NDR-Fernsehgottesdienst Hamburg am Reformationstag
Margot Käßmann
Es gilt das gesprochene Wort.
Predigt Teil 1
Vor einigen Jahren habe ich ein Frauenkloster in Russland besucht. Stolz zeigte uns die Äbtissin die ganze Anlage und auch die Landwirtschaft und erklärte, dass die meisten jungen Frauen, die hier arbeiten, in der Sowjetunion ohne Glauben aufgewachsen seien. Aber hier hätten sie Zugang zu Gott gefunden. Ich fragte, wie sie das unterstütze, würde sie etwa zusammen mit ihnen die Bibel lesen? Ach, sagte sie, das ist nicht nötig. Jede hat in ihrer Zelle eine Ikone. Wenn sie der in die Augen schaut, kennt sie die ganze Bibel und Christus selbst.
Es war einer dieser Momente, in denen mir klar wurde, wie lutherisch ich bin. Um das Wort geht es doch! Solo verbo, das Wort allein. Aus dem Wort Gottes, der Bibel, sola scriptura, kann ich erfahren, wer Gott ist. Die Gleichnisse Jesu erzählen mir davon, wie Gott ist. Und in den biblischen Erzählungen finde ich die Erfahrungen, die meine Mütter und Väter im Glauben mit Gott gemacht haben. Die Schrift, das Wort, das Ringen mit der Bibel, gebildeter Glaube, darum geht es den Reformatoren. Eine Ikone wie diese hier, das ist mir doch eher fremd. Das Bild kann doch nicht das Wort ersetzen, das Schauen nicht das Hören, das Versenken in den Anblick nicht das Ringen um den Text!
Auch um Bilder Gottes geht es dabei, ja! Im Alten Testament im zweiten Gebot heißt es, Du sollst Dir kein Bildnis machen von Gott. Wir haben es eben in der Lesung nochmal gehört. Die Scheu frommer Juden vor religiösen Bildern ging so weit, dass sie sogar den Namen Gottes mit vier unaussprechbaren Konsonanten umschrieben - nämlich jhwh. Sie wollten und wollen sich kein Bild machen, auch nicht durch einen geschriebenen und ausgesprochenen Namen.
Gott bleibt ein Geheimnis, unverfügbar für den Menschen – das drückt das Bilderverbot aus. Und doch müssen die Glaubenden ja irgendwie von Gott reden. Im hebräischen Teil der Bibel gibt es daher viele Umschreibungen Gottes: der Ewige, Schechina, der Name, die Lebendige, Ich-bin-da, die Eine, der Heilige.
Manche Menschen irritiert das. Aber in der Tat ist in der Bibel weder das Bild noch die Bezeichnung Gottes einheitlich. Es gibt viel mehr ein Ringen darum, wer Gott ist, wie wir Gott als Glaubende ansprechen können, ohne Gott festzulegen auf einen Namen oder ein Bild. Immer wieder fragen Menschen in den biblischen Geschichten nach Gottes Namen, wollen sich ein Bild machen. So auch, als Mose zum Anführer des Volkes Israel auf dem Weg aus der Knechtschaft in Ägypten in die Freiheit berufen wird. Mose fragt, was er denn sagen solle, wer ihn berufen habe. Da heißt es: „Und Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde.“ (2. Mose 3, 14) Das zeigt sehr schön: Gott bleibt ein Geheimnis, das wir immer nur umschreiben können.
Martin Luther – das haben wir gerade in dem kurzen Disput mit Karlstadt gehört - hat religiöse Bilder nicht abgrundtief verdammt. Aber er hat sie auf gewisse Weise versachlicht. Sein Fazit: Wir können ruhig, rational mit Bildern umgehen. Nein, sie sind nicht Gott. Nein, wir werden sie nicht anbeten. Nein, sie haben keine Wirkmacht über uns. Aber sie können anregen: Die Fantasie, den Glauben, das Nachdenken über Gott und die Welt.
