Christliche Kommunikation im Digitalen Zeitalter

Christliche Kommunikation im digitalen Zeitalter

Die Globalisierung, Beschleunigung, Virtualisierung und Entpersonalisierung der Kommunikation ist im Begriff, unsere Kultur grundlegend zu verändern. Die Voraussetzungen dafür, dass Werte gemeinschaftlich diskutiert und entwickelt werden, sind immer seltener gegeben. Durch die Aufspaltung der Kommunikation in unserer Gesellschaft in unter schiedlichste Foren, die kaum noch miteinander verbunden sind, besteht die Gefahr, dass Werte nicht mehr von einer großen gesellschaftlichen Mehrheit getragen werden. Die Parteien und andere, das gesellschaftliche Denken und Handeln prägende Institutionen, haben an Bindekraft verloren. Trotzdem ist und bleibt die Vermittlung von Werten gesellschaftspolitischer Auftrag aller, und gerade auch der Kirche.

Werte mit und ohne Gott

Der Bestsellerautor Jeremy Rifkin geht in seinem neuen Buch "Die empathische Zivilisation-Wege zu einem globalen Bewusstsein" von „der evolution der empathie” aus.Die Entwicklung des Mitgefühls befindet sich seiner Ansicht nach gegenwärtig an einem Scheidepunkt. Nachdem der Mensch die Fähigkeit des Mitgefühls immer weiter entwickelt habe, habe die Empathie inzwischen eine globale Dimension erreicht. „Das Internet verwandelt die Welt in einen gigantischen globalen Marktplatz, auf dem buchstäblich Milliarden von Menschen miteinander Kontakt aufnehmen, kollaborieren und gleichzeitig in realer Zeit Werte schaffen können.” Rifkin geht davon aus, dass Menschen weltweit füreinander Mitgefühl entwickeln, weil sie durch die zunehmend stärkere global mediale Vernetzung Anteil aneinander nehmen können. Er sieht hier die Chance eines weltumspannenden kulturellen und ökologischen Verantwortungsgefühls.  Doch auch er ist nicht sicher, ob diese Entwicklung in die „Rettung der Welt” mündet: „Die junge Generation scheint zwischen Narzissmus und Empathie hin und her gerissen zu sein. Um die Gesellschaft von Grund auf und auf allen Ebenen neu zu gestalten, bedarf es eines starken persönlichen und politischen Engagements.”  Die entscheidende Frage bleibt Rifkin schuldig: Woher nimmt der Mensch die Motivation, sich gegen den Egoismus und für die Menschlichkeit zu entscheiden?

An diesem Punkt kommt die christliche Religion ins Spiel. Denn auch wenn gläubige Menschen keinen Alleinvertretungsanspruch im Blick auf menschliche Werte haben, so werden ihre Werte ihnen doch im Horizont des Glaubens heilig, unantastbar und kostbar für das eigene Leben. Der Glaube bewirkt die Gewissheit, dass ein Wert über sich selbst und diese Welt hinaus weist. Seine normative Kraft bezieht einen Wert daraus, dass er vor Gott verantwortet werden muss.

Ich stimme Jeremy Rifkin in seiner positiven Einschätzung des Potenzials einer globalen, digitalen Kultur zu – das kommt allerdings nur dann zum Tragen, wenn sich die Menschen für die „globale Empathie” entscheiden sollten. Aus christlicher Sicht bestehen gute Gründe, das zu tun. Dieser Grund liegt im Zentrum dessen, was sie glauben: in dem Gebot, Gott und den Nächsten zu lieben.

Werte im Wandel der Zeit

Wie aber können wir den rasanten Veränderungen in unserer Gesellschaft begegnen? Im Grunde gibt es für Christen nur ein einziges, unveränderliches Kriterium für die Ausprägung ihrer Werte, nämlich das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Alle Haltungen, Maximen oder Prinzipien sollten das Liebesgebot zur Grundlage haben. Dietrich Bonhoeffer entwickelte vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in der NS-Zeit eine Situationsethik, für die das Fehlen von ewig gültigen Prinzipien konstitutiv ist. „Die Kirche darf also keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind. Gott ist uns ‚immer’ gerade ‚heute’ Gott.”  Die bleibenden Werte werden also in jeder historischen Situation neu gedeutet und bewertet. Für einen Christen richten sie sich immer am Kriterium der Gottes- und der Nächstenliebe aus. Ein im wahrsten Sinne des Wortes „gewissenhafter” Umgang mit Werten kann auch dazu führen, dass grundsätzlich geltende Gebote in Frage gestellt werden. So gelangte Dietrich bonhoeffer zu der überzeugung, dass ein mord an Adolf Hitler notwendig wäre, selbst, wenn man sich dadurch vor gott schuldig macht. wie schon martin luther geht es auch bonhoeffer um das „protestantische Prinzip”, also die Infragestellung von Regeln, die nur noch um ihrer selbst Willen befolgt werden. Der Wandel der Zeit ist dabei nicht zwingend mit einem Wandel der Werte verbunden. Aus christlicher Sicht haben alle Werte unabhängig vom Zeitgeist im Evangelium Jesu Christi ihren Grund.

