Grußwort zur Verabschiedung von Heiner B. Lendermann
Anrede,
als ich vor gut zweieinhalb Jahren als Bevollmächtigter des Rates meinen Dienst bei der Evangelischen Kirche in Deutschland antrat, wurden mir schnell die Dinge kommuniziert, die absolut notwendig sind für das tägliche Leben und Überleben im Dasein eines Prälaten hier in Berlin. Hierzu – das wurde nachdrücklich betont - gehörten und gehören die guten Beziehungen, die wir ökumenisch leben, insbesondere die mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des katholischen Büros.
Ihr Ruf eilte Ihnen voraus. Mit Respekt wurde überall - blitzschnell nach Nennung des Prälaten Dr. Karl Jüsten - auch der Name von Heiner Lendermann genannt. Sie seien das „wandelnde Lexikon“ der Beziehungen zwischen Kirche und Staat seit Jahrzehnten. Sie hätten, so die von mir wahrgenommenen Stimmen, ein phänomenales Gedächtnis und das auch noch mit rheinisch-katholischer Fröhlichkeit.
Und so habe ich Sie denn auch kennengelernt. Hatte ich bisher gedacht, dass mein Vater mit 28 Jahren Pfarrdienst in einer Berliner Gemeinde das Beispiel für die stabilitas loci schlechthin wäre, musste ich schnell feststellen, dass Sie mit knapp 36 Jahren in einer Funktion alle mir bisher bekannten Maßstäbe übertrafen.
Von 1975 bis 2011 haben Sie Ihr Amt als Stellvertretender Leiter des Katholischen Büros inne gehabt. Mit diesen dürren Jahreszahlen kann die Dauer Ihrer Amtszeit kaum ermessen werden. Immerhin ein bisschen anschaulicher wird sie, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Sie von Bundeskanzler Helmut Schmidt bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel trotz teilweise langer Amtszeiten, vier Regierungschefs erlebt haben, und von Walter Scheel bis Christian Wulff sogar sieben Bundespräsidenten. Außenminister gab es in Ihrer Ära, angefangen mit Hans-Dietrich Genscher bis hin zu Guido Westerwelle, ebenfalls sieben, Innenminister, also auch Bundesminister für die Kirchen, sogar elf, angefangen mit Werner Maierhofer bis Hans-Peter Friedrich. Die Liste der bekannten und weniger bekannten Namen ließe sich beliebig fortsetzten.
Insgesamt, lieber Herr Lendermann, gilt aber vor allem: Wer auch immer wie lange unter Ihnen in Politik und Kirche das Sagen hatte – Sie verkörpern ein Stück politischer und kirchlicher Zeitgeschichte, das seinesgleichen schwerlich findet.
Viel haben Sie erlebt, und vieles haben Sie bewegt in den langen Jahren Ihrer Amtszeit. Bei dem Versuch, alle Ihre politischen Erfolge zusammenzutragen sind meine Mitarbeiter und ich kläglich gescheitert. Die Zahl der Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die auch Ihre Handschrift tragen, sind Legion.
Andere mögen da einen besseren Über- und Einblick haben. Aber was den Einfluss Ihrer Person auf die politischen Entscheidungsläufe in unserem Land angeht, so drängt sich auch der Eindruck auf, dass eine möglichst hohe Dunkelziffer immer erwünscht war. Und aus diesem Grund bin ich nicht sicher, ob Ihnen die Entfaltung zumindest Ihrer messbaren Verdienste hier coram publico wirklich recht wäre.
Unter den vielen beeindruckenden Worten von Ihnen ist eines, das mir mehrfach zugetragen wurde. Demnach haben Sie wiederholt betont: „Das Ergebnis der Arbeit in den Verbindungsbüros der Kirchen soll nicht in den Gazetten am nächsten Tag, sondern in den Gesetzestexten auch noch nach Jahren nachgelesen werden können“.
