Biblisch-Theologisches zum Thema "Christsein und politische Verantwortung"
Prälat Dr. Bernhard Felmberg
Biblisch-Theologisches zum Thema
„Christsein und politische Verantwortung“
Die frühe Kirche wurde vom Staat verfolgt. Eigentlich war das römische Reich ein religiös indifferenter Staatskörper. Römisches Denken und auch die heidnisch-römische Religion waren zutiefst pragmatische Angelegenheiten. Man hatte einen Kriegsgott, den man um militärischen Erfolg bat. Man hatte eine Göttin der Fruchtbarkeit, die für gute Ernten angerufen wurde. Wurden Bitten nicht erfüllt, beklagte man sich bei der zuständigen Gottheit. Erwies sich eine Gottheit über einen gewissen Zeitraum hinweg als machtlos, verabschiedete man sie gewissermaßen in den Ruhestand. So weit, so pragmatisch. Pragmatischen, näherhin staatstheoretischen Grundsätzen entsprach auch der römische Kaiserkult, also die Pflicht eines jeden Bürgers, das Kaiserstandbild zu verehren. Dabei ging es um Folgendes: Um ein Reich von den Ausmaßen des Imperium Romanums mit seinen unzähligen Völkerschaften, Stämmen und Kulturen zusammenzuhalten, brauchte man eine Institution, der gegenüber alle Bürger des Reiches loyal waren. Diese Institution war der Kaiser. Die Loyalitätsbezeugung, die der römische Staat von seinen Bürgern verlangte, bestand darin, dem Kaiserbild mit der Geste eines Kniefalls seine Reverenz zu erweisen. Für sich betrachtet handelte es sich um eine geringe und einfache Geste. Man konnte sie mit gekreuzten Fingern hinter dem Rücken vollziehen. Was der römische Staat wollte, war der äußere Vollzug der Loyalitätsbezeugung. Wie man innerlich dem Kaiser gegenüber gesonnen war, interessierte ihn nicht. Doch die frühen Christen wollten das Bild des Kaisers nicht verehren. Sie wollten auch nicht so tun, als ob. Sie waren nicht pragmatisch, sondern Jünger ihres Herrn Jesus Christus, dem sie ganz gehörten und dem allein sie sich verpflichtet sahen. Den Staat lehnten sie darum nicht grundsätzlich ab. Sie waren ihm gegenüber bis zu einem gewissen Grad loyal. Aber gegenüber staatlichen Organen Anbetungsgesten zu vollziehen lehnten sie kategorisch ab.
Dabei unterschieden die frühen Christen zwei Stufen der Loyalität. Die eine galt dem Staat, die andere galt Gott. Die Bibel berichtet von einem Streitgespräch, das Jesus mit Pharisäern und Leuten des Herodes führt, in dem diese doppelte Loyalität zur Sprache kommt. Mit einer römischen Münze in der Hand erklärt Jesus da: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“(Mt 22,21) Seine Antwort pariert eine Fangfrage, die lautete, ob man dem Kaiser Steuern zahlen müsse oder nicht. Jesu Gegner hatten ihn der Illoyalität gegenüber Staat und Kaiser überführen wollen. Doch Jesus war kein Freund der Steuerhinterziehung. Er fand es richtig, Steuern an eine rechtmäßige Obrigkeit abzuführen. Steuermünzen gehören dem Kaiser, weil sein Bild sie ziert. Über die Steuermünze, also materielle Gaben, hinaus darf der Kaiser von den Jüngern Jesu aber nichts verlangen. Deren Herz und Seele gehören allein Gott. Prägt Gott doch jedem Herzen, das sich ihm zuwendet und ihm vertraut, sein Bild ein. Die jeweilige Prägung entscheidet darüber, wem das Herz, und wem die Münze gehört. Als Steuern zahlende Bürger des Imperium Romanum brachten die frühen Christen dem Staat eine stabile, wenn auch begrenzte Loyalität entgegen. Überhaupt ordneten sie den Staat den vorläufigen Dingen zu. Sie schufen sich dadurch einen Freiraum zur Wahrnehmung politischer Verantwortung, den wir Christen heutzutage noch genauso haben.
