Weihnachtspredigt
Margot Käßmann
Marktkirche Hannover
Liebe Gemeinde,
I. Das Volk das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht
Das ist und bleibt eine wunderbare Verheißung. Auch für den Glauben. Können wir uns wirklich auf Gott verlassen, fragen ja viele. Denken wir zurück an Weihnachten vergangenes Jahr. Da haben viele gesagt: wie kann Gott das zulassen, dass so viele Menschen sterben durch eine Naturkatastrophe? Wo war Gott beim Tsunami? So viel Leid und Sterben am zweiten Weihnachtstag....
Ich denke, wir dürfen Gott nicht zu unserer Marionette machen. Wenn etwas Schreckliches passiert, ist Gott gefragt. Geht alles gut, wie bei der Notlandung in Kanada dieses Jahr, sind wir stolz auf Menschen und Technik. Ja, manches von Gott bleibt uns verborgen. Martin Luther hat immer wieder betont, dass wir Gott niemals ganz und gar verstehen, entdecken, vereinnahmen können. Sonst wäre Gott nicht Gott. Und wenn alles zweifelsfrei wäre, dann Glaube überflüssig. Glaube bleibt ein Ringen mit dem Zweifel, mit dem Leiden, mit der Frage nach Gott. Auch im 21. Jahrhundert. Wer aber fragt und ringt und zweifelt, steht schon mitten in einer Beziehungsgeschichte zu Gott.
Wir dürfen auch nicht so tun, als hätten wir die Schöpfung im Griff. Wir tendieren dazu, die Natur zu romantisieren. Da sei alles friedlich und wunderbar. Das stimmt ja nicht. In der Tierwelt geht es um Fressen und Gefressen-werden. Und das Meer, der Wind, das Feuer können ungeheure Kräfte entwickeln. Vielleicht haben uns die großen Katastrophen dieses Jahres auch ein wenig demütiger gemacht. Es waren die Naturvölker, die sich gerettet haben auf ihren Inseln, weil sie die Zeichen der herannahenden Flut noch lesen konnten. Aller technologischer Fortschritt in den USA konnte die Wassermassen New Orleans nicht „in den Griff“ bekommen. Der Mensch beherrscht weniger, als er so gerne meint. Auch im Zeitalter von Hochtechnologie gibt es Grenzen des Machbaren!
Wahrscheinlich brauchen wir statt einer Haltung von Mehr und Weiter eine neue Ethik der Grenze.
Der christliche Glaube sagt übrigens gerade nicht, dass schon alles gut wird. Das wäre schlichter Optimismus oder auch Beschwichtigung. Glaubenshoffnung meint etwas anderes. Sie sagt: Was auch kommen mag, Gott wird mir zur Seite stehen. Gott ist bei denen, die einsam sind, bei denen, die leiden. Gott steht denen bei, die sterben. Ja, unsere Hoffnung geht über den Tod hinaus. Gottvertrauen ist eine Lebenshaltung.
Wir feiern heute die Geburt eines Kindes. Eine Geburt ist auch heute immer wieder eine große Freude, ein kleines Wunder. Und doch ist sie auch gar nichts Besonderes. Jede Minute wird auf dieser Welt ein Kind geboren. Viel zu viele sind es für unsere gute alte Erde und viel zu viele verhungern, sind unerwünscht. Noch immer wird den meisten Frauen in der Welt die Möglichkeit vorenthalten, Schwangerschaften zu planen bzw. zu verhüten. Noch immer wird allzu oft Sexualität als Herrschaftsmittel benutzt, werden Frauen erniedrigt, vergewaltigt, degradiert. Nicht jede kann mutig singen wie Maria, dass Gott die Mächtigen vom Thron stürzen möge. Mancher Frau, gerade in den Ländern des Südens, ist das Lied der Freude über ihr Kind in der Kehle verstummt. Als ich in einem Krankenhaus in Äthiopien eine Frau kurz vor dem Sterben sah, die abgemagert ein nicht lebensfähiges neuntes Kind zur Welt gebracht hatte, ist mir das noch einmal schmerzlich bewusst geworden. Ja, Kinder sind ein Segen, ein Geschenk Gottes. Aber es geht auch um Gerechtigkeit, von der Maria singt, und um Verantwortung.
Etwas besonderes wird die Geburt, die wir heute feiern, vom Ende her. Jesus ist gestorben, einen elenden Tod. Aber diese Finsternis war nicht das Ende, das war erst der Anfang. Das Licht scheint in die Finsternis, es ist schon da, hell, wenn wir es nur sehen wollen. Wir glauben, dass Gott uns in Jesus Christus zeigt, dass unser Lebensweg über den Tod hinaus geht. Dass Gottes Welt größer ist als das, was wir sehen.
Es ist gut, dass Menschen heute wieder neu nach Gott fragen. Und dass der christliche Glaube nicht mehr so schnell abgetan wird als überholt, sondern es ein offenes Fragen gibt. In der Frage nach Gott in all dem Leiden der Welt steckt ja die Frage nach der Existenz Gottes. Die Bibel kennt dieses Ringen. Und doch sieht sie das Licht in der Finsternis. Das wahre Licht scheint schon. In vielen biblischen Geschichten wird das erfahrbar.