Mit anderen Worten: Die große Glocke war nie in Ihrem Sinne. Sie halten nicht viel vom raumgreifenden, vergänglichen Geläut, Sie setzten auf – entschuldigen Sie dieses Modewort – „nachhaltigere“ Ansätze. Die juristische Argumentation, das persönliche Telefonat, die sachliche Stellungnahme, ja, und natürlich auch der manchmal nicht weniger überzeugende „Grappa di Stockhausen“ – all dies waren Ihre Werkzeuge, um die Dinge in Ihrem Sinne, das heißt also: im Sinne der „sancta catholica apostolica ecclesia“ zu befördern. Das Scheinwerferlicht haben Sie nicht gesucht, das hatten Sie gar nicht nötig. Und so ist auch überliefert, dass Sie Situationen, in denen man Sie ungefragt auf die große Bühne zog, nicht unbedingt ausgiebig genossen haben.
Ich denke da beispielsweise an die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, das Ihnen gemeinsam mit Ihrem ehemaligen evangelischen Kollegen Oberkirchenrat Joachim Gaertner im Jahr 2004 verliehen wurde. Dem Rampenlicht waren Sie also – um es mit einem typischen Lendermann-Begriff zu sagen – „abhold“.
Ebenso abhold waren Sie der medialen Schnelllebigkeit, die in den erwähnten Gazetten im Gegensatz zu den beständigen Gesetzestexten ihren Ausdruck findet. Dem Sog dieser Schnelllebigkeit sind Sie nicht auf den Leim gegangen. Wo andere ihr (Berufs)Leben mit Lust und technischen Errungenschaften zur permanenten Mobilität aufrüsten, bleiben Sie am Boden der Tatsachen, in einem geordneten Verhältnis mit Raum und Zeit. Natürlich können Sie Mails schreiben. Aber warum sich von elektronischen Mitteilungen antreiben lassen? Warum Mitmachen beim ständigen Hin- und Her von Belanglosigkeiten per e-mail, die zumal, wenn überhastet abgesandt mehr Schaden anrichten, als dass sie nützen und per CC auch noch diejenigen zu beschäftigen wissen, die eigentlich für andere Aufgaben da sind. Sie hingegen wissen: Lässt man diese nur eine Weile links liegen, erledigen sich viele von allein - so Ihre Überzeugung.
Ich kann nicht umhin, dieser Lendermann‘schen Empirie eine gewisse Wahrhaftigkeit zuzubilligen, auch wenn ich zu denen gehöre, die häufig online sind.
Sie, lieber Herr Lendermann, bieten der Schnelllebigkeit, die auch unsere Arbeitsbereiche erfasst hat, im wahrsten Sinne des Wortes die Stirn. Sie zeigen uns allen, dass Tempo allein nicht gleich Qualität ist, und dass es anders – Achtung: nicht läuft, sondern geht und trotzdem oder gerade deswegen hervorragend funktioniert – und manchmal darin gerade schneller ist als das, was auf anderem Wege verheißen wird.
Im Blick auf Ihre Arbeit im Katholischen Büro herrschten also die soliden Bonner Verhältnisse. Sie selbst waren gewissermaßen eine „Ständige Vertretung“ der besonderen, persönlichen und entschleunigten Art, die uns allen gut getan hat.
Beispielhaft für uns Nachgekommene waren Sie aber selbstverständlich in mehrfacher Hinsicht. Sie haben oft betont, dass Sie Ihre politische Sozialisation in der Adenauer-Zeit erfahren haben. Ein Zitat des Altkanzlers, das in pointierter Weise ein Licht wirft auf sein Arbeitsethos, hätte meiner Ansicht nach auch aus Ihrem Mund kommen können. Dem Bundesparteivorstand der CDU beschied Adenauer im Jahr 1958: „Würden Sie von mir einen guten Rat annehmen! Sehen Sie bitte nicht auf Ihre Person, sondern sehen Sie nur auf die Sache. Man muß auch einmal einstecken, was einem sehr unangenehm ist - das tue ich auch von morgens bis abends -, wenn man in der Sache weiterkommt.“
Ich bin im Grunde zuversichtlich, lieber Herr Lendermann, dass Sie sich nicht „von morgens bis abends“ vom politischen Betrieb haben frustrieren lassen. Aber ohne Eitelkeit „in der Sache weiterkommen“, das wollten Sie ohne Zweifel jederzeit, und das haben Sie mit viel Geschick und mit überragender Fach- und Sachkenntnis betrieben. Egal, ob es um den Unfallversicherungsschutz von Ehrenamtlichen ging, um den Mindestlohn in der Pflegebranche oder die Gesundheitsreform - Sie waren auf den Punkt informiert und nie um eine fundierte wie treffsichere Beurteilung verlegen, die den aktuellen Einzelfall im Lichte seiner politischen Entwicklung in einen übergreifenden Gesamtzusammenhang stellte.
