Predigt in der Baptistengemeinde Berlin-Wedding
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus! Amen
Im fünften Kapitel des ersten Petrusbriefes steht in den Versen 5-11 folgendes Wort:
„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“
Liebe Gemeinde,
„seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge“!
Bei meiner Amtseinführung im Februar des letzten Jahres habe ich vom damaligen Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, dieses Brustkreuz umgehängt bekommen. Dieses Kreuz haben bisher alle Prälaten als Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union getragen. Auf seiner Rückseite sind die jeweiligen Daten eingraviert, an denen meine Amtsvorgänger und ich den Dienst für das Evangelium im Namen der Kirche Jesu Christi übernommen haben. Ich selbst gehöre wie wir alle in die Wolke der Zeugen für das Evangelium, an welchen Platz wir auch immer beruflich und privat gestellt worden sind.
Dieses Amtskreuz gehört jetzt seit meiner Einführung zu meiner Amtstracht. Es ist ein Teil von mir. Es verweist auf den Herrn Jesus Christus, in dessen Namen ich im politischen Berlin und in Brüssel unterwegs bin.
Am Tag der Amtseinführung fiel mir gleich auf, dass dieses Kreuz die Aufmerksamkeit vieler Gäste auf sich zog, als ich mit Menschen ins Gespräch kam. Das mag schon deshalb daran gelegen haben, dass wir Protestanten ja in Dingen der Repräsentanz und Insignien des Amtes, die damit einhergehen, eher zurückhaltend sind – und das ja nicht ganz zu Unrecht.
Einige fragten nach, was es denn mit diesem Kreuz auf sich habe. Mehrere Male war ich Zeuge der kenntnisreichen Analyse der Steine, die dieses Kreuz je nach Licht sehr unterschiedlich kolorieren. Wenn Sie mich vor dem 1. Februar 2009 gefragt hätten: ich hätte nicht gewusst, was ein Amethyst ist, gerade vielleicht einmal, dass Smaragde grün leuchten: Nun aber, da mir immer wieder Menschen erklärten, dass ich auf der Brust am Kreuz einen großen Amethysten trage, weiß ich es. Sie können sich vorstellen, dass ich das natürlich genauer wissen wollte: Warum ein Amethyst? Ich recherchierte über die Bedeutung von Edelsteinen, insbesondere über die Bedeutung des Amethysten - denn dieser sollte mich ja von nun an bei meiner Amtsausübung begleiten.
Und siehe da: In der griechischen Antike galt dieser Stein als Schutz gegen Rausch, Trunkenheit und Sucht. Das altgriechische Wort „a-methystos“ bedeutet so viel wie „nicht-betrunken“ oder eben „nüchtern“ sein.
„Der Stein an meinem Kreuz ermahnt mich also jedes Mal an das Wort des Apostel Petrus: „Sei nüchtern!“ Der Satz des Apostels leuchtet mir quasi in Edelstein gegossen immer dann, wenn ich das Kreuz umhänge, entgegen. „Sei nüchtern!“ Bischof Hermann Kunst, der erste Bevollmächtigte des Rates bei der Bundesrepublik Deutschland hat dieses Kreuz anfertigen lassen und weiß Gott, er hat sich dabei etwas gedacht, diesen Stein in die Mitte setzen zu lassen.
Warum? Wir alle wissen, wie schnell uns Dinge betrunken machen können. Ich meine noch nicht einmal den zu starken Genuss von Alkohol, vor dem sicherlich auch zu warnen ist und der sicherlich so manchen Prediger an diesem Sonntag dazu verleiten wird hier eine Salve nach der anderen in Richtung Gemeinde oder auch in die Richtung der eigenen Kirche abzuschießen. Doch, das ist nicht das Thema! „Sei nüchtern!“meint auch ganz andere Dinge, die uns täglich den Kopf verdrehen und uns aus dem Lot bringen. Da sind zum Teil abstruse Meinungen und Angebote, denen wir nachgehen, weil uns die Intensität der Ansprache oder schlicht das Bunte in jeglicher Werbung den Kopf verdreht. Da sind Menschen, die aufgrund ihres Äußeren, ihrer Macht, ihrer Redekunst uns beeinflussen und uns von unserer vielleicht mühsam gefundenen und abgewogenen Meinung abbringen. Manchmal kann man sich bei aller emotionalen Verwirrtheit, was denn nun zu tun oder zu entscheiden sei, nur zurufen: „Nimm Abstand, geh raus aus dem infight, denk nach, wäge ab, sei nüchtern.“
So wie es dem normalen Christen im alltäglichen Leben geht, so geht es auch den Amtsträgern, sind wir doch den Versuchlichkeiten des menschlichen Lebens in keiner anderen Weise enthoben als jeder andere, der hofft, dass das Vater Unser mit der Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“ wirklich greifen möge.
