Helfen mit Herz und Hand - die Bedeutung der Pflege aus kirchlicher Sicht

Kongress "zukunft: pflegen + begleiten"

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte meine Rede damit beginnen, den Hut vor Ihnen zu ziehen.

Da ich normalerweise und so auch heute keinen Hut trage, bitte ich Sie, ersatzweise meine folgenden Ausführungen als Bekundung meines Respektes aufzufassen.

Was Sie in Ihrem Berufsfeld der Pflege leisten und noch leisten werden für unsere Gesellschaft im Ganzen und für so viele Menschen im Einzelnen, das verdient allen Respekt.

Täglich unterstützen Sie Bedürftige in pflegerischen, medizinischen und hauswirtschaftlichen Belangen und nicht zuletzt darüber hinaus bei der Aufrechterhaltung ihrer Selbständigkeit und der Bewahrung ihrer Würde. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Das ist der erste Artikel der Grundrechte unseres Landes. Diese Erkenntnis stammt aus der Heiligen Schrift, die von der Gottebendbildlichkeit des Menschen spricht. Wir alle wissen aber, dass diese so stark in den Vordergrund gerückte Würde für den, der auf Pflege angewiesen ist als sehr zerbrechlich empfunden wird. Sie sorgen mit ihrer Arbeit dafür, dass pflegebedürftige, ja häufig hilflose Menschen nicht nur ein Gefühl sondern weiterhin das Bewusstsein haben können, dass ihre Würde wirklich nicht verletzt wird. Sie setzen sich täglich für diesen Schutz ein und damit für das Wesen des Menschseins schlechthin.

Sie helfen Familienangehörigen, die Beanspruchung, die ein zu pflegender Mensch mit sich bringt, zu schultern.

Sie wissen alle, dass es bei der Pflege eines Menschen mit einer Hilfestellung beim Waschen oder Anziehen hier, und mit einem schnellen Verband dort nicht getan ist. Ihnen muss niemand erklären, dass Pflege ein ganzheitliches, dem Menschen zugewandtes Beziehungsgeschehen ist, das so viel mehr beinhaltet, mindestens auch das gute Wort und den einfühlsamen Händedruck.

Sie sind Hoffnungsträger für viele Menschen und Halt gebende „Anker“ im Alltag. Dafür möchte ich Ihnen von Herzen danken.

Egal, in welchem Feld des Pflegesektors Sie tätig sind: Ihr Beruf kostet Sie ohne Zweifel viel Kraft.

Anderen in Wort und Tat, mit Herz und Hand zu helfen, das kostet jede Menge Energie – auch dann, wenn die Begegnungen, die Sie erleben, bisweilen auch etwas von dieser Energie an Sie zurückstrahlen lassen.
So manches Menschenschicksal wird Sie berühren und auch nach Dienstschluss beschäftigen, und häufig werden Sie das Gefühl haben, den vielen Personen, die Ihnen anvertraut sind, nicht so ganz gerecht werden zu können.
Als Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, der für die Verbindung zwischen Kirche und Politik zuständig ist, kann ich Ihnen sagen: Ihr Einsatz wird gesehen. In der evangelischen Kirche ganz sicher, teilweise auch in der Gesellschaft und in der Politik.

Mit umso größerer Sorge verfolgen wir die derzeitige Entwicklung im Pflegebereich, die nicht nur den betroffenen Pflegebedürftigen das Leben schwer macht, sondern eben auch Ihnen, die sie diesen Menschen beistehen wollen und dafür immer weniger Zeit zur Verfügung haben.

Angesichts von Globalisierung und dem demographischen Wandel stehen Kranken- und Pflegeversicherung unter Druck und der Wettbewerb zwischen den einzelnen Trägern verschärft sich. Erst kürzlich haben die Krankenhäuser in Hannover auf einer Pressekonferenz ihre unzureichende Finanzierung thematisiert, in Brandenburg hat die Schiedsstelle der Klage der LIGA-Krankenversicherung auf Zahlung angemessener Tariflöhne nicht stattgegeben und bundesweit besteht die Gefahr, dass der Mindestlohn in der Pflege tatsächlich zur neuen Normgröße wird.

