Begrüßungsrede des Bevollmächtigten beim Gemeinsamen Jahresempfang in Brüssel
Prälat Dr. Bernhard Felmberg
Eminenzen, Exzellenzen,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Gäste,
Schwestern und Brüder,
ich danke Frau Oberkirchenrätin Hatzinger für die freundliche Vorstellung und Ihnen allen für Ihr Kommen.
Berlin – Brüssel. Die Namen der beiden Standorte meiner Dienststelle bezeichnen mehr als „nur“ sehr unterschiedliche Städte. Sie stehen auch für sehr unterschiedliche Formen politischer Arbeit und Kultur:
Dort die Organe des Bundes, die zahlreichen gewachsenen Kontakte zwischen Kirche und Politik, die große Selbstverständlichkeit des Umgangs miteinander, die oft gute gegenseitige Kenntnis nicht nur der Strukturen, sondern auch der Arbeitsweisen und internen Abläufe. Im Hintergrund seit fast 100 Jahren die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung, die deutsche Religionsgeschichte seit der Reformation widerspiegeln und bei aller Weiterentwicklung mit der Gesellschaft durch die Weimarer, Bonner und Berliner Republik eine große Beständigkeit für die Kirchen im Verhältnis zum demokratischen Staat gewährleistet haben.
Hier aber die Europäische Union, über deren Rechtsnatur die Gelehrten streiten, weil wir sie definieren, während sie schon ist, aber auch immer noch im Werden inbegriffen.
Europas Satzzeichen ist einmal das Ausrufezeichen, oft das Fragezeichen, selten der Punkt. Wenn wir uns jetzt dazu gratulieren können, dass zum nächsten Ersten endlich – und das ist einmal ein Ausrufezeichen wert – der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, blicken wir bei allen Hindernissen, die es zu überwinden galt, auf eine doch rapide Entwicklung der Europäischen Union zurück:
In kaum mehr als zwei Jahrzehnten gab es bereits vier vorangehende Reformen mit jeweils weitreichenden Änderungen des Europäischen Vertrages. Wir haben in diesem Jahr 20 Jahre Mauerfall in Berlin gefeiert und damit die Überwindung der Teilung unseres Kontinents. Die EU hat sich seitdem bis tief hinein in den ehemaligen Ostblock ausgedehnt. Europa hat viel geschafft! Und Europa bleibt, auch wenn jetzt eine Phase der Konsolidierung folgt, ein Prozess.
Das wirkt sich auch auf die politische Arbeit aus.
Hier gibt es kaum Selbstverständlichkeiten im Zusammenspiel von Kirchen und politischen Akteuren, wie sie mir aus Berlin vertraut sind. Das große Gemeinsame europäischer Kultur ist oft schwer erkennbar hinter so vielen Unterschieden im Detail. Das gilt gerade auch für das Verhältnis zu den Kirchen. Laizismus, Staatsreligion, Staatskirche, kooperative Systeme, konkordatäre Systeme... das sind nur Stichworte um eine große Vielfalt zu beschreiben, die doch tief geprägt ist von einem gemeinsamen jüdisch-christlichen Erbe.
Und damit bin ich schon mittendrin im Thema unseres heutigen Abends:
„Wege für Kirche und Gesellschaft in einer säkularisierten Zeit“.
Gelegentlich sprechen wir als Vertreter der Kirche mit einem leicht wehmütigen Ton von der Säkularisierung. Und tatsächlich merken wir, dass im zusammenwachsenden Europa, in seinen sich immer pluraler ausgestaltenden Gesellschaften, viele Selbstverständlichkeiten des „christlichen Abendlandes“ entfallen.
Bei unseren Gesprächen in Brüssel mit Beamten oder Abgeordneten aus sehr unterschiedlich geprägten 27 Staaten können wir viel weniger Wissen über Religiöses und Kirchliches voraussetzen, als das in Berlin der Fall ist – und das heißt schon etwas!
