Predigt zum Sonntag "Exaudi" im Dom zu Berlin
Thies Gundlach
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
I.
„Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich!“ (Ps 27, 7)
Liebe Gemeinde,
das ist der Grundton des heutigen Sonntags Exaudi: Gott, höre meine Stimme, wenn ich rufe. Es ist ein Grundklang der Sehnsucht nach Gott, ein Ausstecken nach seiner Gegenwart, eine Hoffen auf und Rufen nach seiner Nähe, die jeder Glaubende oft genau auch vermissen muss. Das macht diesen Sonntag zu einem ganz besonderen Tag im Rhythmus des Kirchenjahres. Es lohnt sich, bei diesem Tag einmal innezuhalten:
Der Sonntag Exaudi liegt nach Christi Himmelfahrt und vor dem Pfingstfest, er sitzt sozusagen zwischen den Stühlen, ein ungemütlicher Platz, wie jeder weiß, der mal ernsthaft versucht hat, zwischen zwei Stühlen zu sitzen.
Einerseits Christi Himmelfahrt – das ist ja offenbar der Feiertag, dessen Name nicht genannt werden darf, (wie es bei Harry Potter heißen würde), weil er öffentlich in den Medien nur noch Vatertag heißen soll. Inhaltlich steht dieser Feiertag für die Aufnahme Christi in den Himmel. Christus kehrt heim zu seinem Vater, der Gemarterte und Auferstandene kommt zurück in seine Heimat unter dem Jubelgesang der Engel. Der sog. Philipperhymnus fängt noch etwas diese triumphale Stimmung ein, die im Himmel herrschte bei der Heimkehr Christi. Dort heißt es: „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesus sich beugen sollen aller derer Knie, die Himmel und auf Erden und unter der Erde sind und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters.“
Ein großer Klang, aber was ist mit den Jüngern auf Erden? Himmelfahrt ist auch eine Entzugserfahrung, der Auferstandene entzieht sich die unmittelbaren Begegnungen in Jerusalem und Galiläa. Die Jüngern sehen ihn Schwinden, und Christus hat ihnen die Verheißung seiner Geistesgegenwart, seines Trösters gegeben, aber die fünfzig Tage nach Ostern, diese pentekostale Zeitspanne ist noch nicht um, der Heilige Geist lässt noch auf sich warten. Das ist der geistliche Ort von Exaudi! Der Auferstandene ist aufgefahren in seine unsichtbare Welt, aber sein Geist, sein Trost, seine Güte ist noch nicht eingekehrt in der Welt:
„Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich“. Es ist der Sonntag der Sehnsucht nach Gott, des Rufens nach seiner Gegenwart im Geist. Exaudi ist vielleicht für viele Menschen heute der wahrhaftigste Sonntag, der Sonntag der Gottessuche. Denn wie vielen mag es auch im übertragenen Sinne so ergehen, dass ihnen der Auferstandene fremd geworden ist, dass er sich entfernt hat der eigenen Seele, dem Herzen und dem Glauben, die aber gerade deswegen Gottes Gegenwart besonders innig und sehnsüchtig suchen.
„Herr, höre meine Stimme wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich!“ Hört er mich auch in meiner Sprache rufen, erkennt Gott auch meine mitunter sprachlose Sehnsucht, hör er mir zu, auch wenn unbeholfen rede, ist er festgelegt auf das `kirchliche Gebetshochdeutsch` oder hört er auch meinen religiösen Dialekt, mein Gestammel, meine ungelenke Stimme? „Herr, höre meine Stimme wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich!“ Liebe Gemeinde, ich glaube wohl, dass wir in einer Welt leben, die diese Frage viel, viel häufiger stell als uns Christen das eigentlich lieb sein kann. Aber das Pfingstfest steht noch aus, wir wollen nicht vorgreifen und zu schnell auf Antworten setzen. Pfingsten wird uns dann daran erinnern, dass Gott durchaus mehrsprachig ist, ja gleichsam vielsprachig, weil mit Gottes Geist jeder in seiner und ihrer Sprache von Gottes großen Taten sprechen hört, wie es in der Pfingstgeschichte heißt, aber wie gesagt: Da sind wir noch nicht. Mit den Jüngern stehen wir am Sonntag Exaudi „Zwischen den Zeiten“, der aufgefahrene Christus ist im Himmel verschwunden, der herabkommende Geist ist noch nicht da, wir sind wie die ersten Jünger zurückgelassen und rufen: „Herr, höre meine Stimme wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich!“
II.
