Festansprache auf der Barbarafeier des Bergwerks Prosper-Haniel im Saalbau Bottrop
Nikolaus Schneider
Es gilt das gesprochene Wort!
„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht“
I. Einleitung
„Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt,
und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
schon angezünd’t, schon angezünd’t.“
– so lautet die erste Strophe des „Steigerliedes“.
Es gibt hier „im Pott“ wohl kaum Menschen, die es nicht kennen und denen es nicht ans Herz geht, wenn sie es hören und singen. Bergleute und bergmännische Traditionen haben das Ruhrgebiet auf unverwechselbare Weise geprägt. Und diese Prägung wirkt weiter. Nach allen Strukturveränderungen gehören diese Traditionen zu den Wurzeln, aus denen die Menschen im Revier Kraft schöpfen.
Ein ‚helles Licht bei der Nacht‘, das brauchen aber nicht nur Steiger und Bergleute, wenn sie ins Bergwerk einfahren. Ein ‚helles Licht bei der Nacht‘, das brauchen wir alle für die dunklen Tage und Stunden unseres Lebens. Denn dunkle Zeiten kennen wir alle. Weder unsere kleine private Welt, noch unsere berufliche Alltagswelt, noch die große politische Welt erleben und erfahren wir als allzeit sonnendurchflutete Paradiesgärten. Ein ‚helles Licht bei der Nacht‘, das spenden Bergleuten nicht allein ihre Grubenlampen. Und das spenden uns allen nicht allein die ungezählten Glühbirnen der vorweihnachtlichen Beleuchtung in unseren Häusern und Städten. Auch wenn wir uns jedes Jahr neu wieder daran erfreuen. Für ein nachhaltiges ‚helles Licht bei der Nacht‘, brauchen Bergleute und brauchen wir neben einer verlässlichen Lichttechnik vor allem liebevolle Beziehungen, aufrichtende Worte und ermutigende Hoffnungsgeschichten. Von letzterem Licht soll im Folgenden die Rede sein. Und da Sie mit mir einen evangelischen Theologen als Festredner eingeladen haben, wird es Sie nicht wundern, dass ich einen besonderen Akzent auf das Wort Gottes lege, von dem es in dem Evangelischen Gesangbuch heißt:
„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;
es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;
es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit.“ (EG 591)
II. Menschen brauchen Liebesgeschichten als nachhaltiges Licht für dunkle Lebenswege
Auch davon singt uns das Steigerlied:
„Ade, ade! Herzliebste mein!
Und da drunten in dem tiefen, finstern Schacht bei der Nacht,
und da drunten in dem tiefen, finstern Schacht bei der Nacht,
da denk‘ ich dein, da denk‘ ich dein.“
– so heißt es in der fünften Strophe.
Die Gewissheit, dass es Menschen gibt, die für uns und für die wir „Herzliebste“ sind, erleuchtet nicht nur den ‚tiefen, finstern Schacht bei der Nacht‘, sondern auch beschwerliche Wege ‚über Tage‘ in unserer Betriebs- und Arbeitswelt. Und der Gedanke an unsere ganz persönlichen Liebesgeschichten vermag uns durchaus die Dunkelheit von berufsbedingten schmerzlichen Trennungszeiten zu erhellen. Aber auch das Bedenken und Vergegenwärtigen von tradierten Liebesgeschichten anderer Menschen kann zu einem Licht für unsere dunklen Lebenswege werden. Diese Einsicht und Erfahrung sind wohl auch ein Anlass für die jährliche Barbarafeier des Bergwerks Prosper-Haniel.
Die Geschichte der Heiligen Barbara ist eine durch die Zeiten leuchtende und ermutigende Liebesgeschichte – nicht nur für Bergleute, Geologen und Feuerwehrleute. Die Geschichte der Heiligen Barbara erzählt uns von einer Liebe, die auch die tiefsten Dunkelheiten eines qualvollen Lebens und Sterbens erhellt hat. Sie erzählt von der Liebe einer jungen Frau zu Gott. Ihre Liebe zu Gott war stärker als ihr Wunsch nach einem leidfreien und abgesicherten Leben. Ihre Liebe zu Gott ließ sie auch familiären Druck, Gefangenschaft, Verrat, Folter und Todesangst tapfer ertragen.