Bei aller Genauigkeit, die Sie dabei in jedem einzelnen Bereich walten ließen, war Ihnen abzuspüren, dass es Ihnen immer ums Ganze ging: Um das Wohl unserer gesamten Gesellschaft, das nur zu erreichen ist, wenn diejenigen, die am Rande stehen, nicht übersehen werden. Der soziale Zusammenhalt, die Teilhabe aller am Gemeinwesen – das waren die Ziele, für die Sie sich bis zum Schluss voll und ganz im Dienste Ihrer Kirche engagiert haben.
Von Ihrer Expertise und Erfahrung haben nicht nur Ihre jeweiligen politischen Gegenüber profitiert, nicht nur Ihr jeweiliger Dienstherr von Wilhelm Wöste bis hin zu Karl Jüsten, sondern auch wir, Ihre evangelischen Schwestern und Brüder.
Dafür möchte ich Ihnen im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Dienststelle und auch im Namen der EKD ganz besonders herzlich danken. Sie konnten sich uns nicht aussuchen, und Sie hatten im politischen Berlin zur Ökumene keine Alternative. Aber Sie wollten auch keine – zumindest haben Sie uns das überzeugend vermittelt.
Wir haben Sie durchweg als zuverlässigen, fairen und zugewandten Partner erlebt, der in jeder wichtigen Situation und in jedem relevanten Forum die Anliegen auch unserer Kirche mit im Blick behielt.
Sie haben meine Mitarbeiter und mich nicht nur mit Rat und Tat unterstützt; das Wohlergehen der Schwesterkirche, das gute Miteinander der beiden Dienststellen war Ihnen offensichtlich ein Herzensanliegen. Sie haben vorgelebt, wie wir – und ich erlaube mir, Sie in dieses „wir“ einzuschließen – uns die Ökumene wünschen.
Bei aller Ernsthaftigkeit in der Sache war Ihr Humor stets ein guter Brückenbauer, auch zu uns Protestanten, denen man ja manchmal nachsagt, sie gingen zum Lachen in den Keller. Sie werden hoffentlich bezeugen, dass dem nicht so ist. Wie alle, die wir hier versammelt sind, waren auch wir Evangelische dankbare Empfänger von all dem, was Sie in Ihren vielen Dienstjahren an Nützlichem, Denkwürdigem und vor allem: Erheiterndem gesammelt haben. Ihr schier unerschöpfliches Repertoire in dieser Hinsicht reicht von denkwürdigen Zitaten großer Staatsmänner – von denen Sie hoffentlich im Anschluss noch einige zum Besten geben – bis hin zur Überlieferung des Erstaunens eines Ministerialen, der einen Kollegen gefragt haben soll: „Die Kirchen haben unserem Gesetzesentwurf zugestimmt – was haben wir falsch gemacht?“
Lieber Herr Lendermann, Sie sind ein Routinier im politischen Geschäft – und inzwischen sind Sie vermutlich beinahe ebenso routiniert im Blick auf das Abschiednehmen. Seit vielen Wochen treffen Sie auf viele Menschen zum „letzten Mal“. Groß ist zu Recht der allseitige Dank und das allseitige Lob, groß ist sicher auch manches Mal der Abschiedsschmerz. Damit muss ich uns beide hier und heute Gott sei Dank nicht belasten. Wir werden uns in den kommenden Wochen – am Michaelsempfang und darüber hinaus – sicherlich noch häufig begegnen. Hoffnungsfroh stimmt mich auch das Gerücht, dass Sie Berlin möglicherweise doch nicht ganz so weit hinter sich lassen könnten, wie Ihre allseits bekannte innige Zuneigung zu unserer Hauptstadt es hätte vermuten lassen können.
Daher begnüge ich mich, lieber Herr Lendermann, hier und heute zunächst mit einem sehr herzlichen Dankeschön und einem schlichten und zuversichtlichen „Auf Wiedersehen“. Bis zum nächsten Mal bleiben Sie von Gott behütet.
Vielen Dank.