Lassen Sie uns Erfahrungen mit Gott weitergeben. Lassen sie uns den Erzählfaden der biblischen Geschichten aufrecht erhalten. Ein gutes Wort der Bibel kann auch wie ein Licht in der Finsternis sein. Etwa wenn es mir schlecht geht und ich mitbeten kann „...ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir“. Psalm 23 ist eine Art Glaubensnotration fürs ganze Leben. Wohl dem Menschen, der diese Ration schon als Kind ins Gepäck gelegt bekommt. Lassen Sie uns vom Glauben erzählen in einem Land, in dem das Wissen um die biblischen Geschichten auszutrocknen droht. Auch so zünden wir Lichter an in der Finsternis.
Mir ist wichtig, immer wieder deutlich zu machen: ohne Christus kein Christkind und kein Christfest! Weihnachten ist ein Fest des christlichen Glaubens. Wenn in den USA der Präsident des Landes aus Angst vor Kritikern oder aus political correctness nicht mehr „Gesegnete Weihnachten“ auf seine 1,4 Millionen (!) Grußkarten schreibt, sondern „das Beste für eine Feiertagssaison voller Hoffnung und Glück“ schreibt, verlieren wir irgendwann den Inhalt der Sache in all dem Konsum- und Glitzerrummel.
Wir feiern die Geburt des Mannes, der am Kreuz starb, der, wie wir glauben auferstand, und der uns durch den Heiligen Geist Kraft und Beistand gibt in unserem Leben. An diesem Glauben haben unsere Väter und Mütter Halt gefunden, diesen Glauben geben wir weiter an die kommenden Generationen. Das können wir in aller Klarheit tun, weil die Botschaft des Festes ja nicht ausgrenzend, sondern einladend ist. Christinnen und Christen dürfen sich ihres Glaubens doch nicht schämen. Wie sagt Paulus: Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben.
Halten wir fest: Weihnachten als Fest der Lichter setzt Hoffnung in die Welt.
II. Denn uns ist ein Kind geboren.
Weihnachten ist und bleibt das große Fest der Familie. All diese Unkenrufe stimmen doch gar nicht. 91 Prozent aller Deutschen wollen das Fest im trauten Kreis verbringen, 84 Prozent werden Besuch bei Verwandten und Bekannten machen. Ich musste richtig lachen, wie viele neue Konstellationen es da gibt. Jeder und jede, die ich gefragt habe, schienen miteinander zu feiern. Da fährt die junge Frau mit dem Freund zur Mutter, ein Nachbar und eine Tante kommen dazu. Da hat der Bekannte die alleinerziehende Mutter, seine Schwester, den Kollegen und seine Kinder, die dieses Jahr bei ihm sind, eingeladen. Da tun sich fünf Freunde zusammen und laden 10 andere ein, die allein sind. Familie ist „in“, und das in traditioneller Form wie in neuen Realitäten. Das finde ich großartig.
Wir haben in diesem Jahr nun auch viele grausame Fälle von Kindesmisshandlung in Familien gesehen. Ich denke an die kleine Jessica aus Hamburg, das zweijährige Mädchen, von dem gestern berichtet wurde, das durch die Misshandlung der Mutter jetzt schwerbehindert ist. Ja, Kinder leiden auch in unserem Land. Aber das darf uns doch nicht entmutigen. Wir feiern die Geburt eines Kindes und auch heute freuen wir uns über Kinder in unserem Land. Woran mag es liegen, dass immer weniger geboren werden? Die Erklärungen sind vielfältig. Eine ist sicher der berufliche Druck, der Zwang zur Mobilität. Vorgestern habe ich einen jungen Mann, 35 Jahre, kennen gelernt. Er ist Fernsehredakteur. Jeweils eine Woche in Mainz, eine Woche in Düsseldorf, der Wohnsitz mit der Lebensgefährtin in München. An Weihnachten besuchen sie seine Eltern in Norddeutschland und ihre in Ostdeutschland. Lebensstau nennen das die Soziologen. Wo soll da Zeit und Platz sein für Kinder? In einer nur mobilen und spontanen Gesellschaft haben Kinder keinen Raum. Sie brauchen Verlässlichkeit, Stabilität.
Ein Land ohne Kinder aber verliert Kreativität und Zukunftshoffnung, Lebenslust und Spontaneität. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Familien stützen und fördern. Ja, das muss die Politik tun, das ist kein Gedöns! Ja, das kostet auch Geld, genauso wie die Bundeswehr und die Wirtschaftsförderung und der Umweltschutz. Und wenn sogar Väter gefördert werden, die sage und schreibe zwei Monate mit ihrem Neugeborenen verbringen, dann wird das die Männerwelt nicht aus den Angeln heben. Auch die Wirtschaft ist gefragt, Arbeitsplätze müssen elternfreundlich gestaltet werden können. Mütter müssen Möglichkeiten finden, Beruf und Familie zu verbinden.