Die Heilige Barbara ertrug einsame Gefangenschaft in einem Turm, ertrug unsägliche Grausamkeiten ihres Vaters und ertrug letztendlich ihren Märtyrertod – ohne zu verbittern und ohne an ihrer Liebe zu Gott zu verzweifeln. Wohl auch deshalb wurde sie zur Schutzpatronin gerade für Menschen aus Berufsgruppen, in denen das Leben bei der Arbeit in besonderer Weise gefährdet ist. So wie bei den Bergleute, die beim Einfahren in den „tiefen, finstern Schacht“ niemals wissen, ob sie das Tageslicht unversehrt wieder sehen werden. Bei allen technischen Fortschritten bleibt die Gefährdung erhalten: niemand weiß genau, wie der Berg reagiert. Verletzlichkeit bleibt ein steter Begleiter der Arbeit von Bergleuten. Und das gilt noch viel mehr für den weltweiten Bergbau.
Die Geschichte der Heiligen Barbara erzählt, dass kurz vor ihrem Märtyrertod ein Engel erschien, der die Sterbende in ein schneeweiß leuchtendes Gewand hüllte. Und dass ihr grausamer Vater, der sie eigenhändig enthauptet hatte, kurz darauf von einem Blitz getroffen wurde und verbrannte. Mit diesem Ende schenkt die Babara-Geschichte Hoffnung in augenscheinlicher Hoffnungslosigkeit: Der Tod behält nicht das letzte Wort. Und auch die grausamen Tyrannen und Machthaber behalten nicht das letzte Wort. Das letzte Wort über das Leben und Sterben von uns Menschen behält Gottes heilendes und richtendes Wort.
Von diesem Wort Gottes heißt es zu Beginn des Johannesevangeliums: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“(Johannes 1, 4f)
Um das Licht zu ergreifen, das uns in und mit dem Wort Gottes geschenkt ist, hilft es, wenn wir uns in unseren Dunkelheiten an Liebesgeschichten erinnern – auch an die der Heiligen Barbara!
III. Gottes Wort ist ein Licht bei der Suche von Menschen nach Antworten auf die existentiellen Fragen des Lebens
Was ist ein Menschenleben wert? Was ist unser Leben wert? Was zählen unser Leben, unser Hoffen, unser Lieben und unser Arbeiten? Was bleibt von unserem Lebenswerk, wenn das letzte Steinkohlenbergwerk in Deutschland zugemacht wird? Was bleibt von uns nach unserem Sterben?
Wenn wir hinauf zum Himmel blicken, die Unendlichkeit des Weltalls erahnen und der Zeitlosigkeit der Ewigkeit nachspüren, dann drängen sich ganz existentielle Fragen in unser Bewusstsein: Was kann uns Zuversicht und Gewissheit geben, dass wir mehr sind als Staubkörner, mehr als flüchtige und spurenlose Schatten in der Weltgeschichte? Diese Fragen sind fast so alt wie die Menschheit. Und die Suche nach Antworten wurde für viele Menschen auch eine Suche nach Gott. Durch die Jahrhunderte spiegeln die Antworten von Menschen auf diese existentiellen Fragen auch ihren Gottesglauben und ihr Gottvertrauen wieder. So fragte, antwortete und bekannte vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden ein Psalmbeter des Gottesvolkes Israel:
„Gott, wenn ich sehe den Himmel, deiner Finger Werk,
den Mond und die Sterne, die du geschaffen hast:
Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast den Menschen wenig niedriger gemacht als Gott,
mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,
alles hast du unter seine Füße getan.“ (aus Psalm 8)
Der Psalmdichter hat die Perspektive der Unendlichkeit und Ewigkeit von Gottes Schöpfung vor Augen. Er sieht voll ehrfürchtigen Staunens auf den Himmel, auf den Mond und die Sterne, auf die Schöpfungswerke des ewigen Gottes. Aber der Psalmist versinkt nicht in einer abstrakten Bewunderung des großen Universums. Er lässt den Lobpreis von Gottes Namen und Gottes Herrlichkeit nicht im unendlichen Raum des Weltalls verschweben. Der Psalmdichter erdet Gottes Macht und Herrlichkeit, indem er den Blick auf die Bestimmung der Menschen richtet. Er spricht uns Menschen zu, dass wir die Macht und die Herrlichkeit Gottes auf dieser Erde widerspiegeln sollen und können. Im Licht des göttlichen Wortes ist der Mensch kein Staubkorn im Wind der Unendlichkeit und kein flüchtiger Schatten in einem zeitlosen Universum.