Die Entsolidarisierungstendenzen in der Pflegeversicherung sind aus unserer Sicht noch bedrohlicher als in der Krankenversicherung. Denn die Sach- und Geldleistungen der Versicherung tragen ja ohnehin nur zum Teil zum tatsächlichen Einsatz an Zeit und Geld bei. Eine weitere Privatisierung würde die Spaltung zwischen denen, die sich private Pflege leisten können, und den Geringverdienern verschärfen.
Eigentlich kann man nur den Kopf schütteln über die herrschende Kurzsichtigkeit, und ich bin sicher, Sie alle tun dies nicht selten, und vermutlich auch in immer kürzeren Abständen.

Es ist wahrlich kein Geheimnis: Pflege wird zu einem Mangelberuf! Und der zunehmende Druck auf Arbeitszeit und Entgelte, den Sie zu spüren bekommen, ist sicherlich keine Lösung, um die Pflegeberufe attraktiv zu machen. Das – ich nenne es mal euphemistisch: Missverhältnis zwischen Notwendigkeit und Anerkennung Ihrer Tätigkeiten schreit zum Himmel. Wir brauchen Sie alle! Wie sonst könnten wir der Tatsache begegnen, dass in den nächsten 20 Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen von aktuell ca. 2,3 Mio. auf mindestens 3 Mio. steigen wird?

Und mit der zunehmenden Zahl von Singles– und kinderlosen Paarhaushalten wird auch die Notwendigkeit professioneller Pflegeleistungen weiter wachsen.
Wer Pflege sichern und Altersarmut vermeiden will, muss deshalb dafür eintreten, dass die Solidarität zwischen den Versicherten erhalten bleibt, selbst wenn die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen.

Die EKD hat schon vor 1994 vorgeschlagen, dazu auch andere Einnahmequellen als nur die Arbeitsentgelte heranzuziehen.

Wir brauchen ein Gesamtkonzept zur Versorgung, pflegebedürftiger, behinderter und alter Menschen.

Besonders gut zu bedenken ist dabei die Nahtstelle zwischen der Pflegeversicherung und der sozialrechtlichen Sicherung behinderter Menschen. Pflegebedürftigkeit auf der einen Seite und Befähigung zur Teilhabe an der
Gesellschaft auf der anderen dürfen kein Gegensatz bleiben.

In Zukunft muss der Pflegebegriff insgesamt so gestaltet werden, dass er auf den Grad der verbliebenen Selbstständigkeit eines Menschen ausgerichtet ist.

Pflegebedarf geht vielfach auch mit einem hauswirtschaftlichen Hilfebedarf einher. Wenn dieses Problem nicht zufriedenstellend gelöst ist, kommt es zu unnötigen stationären Aufenthalten.
Wenn das Prinzip „ambulant vor stationär“ endlich umgesetzt werden soll, brauchen wir mehr Alltags- und Haushaltshilfen, den Ausbau von Beratungsangeboten und ein funktionierendes Case Management.
Letztlich ist die Unterstützung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen eine berufsübergreifende Querschnittsaufgabe, bei der Ärzte und Pflegende, Berater und Sozialpädagogen zusammenarbeiten müssen. Und auch die gute Kooperation zwischen Fachkräften, Hilfskräften, Nachbarschaftsnetzen, Ehrenamtlichen und Angehörigen ist auf Dauer unverzichtbar.

Aus diesem Grund unterstützen wir grundsätzlich die Pflegezeit für Angehörige.

Denn es geht um eine neue Kultur in unserer Gesellschaft - es geht um nicht mehr und nicht weniger als einen Mentalitätswandel.

Der Wert und die Bedeutung von Pflege in einer älter werdenden Bevölkerung müssen jedem bewusst werden. Gelegentlich muss man daran erinnern, dass es bei der Pflege um mehr geht als um die Pflegeversicherung.

