Fastenpredigt im Berliner Dom über Markus 12, 13-17
"So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" - Das Verhältnis von Staat und Kirche
Liebe Schwestern und Brüder,
„Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht? Sollen wir sie zahlen oder nicht zahlen?“ Für Jesus ist dies eine überaus gefährliche Frage. Antwortet er: „Ja, natürlich muss man dem Kaiser Steuern zahlen.“, so macht er sich wichtige Leute aus dem jüdischen Volk zu Feinden. Diejenigen, die die römische Besatzungsmacht hassen, werden in ihm einen Verräter sehen und ihn unschädlich zu machen versuchen. Erklärt Jesus das Gegenteil, also: „Ein frommer Jude muss dem römischen Kaiser jegliche Abgabe verweigern“, so ist ihm die Verfolgung durch die Römer gewiss. Die werden sich solche aufrührerischen Sprüche kaum bieten lassen.
„Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht? Sollen wir sie zahlen oder nicht zahlen?“ Jesus erkennt die unlautere Absicht der Fragenden und die Gefahr, die in ihrer Frage liegt. Dennoch verweigert er die Antwort nicht, sondern erwidert: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Wer Freude an spannenden Wortwechseln hat, muss von dieser Antwort begeistert sein. Jesus lässt sich nicht in die Enge treiben, sondern dreht den Spieß um, und lässt die Frager dumm aussehen. Sie müssen nun die Entscheidung, die sie ihm zuschieben wollten, selbst treffen.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Jesus zieht sich also geschickt aus der Affäre. Das dürfte aber kaum der einzige Grund dafür sein, dass dieser Satz zu einem der bekanntesten Worte Jesu wurde. Die kurze Antwort lässt vielmehr erkennen, dass es um Grundsätzliches geht. Um die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von göttlicher und menschlicher Macht, von Religion und Politik.
Manchmal deute ich in meinen Predigten an, dass das Evangelium von Jesus Christus politische Konsequenzen hat und welche das sein könnten. Mitunter sprechen mich hinterher Menschen an, die das für falsch halten. Nicht selten zitieren sie das Jesuswort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Und ergänzen: „Jesus sagt hier, dass Gott und Kaiser, also Religion und Politik strikt zu trennen sind. In der Kirche soll nicht politisiert sondern gesungen und gebetet werden. In der Politik indessen hat der Glaube nichts zu suchen. Dort gibt es eigene Gesetze, manchmal auch Sachzwänge.“ Diese Auslegung des Jesuswortes halte ich für falsch.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Zunächst einmal ist zu beachten, dass der Kaiser und Gott einander nicht gleichberechtigt, also sozusagen auf Augenhöhe, gegenüber stehen. Gott hat alle Menschen erschaffen, also auch den Kaiser und alle übrigen irdischen Machthaber. Gott ist deshalb der Herr aller Menschen, also auch des Kaisers und aller sonstigen Staatenlenker. Folglich müssen sich der Kaiser und alle, die sonst politische Verantwortung tragen, vor Gott verantworten. Zwischen Gott und dem Kaiser gibt es keine Augenhöhe, sondern eine klare Hierarchie. Zuerst kommt Gott, auch wenn Jesus den Kaiser zuerst nennt. Wenn wir also wissen wollen, was wir denen, die uns regieren, zu geben haben, müssen wir zuerst und vor allem auf Gott schauen.
Von Gott heißt es an vielen Stellen der Bibel und in zahlreichen Liedern, dass ihm allein die Ehre zu geben ist. Er allein hat Anspruch darauf, von den Menschen angebetet zu werden. Kein Kaiser und keine Königin, kein Staatspräsident und keine Kanzlerin ist Gott gleich. Alle Repräsentanten des Staates, auch die ranghöchsten, sind und bleiben Menschen, Geschöpfe, die vor ihrem Schöpfer Rechenschaft abzulegen haben.
Was aber müssen wir im Angesicht des großen, über alles erhabenen Gottes dem Kaiser geben? Was sind wir denen schuldig, die uns regieren? Die Antwort heißt: Nicht Ehre und Anbetung, wohl aber dass wir für sie beten und Gott für ihren Dienst danken. Dazu ermahnt der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an Timotheus. Er schreibt: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“ Die weit verbreitete Verachtung für „die da oben“, die angeblich doch machen, was sie wollen, ist ungerecht. Menschen in politischer Verantwortung wenden zumeist erhebliche Lebenszeit und Lebenskraft auf, um die Lebensbedingungen anderer zu verbessern. Dabei riskieren sie, falsche Entscheidungen zu treffen und sich schuldig zu machen. Deshalb brauchen und verdienen Politikerinnen und Politiker es, dass wir für sie beten und Gott für ihren Dienst danken.
