Predigt über Micha 4, 1-5.7 im Gottesdienst zur Eröffnung der 3. Tagung der 12. Synode der EKD im Dom St. Mauritius und Katharina zu Magdeburg
Landesbischöfin Ilse Junkermann
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Frieden zwischen Völkern ist möglich. Was für eine Vision! Und in weiten Teilen Europas ist sie seit 1945 politische Wirklichkeit. Was für eine Geschichte! Nach zwei furchtbaren Weltkriegen war vielen Menschen in Europa klar: Krieg kann nicht zu Frieden führen. Die Europäische Gemeinschaft wurde gegründet. Das war - und ist! - das größte Friedensprojekt, das unser Kontinent in seiner langen und leidvollen Geschichte bisher erlebt hat.
Frieden ist möglich. Alte Feindschaften werden geschlichtet.
Wo Gegensätze scheinbar unüberbrückbar erscheinen, wird geduldig vermittelt. Sogenannte „Erzfeinde“ können zu Freunden werden. Alte Gräben sind überwunden. Ja, Frieden ist möglich.
Wer dies vor hundert Jahren in Europa verkündete, wurde als Spinnerin und Phantast angesehen – leider auch in den großen christlichen Kirchen.
Dabei malt uns die Bibel in kräftigen Farben vor Augen, wie eine friedliche und gerechte Welt aussehen kann. Hören wir auf den Predigttext, wie er geschrieben steht im Buch des Propheten Micha:
Lesung Micha 4, 1-5.7b
1 In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen,
2 und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
3 Er wird unter vielen Völkern richten und mächtige Nationen zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
4 Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat's geredet.
5 Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!
7b Und der HERR wird König über sie sein auf dem Berge Zion von nun an bis in Ewigkeit.
Was für eine Vision! Frieden ist möglich. Alte Feindschaften sind geschlichtet. Es gibt wohl noch Unterschiede, auch Gegensätze zwischen den Völkern. Doch führen sie nicht mehr zum Krieg. Zwischen den Völkern regiert „versöhnte Verschiedenheit“.
Ja, Frieden ist möglich. Frieden ist möglich, wenn Bewegung in die Welt kommt. Micha hat diese künftige Bewegung schon vor Augen:
Sie geht vom Berg Zion in Jerusalem aus. Er wird wachsen. Er wird alle anderen Berge überragen. Das zieht dann alle Völker an. Zu ihm hin wollen sie. Und machen sich auf den Weg. Endlich hat der Streit ein Ende, der Streit, wer der Größte und Stärkste ist. „... von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem“ – und dann endlich hören die Völker Gottes Wort und Weisung. Genau so beginnt der Friedensprozess. Gottes Wort und Weisung leitet sie. Sie hören – endlich! Alle! - auf das Doppelgebot der Liebe: Gott lieben und respektieren und den Nächsten lieben und respektieren. Wenn Gott „unter großen Völkern richten und viele Heiden in fernen Landen zurechtweisen“ wird, dann wird er sie genau nach diesem Recht richten. Dass sich kein Machthaber, keine Regierung mehr als Gott aufspielt, als Weltherrscher; vielmehr Gott, den Gott Israels als Herrn der Welt respektiert. Und dass sich kein Volk als Herr über ein anderes aufspielt. Vielmehr gestehen sich alle das gleiche Lebensrecht zu. Das wird Gottes Wort und Weisung richten. So wird Gott schlichten und vermitteln.
Und das bringt die Wende in alle Kriegsgelüste!
Wenn die Völker auf Gottes Richten, sein Schlichten und Vermitteln hören, dann geht es über in ihre Gedanken und Hände.
Dann schmieden die Völker ihre Kriegswaffen um in Friedensgeräte.
Aus Schwertern werden Pflugscharen. Aus Spießen werden Sicheln und Winzermesser.
Und dann, dann herrscht endlich Friede. Krieg wird nicht einmal mehr gelernt.
Das Konzept ‚Frieden durch Abschreckung’ ist abgelöst durch ‚Frieden durch Abrüstung.’ Die wertvollen Rohstoffe, bisher in Waffen gebunden, dienen nun der landwirtschaftlichen Erzeugung. Die Ressourcen, hier das Metall, werden lebensdienlich eingesetzt. Der Pflug dient nun mit seiner Schärfe dazu, die Erde für die Körner aufzupflügen, damit Brot wachsen kann. Und das Winzermesser kultiviert den Feigenbaum und die Weinstöcke. Zum Frieden gehört: Es ist genug für alle da. Alle lassen es sich genug sein. Wie das Brot für Grundbedürfnisse steht, so stehen Feigen und Wein für Genießen und für Lebensfreude. Ja, der Mensch braucht nicht nur Brot. Das wird jeder und jede zu Genüge haben. Der Mensch braucht auch Genuss, guten Wein und köstliche Feigen, er lebt auch von Schönheit und Jubel, vom Tanzen und vom Singen. Auch das wird jeder und jede zur Genüge haben. In alledem erfahren die Menschen, was Gott zusagt: ‚Du sollst, Ihr sollt leben! Du sollst, Ihr sollt ein gutes Leben haben!’
Liebe Gemeinde, was für ein Sehnsuchtsbild! Sehen Sie sie auch sitzen, diese Menschen? Ganz in Ruhe vor ihrem Haus, in ihrem Garten, bei ihrem Weinstock und Feigenbaum. Jeder Mensch hat genug zum Leben und ist zufrieden und deshalb friedlich. Nichts schreckt einen mehr auf. Alle Gräben sind überwunden.
