Laudatio anlässlich der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille an Prof. Dr. Micha Brumlik
Margot Käßmann
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
lieber Micha Brumlik,
zuerst habe ich gedacht: Passt das denn zusammen? Margot Käßmann um eine Laudatio für Micha Brumlik bitten? Das scheint doch wenig stimmig! Er ist Jude, ich bin Christin. Gerade erst hat Brumlik in der Jüdischen Allgemeinen (29.10.15) vehement erklärt, bei einem „Lu-thergedenken“ hätten Juden nichts zu suchen, während ich mir jüdische Beteiligung im Jubi-läumsjahr wünsche. Er ist ein dezidierter Verfechter von Waffenlieferungen an Israel, ich versuche, die Fahne des Pazifismus hoch zu halten. Und wo wir uns begegnet sind, waren wir gewiss nicht immer einer Meinung.
Aber auf den zweiten Blick: Micha Brumlik war stets ein Querdenker und ja, ein unbequemer zumal. Genau das gefällt mir. Wir brauchen Querdenker in einer Zeit, die zu Anpassung und Mainstream neigt, in der es so viel einfacher ist, stromlinienförmig zu sein als anzuecken. So ein Disput mit Micha Brumlik ist kein Spaziergang, letzten Monat habe ich das gerade erst wieder in Berlin erlebt. Es ist immer eine Herausforderung, mit ihm zu diskutieren aber gerade wenn wir nicht einer Meinung sind, ist so ein Gespräch stets eine Bereicherung.
So habe ich mich gefreut, dass Micha Brumlik auch erklärt hat, bei einem „Prozess kritischer Erinnerung“ mit Blick auf Luther und die Reformation spräche alles für eine jüdische Beteiligung. Da sehe ich als Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum einen guten Anknüpfungspunkt. Ja, Luther war Antijudaist, wohl gar Antisemit. Genau das aber sind die Lutheraner mit Blick auf 2017 nun endlich in der Lage zu thematisieren. Das Jubiläumsjahr wird eben nicht als Helden-Gedenk-Fest geplant, sondern als eines, das sich wertschätzend, aber auch kritisch mit dem Reformator Luther und der Reformation als Bewegung insgesamt auseinandersetzt. So freue ich mich, dass innerhalb der Weltausstellung Reformation im kommenden Jahr in Wittenberg der Dialog von Judentum, Christentum und Islam einen besonderen Stellenwert haben wird.
Was an Micha Brumlik zu schätzen ist, das habe ich als Generalsekretärin des Kirchentages begriffen: Er will die Religion ins Gespräch bringen, und zwar seine Religion. Micha Brumlik ist Jahrgang 1947, geboren in Davos, wohin seine Eltern geflohen waren. Manche würden sagen, ein Nachgeborener. Aber die „Gnade der späten Geburt“, von der Helmut Kohl sprach, gab es für die Kinder jüdischer Opfer nicht – im Übrigen genau so wenig wie für die Kinder deutscher Täter. 1953 kam er mit den Eltern nach Deutschland, zurück in das „Land der Täter“. Der Vater war ein Zionist, und so wurde Micha Brumlik selbst Mitglied einer zio-nistischen Jugendorganisation. Nach einem Israelaufenthalt von zwei Jahren wurde er erst einmal Anti-Zionist, Jahre später aber preist er wieder die Rolle des Zionismus. Spannend ist das, nachvollziehbar, verständlich: ein junger deutscher Jude auf der Suche nach Identität. Und das mitten im Frankfurt der 68er. Selbst aus dem Abstand ist vorstellbar, wie sehr Micha Brumlik gerungen hat um die eigene Position und Haltung.
Mir imponiert zuallererst, dass Micha Brumlik es sich nicht leicht gemacht hat, gerade auch in den Fragen der Religion. Das halte ich für zentral. In gewisser Weise ist Micha Brumlik ein Seismograf für die Suche nach jüdischer Identität in Deutschland nach der Shoah. Und dabei war - und ist! - er streitbar. Er wollte nicht glätten, sondern war manchmal wirklich auch Agi-tator, der Sachen auf den Punkt und andere auf die Palme bringen konnte. Wenn allzu viele allzu schnell vergessen und zu den Akten legen wollen, legt Brumlik den Finger in die Wun-de. Als Protestantin teile ich diese Leidenschaft für das Ringen um Position, die kritische Auseinandersetzung mit Religion, den Streit um die Wahrheit. Viele wollen heute gern, dass es harmonisch zugeht, innerhalb unserer Religionen und auch zwischen den Religionen. Und wenn es dann Konflikte gibt, sind alle schockiert. Es gibt aber auch die kreative Kraft der Differenz, die Menschen aufschreckt und anregt, neu zu denken. Menschen, die es wagen, die Differenz, ja den Konflikt zu formulieren, das sind Reformatoren. Und auch wenn Sie das nicht mögen, lieber Herr Brumlik, in diesem Sinne sind Sie Luther dann doch ähnlich.
