"Gott loben mit Leib und Seele". Predigt über 1. Korinther 6, 9-14 + 18-20 anlässlich eines Gottesdienstes in der Reihe "Bischofspredigt auf Wittow"
Nikolaus Schneider
Liebe Gemeinde!
„Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?“ – mit dieser eindrücklichen Frage nach dem Gelingen oder Scheitern des Lebens beginnt Paulus den Abschnitt des Korintherbriefes, der als Predigttext für den heutigen Sonntag ausgewählt ist. So fragt derselbe Paulus, der an anderen Stellen der Heiligen Schrift doch ganz eindeutig und klar die Rechtfertigung des Menschen allein aus Gnade entfaltet hat.
Geht es ihm hier jetzt also doch um Werkgerechtigkeit?
Der Apostel benennt im Folgenden nämlich auch noch ganz eine Reihe von Personengruppen, die auf Grund ihres ungerechten Verhaltens ihr Leben verfehlen. Und seine Aufzählung dieser ungerechten und ungerechtfertigten Menschen ist ganz konkret und vielfältig. So dass jeder und jede von uns sich bei einigen der Genannten wohl mit Erleichterung und einem guten Gewissen distanzieren kann. Bei anderen aber müssen wir uns mit einem selbstkritischen Blick ein Stückweit wieder erkennen.
Hören wir den Predigttext, wie er uns im 1. Korintherbrief im 6. Kapitel überliefert ist. Ich lese die Verse 9 bis 14 und 18 bis 20:
"Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden?
Lasst euch nicht irreführen!
Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher,
Lustknaben, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde,
Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben.
Und solche sind einige von euch gewesen.
Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt,
ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus
und durch den Geist unseres Gottes.
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.
Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise;
aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen.
Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe.
Gott aber hat den Herrn auferweckt
und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.
Flieht die Hurerei!
Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes;
wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe.
Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist,
der in euch ist und den ihr von Gott habt,
und dass ihr euch nicht selbst gehört?
Denn ihr seid teuer erkauft;
Darum preist Gott mit eurem Leibe."
Liebe Gemeinde!
Das ist einer der Bibeltexte, die Kirchenmenschen dazu verführt haben, die Wertschätzung des Leibes als Tempel des Heiligen Geistes vorschnell mit sexueller Askese und Lustfeindlichkeit zu verbinden. Aber dieses Thema ist zu komplex, um es heute zu besprechen – ich will es deshalb heute nur benennen und nicht weiter verfolgen.
Paulus hat erkannt: Dem christlichen Glauben geht es um das Zusammenhalten von Körper und Geist. Christinnen und Christen loben Gott mit Leib und Seele! Diesen Gedanken des Predigttextes will ich in zwei Schritten entfalten:
- Wir sind gerechtfertigt allein aus Gnaden bedeutet nicht: Es ist Gott egal, wie wir leben.
Und:
- In Jesus Christus ist Gott „mit Leib und Seele“ mit Menschen in Beziehung getreten. Deshalb sollen auch wir Menschen unsere Beziehung zu Gott „mit Leib und Seele“ leben
Zum Ersten:
Wir sind gerechtfertigt allein aus Gnaden bedeutet nicht: Es ist Gott egal, wie wir leben.
Es klingt zunächst wie ein Widerspruch zur "Rechtfertigung allein aus Gnaden", wenn Paulus hier – wie auch an anderen Stellen seiner Briefe – klar macht:
Am Ende der Erdenzeit steht ein endzeitliches Gericht. Das Handeln aller Menschen – ihr Tun und ihr Lassen – hat Konsequenzen, nicht allein in ihrem irdischen Leben – und nicht allein für ihr irdisches Leben. Gott verspricht seinen Menschen keine billige Gnade!
