Lukas 12, 16-20
Predigt in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus…
Liebe Schwestern und Brüder,
was in aller Welt hat der reiche Kornbauer eigentlich falsch gemacht, dass es ein so böses Ende mit ihm nimmt? Warum nur enden sein Leben und die Geschichte über ihn so abrupt und vor allem so tragisch? Schauen wir uns das Gleichnis vom reichen Kornbauern noch einmal genau an.
„Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.“ Schön für ihn. Wer wünscht sich nicht, dass seine Arbeit Früchte trägt? Wer strebt nicht an, dass getätigte Investitionen sich auszahlen? Also: Herzlichen Glückwunsch, reicher Mann! Du bist beneidenswert!
Aber was heißt hier eigentlich „beneidenswert“? Unsere Felder haben doch nicht minder gut getragen – trotz des heißen Sommers. Auch in diesem Jahr können wir den Erntedankaltar schmücken und es fehlt uns an nichts. Und in Deutschland wächst nicht nur das Getreide sondern die ganze Wirtschaft. Das sichert Arbeitsplätze. Die Steuermehreinnahmen versetzen den Staat in die Lage, seine Aufgaben zu erfüllen, eine „schwarze Null“ zu schreiben und auch noch die finanziellen Belastungen durch die vielen Flüchtlinge zu tragen und auch den Kirchen geht es dank hoher Kirchensteuereinnahmen gut. So reich sind wir in Deutschland und Europa gesegnet – mit materiellen Gütern, mit politischer Stabilität, mit einem soliden Wertefundament – dass die Menschen zu Hunderttausenden zu uns streben…
„Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.“ Der reiche Kornbauer erweist sich nicht nur als glücklicher sondern auch als realistischer und tatkräftiger Zeitgenosse. Glasklar erkennt er, dass er auf den plötzlichen Erntesegen nicht vorbereitet ist. Aber er lässt das nicht auf sich beruhen. Er weiß, dass er handeln muss: „Was soll ich tun?“
Wenn das nicht vorbildlich ist! Der reiche Mann wartet nicht ab, wie die Dinge sich vielleicht entwickeln. Er zaudert nicht und laviert nicht herum. Er weiß, dass er handeln muss – nicht irgendwann später einmal sondern jetzt. Viele könnten sich ein Beispiel an ihm nehmen: In der Kirche etwa. In den Kirchenvorständen und Synoden wissen die Verantwortlichen doch genau, wie die Lage ist, vor allem aber dass sie nicht so bleibt, wie sie ist. In den vergangenen Jahren haben die Kirchen viele Mitglieder verloren. Zu viele, als dass sich nichts verändern müsste. Man muss etwas tun, damit die Kirche auch in zehn und in zwanzig Jahren ihren Auftrag erfüllen kann. Auch dem Staat könnte der Kornbauer ein Vorbild sein. Allein durch die Bevölkerungsentwicklung stehen Deutschland dramatische Veränderungen bevor. Und jetzt kommen auch noch die vielen Flüchtlinge, die integriert werden müssen. Da hilft kein Abwarten. Die Frage heißt auch hier nicht: „Was soll nur werden?“ sondern: „Was soll ich tun?“
„Und er sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte.“ Der reiche Kornbauer ist nicht nur ein glücklicher, auch nicht nur ein realistischer und tatkräftiger, sondern zu alledem ein mutiger und vernünftiger Mensch. Mutig ist er, weil er sich von dem, was ihm lange Sicherheit bedeutete, trennt: Er reißt die alten Scheunen ab. Nur indem er Altes hinter sich lässt und zu neuen Ufern aufbricht, kann er den aktuellen Herausforderungen begegnen. Vermeintliche Lebensweisheiten wie „Wo kämen wir denn da hin?“ oder „Das haben wir ja noch nie gemacht!“ kommen dem Kornbauern nicht über die Lippen. Was er nun tun will, ist absolut vernünftig: Nur durch den Bau größerer Scheunen wird er verhindern, dass die reiche Ernte verdirbt. Auch mit seinem Mut und mit seiner Vernunft ist der reiche Mann beispielgebend für Staat, Gesellschaft und Kirche in dieser unruhigen Zeit: Angesichts großer Herausforderungen muss allenthalben groß gedacht, und mutig und vorausschauend geplant werden.