Und dennoch: Wehmut ist hier ganz fehl am Platze. Die Säkularisierung ist selbstverständlich nichts überwiegend Negatives. Durch sie wurde auch manch’ wichtige Freiheit erworben. Die Säkularisierung ist vielmehr für uns als Kirche eine Herausforderung, die es anzunehmen gilt. Uns erklären zu müssen, hilft uns auch selbst, unsere Ziele und Anliegen allgemeinverständlich und klar zu artikulieren. Das schadet dem Evangelium nicht, sondern dient ihm. Wir wollen ja möglichst viele Menschen erreichen. Eine Selbstüberprüfung ist hier immer wieder angezeigt. Das darf heute am Buß- und Bettag, dem protestantischen Feiertag auch hier in Brüssel, gesagt werden.
Und wir merken immer wieder: Wenn wir um des Evangeliums willen den Menschen und unsere Gesellschaft im Blick haben, werden wir auch wahrgenommen. Unsere Beiträge sind qualitativ hochwertig. Dafür werden sie geschätzt. Das wirkt auch in Behörden, die Europa organisieren!
Wenn nun der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, werden die Kirchen zum ersten Mal im Primärrecht der Europäischen Union erwähnt. Zum einen wird darin bekräftigt, dass das Staatskirchenrecht Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist. Die gewachsenen Traditionen, die Staatskirchen und der Laizismus gleichermaßen, haben ihren Raum in der Vielfalt Europas. Von dieser Grundlage aus geht die EU mit dem „Kirchenartikel“ 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zudem eine Verpflichtung ein, mit den religiösen Akteuren in einen offenen, regelmäßigen und transparenten Dialog über die Gestaltung Europas einzutreten. Sie tut das explizit in Anerkennung des besonderen Charakters und Beitrags dieser Gemeinschaften.
Wir sind sehr froh, dass der Dialog, den wir als Evangelische Kirche in Deutschland auch schon seit zwei Jahrzehnten aktiv führen, damit rechtliche Anerkennung und Absicherung erfahren hat.
Die EU, ja Europa braucht diesen Dialog: Er ist Voraussetzung dafür, dass die Säkularisierung nicht in aggressiven Laizismus verfällt und in einer unbegründeten Antikirchlichkeit endet.
Ohne die jüdisch-christlichen Wurzeln europäischer Kultur und auch Persönlichkeitsbildung hätte es die EU nie gegeben. Ohne die Versöhnungsbotschaft des Christentums, die die Gründungsväter antrieb, die Wunden zweier Weltkriege zu heilen, wäre Europa heute noch zersplittert. Diese tiefen Wurzeln kann Europa nur zu seinem schweren Schaden kappen.
Das Engagement für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung zieht seine Kraft immer wieder aus dem Glauben an Gott. Menschen in allen Staaten dieses Kontinents verkünden im christlichen Sinne Versöhnung. Diese führt immer zur Tat und bleibt nicht bei sich.
Aus diesem Grund braucht die Europäische Union den Glauben dieser Menschen und ihr daraus erwachsendes Engagement.
Der Dialog mit den Kirchen freilich ist nicht nur bequem, weil das Christliche schon einmal quer steht zur Funktionalität des Alltags. In einer Union, die im Werden ist und nach vorn blickt, sind Kirchen auch Faktoren der Bewahrung, aber eben auch Träger der Zuversicht und der Hoffnung in das Leben.
Es braucht unser aller Anstrengung, das Bewusstsein für diese Geschichte und ihre Bedeutung wach zu halten, denn ohne dieses Bewusstsein verspielen wir auch unsere eigene Zukunft. Die Zukunft, dass Menschen weiterhin „Ja“ zu Europa sagen.