Welche Werte braucht die digitale Kultur

Was sind also im Zeitalter der Globalisierung, Vernetzung und digitaler Medien die spezifischen Herausforderungen für die christliche Ethik? Zwei Aspekte christlicher Theologie sehe ich in besonderer Weise zentral: Das eine ist die Versöhnung Gottes mit dem Menschen, und das andere ist der Auftrag der Kirche in der Welt.

1. Intimität bewahren – dem Nächsten begegnen, so dass etwas bleibt

Die digitalen medien sind nicht allein ursächlich dafür, dass die Beziehungsfähigkeit der menschen in modernen Gesellschaften leidet. Die Flexibilität, die die digitale Kultur ermöglicht, bringt auch neue Anforderungen mit sich, zum Beispiel an Berufsbilder und die Mobilität von Arbeitnehmern. Das macht die Bildung sozialer Beziehungen schwieriger. Immer häufiger verlagern sich auch aus diesem Grund  Kontakte auf die elektronische oder virtuelle Ebene. In der Konsequenz klagen manche Menschen darüber, dass sie im Internet viele „Freunde” haben, in der Realität aber kaum noch Mut und Gelegenheit, sich zu öffnen, um das Wagnis echter Beziehungen einzugehen. Nutzer von internetbasierten Social-Networks bauen im Netz ein Idealbild ihrer selbst auf; damit wächst die Gefahr, in realen Begegnungen dem virtuellen Bild nicht zu entsprechen. Ein grenzenlos scheinendes Angebot an digitalen „Beziehungen”, gepaart mit einer immer größer werdenden Unsicherheit bei realen sozialen Kontakten fördert die strukturelle Unverbindlichkeit im Umgang miteinander – in der virtuellen Welt und auch in der realen.

Die zunehmende, von der digitalen Kultur beförderte „Unmusikalität” im Blick auf zwischenmenschliche Begegnungen fordert die christliche Ethik zweifach heraus: zum einen widerspricht diese Entwicklung dem Willen Gottes, dass Menschen in seinem Namen aufeinander zugehen und ihre Entfremdung überwinden. Die Sehnsucht nach dem,
„was bleibt”, hat Gott in unser Herz gelegt. Um in der Begegnung aber das zu Tage zu fördern, was von Wert ist und daher Bestand haben kann, bedarf es der selbstlosen Offenheit. Um unser Gegenüber wirklich verstehen zu können, müssen wir für einen Moment von uns selbst absehen und bereit sein, uns beeindrucken zu lassen. Dies birgt immer auch das Risiko, sich selbst infrage stellen zu müssen oder gar verletzt zu werden. Um mich öffnen zu können, bedarf es der Gewissheit, dass mich etwas trägt und schützt, das größer ist als alles andere. Christliche Kommunikation geschieht idealerweise in der Beziehung zu Gott, der verspricht, dass uns die offenherzige Begegnung nicht schadet, sondern das Wertvolle erhält.

Die zweite Herausforderung liegt in der Vermittlung des Evangeliums, die sich letztlich nur in der persönlichen Begegnung ereignen kann. Medien können informieren und Austausch ermöglichen. Das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe wird aber erst plausibel, wenn sie als sinnvoll und heilsam im eigenen Leben erfahren wird. Für diese Erfahrungen bedarf es persönlicher, realer und verlässlicher Beziehungen. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Dr. Käßmann, hat in einem Vortrag ein passendes Bild für die Funktion christlicher Werte in den Medien gewählt. Ssie spricht von „Werten als Immunsystem in der neuen Medienwelt”  und von der „beständigen Einübung des Glaubens in der christlichen Gemeinschaft” als Immunisierungsstrategie. Mit Immunität meint sie nicht eine Abwehr neuer Medien, sondern die „gute Balance des komplexen Netzwerkes”, also die Fähigkeit, mit den sich bietenden Möglichkeiten sinnvoll umzugehen. Dieses Bild ist zutreffend, weil es den bleibenden Vorrang der realen Begegnung vor der virtuellen zum Ausdruck bringt, ohne dass die Aufgabe der Mitgestaltung digitaler Kultur aus dem Blick gerät. Egal, ob ein kirchlicher Webauftritt geplant ist, ein Forum eingerichtet wird oder ein seelsorgerliches Format – zentrales Kriterium für die Gestaltung von Medien sollte immer die Frage sein, ob sie letztlich der persönlichen Begegnung von Menschen im christlichen Rahmen förderlich oder zumindest nicht abträglich ist.