Zu guter Letzt erweist sich der reiche Kornbauer auch noch als lebensfroh: „ … und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss und trink und habe guten Mut!“ Was für eine wunder-bare Einstellung begegnet uns in diesem Menschen. Was für eine Lebensfreude strahlt der Mann aus. Wir Christen und erst recht wir Protestanten mit unserem Pflichtbewusstsein können uns daran ein Beispiel nehmen. Wir müssen dabei übrigens nicht befürchten, dass Gott eine solche Haltung missbilligen könnte. Im Buch des Predigers Salomo heißt es: „Darum pries ich die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.“ (Pred. 8,15) Und von Jesus wissen wir, dass er diesen Rat beherzigte. So sehr, dass manche Leute ihn einen „Fresser und Weinsäufer“ nannten…
An dieser Stelle halten wir kurz inne und stellen fest: Der reiche Kornbauer weiß, wie das Leben geht. Alles fängt mit einem Glücksfall an. Aber dann handelt der Mann – realistisch und tatkräftig, mutig und vernünftig – und wirkt dabei nicht verbissen sondern lebensfroh. Man denkt, dass es von dieser Sorte viel mehr Menschen geben müsste…
Doch nun nimmt die Geschichte unvermittelt eine dramatische Wendung: „Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ Mit diesem vernichtenden Urteil Gottes endet die Geschichte: „Du Narr! Du Idiot!“ Und auf die Frage „Wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ kann der zuvor so lebenskluge Kornbauer nur kleinlaut antworten: „Ich weiß es nicht.“
Der Kornbauer hat keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, worin sein Fehler, offenbar der Fehler seines Lebens, bestand. Nur wenige Stunden später wird er aus dem Leben abberufen. Aber wir, wir haben noch Zeit. Mindestens hier und jetzt im Gottesdienst. Deshalb fragen wir: Was hat der realistische, tatkräftige, mutige, vernünftige und lebensfrohe Kornbauer falsch gemacht, dass er so ein abruptes und vor allem so ein tragisches Ende findet?
Diese Frage hat offenbar schon den Evangelisten Lukas umgetrieben. Die meisten Bibelausleger vermuten, dass Lukas die Jesusgeschichten, die er vom Hörensagen kannte, nicht nur aufschrieb, sondern sie auch kommentierte und deutete. Die Geschichte vom reichen Kornbauern muss ihn derart herausgefordert haben, dass er gleich zwei Erklärungen für das tragische Ende des Kornbauern versuchte.
Die eine Erklärung stellt er der Geschichte voran: „Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Ehrlich gesagt überzeugt mich das nicht. Die Warnung vor Habgier ist zwar richtig und muss uns Menschen auch immer wieder eingeschärft werden. Gerade sehen wir den VW-Konzern in der wohl größten Krise der Firmengeschichte, weil er in den USA in großem Stil betrogen hat. Aus Habgier und ohne Rücksicht auf die Umwelt und die gutgläubigen Kunden. Aber ist der reiche Kornbauer habgierig? Ich meine: Nein. Dass seine Felder gut getragen haben, ist nicht Folge seiner Habgier. Und dass er die Früchte erhalten möchte, ist nicht verwerflich.
Überzeugender ist da schon die andere Deutung durch den Evangelisten Lukas. Er hat sie unmittelbar an das brutale Ende der Geschichte angehängt: „So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.“
Der Kardinalfehler des Kornbauern ist also, so Lukas, dass er nicht reich bei Gott ist. Tatsächlich kommt Gott in dem Selbstgespräch des Mannes nicht vor. Übrigens auch keine anderen Menschen: „Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. (…) Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln meine Vorräte und will sagen zu meiner Seele…“ Wie hätte der Mann wohl geredet, wenn er nicht nur reich an Gütern sondern auch reich bei Gott gewesen wäre? Vielleicht hätte er seine Rede mit einem Dank, einem Erntedank, begonnen so wie wir es vorhin mit Worten aus Psalm 104 getan haben: „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt (…) Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt…“ (aus Psalm 104). In dieser Rede gibt es kein Ich, sondern ein mehrfaches Du, denn es ist Gott, aus dessen Händen wir alles empfangen und wir haben nichts, was uns nicht von ihm gegeben wäre…
Übrigens richtet sich in dem Erntedankgebet der Blick nicht allein auf Gott. Wie von selbst kommen auch die anderen Menschen und überhaupt die Mitgeschöpfe in den Blick: „Es warten alle auf dich…“ Mit anderen Worten: Wer reich ist bei Gott, nimmt auch wahr, was die anderen Menschen brauchen. Und so gehören der Blick auf den festlich geschmückten Erntedankaltar und der Blick auf die Menschen, die in unserem reichen Land und auf unserem reichen Kontinent Zuflucht suchen aufs engste zusammen. Dann aber sind der Realitätssinn und die Tatkraft, der Mut und die Vernunft des reichen Kornbauern gefragt. Der Realitätssinn, der zur Kenntnis nimmt, dass die massenhafte Flucht von Menschen noch längst nicht zu Ende ist. Die Tatkraft, derer, die Flüchtlinge zu Behörden begleiten, Spielzeug für die Kinder beschaffen und Deutschkurse organisieren. Der Mut, der sich auf die ungewisse Zukunft einer sich stark verändernden Gesellschaft einlässt. Und die Vernunft, die mit Augenmaß abschätzt, welche gesetzlichen Regelungen jetzt nötig sind, damit die Menschen bei uns menschenwürdig leben können. Dabei stellt sich übrigens nicht selten Lebensfreude ein – bei den Schutzsuchenden wie bei denen, die sich für sie stark machen.
Der reiche Kornbauer musste sterben. Das müssen wir auch. Vielleicht sogar so plötzlich wie er. Aber wir müssen keine Narren sein wie er einer war. Deshalb singen wir jetzt und bitten Gott, dass er in unsere stolze Welt komme, unser Fühlen und Denken erfülle und unser Handeln leite.
Und der Friede Gottes…