Im Übrigen ist es diese Kraft des kreativen und kritischen Denkens, die gegen den Funda-mentalismus helfen kann. Denn Fundamentalismus, ob jüdischer, christlicher, muslimischer oder hinduistischer Couleur, mag freies Denken nicht, sondern sagt: Glaub oder stirb! Wer wagt, die eigenen Schriften kritisch zu lesen, in ein Gespräch mit anderen zu kommen, setzt die für sich selbst gefundene Wahrheit dem Dialog mit anderen Wahrheitsüberzeugungen aus. Das ist nicht leicht, verunsichert, tut manchmal weh, ist aber die einzige Form, mit der Religion in einer pluralen demokratischen Gesellschaft eine überzeugende Position finden kann. Uns allen ist doch klar: gewaltfreie Konfliktfähigkeit auch von religiösen Überzeugun-gen ist gerade in unserer Zeit dringend gefragt.
Der zweite Punkt, der mir imponiert, ist eine Leistung, für die Christinnen und Christen in Deutschland dankbar sein können. Micha Brumlik hat jüdische Theologie und Praxis für uns zugänglich gemacht. Er war ein Brückenbauer zu den jüdischen Gemeinden und für die jüdi-schen Gemeinden, ohne je selbst in ihnen besonders aktiv zu sein, stets eher Ideengeber als Institutionenmensch. Der Philosoph Brumlik war und ist einer der wichtigsten Meinungs-führer jüdischer Intellektueller im Nachkriegsdeutschland sozusagen zwischen Michael Wolf-fsohn und Hendryk Broder. Merkwürdig, das fiel mir auf: Von Frauen ist da wenig die Rede. Wo sind eigentlich die theologischen jüdischen Frauenstimmen jener Jahre? Gewiss, Char-lotte Knobloch ist wortgewandt und präsent. Aber in der Theologie? Micha Brumlik hat die jüdische Position sprachfähig gemacht in der deutschen Mehrheitsgesellschaft, das lässt sich mit Fug und Recht sagen. Verbunden mit dem Professorenamt, in dem er nicht nur als Pädagoge, sondern als eine Art Universalgelehrter auftrat, hat er das Auf und Ab des deut-schen Nachkriegsjudentums begleitet und kommentiert und seine Struktur mitgeprägt.
Insofern kann ich sagen, Micha Brumlik war und ist ein Kirchentagsmann par excellence. Denn Kirchentage sind Orte der Horizonterweiterung. Und fast scheint es, als habe Micha Brumlik das Christentum als eine Art „Sparringpartner“ gebraucht, um die jüdische Position zu vermitteln. Ich möchte hier explizit den Preisträger im Zusammenhang mit dem jüdisch-christlichen Lehrhaus bei Kirchentagen nennen, das vom Arbeitskreis Juden und Christen vorbereitet und verantwortet wird. Die Veranstaltungen im Lehrhaus haben sowohl den Kir-chentag verändert, als auch eine Horizonterweiterung für Tausende von Teilnehmenden er-möglicht. Sie haben gelernt , dass ihre Bibel auch aus anderer als der christlichen Perspekti-ve zu lesen ist. Viele zeigten sich auf einmal neugierig auf das Judentum. Ein Rabbiner sag-te mir einmal: „Wir haben schlicht keine Kraft und keine Zeit, all die christlichen Anfragen zum Besuch unserer Synagoge positiv zu beantworten.“ In Micha Brumlik fanden Christinnen und Christen einen, der Antwort gab auf ihre Fragen, Einblicke vermittelte in jüdische Theo-logie und jüdisches Denken. Er hat Gesprächsangebote gemacht, war aber kein Vertreter des sanften Wortes, sondern angriffslustig, einer, der herausforderte, ein Störgefühl zurück-ließ, das am Ende in tieferes Nachdenken führte. Wenn Christinnen und Christen in Deutsch-land gelernt haben, mit großem Respekt die jüdische Glaubenstradition zu sehen und das eigene Versagen gegenüber dem Judentum zu begreifen, ja die Scham zu ertragen, dass wir Jüdinnen und Juden schutzlos dem Terror und Morden der Nationalsozialisten auslieferten, dann haben wir das auch Micha Brumlik zu verdanken. Es hat im Nachkriegsdeutschland noch lange gedauert, bis die Erkenntnis der eigenen Schuld zu einem unbefangenen Ver-hältnis von Christen und Juden führte – und der Prozess dauert noch immer an. Und dass Antisemitismus ein Phänomen der Vergangenheit wäre, ist leider eine Illusion.