In diese geistige Situation nun ist uns folgender Predigttext aufgegeben:
Im Buch des Propheten Jeremia ( 31,31-34) steht unter der Überschrift „Die Verheißung eines neuen Bundes“ folgende Worte:
„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“
Liebe Gemeinde,
ich verrate kein Geheimnis, dass dieser Text ein Schlüsseltext christlicher Überzeugungen war und ist; auf kaum einen Text des ATs wurde so oft Bezug genommen – von Kirchenvater Augustinus bis zu den Reformatoren, von Schleiermacher bis zu Karl Barth – weil er so überaus gut einsetzbar war: Alter Bund – neuer Bund, Altes Testament – Neues Testament, alter Glaube – neuer Glaube, das passt doch großartig, wir Christen sind die Neuen, wir sind die Ablösung, wir sind die Guten! Wir dürfen nicht verkennen, dass dieser Text auch eine erhebliche Unheilsgeschichte ausgelöst hat, dass er christlichen Antijudaismus und christliche Überheblichkeit begründet und der Abwertung des jüdischen Glaubens unselige Nahrung gegeben hat. Früher z.B. wurde dieser Jeremia-Text gerne am Gründonnerstagabend gelesen Gründonnerstag als Tag der Einsetzung des heiligen Abendmahls. Man kann sich ja leicht vorstellen, mit welchem strammen Selbstbewusstsein viele daraufhin zum Abendmahl gegangen sind: Wir sind der neue Bund, wir lösen den alten Bund ab, wir haben die Gesetzesreligion überwunden und Gottes Bund im Herzen.
Liebe Gemeinde, es ist das Ergebnis des langen und ernsthaften jüdisch-christlichen Dialogs nach der Shoah und der christlichen Lerngeschichte, dass dieser Jeremiatext nun am Sonntag Exaudi gelesen und ausgelegt wird. Denn diese Verschiebung zeigt an: Alter und neuer Bund, das ist nicht AT – NT, das ist auch nicht früher gegen heute, das ist vor allem nicht Judentum gegen Christentum, sondern der Unterschied zwischen altem und neuen Bund ist zuerst und vor allem eine Gottesmaßnahme: Gott findet immer wieder neue Weg, den einen, nämlich seinen Bund mit allen Menschen zu erhalten. Und der Text aus dem Jeremiabuch zeigt auch die Richtung an, in der Gott seinen Bund bestätigt und erneuert zugleich; dies soll zum Abschluss mit zwei Gedanken entfaltet werden:
III.
Vorhin bin ich ja vorgestellt worden als Mitarbeiter im Kirchenamt der EKD und weil Kirchenämter seit der Reformation immer gleichermaßen von Theologen und Juristen bevölkert werden, will ich zwei Dimensionen dieses Jeremia-Textes entfalten in Gestalt einer guten und einer schlechten Nachricht:
Die Schlechte zuerst: Soweit Juristen im Raum sind oder Sie Juristen in Ihrem engeren Lebensumfeld kennen, seien Sie liebevoll zu ihnen und erzählen Sie schonend von diesem Predigttext! Denn der harte Kern des von Jeremia verheißenen neuen Bundes lautet: Gesetze allein tun es freilich nicht! Vorschriften und Regelungen kommen zu spät, sie reichen nicht in die Tiefe, sie können entstandenen Schaden vielleicht wahrnehmen, auch beurteilen und mitunter verurteilen, aber eine innere Haltung wird nie und nimmer daraus.
