Zur Asylrechtsentscheidung des BVG vom 14. Mai 1996
Erklärung des EKD-Ratsvorsitzenden Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt
"Die heute verkündeten Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum neuen Asylrecht verlangen eine sorgfältige Prüfung. Was bisher von der Entscheidung des Gerichts bekanntgeworden ist, weist in die Richtung, daß Verbesserungen zum Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen erforderlich sind.
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich seit Jahren zusammen mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz für eine Politik eingesetzt, die in der Lage ist, das Asylrecht für politisch Verfolgte als ein Vermächtnis aus den Erfahrungen der deutschen Geschichte zu bewahren, ohne dabei einer wachsenden Zuwanderung hilflos gegenüberzustehen. Er hat darum 1993 einer solchen Neuregelung des Asylrechts seine Zustimmung gegeben, die das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte schützt und im erforderlichen Umfang die Zuwanderung steuert und begrenzt. Als ausschlaggebendes Kriterium hat er es angesehen, daß politisch Verfolgte - ob in der Bundesrepublik Deutschland oder einem Drittstaat - tatsächlich Schutz finden.
Im Blick auf die sogenannte Drittstaatenregelung wendet sich offenbar auch das Bundesverfassungsgericht gegen eine Auffassung, wonach ein Flüchtling in jedem Fall und ohne Prüfung - gewissermaßen blindlings - in einen Drittstaat zurückgeschickt werden darf. Der Drittstaat muß vielmehr die Kategorie "sicher" auch tatsächlich erfüllen. Tut er dies nicht, kann das Verwaltungsgericht entgegen dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen (§ 34a AsylVerfG) vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung anordnen. Dies gilt besonders dann, wenn der Drittstaat seiner Pflicht gemäß Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention generell oder im Einzelfall nicht nachkommt oder ohne Prüfung in einen anderen Staat weiterschiebt. Damit sind wesentliche Bedenken, die die Evangelische Kirche in Deutschland mehrfach vorgetragen hat, nicht gänzlich unberücksichtigt geblieben.
Das Bundesverfassungsgericht versteht die Drittstaatenregelung als ein Instrument der zwischenstaatlichen Lastenverteilung. Gegenwärtig wirkt diese Regelung aber faktisch als einzelstaatliche Abwehrmaßnahme, da eine wirksame europäische Lastenverteilung bislang nicht zustande gekommen ist. Das übergreifende Ziel muß es bleiben, eine gerechte Lastenverteilung im europäischen Raum zu erreichen und die Last der Zuwanderung nicht auf Nachbarstaaten abzuwälzen. Ich unterstütze deshalb nachdrücklich die Bemühungen um eine entsprechende Regelung unter den europäischen Staaten.
Die beiden für das Flughafenverfahren angeordneten Korrekturen, nämlich Verlängerung der Frist für die Begründung eines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz und Gewährleistung einer unabhängigen rechtlichen Beratung, tragen Bedenken Rechnung, die auch in Äußerungen der Evangelischen Kirche in Deutschland geltend gemacht worden sind. Ob die Vorschläge des Gerichtes tatsächlich die nötige Rechtsklarheit schaffen und faire Verfahren gewährleisten können, steht noch in Zweifel. Sie werden vermutlich eine Fülle fachgerichtlicher Einzelentscheidungen nach sich ziehen.
Ich habe die Hoffnung, daß die vom Gericht gegebenen Hinweise dazu beitragen, Verbesserungen des Schutzes von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu erreichen, wenn Gesetzgeber und Behörden den Hinweisen in der Ausgestaltung und Anwendung der asylrechtlichen Bestimmungen ausreichend Rechnung tragen. Die Evangelische Kirche in Deutschland wird sich auch in Zukunft für eine Asylpolitik einsetzen, die vor dem Gebot der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit verantwortet werden kann und den humanitären und rechtstaatlichen Grundsätzen unseres Gemeinwesens und seiner Verfassung standhält. Politik, Gesetzgeber und Exekutive erhalten durch die Urteile eine hohe Verantwortung. Die weitgehende verfassungsrechtliche Bestätigung des Asylkompromisses von 1993 darf nicht als Rechtfertigung für eine Verschärfung der Asylrechtspraxis in Anspruch genommen werden. Denn das Asylrecht ist ein sensibler Bereich, der die Grundlagen des demokratischen Gemeinwesens berührt, insbesondere die Menschenwürde, die zu schützen das oberste Gebot der Verfassung ist."
Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt
Vorsitzender des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland
Hannover/ Karlsruhe, 14. Mai 1996
Pressestelle der EKD