Aber auch wir alle zusammen können etwas beitragen. Wie kann es sein, dass niemand hinschaut, wenn ein Kind offensichtlich geschlagen wird? Wenn in der Nachbarswohnung das Baby ständig schreit, kann nicht jemand hingehen und sagen: „Soll ich ihnen die Kleine mal zwei Stunden abnehmen?“ Ich erinnere mich sehr gut, wie entlastend das sein kann. Eine kinderfreundliche Gesellschaft hängt von uns allen ab. Da sind Ideen gefragt!
Vielleicht sollten wir auch mehr davon reden, was für ein Glück es ist, als Familie zu leben. Ja, ich weiß auch, dass es da Verletzungen gibt und Streit. Ich weiß, dass Ehen zerbrechen und der Schmerz tief geht, wenn ein Mensch, dem ich vertraut habe, mich betrügt. Aber es ist auch wunderbar, wenn ich einfach anrufen kann und meine Schwester kommt und steht mir bei. Es ist tief berührend, wenn der todkranke Mann mit Liebe versorgt wird und spüren darf: ich bin keine Belastung, sie machen das gern. Familien in unserem Land bringen eine unschätzbare Leistung für das Zusammenleben, das Gemeinwohl und auch für die Zukunftsfähigkeit. Aus Freude über Gottes Kind feiern wir Weihnachten. Lassen Sie uns das umsetzen in Engagement für Familien in unserem Land.
Halten wir fest: Weihnachten als Fest der Familie macht Mut zur Zukunft.
III. Des Friedens kein Ende
Wir leben in einer Welt voller Gewalt. Das weiß die Bibel, wenn etwa Jesaja von der Zukunft schreibt: Denn jeder Stiefel der mit Gedröhn daher geht und jeder Mantel durch Blut geschleift wird verbrand und vom Feuer verzehrt.
Die Hoffnung auf Gottes Zukunft ist eine Hoffnung auf Frieden. Das bleibt das große biblische Thema. „Friede sei mit euch“, mit diesen Worten grüßt Jesus die Seinen. Da geht es um den Frieden im Herzen. Aber auch um realen Frieden, das Schweigen der Waffen, das Ende von Hunger und Gewalt.
Weihnachten ist eben kein romantisches Winterwohlfühlfest. Maria und Josef waren in schwieriger Lage, fern der Heimat, es folgt die Flucht nach Ägypten. Wer will das erste Kind schon in einem Stall zur Welt bringen? Die Hirten auf dem Felde wären heute sicher so genannte „Billiglohnarbeiter“. Und die Weisen aus dem Morgenland – na, manchen wäre heute mulmig, wenn Fremde aus dem Orient vor der Tür stehen. Unsere Welt ist und bleibt heillos. Jesus wird auch der Heiland genannt, weil er eben ein Zeichen gesetzt hat, dass nichts bleiben muss, wie es ist. Ja, sicher, Frieden im umfassenden Sinne wird es erst in Gottes Zukunft geben. Aber schon heute kann von dieser Friedensvision etwas sichtbar werden. Weil wir einander in der Fürbitte bedenken. Weil die hungernden Menschen im Sudan uns nicht gleichgültig sind, sondern ein Mädchen ihren Vater bittet, einen Hilfsflug dorthin zu organisieren. Weil über Mitleid Gemeinschaft wächst. Mitleid ist doch nichts Negatives! Sym-pathein ist das griechische Wort dafür, Sympathie haben also. Und auch wenn es so entsetzlich viel Elend in der Welt gibt, gibt es eben doch auch dieses Miteinander. 3 Milliarden Euro haben die Deutschen in diesem Jahr gespendet. Das muss doch auch einmal als positives Zeichen gesehen werden. Die Welt ist gar nicht so kalt, wie immer gesagt wird. Viele sind von uns bereit zu teilen, sind dankbar, dass es ihnen gut geht und wollen anderen helfen, die in Hunger, Not und Angst leben.
Halten wir fest: Weihnachten als Fest des Friedens ist eine trotzige Zeitansage gegen Lieblosigkeit, Hass, Unrecht und Gewalt.
Liebe Gemeinde,
es bleibt eine gute Nachricht, dass Gerechtigkeit und Frieden schon heute beginnen und einst in Vollkommenheit sein werden. Gottes Licht scheint in unsere oft so finstere Welt. Wir zünden dieses Licht heute Abend millionenfach an aus Freude über dieses Kind, aus Dankbarkeit, dass Gott für uns da ist. Ja, Weihnachten dürfen wir aus tiefstem Herzen froh werden. Wir können uns aufmachen, das Christkind zu entdecken. Und damit Gottes Liebe für uns. Weihnachten sagt: Gott ist für dich da. Wenn das kein Grund zum Frohsein und zum feiern ist! Machen wir uns auf den Weg. Wie Maria und Josef, die Hirten und die Weisen. Lasst uns deshalb Gott loben mit allen Christinnen und Christen auf der Welt, die heute Abend die Geburt des Kindes feiern.
Und so sei der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft mit euch allen.
Amen.