Mir liegt daran, Glaube und Vernunft zusammenzuhalten. Deshalb teile ich gern Luthers Position: Wir müssen die Bilder nicht radikal zerstören! Es tut ja weh, wenn wir im Nachhinein bedenken, was der Bildersturm an Werken vernichtet hat. Wir können mit Luther Bilder wahrnehmen, anschauen als das, was sie sind: Darstellungen wichtiger Ereignisse oder Erzählungen in der je individuellen Interpretation der Künstler. Aber die Bilder selbst dürfen nie zu Gott und damit zum Götzen werden!
Kunst und Kultur, Farben und Töne sind Teil des Glaubenslebens! Die Evangelischen haben lange gebraucht, Spiritualität, die Erfahrbarkeit des Glaubens also wiederzuentdecken. Glaube braucht das Wort, ja. Aber wie es im Johannesevangelium heißt: Das Wort ward Fleisch. Das heißt für mich, dieses Wort Gottes, das wir in Jesus Christus kennen, können wir auch spüren, sehen, riechen, tasten, erleben. Und da können Bilder eine Rolle spielen.
Es ist die Überzeugungskraft evangelischer Theologie in einer säkularen Welt, dass sie die Vernunft betont, gebildeten Glauben kennt. Aber es braucht auch die Erfahrbarkeit des Glaubens, damit Christenleben nicht eine reine Kopfsache bleibt, sondern die Emotionen, Gefühle, der gelebte Glaube seinen Ort findet.
Es geht Martin Luther darum, die Bilder insofern abzuschaffen, als allein Christus im Zentrum des Glaubens stehen soll. Wie hier auf dem Reformationsaltar in der Wittenberger Schlosskirche. Allein das Kreuz steht im Zentrum jeder Predigt, nicht der Prediger. Hier eindrücklich dargestellt von Lucas Cranach. Radikal auf Gott sollen wir uns konzentrieren. Damit ist Luther sehr nahe an dem, was das Bilderverbot des alten Israel im Sinn hatte. Die Menschen sollen sich keine Götzen erschaffen. Kein Goldenes Kalb, um das sie tanzen. Allein Gott sei die Ehre! Das hat auch einen Freiheitsaspekt. Luther sagt: Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.
Übrigens: Von meinem Besuch im Frauenkloster habe ich eine Ikone als Erinnerungsstück mitgebracht. Nun hängt sie da im Flur, jeden Tag gehe ich mehrmals vorbei. Und manchmal fange ich an, sie zu grüßen. So ein Unsinn natürlich, sage ich mir. Dialog mit einer Ikone?
Predigt Teil 2
O ja, Bilder prägen uns. Im Eingangsteil haben wir Bilder gesehen, die wir alle gemeinsam nicht vergessen: Die Kinder, die mit Verbrennungen vor Napalmbomben fliehen in Vietnam. Willy Brandt, der auf die Knie fällt angesichts der Opfer des Warschauer Ghettos und der Schuld der Deutschen. Der Fall der Mauer und die ungeheure Euphorie, die das ausgelöst hat.
Bilder können aber nicht nur prägen und Geschichte symbolisieren, sie sind auch verführerisch, weil wir uns dem Eindruck eines Bildes nur schwer entziehen können. Was ich mit eigenen Augen gesehen habe, muss doch wahr sein. Daher eignen sich Bilder auch so gut zur Lüge und zur Manipulation. Die Bilder, die 2003 präsentiert wurden, um den Krieg gegen den Irak zu legitimieren – wir wissen heute, dass sie gefälscht waren. Oh ja, Bilder können täuschen! Das wissen wir gerade in Deutschland sehr gut. Vor hundert Jahren Bilder von fröhlich marschierenden Soldaten 1914 – aber keine Bilder, die zeigten, wie entsetzlich das Gemetzel war auf den Feldern Flanderns oder bei Verdun. Vor 75 Jahren Bilder einer siegesgewissen Großmacht – aber keine Bilder von jüdischen Kindern, die gedemütigt wurden, von Konzentrationslagern und Gaskammern, von der grausamen Hinrichtung unschuldiger Menschen. Siegesbilder mag die Welt und sie können bitter täuschen, weil sie das Leid und das Grauen übertünchen wollen.
