Predigt über Johannes 20, 11-18 in der Osternacht 2013 im Berliner Dom

Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD

Teil 1: Maria von Magdalas Weg zum Grab (Johannes 20, 11-12)

Jesus ist tot. Hingerichtet am Kreuz. Und Maria hatte doch geglaubt und gehofft, dass er es ist, der Israel und alle Menschen erlösen wird. Jesus hatte sie Gottes Menschennähe und Menschenliebe ganz neu entdecken und erfahren lassen. Jesus hatte ihr und vielen anderen gezeigt, dass wir Menschen durch unsere Irrwege und durch unsere Schuld nicht festgelegt und nicht von Gott verstoßen sind. Wir können uns verändern und neu anfangen. Gott kommt uns mit seiner Liebe entgegen!

Mit Jesus zusammen hatte Maria Gott und ihr Leben ganz neu zu lieben gelernt. Mit Jesus zusammen konnte sie auch in dieser oft so schrecklichen Welt an Gottes Gegenwart und Liebe glauben. Und jetzt? Jetzt ist Jesus tot. Hingerichtet am Kreuz. Wie konnte Gott Jesu Tod nur zulassen? Wo war Gott, als Jesus starb? Jesus, den sie und so viele andere Menschen doch brauchten für ihr Glauben, Hoffen und Lieben auf dieser Welt!

Gut, dass Maria von Magdala ihre Fragen, ihre Enttäuschung und ihre Trauer nicht verdrängt. Gut, dass sie sich nicht verkriecht oder davonläuft. Gut, dass Maria zum Grab von Jesus geht und sich dem Grund und dem Ort ihrer Trauer stellt. Denn so kann österliches Licht das Dunkel ihrer Traurigkeit durchbrechen!

Lesung:
„Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.“

Teil 2: Marias Gespräch mit den Engeln (Johannes 20, 13)

Maria stellt sich dem Grund und dem Ort ihrer Trauer. Sie weint am Grab von Jesus. Und sie hat ihr Herz nicht verschlossen für die Begegnung mit den Engeln an Jesu Grabstätte.

Wenn unsere Augen blind sind von Tränen, wenn Kummer und Leid unser Fühlen und Denken beherrschen, dann ist es oft so schwer, unser Herz offen zu halten für die Begegnung mit göttlichen und menschlichen Engeln.

Maria verschließt sich nicht der Begegnung mit den Engeln. Sie lässt sich ansprechen. Und sie findet Worte und bringt zur Sprache, was ihr Herz beschwert.

Jesus ist tot. Hingerichtet am Kreuz. Und jetzt scheint es auch noch so, als hätten Grabräuber den Leichnam von Jesus geraubt. Und hätten ihr damit die Möglichkeit genommen, dem Toten einen letzten Liebesdienst zu erweisen.

Gut, dass Maria auch in ihrer Trauer und Traurigkeit offen bleibt für die Begegnung mit Engeln. Gut, dass sie Worte sucht und findet, um den Grund ihrer Trauer zur Sprache zu bringen. Denn so kann österliches Licht das Dunkel ihrer Traurigkeit durchbrechen!

Lesung:
„Und die Engel sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“

Teil 3: Marias Gespräch mit dem Auferstandenen (Johannes 20, 14-16)

Jesus lebt! Gott hat seinen Sohn nicht dem Tod überlassen. Das Kreuz war und hatte nicht das letzte Wort über Jesus. Der Gekreuzigte ist auferstanden! Der Auferstandene steht neben Maria. Er spricht Maria an. Aber Maria vermag ihn nicht sogleich zu erkennen. Wenn unsere Augen tränenblind sind und unsere Herzen erfüllt von Verlustschmerzen, dann fällt es uns nicht leicht, Gottes Nähe und Gegenwart zu erkennen.

Aber der Auferstandene sucht und erreicht Marias Herz. Er nennt sie bei ihrem Namen: „Maria“ Und dieses eine Wort verwandelt die Dunkelheit ihrer Trauer in das Licht des Erkennens: Jesus lebt! Gott hat seinen Sohn nicht dem Tod überlassen. Der Gekreuzigte ist auferstanden! Maria kann auf Gottes Gegenwart und Nähe vertrauen, auch wenn der Tod auf dieser Erde unser menschliches Leben noch so schwer macht.

Gut, dass Gottes lebendiges Wort uns Menschen in unseren Dunkelheiten nicht allein lässt. Gut, dass Gottes lebendiges Wort uns anspricht. Gut, dass Gottes lebendiges Wort uns ganz persönlich meint und alle Dunkelheiten unseres Lebens mit österlichem Licht erfüllen will!