Das ist schade, aber auch erträglich, weil es ja - und jetzt kommt die gute Nachricht – auch Theologen gibt (Sie verzeihen mir meinen Berufsstolz): Es war nicht zuletzt eine zentrale Einsicht der Reformation vor 500 Jahren, die diesen Jeremiatext wieder verlebendigt haben: Der treue Gott gibt nicht nur Gesetze, sondern schafft im Menschen auch die Möglichkeit, diese zu hören und zu halten. Stellen Sie sich das mal vor: Unsere Gesetze, die gemacht werden, liefern zugleich die innere Möglichkeit, eingehalten zu werden! Der Straßenverkehr wäre frei von Dränglern, die Polizei kennte keine Überstunden und die Staatskassen wären gefüllt, weil natürlich alle alle Steuern gerne zahlen! Aber so ist es nicht, nur Gott kann seine Gesetze und Regeln so gestalten, dass er sie nicht nur erlässt, sondern ihre Einhaltung sicher stellt. Der ewige Bund Gottes besteht nach Jeremia aus einem bundestreuen Gott, der seinen Part einhält und zugleich dafür Sorge trägt, dass auch der Mensch seinen Part einhalten kann. Das ist das ganz große Staunen aller reformatorischen Theologie, das ist die Verheißung des neuen Bundes, die nichts ablöst, die nichts alt macht, sondern neue Hoffnung und Zukunft schafft.
IV.
Neu an dem alten Bund ist das Staunen über Gott: Er verlegt den Bund gleichsam nach Innen, ins Herz, in den Sinn eines Menschen und das heißt, in die ganze Grundausrichtung eines Lebens. Wir haben es hier nicht mit einer Teilerneuerung des geistlichen Lebens zu tun, mit keiner Abschnittsrenovierung der religiösen Gefühls oder des Glaubens zu tun. Es geht um den Wandel der ganzen inneren Haltung. Von Martin Luther stammt das prägendste Bild für diese neue Innerlichkeit des Glaubens: Es ist der gute Baum, der gute Früchte trägt, man kann nicht den Baum samt Wurzeln, Blüten und Blättern verkorkst lassen und dann gute Früchte erwarten. So äußerlich geht es bei Gott nicht zu! Sondern der ganze Baum muss heil und gesund werden, dann sind auch die einzelnen Früchte gesund. Ich weiß wohl, dass gerade dem Luthertum immer wieder eine Tendenz zur Innerlichkeit vorgehalten wurde nach dem Motto, hier bahnt sich doch eine Weltflucht an, eine Art Abkehr von der Verantwortlichkeit in Politik und Gesellschaft, in Beruf und Nachbarschaft.. Und diese Gefahr gab und gibt es zweifellos.
Aber ich gestehe: Mittlerweile habe ich viel eher die Sorge, dass wir in einer derart veräußerlichten Welt leben, dass wir gewachsene, reife, auch geistige Innerlichkeit wieder sehr gut brauchen können. Wie eigentlich sonst wollen wir all diese globalisierte Dynamik und morgendliche Veränderungserwartungen aushalten? „All Morgen ist ganz frisch und neu…(EG 440), dieses Lied singe ich neuerdings mit gemischten Gefühlen. Es könnte doch auch mal heißen: „All Morgen ist vertraut und treu…“!
Wir sollen transformieren und neujustieren, optimieren und funktionieren, aber vernachlässigen die Zeit für unser Inneres. Ich plädiere für Wiederentdeckung des inwendigen Menschen, denn er gehört zu den bedrohten Lebenwesen. Es braucht eine Kultur des Verinnerlichung, die dann vielleicht auch manche hektisch getroffene Personalentscheidung, manche brutale Beurteilung, manche gnadenlose Abstrafung noch einmal bedenkt. Denn wer Innen keinen Halt findet, wer in sich leer zu laufen droht, der wird leicht hin- und hergeschüttelt von vermeintlich äußerlichen Erwartungen oder Forderungen. Gott aber will seinen Bund nach Innen verlegen, uns ein neues, ein festes Herz geben, und einen Sinn, der Halt gibt bei allem „Wohnen in Gewoge“.
Darum: Horche immer auch auf Gott, denn Gott will auch mit dir heute seinen Bund erneuern, er will dir in Herz und Sinn sein Gesetz zum Lebens schenken, darum: Lass ihn ankommen bei dir, gib Gott Raum in der Seele, damit er Dir eine Hütte bauen kann, wo gut wohnen ist, für Dich und für ihn.
Und damit du sagen und jubeln kannst: Der Herr hat meine Stimme gehört als ich ihn rief, er war mir gnädig und erhörte mich! Halleluja und Amen.