tempi - Bildung im Zeitalter der Beschleunigung
Ein Diskussionsbeitrag von Prof. Dr. Kh. A. Geißler, vorgelegt zur Podiumsdiskussion beim evangelisch-katholischen Bildungskongress in Berlin
Welche Bildung benötigen wir für die Zukunft?
Immer häufiger, immer offensichtlicher und auch immer eindeutiger ist es der zunehmend raschere Wandel unseres Gesellschafts- und speziell unseres Wirtschaftssystems der den Anlaß für diese Frage abgibt. Eine brauchbare Antwort muß sich bei dieser Ausgangsposition gezwungenermaßen an einem potentiell erfolgreichen Beitrag des Bildungssystems zu diesem Wandel beurteilen und messen lassen. Dieser Logik folgt u.a. auch das "Forum Bildung". Es geht darum - so die Presseberichte zu den Erstempfehlungen des Forums - die Menschen für diese beschleunigte Veränderungsgesellschaft und deren Wirtschaftsdynamiken "fit zu machen" und zwar dadurch,, daß die Bildung für die Gesellschaft von morgen "fit gemacht wird". Die gesellschaftliche und die ökonomische Verwertung von Bildung stehen dort eindeutig im Zentrum der Perspektive.
Vernachlässigt, wenn nicht unterschlagen, werden traditionelle bildungspolitische Perspektiven, speziell jene, die ihren systematischen Ausgangspunkt im Subjekt suchen und dort auch finden, die z.B. nach dem guten Leben fragen. Sie schließen die ökonomische und die gesellschaftspolitische Funktion von Bildung nicht aus, ganz im Gegenteil sie integrieren sie u.a. über die Differenz von Bedarf und Bedürfnis, von Kompetenz und Qualifikation.
Es existiert ein (typisch deutsches) Bildungskonzept das beispielhaft für die Produktivität des nicht aufgelösten Widerspruchs von Bildung/Pädagogik einerseits und Ökonomie andererseits ist, dies ist das Duale Ausbildungssystem. Nur dadurch, daß die Betriebe unter ökonomischer Zielorientierung Bildungsarbeit leisteten, während die Berufsschule ihren betriebsübergreifenden kulturellen Auftrag ernst nahm, war das Duale System ein überaus erfolgreiches Konzept für den ökonomischen und den kulturellen Aufbau Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg. Heute befindet sich dieses System in der Krise, und dies nicht zuletzt, weil die Berufsschule ihren eigenständigen kulturellen Auftrag nicht mehr als Differenz zu jenem Auftrag wahrnimmt, der den Betrieben in diesem System zukommt, sondern den betrieblichen Bedarfen hinterherhechelt.
Bildung ist kulturelle Entwicklung nach ihrer subjektiven Seite hin und ohne diese, ist der angestrebte Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft nur ein halber Fortschritt. Und dieser Kulturanspruch der Bildung muß als Differenz gegen die Ökonomie aufrechterhalten und gepflegt werden. Das nutzt auch der Ökonomie.
Bildung statt Wissensmanagement
Die Programmatik des "Forums Bildung" hebt mit der Parole bzw. der Behauptung an: "Wissen schafft Zukunft". Konkret: Die Zukunft des Einzelnen und unserer Gesellschaft wird wesentlich davon abhängen, in welchem Maße es gelingt, das Wissen zu erwerben und zu vermitteln, das morgen gebraucht wird.
Die Aneignung der Welt durch die Subjekte, die Verantwortung der Einzelnen für die Welt und die Entwicklung der Einzelpersonen in dieser Welt erfolgt durch Bildung mithilfe von Wissen. Lernen ist der Weg dafür. Lernen und Wissen sind Funktionsbegriffe, Bildung ist hingegen ist der dazu gehörende unverzichtbare Substanzbegriff. Bedient man sich - wie das "Forum Bildung" es tut - nur der Funktionsbegriffe von Wissen und Lernen, fehlt das entscheidende qualitative Kriterium. Wissen bedarf der sinnhaften Deutung wenn es, wie im Bildungsprozeß notwendig, ausgewählt werden soll (z.B. nach brauchbar/unbrauchbar, sinnvoll/sinnlos, usw.) Diese Kriterien aber liefert nicht das Wissen selbst sondern die Bildungsperspektive.