Was passiert, wenn dieses Bewusstsein schwindet, haben wir gerade vor kurzem in Straßburg erlebt. Das „Kruzifixurteil“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein Beispiel für ein Verständnis von Säkularisierung, das von einer freiheitlichen Ordnung der Toleranz für den Glauben in eine laizistische Ordnung der Intoleranz gegen alle Religion umschlägt. „Allein, ihren Symbolen täglich zu begegnen, könne“ – so die Richter – „verstörend auf Kinder wirken“. Ein solches Urteil schadet dem europäischen Gedanken, weil dieser in Anerkennung der unterschiedlichen Kulturen und Religionen, das Gemeinsame betont, ohne das Eigene zu verbieten. Wer die in die Öffentlichkeit wirkende „kreuzlose“ Gesellschaft fordert schadet denen, die um Religionsfreiheit in wirklicher Unterdrückung kämpfen.
Straßburg wird dieses Urteil hoffentlich korrigieren. Aber dass es überhaupt so gefällt wurde, zeigt, worin unsere Aufgabe besteht: Das Verständnis wach zu halten für die Bedeutung der Religion für eine friedliche, tolerante und gerechte Gesellschaft. Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit mag es auch ohne den religiösen Beitrag geben. Aber in Europa sind diese Werte vor allem durch die christliche Religion geprägt, und sie erfahren ihre lebendige Bewahrung täglich in ihr.
Frieden ist für uns mehr als die Abwesenheit von Krieg,
Toleranz wird durch die Liebe wärmer und
Gerechtigkeit ist im Lichte der unveräußerlichen Würde jedes Menschen unabhängig von seiner Leistung im Leben bestimmt.
Das und vieles mehr ist unser spezifischer Beitrag zum Gelingen der europäischen Integration.
Das kommende Jahr ist das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Zusammen mit unserer Diakonie und der Caritas werden wir Kirchen uns in die Aktivitäten und Diskussionen dieses Jahres einbringen. 2010 ist auch das Jahr, in dem eine post-Lissabon Strategie für Wachstum und Beschäftigung vereinbart wird. Wir werden sehr genau darauf achten, ob es eine wirkliche Kohärenz der sozialpolitischen Absichten und der wirtschaftspolitischen Weichenstellungen gibt.
Das gilt auch für die Bildung. Bologna ist in Deutschland in aller Munde. Und Viele sind heute mehr denn je der Auffassung, dass im Bachelor und Mastersystem keine positive Weiterentwicklung des Humboldtschen Bildungsideals zu sehen ist. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat ihre Skepsis diesbezüglich gegenüber der Kultus-ministerkonferenz immer wieder zum Ausdruck gebracht.
Aus unserer Sicht ist Bildung mehr als bloßes Verfügungswissen, sondern umfasst zugleich die Frage nach den Zielen von Lernen und Erlerntem, ist also Orientierungswissen. Dieses ermöglicht erst verantwortungsbewusstes Handeln. Ausgehend von solchem integrativen Bildungsverständnis müssen Werte und Fähigkeiten gefördert werden, die nicht wirtschaftlich verrechenbar sind.
Jedes neue Können vermehrt das Selbstvertrauen; Kompetenzzuwachs ist ein Teil des Wachstums der Persönlichkeit. Es entspricht der Würde des Menschen, sich selbstbestimmt zu entfalten und von seinen Gaben Gebrauch zu machen, Fertigkeiten und soziale Fähigkeiten zu erwerben sowie einen unternehmerischen Geist zu entwickeln.
Mit einer ethischen Bestimmung und dem Akzent auf der Bildung der Person geht unser Bildungsbegriff über ein Verständnis hinaus, das lediglich die Anstellungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt im Blick hat. Martin Luther schuf deshalb den Begriff vom Beruf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aufgaben für uns Christen werden in einer säkularisierten Zeit nicht weniger, sondern eher mehr.
Und mit diesem Vor-Wort möchte ich nun überleiten zu einem ausführlicheren Zwischenruf aus ostdeutscher Perspektive. Herr Bischof, wir sehen Ihren Ausführungen mit Spannung entgegen. Sie haben das Wort!