Dabei ist es nicht gleichgültig, ob wir uns politisch engagieren oder nicht. Vielmehr legt uns die biblische Tradition die Übernahme politischer Verantwortung mit guten Gründen nahe. Ein diesbezüglich einschlägiger Bibelext ist Röm 13. Hier wird der Staat als eine Setzung, d.h. Einrichtung Gottes beschrieben. die zunächst eine Sphäre eigenen Rechts darstellt. Aufgabe des Staates ist nach Paulus, dem Übel zu wehren, und den inneren wie auch den äußeren Frieden zu wahren. Zur Durchsetzung dieser Ziele ist dem Staat auch der Einsatz von Gewaltmitteln erlaubt. Gleichwohl darf der Staat nicht tun und lassen, was er möchte. Er ist – wie Paulus schreibt – „Gottes Diener dir zugut“(Röm 13,4). Damit ist gesagt, dass der Staat dem Gemeinwohl und dem Wohlergehen seiner Bürger zu dienen hat. Er ist dabei an das Gesetz Gottes gebunden. In Staaten, die darauf Acht geben, dass ihre Gesetze dem Gesetz Gottes nicht zuwider laufen, ist für Christen die Übernahme von politischen Ämtern wünschenswert. Es ist sogar die Pflicht eines Christen, sich in solchen Staaten zu engagieren, mindestens durch die Teilnahme an der politischen Debatte.
In einem totalitären Staat hingegen ist politisches Engagement für Christen nicht möglich. Denn totalitäre Staaten missachten das Gesetz Gottes, das die Freiheit und den Frieden der Menschen im Sinn hat. Hier gilt ein weiterer biblischer Grundsatz, der sich in einer Verteidigungsrede des Apostels Petrus vor dem Hohen Rat in Jerusalem findet. Er lautet: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29). Politische Verantwortung zeigt sich in der Situation eines totalitären Staates gerade darin, dass man das Mittun verweigert. Dass man mit aller Klugheit versucht, aufzustehen gegen die politischen Verhältnisse. Dass man versucht, im Sinne von Röm 13 dafür zu sorgen, dass die Verfassung des Staates wieder eine solche wird, die den Gesetzen Gottes nicht zuwider läuft.
Die Verfasstheit eines Staates entscheidet somit darüber, ob und wenn ja, wie Christen politische Verantwortung übernehmen können. In unserer parlamentarischen Demokratie ist die Übernahme eines politischen Amtes für Christen– wenn Neigung und Talent es möglich machen – geboten. Ausnahmslos alle Christen, die in einem Rechtsstaat wie unserem leben, sind dazu aufgerufen, die Demokratie nach Kräften zu unterstützen, erst Recht, wenn sie herausgefordert wird durch eine Wirtschafts- und Finanzkrise wie die gegenwärtige. Denn Demokratie bedarf der Pflege und gegebenenfalls der Verteidigung. Sie muss von Menschen bejaht, getragen und aktiv mitgestaltet werden. Der geringste Dienst, den wir der Demokratie in Deutschland leisten können – das kann in einem Superwahljahr wie dem laufenden nicht oft genug wiederholt werden – besteht darin, zur Abstimmung zu gehen. Uns Christen kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung zu. Wissen wir doch, dass ein Gemeinwesen, das sich den Menschenrechten und damit dem säkularisierten Gesetz Gottes verpflichtet fühlt, eine Setzung Gottes ist „dir zugut“(Röm 13,4). Gemeinsam mit anderen tragen Christen in unserem Staat die Verantwortung für den „Gesundheitszustand“ unserer Demokratie, wie ich in Anlehnung an das „Gemeinsame Wort“ der evangelischen und der katholischen Kirche mit dem Titel „Demokratie braucht Tugenden“ formulieren möchte. Denjenigen von uns, die sich als Kandidaten zur Wahl stellen, sei die Pflege von drei politischen Tugenden ans Herz gelegt. Einmal die Fairness in der politischen Auseinandersetzung, zum anderen die Standfestigkeit im Festhalten an Maßnahmen, die nötig und nachhaltig sind. Und drittens der Mut, für eine verantwortungsbewusste, am Gemeinwohl orientierte Politik einzustehen.
Meine knappen Ausführungen sollen deutlich machen, dass politische Verantwortung im einen Fall im aktiven Engagement, im anderen Fall in der Verweigerung des Engagements besteht, bzw. im Bemühen darum, die Verhältnisse im Staat zu ändern. Davon abgesehen gilt grundsätzlich: Für jede Obrigkeit hat die christliche Gemeinde entsprechend dem Bibeltext 1Tim 2,2 Fürbitte zu halten. Ganz egal, ob es sich um eine Obrigkeit handelt, die der Kirche und den Menschen gegenüber freundlich gesonnen ist oder nicht. Christliche Gebete sind insofern auch eine Form politischer Verantwortung:. Zielt die Fürbitte doch darauf ab, dass Gott den Sinn der Tyrannen ändern möge. Dass er aus einem Feind einen Freund Jesu und damit einen Freund der Menschen mache. Insofern können Christen, die für den Sinneswandel von Tyrannen beten, dem Gemeinwesen einen wertvollen Dienst erweisen.