den Ursachen auf den Grund zu gehen, ist eine Herausforderung für alle Christen. Evangelische Seelsorge und Beratungsarbeit wird verstärkt gebraucht, um den Betroffenen Hilfe anzubieten.
Materiell geht es den meisten Kindern bei uns heute besser als Generationen zuvor. Aber viele Kinder leiden unter einem Mangel an Achtung und Zuwendung. Elementare Bedürfnisse nach Verläßlichkeit und Geborgenheit, nach Zeit und Lebensraum bleiben für viele unerfüllt. Wir müssen lernen, die Welt mit den Augen der Kinder zu betrachten. Das gilt nicht nur für Eltern. Die Garantie, allen Kindern ab drei Jahren einen Kindergartenplatz zur Verfügung zu stellen, war ein wichtiger politischer Schritt zur Entwicklung von kinder- und familienfreundlichen Rahmenbedingungen. Dieser Weg muß konsequent weitergegangen werden. Dazu paßt es nicht, wenn jetzt die anstehende Erhöhung des Kindergeldes hinausgeschoben wird. Bei aller notwendiger Sparpolitik müssen wir nach gesellschaftlichen Prioritäten entscheiden.
Das gilt auch für die Kirche. Trotz aller Geldsorgen bleibe ich dabei: Die kirchliche Arbeit mit Kindern muß auf der Prioritätenliste weit oben stehen. Jede Woche besuchen über 700.000 Jungen und Mädchen unsere Kindergottesdienste und Gruppen für Kinder und Jugendliche. Eine halbe Million Kinder finden Platz in evangelischen Kindergärten und -tagesstätten. Ohne Begegnung mit den Kindern verarmt die Kirche in Glauben und Leben. Für jede Kirchengemeinde ist es eine schöne Aufgabe, sich als Anwältin der Kinder zu verstehen. Schon Martin Luther hat unserer Kirche ins Stammbuch geschrieben: "Es gibt keinen größeren Schaden in der Christenheit, als Kinder zu vernachlässigen."
Hannover, 20. September 1996
Pressestelle der EKD