Diese Überzeugung führt Paulus den Korinthern drei Kapitel vor unserem Predigttext unmissverständlich vor Augen. Er schreibt dort:
"Der Tag des Gerichts wird’s klar machen, denn mit Feuer wird er sich offenbaren… Wird jemandes Werk bleiben,… so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch…" (1. Kor 3, 13ff)
Es ist uns Menschen in der Heiligen Schrift gesagt, "was gut ist" und was Gott, der HERR, von uns fordert, nämlich: "Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott." So lesen wir es schon beim Propheten Micha (Micha 6,8):
Gottes Wort will nicht nur gehört, sondern auch gehalten, also getan werden! Liebe will nicht nur gefühlt, sondern auch geübt, also in ein barmherziges Tun umgesetzt werden! Demut gegenüber Gott, dem Schöpfer und HERRN aller Welt, erweist sich nicht allein in einer frommen Lebenshaltung, sondern auch in einer frommen Lebensgestaltung!
Wie das konkret auf der Erde gelebt werden kann, das hat Jesus Christus uns in seinem irdischen Leben gezeigt und gelehrt. Indem Menschen sich in seinem Namen taufen lassen und in seiner Nachfolge leben, wird ihnen der Zuspruch des Paulus an ihrem eigenen Leib und mit ihrer eigenen Seele erfahrbar:
"Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt,
ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus
und durch den Geist unseres Gottes."
Liebe Gemeinde,
etwas heiligen heißt: es wird Gott überantwortet! Geheiligt sind Menschen, die ihr Leben Gott überantwortet haben. Geheiligt werden wir Menschen nicht, weil wir perfekt und gerecht leben. Geheiligt sind wir, weil Jesus Christus uns ohne unsere eigenen Lebensleistungen – eben "allein aus Gnaden" – einen Weg eröffnet hat, in einer vertrauensvollen Beziehung mit Gott zu leben.
Aber in dieser Beziehung ist es Gott nicht egal, wie wir leben. In unserer vertrauensvollen Beziehung mit Gott erhalten auch unsere ganz alltäglichen Lebensgewohnheiten gleichsam einen gottesdienstlichen Charakter. Der "Gottesdienst im Alltag der Welt" ist eine unverzichtbare Ergänzung zu der Feier des Sonntagsgottesdienstes. Wohl gibt es auch im Leben von "reingewaschenen" Christinnen und Christen noch Sünde, Schuld und Versagen. Aber die Sünde hält sie nicht gefangen. Sie können umkehren und Buße tun. Gott schenkt Vergebung und immer wieder einen neuen Anfang.
Als Christinnen und Christen leben wir als begnadigte Sünder und Sünderinnen. Wir sind uns bewusst, dass wir nach unseren Werken gerichtet und nach unserem Glauben gerettet werden. Deshalb bezeugen wir nicht allein durch unser Predigen und Reden Gottes Gnade. Auch mit unserem Tun und unserem Lassen – und eben auch mit Reue, Buße, Vergebung und Neuanfang – vermitteln wir der Welt und den Menschen die Erfahrung der Gegenwart Gottes.
Ich denke: das gehört zu unseren notwendigsten und heilvollsten Glaubenszeugnissen in einer Welt, die Schwäche vermeiden und Fehler nicht zugeben will. Neu anfangen zu können, das ist unsere Stärke – nicht auf "Teufel-komm-raus" Recht zu behalten.
Und zum Zweiten:
In Jesus Christus ist Gott "mit Leib und Seele" mit Menschen in Beziehung getreten. Deshalb sollen auch wir Menschen unsere Beziehung zu Gott "mit Leib und Seele" leben.
"Preist Gott mit eurem Leibe!" – Mit dieser Aufforderung erteilt Paulus jeder frommen Abspaltung der Seele vom Körper eine Absage. Mit seinem Bild von dem Körper als "ein Tempel des Heiligen Geistes" macht Paulus deutlich: Es geht dem christlichen Glauben auch um die Wertschätzung des menschlichen Körpers. Die Bibel bezeugt uns die seelische Dimension des Menschen immer in Verbindung mit seinem Körper. Menschen werden in der Bibel als eine "psychosomatische Einheit" gesehen – unsere Medizin hat das wieder neu entdeckt!