2. öffentlichkeit schaffen – werthaltig in die Gesellschaft sprechen

Je mehr sich unsere Gesellschaft verzweigt, desto notwendiger wird es, dass Werte generations- und milieuübergreifend nachvollzogen werden können. Dabei gilt: ihre Geltung muss im je eigenen Leben verankert werden können. Die Wahrhaftigkeit verkündigter Werte wird immer daran gemessen, ob sie der Überprüfung durch die realen Verhältnisse standhält. Die christlichen Kirchen verfügen seit altersher über Strukturen, die das eine mit dem anderen in Verbindung bringen: in der Ortsgemeinde wird das Evangelium verkündet; die Konsequenzen christlicher Glaubensaussagen, die Werte, die gepredigt werden, können in diesem Zusammenhang idealerweise auch erlebt werden, zum Beispiel durch die Erfahrung geistlicher Gemeinschaft und durch die diakonische Arbeit, die in den Gemeinden täglich geleistet wird.

Predigten wirken in das Leben der Menschen, weil sie unmittelbar damit zu tun haben. Das bezieht sich oft auf den Alltag, aber auch auf besondere Ereignisse wie Geburt, Hochzeit oder Sterben. Die Menschen erwarten zu recht Begleitung, aber auch die Bewertung von Situationen oder Ereignissen, die sie beschäftigen. Wie stark eine Predigt noch immer als meinungsbildendes Ereignis wirken kann, ist zuletzt durch die Dresdener Neujahrspredigt der ehemaligen Bischöfin Dr. Käßmann deutlich geworden. Ihr Satz „nichts ist gut in afghanistan” wurde wochenlang kontrovers diskutiert. Seine Wirkung war groß, weil der Kirche in der Friedensfrage Kompetenz und somit Sprachrecht eingeräumt wird; die Worte von Frau Dr. Läßmann standen im Kontext des Wertegefüges des christlichen Glaubens.

Selbstverständlich resultierte die enorme Resonanz dieser Predigt auch daraus, dass sie medial weit verbreitet wurde. Die Bedeutung der Verwendung zeitgemäßer Kommunikationsmittel zur Übermittlung des Evangeliums als Grundlage aller christlichen Werte war zu allen zeiten offensichtlich. Der Buchdruck im 16. Jahrhundert ermöglichte den Reformatoren, die Idee der Rechtfertigung des Sünders allein aus dem Glauben in kurzer Zeit in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Durch die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache wurde das Wort Gottes der alleinigen Deutungshoheit des klerus entrissen und das Priestertum aller Getauften umgesetzt. Damit gemeinsame Wertbindungen gesamt-gesellschaftlich relevant bleiben, muss sich die Kirche auch weiterhin der modernen Kommunikationsmittel, der neuen Medien bedienen. Zuversichtlich stimmt die erfolgreiche Einbindung von Internetpublikationen wie beispielsweise evangelisch.de, chrismon.de oder ekd.de in die cross- mediale Zusammenarbeit mit anderen evangelischen medien im Print-, Rundfunk- und Fernsehbereich. In diesem Zusammenspiel wird die Bedeutung des Internets weiter zunehmen.
Die Kirchen können mit der multimedialen Ausrichtung ihrer publizistischen Aktivitäten wirken – und ebenso mit ihrer Rückbindung an authentische Kommunikations- und Beziehungsstrukturen vor Ort. Wesentlich bleibt indes, dass sie mit der Verkündigung des Evangeliums und des göttlichen liebesgebotes immer wieder das entscheidende kriterium für die Ausprägung aller persönlichen und gesellschaftlichen Werte ins Bewusstsein bringen. Ausschlaggebend ist nicht, wer wann welche Medien nutzt, und auf welchen unterschiedlichen Wegen Menschen kommunizieren – wichtig bleibt, dass die ethische Grundlage allen Handelns gelegt und definiert ist, bevor die Diversifizierung medialer Nutzung durch die Einzelnen entsteht.

Dies bedeutet auch, dass der frühkindlichen Bildung und der Werteerziehung im christlichen Sinn noch größere bedeutung zuwachsen wird. Die kirche muss auch im Blick auf die Herausforderungen der digitalen Kultur ihre Verantwortung für eine gerechte und umfassende Bildung wahrnehmen. Eine junge medienkompetente und werteorientierte Generation kann die Komplexität und Dynamik neuer Medien beherrschen anstatt von ihr beherrscht zu sein. Vor allem jedoch bildet sie den Grundstein für die Fortsetzung unserer sozialen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft im Zeitalter der digitalen Kultur.