Zeit verlieren, nicht Zeit gewinnen ermöglicht Bildung
Anforderungen zu erhöhter Flexibilität, oder die vom "Forum Bildung" bevorzugte Argumentation mit immer kürzeren Verfallszeiten des Wissens, lassen sich als Beschleunigungsimperative verstehen, dem der Typus des allumfassenden Zeitmaximierers als gewünschtes Ziel pädagogischer Aktivitäten entspricht. Sichtbar wird am Horizont eine Gesellschaft und deren Bildungssystem in dem alle Pausen, alle Feierabende, alle Sonntage als Brachland für optimale zeitökonomische Bewirtschaftung angesehen werden.
Bildungsprozesse jedoch brauchen Zeit, je spezifische Eigenzeit, die durch noch soviel Organisation nicht verkürzt werden kann. Bildung unterliegt nämlich dem menschlichen Lebensrhythmus und nicht dem Takt der Ökonomie. Davon abgelöst kann sie nicht sinnvoll organisiert werden - soll sie nicht die Basis für Subjektivität zerstören.
Die Zeitvorstellungen des gegenwärtigen politischen Diskurses speisen sich hingegen aus dem Beschleunigungsdenken einer Konkurrenzwirtschaft. So wird das, was wir so hoffnungsvoll das "lebenslange Lernen" nennen, zum Bestandteil einer Beschleunigungsgesellschaft, in der die Subjekte ruhelos ihrer immer schneller verfallenden Brauchbarkeit hinterherrennen. Die bürgerliche Emanzipationsvorstellung, daß es einem durch und mit Bildung dereinst besser gehen könne, diese Idee löst sich schließlich im Bildungsdauerlauf auf. Das lebenslange wird zum lebenslänglichen Lernen, das Menschenleben zum endlosen Schülerdasein.
Sechs Markierungen zur Frage: Wie könnte sinnvolle Bildungspolitik aussehen?
Immer häufiger, immer offensichtlicher und auch immer eindeutiger ist es der zunehmend raschere Wandel unseres Gesellschafts- und speziell unseres Wirtschaftssystems der den Anlaß für diese Frage abgibt. Eine brauchbare Antwort muß sich bei dieser Ausgangsposition gezwungenermaßen an einem potentiell erfolgreichen Beitrag des Bildungssystems zu diesem Wandel beurteilen und messen lassen. Dieser Logik folgt u.a. auch das "Forum Bildung". Es geht darum - so die Presseberichte zu den Erstempfehlungen des Forums - die Menschen für diese beschleunigte Veränderungsgesellschaft und deren Wirtschaftsdynamiken "fit zu machen" und zwar dadurch,, daß die Bildung für die Gesellschaft von morgen "fit gemacht wird". Die gesellschaftliche und die ökonomische Verwertung von Bildung stehen dort eindeutig im Zentrum der Perspektive.
Vernachlässigt, wenn nicht unterschlagen, werden traditionelle bildungspolitische Perspektiven, speziell jene, die ihren systematischen Ausgangspunkt im Subjekt suchen und dort auch finden, die z.B. nach dem guten Leben fragen. Sie schließen die ökonomische und die gesellschaftspolitische Funktion von Bildung nicht aus, ganz im Gegenteil sie integrieren sie u.a. über die Differenz von Bedarf und Bedürfnis, von Kompetenz und Qualifikation.
Es existiert ein (typisch deutsches) Bildungskonzept das beispielhaft für die Produktivität des nicht aufgelösten Widerspruchs von Bildung/Pädagogik einerseits und Ökonomie andererseits ist, dies ist das Duale Ausbildungssystem. Nur dadurch, daß die Betriebe unter ökonomischer Zielorientierung Bildungsarbeit leisteten, während die Berufsschule ihren betriebsübergreifenden kulturellen Auftrag ernst nahm, war das Duale System ein überaus erfolgreiches Konzept für den ökonomischen und den kulturellen Aufbau Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg. Heute befindet sich dieses System in der Krise, und dies nicht zuletzt, weil die Berufsschule ihren eigenständigen kulturellen Auftrag nicht mehr als Differenz zu jenem Auftrag wahrnimmt, der den Betrieben in diesem System zukommt, sondern den betrieblichen Bedarfen hinterherhechelt.
Bildung ist kulturelle Entwicklung nach ihrer subjektiven Seite hin und ohne diese, ist der angestrebte Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft nur ein halber Fortschritt. Und dieser Kulturanspruch der Bildung muß als Differenz gegen die Ökonomie aufrechterhalten und gepflegt werden. Das nutzt auch der Ökonomie.
