Gottesdienst zur Eröffnung der 17. Legislaturperiode

Prälat Dr. Bernhard Felmberg


Predigt über Lukas 12,48


42   Der Herr aber sprach:
       Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt,
       damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?

43   Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht.

44   Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.

48   Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen;
       und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.


Liebe Gemeinde,

es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Herr zurückkehrt. Und dann will er seinen treuen und klugen Verwalter, den er zuvor über seine Leute gesetzt hat,
auch über alle seine restlichen Güter setzen. – Dann jedenfalls, wenn der Verwalter seinen Leuten zur rechten Zeit das gegeben hat, was ihnen zusteht.

Gott sagt uns damit:

Dir, Mensch, habe ich viel gegeben. Gnadengaben hast du erhalten. Ich habe dich begabt, reich beschenkt mit dem, was du heute manchmal zu Unrecht dein Können nennst.

Du bist eingesetzt, beauftragt, hast ein Mandat zum Wohle all jener Menschen erhalten, die dir anvertraut sind. Du genießt ihr Vertrauen, übernimmst Verantwortung und trägst Sorge dafür, dass die dir Anempfohlenen zur rechten Zeit das Rechte empfangen.

Und wohlgemerkt, das mach dir klar – Mensch: Du gibst ihnen nicht von deinem Besitz ab, du bist kein mildtätiger Gönner, sondern du teilst aus, was ich dir, Dein Gott, anvertraut habe. Du verwaltest es nur.

Die nächsten vier Jahre sind: eine überschaubare, eine geschenkte Zeit zwischen Übernahme und Übergabe parlamentarischer Verantwortung.

Die nächsten vier Jahre sind: eine geschenkte, überschaubare Zeit zwischen Übergabe und Übernahme einer Tätigkeit als Verwalter durch den einen Herrn, der unser aller Zeit in seinen Händen hält.

Zeit, die es zu gestalten gilt, als treue und kluge Verwalter, vom Volke gewählt, in letzter Konsequenz aber Gott gegenüber verantwortlich in allem, was man tut und unterlässt, was man austeilt oder vorenthält.

Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Und das geht so:

„Zu wenig ist’s für mich, mein Elend ist zu groß.“ brüllt ein aufdringlicher Bettler dem Edelmann Julius von Flottwell hinterher. Dabei hat der sympathische Reiche dem Bettler bereits mehrere Beutel Goldes geschenkt.

„Das muss doch reichen! Das ist doch mehr als genug für den armen Tropf!“, sagt er.

Doch der Bettler hängt sich wie eine lästige Klette an seinen Gönner: „O gnädiger Herr, schenken Sie mir mehr, schenken Sie mir eine Summe, welche Ihrer weltberühmten Großmut angemessen ist.“

Und der Bettler luchst dem Edelmann am Ende noch Säckeweise mehr Gold und Geschmeide ab, wobei er nie müde wird zu betonen: „Es ist zu wenig!“

„Der Verschwender“ heißt dieses Theaterstück von Ferdinand Raimund aus dem Jahre 1833.

An dessen Ende entpuppt sich der Bettler als der gute Geist, der dem im späteren Verlauf des Stückes völlig verarmten Edelmann den von ihm erbettelten und ergaunerten Schatz samt und sonders zurückerstattet:

„Nimm hier dein Eigentum, das du mir gabst, zurück. Du wirst es besser schätzen nun, weil du die Welt an deinem Schicksal hast erkannt .Was du dem Armen gabst, du hast’s in vollem Sinne selber dir gegeben.“

In seinem berühmten biblischen Wort sagt Jesus es so:

Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Der, der gibt, handelt selbst an Gott und dieser schenkt es uns hundertfältig zurück. So wird unser Geben zum unverdienten Bekommen der tausenderlei Gaben Gottes. Geben ist seliger denn nehmen, und so kommen Gottes Zuwendungen aus dem Füllhorn seiner Liebe.

Doch in allem, was wir tun, was wir an Zuwendung verschenken, bleiben wir stets hinter dem zurück, was Gott uns anvertraut.

Wir wissen das. Wir alle bleiben hinter den Ansprüchen Gottes zurück. Und wir Prediger greifen schnell - manchmal zu schnell - zu der in Jesus Christus sichtbar gewordenen Barmherzigkeit und Güte und verabreichen sie der Gemeinde, indem wir Genügsamkeit predigen, wo man doch eigentlich auch einmal den steilen Anspruch Gottes an uns als „Cantus firmus“ in unseren Ohren und in unserem Herzen klingen lassen könnte.

Genügsamkeit predigen am Anfang einer neuen Legislatur? Zufriedenheit? Ist das der richtige Zeitpunkt?

So nach dem Motto:

Begnüge dich mit dem, was du erreicht hast. Verlange nicht zu viel von dir. Es reicht, kleine Brötchen zu backen. Das Große entzieht sich dir ja doch. Das Gute gewollt zu haben, ist schon viel.

Beschränke dich auf dein Ressort. Sei anständig zu deinen Mitarbeitenden. Komm` pünktlich zu den Sitzungen. Sei gut vorbereitet. Behalte die Presse im Blick.
Übe deine Auftritte vor den Kameras und sage nur Sätze, die man dir guten Gewissens noch Jahre später vorhalten kann.

Genügsamkeit? Zufriedenheit? Das ist doch schon was. Das muss doch ausreichen. Oder?

Aber nun stellen Sie sich vor:

Es reicht eben nicht immer aus. Bei Gott nicht: Das Kleine. Das Gewöhnliche. Das Selbstverständliche.