Von Gott erzählt die Bibel sodann, dass er ein Freund der Schwachen ist. Er verbündet sich nicht mit den großen und mächtigen Völkern der damaligen Zeit, sondern mit dem kleinen und wenig bedeutenden Volk Israel. Auch die einzelnen Menschen, die Gott in seinen Dienst stellt, sind oft schwache Gestalten. Mose zum Beispiel ist jähzornig und ein wenig überzeugender Redner. Ihm vertraut Gott eine große Führungsaufgabe an. David ist der kleinste und unscheinbarste in der Reihe seiner Brüder. Ihn lässt Gott zum König über Israel salben. Jeremia ist ein junger Spund ohne jede Lebenserfahrung. Ihn beruft Gott zum Propheten, der Israel das Gericht und Jerusalem die Zerstörung ansagt. Petrus ist ein willensschwacher Zeitgenosse, der stets den Mund zu voll nimmt. Auf ihn baut Jesus die Kirche. Und Paulus ist ein kränklicher Mann, der von ständigen Schmerzen geplagt wird. Ihn schickt Gott in die weite Welt, um das Evangelium zu verkündigen und Gemeinden zu gründen. Gott ist ein Freund der Schwachen. In der Bibel heißt es deshalb sogar, dass er uns in den schwachen Menschen selbst begegnet: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern und einer unter diesen meinen geringsten Schwestern, das habt ihr mir getan.“
Was müssen wir im Angesicht Gottes, des Freundes der Schwachen, dem Kaiser geben? Was sind wir denen schuldig, die uns regieren? Wir schulden den Regierenden, dass wir für sie beten und Gott für ihren Dienst danken und - dass wir sie beharrlich erinnern. Erinnern daran, dass die Schwachen der besonderen Aufmerksamkeit der Politik bedürfen. Die Kinder zum Beispiel, die in prekären Verhältnissen groß werden. Die Jugendlichen, die nicht erkennen können, dass sie gebraucht werden. Die Flüchtlinge, die entwurzelt und auf Hilfe angewiesen sind. Die Sterbenden, die aufmerksam und sensibel begleitet werden müssen. Neben dem beharrlichen Erinnern schulden wir den Regierenden unser Mittun. „Einer trage des andern Last!“ schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinden in Galatien. Der Staat muss und soll sich nicht allein um die Schwachen kümmern. Deshalb engagieren sich die Kirchen als Träger von Kindertagesstätten und Schulen, als Akteure in der Betreuung von Flüchtlingen, als Betreiber von Krankenhäusern und Hospizen…
Schließlich ist Gott nach biblischem Zeugnis ein Liebhaber von Recht und Gerechtigkeit. In den fünf Büchern Mose zum Beispiel finden sich viele Vorschriften, die Menschen zu ihrem Recht verhelfen sollen. Der Prophet Jesaja ruft im Auftrag Gottes dem Volk Israel zu: „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast. (…) “ Und von dem König, der Israel am Ende der Zeit regieren soll, heißt es bei Jeremia: „Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande…“
Was müssen wir im Angesicht Gottes, des Liebhabers von Recht und Gerechtigkeit, dem Kaiser geben? Was sind wir denen schuldig, die uns regieren? Da wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben, sind wir den Regierenden neben Fürbitte, Dank und der beharrlichen Erinnerung an die Schwachen Unterstützung schuldig. Zum Beispiel dadurch, dass wir uns an den Wahlen beteiligen. Am 25. Mai werden wir dazu wieder Gelegenheit haben. Dann ist Europawahl, und für die Abgeordneten ist es wichtig, dass sie möglichst viele Bürgerinnen und Bürger hinter sich wissen. Außerdem entscheidet jede einzelne Stimmer mit darüber, ob auch künftig demokratische Parteien den Kurs Europas bestimmen und für Recht und Gerechtigkeit. eintreten. Wir unterstützen die Regierenden auch dadurch, dass wir Steuern zahlen. Sie brauchen unser Geld dringend, um für Recht und Frieden für alle zu sorgen. Wenn ich daran erinnere, zeige ich nicht in erster Linie auf jene Großverdiener, die ihr Vermögen am deutschen Fiskus vorbei in Steueroasen anlegen. Die müssen ausfindig gemacht und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt werden. Wünschenswert ist, dass alle Steuerzahler ihre Steuern bereitwillig und in vollem Umfang zahlen.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist,“ antwortet Jesus den Männern, die ihn mit ihrer Frage in eine Falle locken wollen. Von denen heißt es am Ende: „Und sie wunderten sich über ihn.“ Dabei wird es nicht bleiben. Wenig später werden sie ihn an die Römer ausliefern. Sie werden zusehen, wie Jesus gedemütigt und gequält und schließlich ans Kreuz genagelt wird. Dann wird Jesus sich nicht aus der Affäre ziehen. Er wird das alles aushalten und den Tod eines Verbrechers sterben. An ihm soll die Welt erkennen, dass Gott nicht nur der Herr der Welt, nicht nur der Freund der Schwachen und nicht nur der Liebhaber von Recht und Gerechtigkeit ist. Am Kreuz Jesu Christi soll die Welt Gottes abgrundtiefe Liebe sehen. Seine Liebe, die selbst tiefste und verstörendste Abgründe und Irrtümer nicht scheut. Auf diese Liebe Gottes wollen wir vertrauen, wenn wir dem Kaiser geben, was des Kaisers ist. Und Gott wollen wir geben, was Gottes ist, indem wir singen: „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, / dem Vater aller Güte, / dem Gott, der alle Wunder tut, / dem Gott, der mein Gemüte / mit seinem reichen Trost erfüllt, / dem Gott, der allen Jammer stillt. / Gebt unserm Gott die Ehre!“
Und der Friede Gottes…