Gerade in unserer Zeit, in der wir medial geradezu überflutet werden, gibt es Bilder, die uns verfolgen, nicht mehr loslassen. Ertrinkende Flüchtlinge vor der Küste Europas. Mit dem Ebolavirus infizierte Menschen auf der Suche nach Hilfe in Liberia. Angesichts solcher Bilder fragen wir uns: Wo ist Gott! Und: Was kann ich denn tun, um einen Beitrag zu leisten für mehr Frieden in dieser Welt?
Und gleichzeitig müssen wir wachsam sein. Propaganda nutzt gern das Bild, auch die Terrormiliz, die sich „Islamischer Staat“ nennt. James Foley, der selbst Videoreporter im Krieg war, wurde vor laufender Kamera enthauptet. Er trug bei seiner Ermordung orangene Kleidung wie die Häftlinge in Guantanamo. Platziert haben die Mörder das Bild auf Youtube – der Firmensitz liegt in den USA. Die IS wollte gezielt Empörung auslösen mit solcher inszenierten Brutalität und gleichzeitig Macht demonstrieren. Es gibt auch einen Krieg der Bilder. Ein Medientheoretiker sagt: „Bilder sind Munition, Kameras sind Waffen“.
Aber ja, es auch gibt wunderbare, individuelle Bilder. Schöne Bilder der Erinnerung, an die ich gern zurückdenke, die mich beheimaten. Wie schön, das Fotoalbum von der Hochzeit noch einmal anzuschauen. Die ganze Familie kam zusammen, eine glückliche Stimmung. Es macht Spaß, Kinderbilder anzuschauen, sich zu erinnern: Da waren wir im Urlaub an der Ostsee. Das war das Weihnachten, als ich einen Hamster geschenkt bekam. Bilder des Glücks und der Erinnerung, die uns lächeln lassen. Bilder auch verstorbener Menschen, die uns etwas bedeutet haben, die Geschichten, Erlebtes wachrufen können.
Schließlich sind da die Bilder, die wir gerne löschen würden. Nacktfotos von Prominenten tauchen plötzlich auf, weil Hacker ihren PC geknackt haben. Peinliche Fotos, die manche gern vergessen würden. Handyfotos, die andere ohne Erlaubnis gemacht haben und online stellen. Aber ein Bildersturm nutzt dir nichts bei Facebook. Einmal gepostet – immer im Netz.
Was bedeutet das nun für unseren Blick auf die Bilder unserer Zeit 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation? Zum einen: Bilder sind mächtig heute wie damals, wenn auch noch auf ganz andere Weise in Zeiten von Fotografie, bewegtem Bild und Internet. Und auch heute gilt es, Bildern nicht so viel Macht zu geben, sich nicht von ihrer Suggestivkraft hinreißen zu lassen. Luthers nüchterner Umgang mit der Bilderfrage zu seiner Zeit ist da auch für uns heute sehr hilfreich. Es gilt, Nachdenken, Vernunft walten lassen angesichts der enormen Magie und Überzeugungskraft von Bildern sind auch heute geboten. Kritischer Geist ist gefordert!
Aber auch heute dürfen uns Bilder anrühren, sie sind ein Kulturgut, das wir schätzen. Der große Besucherstrom bei Ausstellungen zeigt das. Ein Leonardo da Vinci, eine Frida Kahlo, ein Paul Klee, eine Paula Modersohn-Becker – sie begeistern viele Menschen weit über ihre Lebenszeit hinaus. Denn Bilder geben auch Lebensweisheit weiter. Sie können vom Glauben erzählen. Sie können uns anrühren. Und manches Mal vertiefen Bilder, vertieft unser Schauen, was das Wort sagt.
So segne Gott uns die Bilder und halte in uns einen kritischen Geist wach gegen die Verführbarkeit durch sie. Amen.