Bildung statt Wissensmanagement
Die Programmatik des "Forums Bildung" hebt mit der Parole bzw. der Behauptung an: "Wissen schafft Zukunft". Konkret: Die Zukunft des Einzelnen und unserer Gesellschaft wird wesentlich davon abhängen, in welchem Maße es gelingt, das Wissen zu erwerben und zu vermitteln, das morgen gebraucht wird.
Die Aneignung der Welt durch die Subjekte, die Verantwortung der Einzelnen für die Welt und die Entwicklung der Einzelpersonen in dieser Welt erfolgt durch Bildung mithilfe von Wissen. Lernen ist der Weg dafür. Lernen und Wissen sind Funktionsbegriffe, Bildung ist hingegen ist der dazu gehörende unverzichtbare Substanzbegriff. Bedient man sich - wie das "Forum Bildung" es tut - nur der Funktionsbegriffe von Wissen und Lernen, fehlt das entscheidende qualitative Kriterium. Wissen bedarf der sinnhaften Deutung wenn es, wie im Bildungsprozeß notwendig, ausgewählt werden soll (z.B. nach brauchbar/unbrauchbar, sinnvoll/sinnlos, usw.) Diese Kriterien aber liefert nicht das Wissen selbst sondern die Bildungsperspektive.
Zeit verlieren, nicht Zeit gewinnen ermöglicht Bildung
Anforderungen zu erhöhter Flexibilität, oder die vom "Forum Bildung" bevorzugte Argumentation mit immer kürzeren Verfallszeiten des Wissens, lassen sich als Beschleunigungsimperative verstehen, dem der Typus des allumfassenden Zeitmaximierers als gewünschtes Ziel pädagogischer Aktivitäten entspricht. Sichtbar wird am Horizont eine Gesellschaft und deren Bildungssystem in dem alle Pausen, alle Feierabende, alle Sonntage als Brachland für optimale zeitökonomische Bewirtschaftung angesehen werden.
Bildungsprozesse jedoch brauchen Zeit, je spezifische Eigenzeit, die durch noch soviel Organisation nicht verkürzt werden kann. Bildung unterliegt nämlich dem menschlichen Lebensrhythmus und nicht dem Takt der Ökonomie. Davon abgelöst kann sie nicht sinnvoll organisiert werden - soll sie nicht die Basis für Subjektivität zerstören.
Die Zeitvorstellungen des gegenwärtigen politischen Diskurses speisen sich hingegen aus dem Beschleunigungsdenken einer Konkurrenzwirtschaft. So wird das, was wir so hoffnungsvoll das "lebenslange Lernen" nennen, zum Bestandteil einer Beschleunigungsgesellschaft, in der die Subjekte ruhelos ihrer immer schneller verfallenden Brauchbarkeit hinterherrennen. Die bürgerliche Emanzipationsvorstellung, daß es einem durch und mit Bildung dereinst besser gehen könne, diese Idee löst sich schließlich im Bildungsdauerlauf auf. Das lebenslange wird zum lebenslänglichen Lernen, das Menschenleben zum endlosen Schülerdasein.
Sechs Markierungen zur Frage: Wie könnte sinnvolle Bildungspolitik aussehen?
- Sinnvolle Bildungspolitik priorisiert jene Bildungsinhalte und Bildungsformen, die die längerfristige Relevanz des Gelernten gewährleisten.
- Sinnvolle Bildungspolitik fördert ein aktives, subjektorientiertes Bildungsverhalten mit hohem Selbstverantwortungsanteil der Lernenden.
- Sinnvolle Bildungspolitik sichert eine kostenlose allgemeine und berufliche Grundbildung sowohl auf nicht-akademischem als auch auf akademischem Niveau.
- Sinnvolle Bildungspolitik fördert und sichert soziale Gerechtigkeit beim Zugang zu Lernmöglichkeiten, dies speziell zwischen den Geschlechtern, den verschiedenen Altersgruppen, den unterschiedlichen Berufsgruppen und Hierarchieebenen.
- Sinnvolle Bildungspolitik fördert Inhalte, Methoden und Zeitbedingungen des Lernens, die humanökologischen Prinzipien gehorchen.
- Sinnvolle Bildungspolitik verteidigt das Recht, ohne soziale Diskriminierung auf das Lernen verzichten zu können. Sie sieht im Lernen einen wichtigen aber nicht den Königsweg gesellschaftlicher Entwicklung und Problemlösung.
- Sinnvolle Bildungspolitik weiß, daß für einen fruchtbaren Bildungsprozeß "Zeit verlieren" mindestens so wichtig ist, wie "Zeit gewinnen".
Hannover,16. November 2000
Pressestelle der EKD