Gottes Liebe ist zu groß, als dass sie sich auf einen Ausschnitt unseres Lebens beschränken ließe, sie ist zu gewaltig, als dass sie mit Mittelmaß und Anstand zufrieden zu stellen wäre, zu umfassend als dass wir sie auf ein Ministerium, eine Partei, einen Staat, eine Kirche, eine Gesellschafts- oder Weltordnung reduzieren könnten.

Zu wenig ist`s, dass sonntags zum Allmächtigen gebetet und unter der Woche in alltäglichen Debatten gestritten wird. Gott will mehr.

Gott hängt sich wie eine Klette an seine treuen und klugen Verwalter, er ist fordernd und luchst ihnen möglicherweise am Ende noch Säckeweise Verantwortlichkeiten und Aufgaben ab, weil er selbst viel bei denen sucht, die er in die Verantwortung gestellt hat. Gott sucht bei uns und findet doch immer zu wenig. Und wir haben den Eindruck: Es kommt immer noch etwas oben drauf.

Und das gilt auch bei Gott?!

Dem vergebenden, dem liebenden Gott der Gnade?

Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen;  und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Liebe Gemeinde,

wir können diesen Satz als eine maßlose Anforderung und Überforderung eines und einer jeden vom Volk und von Gott Abgeordneten hören und verstehen.

Doch stimmen wir probehalber, stimmen wir versuchsweise mit ein in den Refrain des Gebens und Suchens, des Anvertrauens und Forderns, und sagen einfach einmal Ja!!!  zu dem, was dort ausgedrückt ist.

Ja, zu dem, dass mir viele Gaben von Gott gegeben wurden.

Ja, zu dem, dass mir viel anvertraut worden ist.

Ja, zu dem, dass Gott mir durch seine Gaben selbst immens viel zutraut. Und nur weil er mir sein Vertrauen gibt, sein Gottvertrauen, kann ich so handeln, dass andere mir Vertrauen schenken und bei mir suchen und von mir etwas fordern können, dürfen, ja müssen.

Und wenn wir zu diesem Vertrauen Gottes „Ja“ sagen, dann wissen wir: Nur „so wahr mir Gott hilft“, kann ich all das tragen und gehe im Anforderungskanon der Welt nicht unter, sondern sehe mich durch den in meinem politischen Handeln gehalten, der die Welt bereits erlöst hat.

Lassen Sie uns das noch einmal buchstabieren. Nicht wir müssen die Welt durch unser Handeln erlösen, nein, das hat Christus schon getan.

Und unter dieser Maxime arbeiten zu dürfen, ein Land gestalten zu können auch unter täglich höchsten Ansprüchen und Zumutungen, das lässt die Seele entspannen und das Herz nicht infarktgefährdet werden.

Dann aber öffnen sich alle unsere eingeübten und eingespielten Sichtweisen hin zum größtmöglichen Weitwinkel, hin zu den Menschen des Landes, hin zu allem, was lebt, was zum Leben kommen will, was um sein Überleben kämpft oder bereits stirbt.

Und wir merken: Überall sind wir gefragt, sind wir dabei, stehen wir in der Verantwortung:

Keine soziale Härte, Keine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich kein Konflikt mit Waffen ausgetragen,  kein einziger Hungertoter, kein Folteropfer, keine Ungerechtigkeit, keine ökologische Katastrophe, die uns nichts angehen, weil sie zu unerreichbar, zu beliebig, zu unabwendbar oder schlichtweg zu weit weg erscheinen.

Denn uns ist viel gegeben, und bei uns wird man viel suchen;  uns ist viel anvertraut, und von uns wird man umso mehr fordern!

Ja, wir können diesen Satz als eine maßlose Anforderung und Überforderung ansehen und notwendig an ihm scheitern…

...oder wir können ihn im Lichte Christi lesen als den gewaltigsten Zuspruch an und Anspruch Gottes auf unser Leben!

Und dann bedeutet dieser Satz:

Niemand braucht sich mehr zufrieden zu geben mit dem einmal Erreichten.

Niemand braucht sein Leben mehr abzurechnen in Scheitern und Gelingen.

Im Gegenteil: Im Hören auf Gottes Wort entsteht eine neue Gewissheit.

Diese lautet:

Wir haben einen Gott, mit dem es immer weiter geht, einen Gott der Hoffnung und Zukunft.

Wir haben einen Gott, der uns auch bei der größten Krise neue Perspektiven erkennen lässt.

Wir haben einen Gott, der mit uns aufbricht zu neuen Ufern, die niemand zuvor je erreichte, es sei denn mit diesem Gott, der uns so sehr begabt hat, dass er uns anreizt mit diesen Begabungen zu wuchern.

Wir haben einen Gott, der uns fordert, so lange wir leben, der uns nicht „einfriert“ in althergebrachte Überschaubarkeiten.

Wir haben einen Gott, der Scheuklappen löst und überraschende Einblicke gewährt, der dir Dinge zeigt – die hast du noch nicht gesehen! Und: Schade, wenn du sie verpasst!

Wir haben einen Gott, der uns selbst im Tode nicht in Ruhe lässt, sondern zu sich ruft und selbst dann noch in eine so ungeheure Weite stellt, damit wir sie eine Ewigkeit durchschreiten können, ohne je an ihr Ende zu gelangen.


Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Das ist der Herr des Gleichnisses vom treuen und klugen Verwalter. Das ist unser Herr. Das ist unser Gott. Kein einfacher, kein zufriedener, kein satter Gott.

Nein, dieser Gott ist fordernd, suchend und darin gerade liebend. Und weil wir um diese Begabungen wissen, die wir von ihm empfangen, können wir Gott und den Menschen zurufen:

Ja, uns ist viel gegeben, deshalb darfst du bei uns auch viel suchen. Ja, uns ist viel anvertraut, deshalb darfst du umso mehr von uns fordern.

Amen