Ökumenischer Gottesdienst anlässlich des 80. Geburtstags von Frau Dr. Ruth Pfau
Prälat Dr. Bernhard Felmberg
Liebe Gemeinde!
Visa einzuholen für Pfarrer, die im Ausland Dienst tun wollen – das ist eine der Aufgaben, die meine Dienststelle erledigt. Was meine Mitarbeiter da manchmal erleben ist schon toll. Oft müssen sie mehrfach antreten. Sich in Schlangen einreihen. Sich an mürrischen Wachleuten vorbeimogeln. Zuweilen wird ein Visum verweigert. Das ist dann ärgerlich. Diejenigen, die ausreisen wollen, hängen in der Luft.
Die Verweigerung eines Visums durchkreuzt Pläne. Beendet Reisen vorzeitig. Doch manchmal bewirkt so eine Visumsverweigerung Gutes. Ruth PFAU, die in diesem Jahr ihren 80sten Geburtstag feiert, hat das erlebt. Als junge Frau, vor beinahe 50 Jahren, wollte sie nach Indien. Um als Frauenärztin zu arbeiten. Die Einreise wurde verweigert. Ruth Pfau hing in Pakistan fest. Dort traf sie auf Leprakranke. Sie half. Und sie blieb. An einem Ort, wo sie gar nicht hin wollte. Ruth Pfaus Kampf gegen die Lepra war unermüdlich und erfolgreich. Im Laufe von 46 Jahren gelang es ihr und ihrem Team, die Lepra in Pakistan unter Kontrolle zu bringen.
Eine horrible Krankheit ist Lepra. Sie entstellt Menschen. Ihren Körper. Ihr Gesicht. Lepra führt sie in soziale Isolation. Von alters her ist die Diagnose Lepra gleichbedeutend mit dem Ende aller bisherigen Kontakte. Der Leprakranke wird ausgestoßen. Mehr noch als andere Krankheiten ist Lepra ein doppelter Schlag. Körper und Seele werden verwundet. Man weiß nicht, was schlimmer ist: die physischen oder die sozialen Folgen der Lepra.
In der Antike war die Lepra in Europa und im Mittelmeerraum weit verbreitet. Auch Jesus hatte Umgang mit Leprakranken. Sie heißen in der Bibel Aussätzige. In Siedlungen weit außerhalb der Dörfer mussten sie leben. Mit Leprarätschen mussten sie auf sich aufmerksam machen, wenn sie irgendwo liefen. Damit sich die anderen in Sicherheit bringen konnten. Einmal kommen zehn Aussätzige zu Jesus (Lk 17,11-19). Sie treten nicht vor ihn. Sie müssen ja Abstand halten. Sie rufen ihm von ferne zu: „Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Jesus ruft zurück: „Geht zum Priester und zeigt euch!“ Als die Kranken beim Priester vorstellig wurden, waren sie geheilt. Jesus hatte sich ihrer erbarmt.
„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ So sagt Jesus in der Bergpredigt (Mt 5,4). Eine irritierende Aussage. Wer leidet ist nicht selig. Der ist elend. Wir tun alles, um Leiden zu verhindern. Medizinische Forschung läuft auf Hochtouren. Alles, was irgendwie geht, wird versucht, um Leiden zu beenden oder mindestens einzudämmen. Die Vorstellung, an einem Leiden zu erkranken, gegen das man nichts machen kann, schreckt uns. Selig sind die Leidenden durchaus nicht. Doch Jesus behauptet auch nicht das! Er sagt nicht, dass Leiden an sich etwas Gutes und Schönes sei. Selig ist der Leidende vielmehr, weil er getröstet werden wird. Weil er, Jesus, sich ihrer erbarmen wird. Leid und Trost, im Leiden getröstet werden, getrostes Leid – das ist Seligkeit.
Auf zwei Weisen tröstet und erbarmt sich Jesus derjenigen, die Leid tragen. Einmal dadurch, dass er ihnen Hilfe schickt. Ganz konkret: Indem er Menschen wie Ruth Pfau auf den Weg schickt. An einen ganz bestimmten Ort dieser Welt. Damit sie mit dem, was ihnen an medizinischen und pharmazeutischen Mitteln zur Verfügung steht, anderen helfen. „Engel von Karatchi“ wird Ruth Pfau manchmal genannt. Das Wort „Engel“ ist hier ganz wörtlich zu verstehen. Das griechische Wort „angellein“, von dem sich unser deutsches Wort „Engel“ ableitet, heißt übersetzt „schicken“. Ein Engel ist also einer, der geschickt wird, um etwas zu sagen oder zu tun. Christus schickt Engel. Sie tun, was er ihnen aufträgt. Durch seine Engel, die wie Ruth Pfau medizinische Hilfe bringen, heilt Christus noch heute Aussätzige. Wie damals zur Zeit des Neuen Testaments. Das ist der erste Trost, das ist das erste Erbarmen, das Christus denen zuteil werden lässt, die Leid tragen: Er schickt ihnen helfende Engel.
Der zweite Trost für die Leidtragenden besteht darin, dass Christus mit ihnen solidarisch ist. Im Leiden. Sie alle kennen den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald im Musee d´Unterlinden im elsässischen Colmar. Erinnern Sie sich an den Christus am Kreuz. Wie er da hängt, vom Schmerz verkrampft, mit grün-gelblicher Haut. Der Körper ist übersät von eitrigen Schwären. Man könnte meinen, der gekreuzigte Christus leide am Aussatz. Die Botschaft der drastischen Darstellung ist klar: Christus ist einer, der unsere Krankheiten trägt. Er ist uns in der Krankheit, im Leiden, ganz nah. Wird zu einem von uns. Matthias Grünewalds Altar hing ursprünglich im Antoniterkloster in Isenheim. Der Antoniterorden ist eine Gemeinschaft von Bettelmönchen, die sich der Pflege von Schwerstkranken verschrieben hatten. Sie therapierten an Antoniusfeuer , Pest oder Lepra Erkrankte. Der Altar in ihrer Kapelle diente den Kranken zum Trost. Indem er ihnen zeigte, dass Christus mit ihnen krank ist. Dass Christus sich ihrer erbarmt, indem er zu einem der ihren wird. Die Gesellschaft hatte die Kranken ausgestoßen. Sie zu Aussätzigen gemacht. Von Christus aber werden die Kranken nicht verstoßen. Er ist bei ihnen, wie auch immer es um sie steht. Selbst im Tod weicht er nicht. Die Solidarität Christi mit den Leidenden und Sterbenden – eine Solidarität, auf die uns der Isenheimer Altar aufmerksam macht, die aber auch durch einen Engel Christi uns erfahrbar werden kann – diese Solidarität ist das zweite Erbarmen, mit dem Christus die Leidtragenden trösten wird.
„Selig sind die Leidtragenden, denn sie sollen getröstet werden.“ Selig sind sie, weil sie von Christus und seinen Engeln getröstet werden. Dass alle diejenigen, die Leid tragen, diesen Trost, dieses Erbarmen Christi erfahren mögen und auf diese Weise selig werden – dafür beten wir und darauf hoffen wir.
Amen