Gottes Wort ist ein Licht bei unserer Suche nach Antworten auf die existentiellen Fragen nach dem Sinn unseres Lebens, indem es uns zusagt: Gott hat uns Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen – wenig niedrigen als Gott selbst! Gott hat uns zu seinen Stellvertretern auf Erden, zu seinen Partnern und Partnerinnen berufen. Wir sind beauftragt und befähigt, für Gottes Schöpfung Verantwortung und Sorge zu tragen! Und indem Gott uns Menschen mit seiner Macht und Herrlichkeit krönt, will er, dass wir Menschen der Gerechtigkeit Gottes auf unserer Erde handfeste Formen und spürbare Inhalte geben! In einer Predigt hat Dietrich Bonhoeffer es 1932 so zugespitzt:
„Daran entscheidet sich heute Gewaltiges, ob wir Christen Kraft genug haben, der Welt zu bezeugen, dass wir keine Träumer und Wolkenwanderer sind. Dass wir nicht die Dinge kommen und gehen lassen, wie sie nun einmal sind. Dass unser Glaube wirklich nicht das Opium ist, das uns zufrieden sein lässt inmitten einer ungerechten Welt. Sondern dass wir gerade weil wir trachten nach dem, was droben ist, nur umso hartnäckiger und zielbewusster protestieren auf dieser Erde.“
Der Mensch, wir Menschen, mit Vollmacht und mit Würde von Gott geschaffen, beauftragt und befähigt, Frieden und Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Solidarität auf dieser Erde, im privaten, beruflichen und politischen Alltag zu verwirklichen - das sang unser Psalmist den Menschen vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden zu. Lassen wir uns heute, am 1. Advent 2013 in Bottrop, davon ansprechen, erhellen und bewegen?
Unsere alltäglichen Erfahrungen in unseren Betrieben, in unseren Familien und auch in unseren Kirchen stehen dem Menschenbild des Psalmisten nur allzu oft entgegen. Nur allzu oft erleben und erleiden wir menschliche Politik, Macht und Herrschaft als lieblos, selbstsüchtig und zerstörerisch. Gerade auch in der Arbeitswelt erleben und erleiden wir immer wieder Entscheidungen, die sich nicht an Gemeinschaftsgerechtigkeit, sondern an Gruppeninteressen orientieren.
Die politischen Entscheidungen zum Kohlebergbau mögen einer gewissen Logik folgen, aber über den Bergbau und die Leistungen der Bergleute wurde in der politischen Auseinandersetzung leider auch abwertend geredet: So, als sei ein Bergwerk eine Art Museumsbetrieb und nicht High-Tec. So, als seien Bergleute lästige Almosenempfänger und nicht bestens ausgebildete und hoch produktive Arbeitskräfte. Und auch die Opferbereitschaft der Belegschaften fand nicht immer die Würdigung, die sie verdient: Die solidarische Personalpolitik im Bergbau, niemanden ins Bergfreie fallen zu lassen und Belegschaften zu schließender Schachtanlagen auf andere Bergwerke zu verteilen, hat viele Trennungen mit sich gebracht – sie wissen dieses Lied zu singen. Welchen Sinn kann ein leuchtendes Gotteswort für uns haben, wenn unsere Alltagserfahrung eine ganz andere Sprache spricht?