Streitbar sind Sie auch mit Blick auf Ihre Anfragen an die real existierende Kirche, an „meine“ Kirche, lieber Micha Brumlik, die Sie oft kritisierten. „Christlichen Triumphalismus“ warfen Sie der EKD vor, als sie ihre Haltung zur Mission formulierte. Ähnlich Ihre Eindeutigkeit gegen-über der römisch-katholischen Kirche: Aus Protest gegen die Ihrer Meinung nach „antijudaistische Position“ in dem von Papst Benedikt XVI. in neuer Form zugelassenen Bittgebet zum Karfreitag, in dem zu einer "Erleuchtung" und "Rettung" der Juden durch den christlichen Gott aufgerufen wurde, sagten Sie die Teilnahme am Katholikentag 2008 in Osnabrück gemeinsam mit Rabbiner Homolka und anderen ab. Immer wieder mahnen Sie an, christlich-theologische Standpunkte an der Schoa zu messen. Und auch bei Themen wie „Zwangsbeschneidung“ und „Israel-Waren-Boykott“, Kopftuchverbot und Flüchtlingsthematik gilt: Sie bleiben, lieber Micha Brumlik, eine kritische, wichtige Stimme des Protestes in unserer Gesellschaft. Sie geben in der Sache keine Ruhe und das ist gut so!
Aber Sie sind auch ein Mann, der um die Notwendigkeit der kleinen Schritte, der Arbeit vor Ort weiß. Von 1989 bis 2001 waren Sie Stadtverordneter von Bündnis 90/Die GRÜNEN in Frankfurt am Main. Offen gestanden hätte ich da gern gewusst, welche Anträge Sie wohl eingebracht haben, um welche Fragen gerungen wurde in den 12 Jahren – soweit bin ich aber leider nicht vorgedrungen in den Archiven.
So manche der Themen aber, die uns als politisch engagierte Deutsche wichtig sind, finden nicht mehr so viel Interesse wie früher. Vor kurzem erzählten Sie mir bei einer Veranstaltung, Sie seien zu einer Lesung in eine Frankfurter Buchhandlung gekommen, und hätten festgestellt, „der Altersdurchschnitt bei den alten Linken“ sei doch „sehr hoch“, ein Treffen der Rosa-Luxemburg-Stiftung bezeichneten Sie als „Veteranentreffen des christlich-marxistischen Dialogs“. Humor und die Selbstironie sind Ihnen nicht abhanden gekommen – auch das schätze ich an Ihnen.
Lieber Micha Brumlik, ich sehe drei Standpunkte, die Sie als Preisträger heute in unsere aktuellen Debatten auch mit Blick auf Judentum, Christentum und Islam in Deutschland einbringen
Erstens: Religion darf, sollte, ja muss streitbar sein. Gegen jede Art von Fundamentalismus hilft nur die Offenheit für den Dialog. Denn niemand von uns hat die Wahrheit wie einen Besitz. Jede Religion und jeder religiöse Mensch ist nur Zeuge bzw. Zeugin einer Wahrheit, die wir für uns gefunden haben.
Zweitens: Religion samt ihrer Institution muss selbstkritisch sein mit Blick auf die eigenen Wurzeln, die eigene Geschichte, und muss auch historisch-kritisch auf die eigenen Schriften schauen können. Die Auseinandersetzung mit dem Text macht dabei Freude und ist eine Horizonterweiterung. Im Gespräch miteinander können wir Neues entdecken, das bereichert.
Drittens: Eine demokratische Gesellschaft braucht sprachfähige Religion. Gerade im zunehmend säkularen Umfeld gilt es darum zu ringen, dass Religion nicht in die Privatsphäre abgedrängt wird oder sich selbst abschottet gegenüber dem weltlichen Raum. Eine Gesellschaft, die Religionsfreiheit kennt, die Freiheit also, einer – oder einer anderen – Religion oder keiner Religion anzugehören, ist auch eine Gesellschaft, in der sich niemand mit seiner Religion verstecken muss.
Lieber Micha Brumlik,
ich freue mich über die Meldung, dass Sie zum Sommersemester die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur der Universität Kassel übernehmen. Wir werden noch viel von Ihnen hören und auch das ist gut so! Danke für Ihre Streitbarkeit. Danke für Ihr Zeugnis jüdischen Glau-bens und jüdischer Überzeugung in unserem Land. Mein Glückwunsch zur Auszeichnung und von Herzen Gottes Segen!