Spitzengespräch der Kirchen mit der Kultusministerkonferenz in Berlin - Einleitendes Votum
Nikolaus Schneider
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Kirchen danken Ihnen herzlich für Ihre Einladung und dieses Gespräch. Seit dem letzten Treffen im Juni 2006 sind von der KMK einige Texte verabschiedet worden, in deren Erarbeitung die Kirchen aktiv einbezogen waren. Ich denke etwa an die Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung, Standards und Fachprofile in der Lehrerbildung und das Qualifikationsprofil für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Diese konstruktive Zusammenarbeit möchte ich ausdrücklich würdigen.
Die kulturelle, religiöse und weltanschauliche Vielfalt in unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten vergrößert. Kinder und Jugendliche bringen ihre unterschiedlichen Herkünfte, Prägungen und Orientierungen mit in den Schulalltag. Damit wächst die Bedeutung des Religionsunterrichts. Denn er trägt zur Bildung religiöser Sprach- und Orientierungsfähigkeit bei, unterstützt den Erwerb interreligiöser und interkultureller Kompetenzen und fördert den Zusammenhang von Rationalität und Religion. Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen wirkt dem religiösen und weltanschaulichen Fundamentalismus entgegen.
Es bereitet uns Sorgen, dass der Religionsunterricht gegen alle rechtlichen Vorgaben in manchen Bundesländern, Schularten bzw. Schuljahrgängen ausfällt, nur in reduziertem Stundenumfang erteilt oder in die Randstunden abgedrängt wird. Begünstigt werden solche Tendenzen durch eine weithin zu beobachtende Konzentration auf die so genannten PISA-Fächer. Aber auch ein verändertes Steuerungssystem im Sinne einer selbständigen oder eigen-verantwortlichen Schule kann zu einer Vernachlässigung bestimmter Bildungsbereiche führen. So fällt der Religionsunterricht dann einfach deshalb aus, weil die Schulleitung keine Lehrkräfte für diesen Unterricht anfordert oder der Schwerpunkt des Schulprofils z.B. allein auf naturwissen-schaftlich-mathematische Fächer gelegt wird.
Eine andere Herausforderung stellt sich durch den bundesweit voranschreitenden Ausbau von Ganztagsangeboten. Dadurch wird die Schule zu einem zentralen Lebensort, an dem Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit verbringen. Wir müssen feststellen, dass Ganztagsschulen und G8 den Jugendlichen zunehmend weniger Zeit lassen, sich außerschulisch – auch in Kirche - ehrenamtlich zu engagieren.
Dabei schafft kirchliche Kinder- und Jugendarbeit vielfältige Gelegenheit zur frühen Übernahme von Verantwortung. Junge Menschen erwerben dabei soziale und alltagspraktische Kompetenzen zur gelingenden Gestaltung ihres Lebens. Diese non-formalen Bildungsprozesse, die eher selbstgesteuert und individuell erfolgen, werden im Vergleich zur formalen Bildung nicht ausreichend anerkannt und auch finanziell immer weniger gewürdigt. Wir Kirchen setzen uns für eine breite und qualitativ überzeugende non-formale Bildung ein, die für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen offen ist und Potentiale ehrenamtlichen Engagements enthält. Solche Angebote, die in der Vergangenheit in der Freizeit wahrgenommen werden konnten, müssen verstärkt einen Platz in der Schule finden.
Untersuchungen zeigen, dass Lehrer und Schüler zunehmend unter vermeintlicher und tatsächlicher Überforderung leiden und seelisch erkranken. Diese Entwicklungen begleiten die Kirchen auch mit ihren pastoralen Kompetenzen,zum Beispiel durch Angebote von Schulseelsorge bzw. Schulpastoral.
Gute Bildung ist auf gesellschaftliche und staatliche Unterstützung und Wertschätzung angewiesen. Das gilt auch für die Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Unsere Schulen verstehen sich als konfessionelle Schulen und zugleich als öffentliche Schulen, die sich an der gesellschaftlichen Gesamtverantwortung für Kinder und Jugendliche beteiligen. Viele Schulen in katholischer oder evangelischer Trägerschaft leisten einen wichtigen Beitrag für eine attraktive regionale Schullandschaft. Die Träger engagieren sich gemeinnützig.
Kirchliche Schulen dürfen finanziell nicht unzureichend gefördert und gegenüber staatlichen Schulen nicht benachteiligt werden. Wenn sie in ihrem Bestand gefährdet werden, beschädigt der Staat auch die in konstruktiver Konkurrenz geförderte Qualitätsentwicklung von Schulen und das Wahlrecht der Eltern und Schüler im Blick auf ein für sie attraktives und förderliches Schulprofil.
Wir Kirchen wollen den Umbauprozess der Schulen in Richtung auf mehr Inklusion aktiv mitgestalten. Wir legen dabei großen Wert auf die Qualität der sonderpädagogischen Förderung. Inklusion ist kein Selbstzweck, sondern sie soll die Teilhabe am allgemeinen Menschenrecht auf Bildung verbessern. Nur ein qualitativ hochwertiges inklusives Schulwesen kann das erreichen. Entscheidend ist nicht die Tatsache, dass Inklusion in der Schule stattfindet, sondern wie sie ausgestattet und organisiert wird.
Kirchliche Förderschulzentren haben ein hohes Maß an sonder- und allgemeiner pädagogischer Kompetenz aufgebaut. Diese können zu inklusiven Schulen für alle Kinder oder zu (sonder-)pädagogischen Kompetenzzentren weiter entwickelt werden. Die in der praktischen Arbeit gewonnene Kompetenz kann damit für alle Schulen fruchtbar gemacht werden und sichert die erworbene Fachlichkeit.
Gerade in der Umbauphase bedarf es einer gegenseitigen Öffnung der Allgemeinbildenden Schulen hin zu den Förderschulen und umgekehrt. Dazu ist es aber notwendig, die freien Träger bei allen neuen Regelungen zur Finanzierung und zur Reorganisation von Anfang an gleichberechtigt einzubeziehen.
Der Umbau unseres Schulwesens kostet Zeit und Geld, um zu wirklich guten Lösungen zu kommen. Es muss uns allen darum gehen, dass die einzelnen Kinder und Jugendlichen die schulische und außerschulische Förderung erhalten, die ihre Begabungen wecken und entfalten, so dass sie aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf unser Gespräch!