So richtig es ist, dass ein theologisches Reden ohne den realistischen Blick auf die oft ungerechten Verhältnisse der Alltags- und Arbeitswelt zu frömmelnder und belangloser Rederei – zu „Wolkenwandlerei“ wie Bonhoeffer es nennt - verkommt, so richtig ist auch: Ohne die Licht-vollen Zusagen des Gotteswortes gehen wir in unseren Alltagssorgen und Alltagskämpfen unter, werden wir angesichts der Dunkelheiten dieser Welt depressiv oder zynisch, oder versuchen auch wir „unsere Schäfchen“ ins Trockene zu bringen auf Kosten anderer…
„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;
es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;
es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit.“
– so heißt es in dem schon anfangs zitierten Gesangbuchlied.
Lassen wir uns gerade angesichts aller Dunkelheiten unsere Alltagswelt von Gottes Wort erhellen und uns einen Weg weisen, unsere Verantwortung wahrzunehmen. Damit auch andere Menschen ein Licht in ihren Dunkelheiten sehen. Damit unsere Welt auch durch unser Reden, Entscheiden und Handeln wenigstens ein Stück weit friedlicher, gerechter, mitmenschlicher, solidarischer und heller wird.
IV. Ausleitung
Das Licht des Gotteswortes muss geerdet werden mitten hinein in unsere private und gesellschaftliche Alltagswelt, mitten hinein in unsere Familien, Chefetagen und Parlamente, damit „alles Volk“ und jeder Mensch es als Licht seines Lebens hört und erfährt:
Du Mensch bist kein belangloses Staubkorn und kein flüchtiger Schatten. Du Mensch bist von Gott gewollt, geliebt und begabt. Gott setzt auf dich, dass du Liebe und Gerechtigkeit auf dieser Erde lebst. Gott setzt auf dich in Bottrop und auf Prosper-Haniel, damit auch schwierige Veränderungsprozesse solidarisch und in Würde bewältigt werden. Dazu hat der theologische Poet vom Niederrhein, Hanns Dieter Hüsch, uns ein schönes Geleitwort mitgegeben:
„Im übrigen meine ich, dass Gott uns das Geleit geben möge immerdar...
Er hat den Tag und die Nacht geschaffen
Hat auch den Alltag gemacht und den Schlaf
Die 12 Stunden eilen und kümmern und laufen
Und sorgen und streiten und ärgern und schweigen
Und die 12 Stunden ausruhen und nichts mehr sehen und hören...
Gott möge uns von seiner Freiheit ein Lied singen
Auf dass wir alle gestrigen Vorurteile außer Kraft
Und alle Feindseligkeiten außer Gefecht setzen...
Gott möge sich zu uns setzen und erkennen
Wie sehr wir ihn alle brauchen überall
Auf der ganzen Welt
Denn wer will uns erlösen von all unserem
Weltgeschichtlichen Wahn
Auch von unseren täglichen Lebenskonflikten
Gott der Herr möge auch manchmal ein Machtwort sprechen
Mit all jenen Herren die sich selber zu Göttern ernannt
Die Menschen durch Maschinen ersetzen und für
Geld Kriege führen
Und mit Drogen alle Zukunft zerstören
Er möge sich unser erbarmen
Am Tage und in der Nacht
In der großen Welt und in der kleinen Welt unseres Alltags
In den Parlamenten in den Chefetagen der Industrie
Und in unseren Küchen
Gott möge uns unsere Krankheiten überstehen lassen
Und uns in der Jugend und im Alter seine Schulter
Geben damit wir uns von Zeit zu Zeit von Gegenwart zu
Gegenwart an ihn anlehnen können getröstet
gestärkt und ermutigt!“
(H.D.Hüsch, Das kleine Buch zum Segen, S.4ff)
Eine gesegnete Adventszeit und „Glück auf“!