Lesung:
Und als Maria zu den Engeln gesprochen hatte, „wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast: dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!“

Teil 4: Marias Osterbotschaft (Johannes 20, 17-18)

Der Gekreuzigte ist auferstanden! Sein Wort erleuchtet Marias Dunkelheit und schenkt ihr die Gewissheit: Gottes Himmel bleibt durch Jesus untrennbar mit unserer Erde verbunden – auch wenn sie jetzt den Auferstandenen nicht mehr körperlich berühren kann.

Der Gekreuzigte ist auferstanden! Jesus lebt und er will, dass Maria von ihrer Begegnung mit ihm erzählt und von ihrer Gewissheit: Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, dessen Lebensmacht hat durch Jesu Tod und Auferstehung alle Todesmächte dieser Welt in ihre Schranken verwiesen. Dieser Gott ist unser Gott und unser Vater. Der Glaube an den Auferstandenen schenkt uns die zuversichtliche Hoffnung: Nichts – auch nicht der Tod – kann uns von der liebevollen Nähe Gottes trennen, die uns in Jesus Christus erschienen ist.

Gut, dass Maria der Osterbotschaft des Auferstandenen geglaubt hat. Gut, dass Maria ging, und die Osterbotschaft den Jüngern verkündigte. Gut, dass die Osterbotschaft bis heute die Herzen von Menschen erreicht und alle Dunkelheiten dieser Welt mit österlichem Licht erfüllt.

Lesung:
„Spricht Jesus zu Maria: Rühr mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“

Teil 5: Die Osterbotschaft für diese Nacht

„Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!“

Mit diesem jubelnden Osterruf, liebe Gemeinde, bekannten und bekennen Christenmenschen: Jesus Christus hat die absolute Macht des Todes durch seinen Kreuzestod überwunden. Der Gekreuzigte lebt! Gott hat Jesus Christus nicht dem Tod überlassen und er wird auch uns nicht dem Tod überlassen.

Wir suchen unseren Herrn nicht bei den Toten. Unser Glaube ist kein Totenkult, unsere Liebe keine Totenverehrung, unsere Hoffnung keine Todessehnsucht.

Der Kreuzestod Christi singt uns ein Hoffnungslied von unzerstörbarem Leben. Und das Licht des Ostermorgens erhellt die Dunkelheit und alle Schatten, die der Tod bis heute auf unsere Welt und auch auf unser Leben wirft.

Denn Zweifel und Anfechtungen und die Erfahrungen vermeintlicher Gottesferne verdunkeln und beschweren immer wieder neu unsere Alltage. Die Fragen nach Gottes Macht und Gottes Liebe wollen auch in uns nicht verstummen angesichts des Leidens und angesichts der Kreuzeserfahrungen in unserer Welt – auch nicht im Licht des Ostermorgens, damals in Jerusalem.

Damit unser Gottvertrauen nicht zerbricht, brauchen wir immer wieder neu die Begegnung mit dem lebendigen Gotteswort, brauchen wir das Bedenken der Heiligen Schrift und das Feiern der Sakramente.

In der Taufe ruft Gottes lebendiges Wort uns bei unserem Namen, und wir können wie Maria von Magdala gewiss werden: Wie ein liebevoller Vater wird Gott unseren Lebensweg begleiten. Seine Liebe und Nähe wird uns auch in unseren schweren Zeiten nicht verlassen – auch nicht, wenn der Tod nach uns greift.

Im Abendmahl feiern wir unsere Gemeinschaft mit dem Auferstandenen und unsere Gemeinschaft untereinander. In dieser Mahl-Gemeinschaft können wir Gottes Gegenwart gleichsam „schmecken“ und unser Herz neu öffnen lassen für die österliche Gewissheit: Jesus lebt! Der Gekreuzigte lebt! Christus ist auferstanden!

Wir maßen uns nicht an, das vollkommen begreifen und erklären zu können. Aber wir sagen und singen uns diese Botschaft zu – auch in dieser Osternacht hier im Berliner Dom. Und wir machen darin uns selbst und einander neu gewiss, dass Dunkelheit und Tod niemals das letzte Wort über unser Leben haben.

Der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi wurde für Maria von Magdala und wird für uns zu einer unzerstörbaren Lebensmacht. Sie verändert schon hier und schon jetzt unser irdisches Leben- auf Gottes Zukunft hin. Wir sind dem Tod nicht mehr untertan. Und wir lassen uns in der Nachfolge des Auferstandenen nicht länger zu Komplizen der Todesmächte dieser Welt machen.

So möge das Licht dieses Ostermorgens uns stärken für alle Karfreitage unseres Lebens. Es möge auch uns in dieser österlichen Nacht neu erkennen lassen: Der Herr ist auferstanden! Auch unser Leben ist durch alle Todeserfahrungen hindurch bei Gott aufgehoben!

Gesegnete Ostern.