Was für eine Vision! Frieden ist möglich!
Ein verwegenes Bild? Ja! Die Vision beginnt ja mit den Worten „in den letzten Tagen...“. So übersetzt Martin Luther. Also: Am Ende der Zeit? Ohne Relevanz für die Gegenwart? Wörtlich heißt es: „...das Hintere der Tage“. Es geht also um das, was wir noch nicht sehen können.
Zugleich leuchtet die Vision schon in gegenwärtige Tage, quasi ‚von hinten’! Wie die Kerze hinter einem Transparentpapier.
Jesus stärkt dieses Hoffnungslicht auf Frieden. Er preist sie glücklich, die Friedensstifter. Ja sogar: „Liebt eure Feinde...“. Frieden ist möglich. Er selbst ist unser Friede geworden. Durch ihn haben auch wir aus den vielen Nationen und Völkern Anteil an Gottes Bund mit seinem Volk Israel und an den Verheißungen. So gibt es keinen Frieden ohne Volk Israel oder am Volk Israel vorbei. Jerusalem wird die Stadt des Friedens sein.
Auch Europa kann nicht sich selbst genug sein. Es ist eingebunden in die ganze Völkergemeinschaft, und orientiert sich auf den Gott Israels, den Vater Jesu Christi, hin, orientiert so auf Gerechtigkeit zwischen den Völkern.
Jesus besiegelt mit seinem Leben und Sterben die gute Nachricht. Er überwindet den Graben zwischen Gott und Mensch und zwischen Tod und Leben. Alle Todesmächte sind in seiner Auferstehung überwunden. Er ist das Licht.
(Cliff-hanger: „Christus, dein Licht verklärt unsere Schatten, lasse nicht zu, dass das Dunkel zu uns spricht. Christus, dein Licht erstrahlt auf der Erde, und du sagst uns: Auch ihr seid das Licht.“)
„Auch wir sind das Licht ...?“
Wenn wir die täglichen Nachrichten und Kriegsmeldungen und Bilder sehen, liebe Brüder und Schwestern, da könnten wir verzagen. Da ist doch so viel Dunkel, das zu uns spricht:
- Unser Land, Deutschland, ist der viertgrößte Rüstungsexporteur der Welt, für Kleinwaffen stehen wir sogar auf Platz zwei der Exporteure [1].
- Eine neue Form von Krieg kommt nach Europa. Terroristen bringen furchtbare Gewalt und verbreiten Angst und Schrecken. Und viele Menschen suchen Sicherheit in Nationalismen.
- Angst wächst, auch die Angst vor Fremden. Europa schottet sich immer mehr ab, besonders gegen Menschen in Not. So bringt es eine seiner wesentlichen Grundlagen in Gefahr: Solidarität und Mitmenschlichkeit.
- Und ich denke an die herrschenden Kriege im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika. Ach, wenn es doch nur einen Waffenstillstand, wenigstens eine Waffenpause in Syrien gäbe, für die Menschen in Aleppo, in Mossul im Irak und in den anderen Städten! Wie mühsam ist Schlichten und Vermitteln! Nur kleinste Schritte scheinen möglich.
Viel Dunkel! Ja! Aber es spricht nicht allein. Und es hat nicht das letzte Wort.
Michas Vision leuchtet schon heute in unsere Tage. Das verändert die todbringende Wirklichkeit. Menschen lassen sich ansprechen von der Friedensvision, sie lassen sich vom Licht leiten.
- Seit 1945 erleben wir dies im Friedensprojekt Europa. Ja, Schlichten und Vermitteln kostet Mühe. Doch viele Gräben sind überwunden!
- „Schwerter zu Pflugscharen." Wie stark wirkt dieses biblische Bild in reale Politik hinein! Seit 1959 steht die Statue des Bildhauers Ewgenij Viktorowitsch Wutschetitsch als Geschenk der Sowjetunion vor dem Hauptgebäude der UNO in New York – als echtes Leitbild für die Völker und Nationen der Erde.
- Und auf jenem kleinen Stoffaufnäher, damals „Textiloberflächenveredelung“ genannt, wurde mit ihr 1980 zum ersten Mal von kirchlichen Friedensgruppen in der damaligen DDR zu einem zehntägigen Friedensgebet in den Novembertagen vor Buß- und Bettag eingeladen. Heute beginnt die 37. Dekade. Wie kümmerlich mag das damals gewirkt haben im grauen November des Jahres 1980! Wie wenig beeindruckend! Wie weltfremd und naiv! Doch die Geschichte ging weiter. Es ist gar nicht abzuschätzen, wie wichtig diese Friedensbotschaft für das Gelingen der Friedlichen Revolution in unserem Land war. Die Rufe „Keine Gewalt!“ und „Nie wieder Krieg!“ wurden zu wirksamem politischen Handeln. 1989 gelang die Überwindung der Teilung Europas und wurde uns geschenkt!
- In der Denkschrift aus dem Jahr 2007 „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ beziehen wir als Evangelische Kirche in Deutschland – endlich - ganz klar Position: Es gibt keine „gerechten Kriege“. Frieden wird und wächst vielmehr durch Gerechtigkeit. Schlichten und Vermitteln wird Gräben überwinden.
So lassen wir, so lassen viele Menschen, so lassen politisch Verantwortliche sich davon anstecken, wie Gott auf Schlichten und Vermitteln setzt. So lasst uns von ihm stärken und uns dafür stark machen.
Sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.