Gottes Wort wurde "Fleisch" – also Körper und Seele – in dem Menschen Jesus von Nazareth. Mit Körper und Seele hat Jesus Christus gelebt, geliebt und gelitten. Mit Körper und Seele ist er gestorben und auferstanden. Denn auch die Auferstehung Christi wird uns im Evangelium nicht als eine rein geistige Idee verkündigt. Und ich bin davon überzeugt: Damit Menschen getrost und hoffnungsvoll sterben können, reicht es nicht aus, als Auferstehungsbotschaft zu bezeugen: "Die Sache Jesu geht weiter."
Das Bekenntnis des Paulus in unserem Predigttext "Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft." – ist eine Botschaft an unseren Leib und an unsere Seele.
Paulus macht deutlich: Unserem Leib und unserer Seele ist im Blick auf Christi Leben, Sterben und Auferstehen grundsätzlich alles erlaubt, es gibt also keine religiösen Vorschriften, deren Beachtung das Heil garantieren könnte. Paulus denkt vielmehr lebenspraktisch: nicht alles dient uns und anderen zum Guten. Deshalb sollen Christinnen und Christen sich in Verzicht und Enthaltsamkeit üben, wo die Erfüllung ihrer Bedürfnisse ihnen selbst und anderen schaden würde. Nicht gegen unseren Körper sollen wir leben!
In der Freiheit eines Christenmenschen ist uns alles erlaubt. Aber es soll uns nichts gefangen nehmen. Süchte sind Gefängnisse von Leib und Seele! Deshalb üben Christinnen und Christen sich in Verzicht und Enthaltsamkeit, wo Lebensgewohnheiten und die Befriedigung von Bedürfnissen sie abhängig und süchtig machen. Und Verzicht und Fasten tut nicht allein dem eigenen Körper gut: das diente schon im frühen Mönchtum dazu, armen Menschen abzugeben, mit ihnen zu teilen, damit sie leben können.
Das gilt für viele Bereiche unseres Lebens. Vor allem für unseren Umgang mit den materiellen Gütern. Aber auch für unsere Sexualität. Paulus geht es in diesem Predigttext darum, deutlich zu machen: Unsere menschliche Sexualität vollzieht sich in personalen Beziehungen – in einer personalen Beziehung zu mir selbst und in einer personalen Beziehung zu meinem Sexualpartner bzw. zu meiner Sexualpartnerin. Und eben weil unser Leib ein "Tempel des Heiligen Geistes" ist, haben auch alle körperlichen Beziehungen mit Gott zu tun. Also auch unsere sexuellen Beziehungen.
Es ist Gott nicht egal, wie Menschen leben. Paulus will es der jungen Christengemeinde in Korinth in die Herzen schreiben: Weil ihr durch das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi teuer erkauft seid, darum preist Gott mit eurem Leib und eurer Seele. Auch in der Art und Weise, wie ihr eure Sexualität lebt und wie ihr eure sexuellen Beziehungen gestaltet. Aber auch dadurch, dass ihr alle materiellen Güter nicht zum Lebenszweck macht, sondern "habt, als hättet ihr nicht" – wie Paulus später den Korinthern einschärft.
In Jesus Christus ist Gott "mit Leib und Seele" mit Menschen in Beziehung getreten. Deshalb sollen auch wir Menschen unsere Beziehung zu Gott "mit Leib und Seele" leben. Unser Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Deshalb wollen wir Gott preisen und loben mit unserem Leib und unserer Seele – an diesem Sommer-Sonntag hier auf Rügen und auch an allen Alltagen, wo immer wir leben, lieben und arbeiten.
Dazu schenke uns Gott das Geleit seines Heiligen Geistes!
Amen.