Gerade das politische Geschäft ist geprägt von kurzlebigen Bewegungen und Versprechungen mit großer Dynamik; von Täuschungsmanövern; echten und falschen Bündnissen und nicht zuletzt von der Attraktion der Macht. Groß ist die Versuchung sich der besonderen Gesellschaft zu rühmen, in der man sich bewegt. Mit all dem soll aber der Bevollmächtigte auf Tuchfühlung gehen, ohne sich mitreißen zu lassen. Er soll sich darin bewegen und doch seinen Anker bei dem festmachen, der der ganz andere ist. Er muss also nüchtern bleiben und sowohl den Attacken wie auch dem Schmeicheln der Leute mit Weitsicht und Unabhängigkeit begegnen. Die Kraft dafür liefert sicher nicht der Amethyst selbst. Er ist ein gutes und schönes Symbol, das erinnert. Mehr aber auch nicht! Der Amethyst weist mich daraufhin, dass es im Glauben einen Anker gibt, der mich festhält, wenn ich in Gefahr bin, durch Hochmut weggetrieben zu werden. Denn man darf ja die Kräfte, die uns von Jesus Christus wegziehen wollen nicht unterschätzen. Nicht ohne Grund benutzt Petrus hier starke und kräftige Bilder. Er spricht vom brüllenden Löwen, einem Löwen, der auf Beute aus ist und dem man ausgeliefert ist, wenn man allein und ohne Hilfe unterwegs ist. Und sein Einfallstor ist nicht selten der Hochmut. Petrus sagt uns ins Gesicht: „Er reißt euch in Stücke, wenn ihr nicht auf der Hut seid.“ Wappnet euch und seid stark in eurer Schwäche.
Der „brüllende Löwe“ zur Zeit des Petrusbriefes war ein Bild für die Verfolgung, die Ausgrenzung und Bedrohung der Christen jener Zeit. Heutzutage kennen wir solche Erzählungen nur noch aus anderen Ländern oder aus der jüngeren Vergangenheit unseres eigenen Landes.
Als Christen haben wir heute, zumindest in Deutschland, nicht mehr mit dem brüllenden Löwen zu tun, der uns nach dem Leben trachtet. Aber Vorsicht! Wir befinden uns viel eher in einem großen und übervollen Zoo, in dem von allen Seiten auf uns eingequakt, geschnattert und gewiehert wird, so dass wir Mühe haben, die Orientierung nicht zu verlieren und unseren Weg im Auge zu behalten. Die Welt, in der wir Christen heute leben, ist nicht in sich selbst allein schlecht oder bösartig. Sie ist aber hochgradig aufgeladen mit Reizen und Impulsen, die uns sprichwörtlich auf allen Kanälen und Frequenzen ins Kreuzfeuer nehmen und an uns zerren. Die Gefahr besteht darin, aus den Augen zu verlieren, was uns eigentlich wirklich wichtig ist im Leben. Dieses ganze Getöse birgt die Gefahr in sich, dass die Stimme Gottes, die ja immer eher im Säuseln des Windes als in der Feuersäule oder in einer anderen eruptiven Äußerung zu finden ist, nicht mehr zu uns durchdringt.
Die Umstände, in denen die Leser des Petrusbriefes damals und wir heute leben, sind unterschiedlich, weiß Gott. Was aber haben wir gemeinsam? Damals wie heute sind es Einwirkungen von außen, die versuchen, die Deutung unseres Lebens zu übernehmen. Sie wollen uns das Zepter der Lebensgestaltung aus der Hand nehmen. Ja, sie reden uns ein, dass unsere Einstellung, unsere Lebensgestaltung in Gottes Hand sicher ruhen zu lassen, eine törichte Glaubenseinstellung ist. Damals wie heute haben Christen festgestellt, dass es einer inneren Standfestigkeit und Sicherheit bedarf, um die eigene Sinngebung und Selbstbestimmung nicht an fremde Mächte und Gewalten zu verlieren.
Der Weg, die eigene Souveränität zu bewahren, so empfiehlt es der Petrusbrief, ist aber allein der, sich selbst unterzuordnen. Das klingt paradox. Gemeint ist aber eben nicht das Unterordnen unter die weltlichen Mächte und Gewalten, die an uns zerren. Vielmehr meint Petrus allein die Demut vor Gott, um seiner Gnade teilhaftig werden zu können.
„Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.“ So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“
Demut, liebe Gemeinde, scheint nun so gar nicht mit der Bewahrung der eigenen Souveränität zusammenzupassen. Aber Vorsicht: Wir müssen unterscheiden zwischen Demut und Demütigung! Demütigung geschieht von außen, in Form von Machtmissbrauch und Erniedrigung. Nehmen wir das Beispiel eines Vorgesetzten, der seine Mitarbeiter eiskalt fallen lässt, wenn es darum geht, die Lorbeeren für die getane Arbeit zu ernten. Demut dagegen ist die freiwillige Anerkennung der Größe eines Anderen. Wenn der Chef sich von einem Mitarbeiter etwas sagen lässt, weil dieser in der Sache einfach mehr Erfahrung hat, dann zeigt das Größe, die nicht durch Furcht bestimmt ist. Das Vermögen, die Fähigkeit eines anderen anzuerkennen, ist Ausdruck der eigenen Souveränität und Stärke.
Unser heutiger Bibeltext erinnert uns daran, dass das „demütig sein“ gegenüber Gott die eigene Souveränität keinesfalls opfert, sondern sie sogar begründet! Sie ist der Schlüssel, um aus der Macht Gottes die eigene Kraft und Standfestigkeit zu gewinnen. Nur, weil ich Gott als den erkenne, vor dem ich mein Haupt verneigen kann, kann ich den Toren dieser Welt und denen, die mich erniedrigen wollen, mit erhobenem Haupte ins Gesicht sehen. Dies funktioniert, weil ich mit meinen Sorgen nicht bei mir bliebe, sondern, weil ich sie Gott vor die Füße werfe. Jesus Christus macht mich zum Sorgenwerfer und er wird zum Sorgenfänger. Er befreit mich täglich von unerträglichen Lasten und nimmt diese für mich auf. Bei ihm sind meine Sorgen gut aufgehoben. Er trägt sie. Ich hingegen kann frei durchatmen.
Es ist die Demut, die mich Gottes Größe anerkennen lässt - dass er mir das Leben gegeben hat und es weiterhin bewahren will. Demütig zu sein, heißt, mich diesem, meinem Schöpfer in Dankbarkeit für das, was ist, und mit Hoffnung auf das, was kommt, anzuvertrauen.
In der Taufe bezeugen wir diese Dankbarkeit und Hoffnung, die in unserem Leben zum festen Grund werden, auf dem wir sicher stehen. Deswegen klingen die Worte aus dem 10. Vers des Briefes auch vertraut - wir kennen sie von den Segensworten, die in der evangelischen Kirche bei jeder Taufe gesprochen werden:
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“
In einer Welt die uns ablenkt, verwirrt und manchmal verführt, möchte Gott, dass wir nüchtern bleiben, die Bodenhaftung nicht verlieren, und das Ziel und den Sinn im Herzen bewahren. Im Vertrauen auf seine Macht können wir mitten hinein gehen in diese Welt und in ihr wirksam werden. So wie der Amethyst an meinem Kreuz nicht von alleine leuchtet, sondern am schönsten strahlt und funkelt, wenn er die Sonnenstrahlen bricht, die durch ihn hindurch gehen, so sind auch wir auf Gottes Liebe angewiesen.
In das Licht seiner Liebe sollen wir treten, es in uns aufnehmen und an die dunklen Orte dieser Welt bringen. Erst im Licht seiner Liebe fangen wir selbst an zu leuchten, jeder mit seinem unverwechselbarem Charakter und Schliff.
Amen