Das ist eine politische Aufgabe, es ist aber auch eine Aufgabe der Kirche.

Jahrzehntelang standen die Gemeindeschwestern dafür ein, dass auch Kranke und Hilfebedürftige zur Gemeinde gehören, dass sie nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Sie standen ein für Zuwendung zum Nächsten, für ganzheitliche Versorgung und für tragende Netzwerke in der Nachbarschaft - aber auch für Unterstützung der Angehörigen und die Kraftquellen der Spiritualität.

Daran können die Pflegedienste und die Quartiersarbeit heute wieder anknüpfen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
trotz allem, was Sie, was wir zu beklagen haben, gilt:

Sie haben sich mit guten Gründen für einen traditionsreichen Beruf entschieden, einen Beruf, der zugleich Zukunft hat wie kaum ein anderer.

Sie werden gebraucht - gesellschaftlich und von jedem Einzelnen, für den Sie da sind.

Und wer wüsste das nicht besser als Sie: Es tut gut, gebraucht zu werden. Untersuchungen zeigen, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen im Pflegebereich auch nach langen Jahren noch zufrieden mit ihrer Berufswahl sind.

Die Sinnhaftigkeit Ihrer aller Arbeit im Pflegebereich ist offensichtlich - wer sonst kann das heutzutage schon so selbstbewusst sagen? Zugleich allerdings – und das zu beschönigen wäre fahrlässig - werden Sie einen langen Atem brauchen. Denn der Wert Ihrer Arbeit, Ihre tägliche Leistung wird gesellschaftlich noch nicht so anerkannt, wie es angemessen wäre und auch notwendig ist.

Die Kampagne„ Weil wir es Wert sind“, die das Diakonische Werk der EKD vor wenigen Jahren initiierte, macht deutlich, worum es geht: Das Berufsfeld der Pflege befindet sich noch immer in einem Prozess der Selbstbehauptung gegenüber medizinischen und anderen sozialen Berufen. Es steht zu hoffen, dass der Personalnotstand in der Pflege wie der Ärztemangel im ländlichen Bereich diesen Prozess weiter vorantreiben.
Dabei ist wichtig, dass die Professionalität von Pflegearbeit nicht durch eine weitere Senkung der Standards unterlaufen wird.

Pflege braucht attraktive Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Gestufte Ausbildungsgänge können auch Geringqualifizierten eine wirkliche Perspektive bieten, ohne dass die Versorgungsqualität leidet; zudem brauchen wir mehr Ausbildungen in Teilzeit.

Der wachsende Fachkräftemangel führt es uns eigentlich überdeutlich vor Augen: Die Diskussion um Ausbildungsreformen wie die gemeinsame Grundausbildung oder um die Vereinheitlichung der Finanzierung in den Pflegeausbildungen dauert zu lange.

Trotz aller Unsicherheiten und offenen Fragen: Sie haben sich aufgemacht auf diesen manchmal mühsamen, aber immer sinnvollen Berufsweg. Und das war keinesfalls kurzsichtig, sondern sehr klar- und weitsichtig.

Sie tun damit mehr als unsere politischen Stellungnahmen es je könnten: Sie machen sich persönlich auf einen Weg der Nächstenliebe.

Sie stellen den Mensch in den Mittelpunkt, Sie stehen mit Ihrem Berufsalltag für die Liebe zum Nächsten ein und handeln damit zutiefst christlich. Denn das sollten wir in all unserem Tun nicht vergessen. Als Kirche und Diakonie wenden wir uns dem Menschen zu, weil Jesus Christus gesagt hat: Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Der Dienst am Nächsten ist für uns Christen ein Dienst an Gott.
Für die Evangelische Kirche in Deutschland und für ihre Diakonie will ich Ihnen heute sagen: Wir stehen an Ihrer Seite – nicht nur mit unseren Stellungnahmen, sondern auch mit den Initiativen unserer Träger, mit den Weiterbildungsprogrammen unserer Fachhochschulen, mit den Ethik- und Seelsorgeangeboten in unseren Häusern.

Wir wissen, was Ihr Einsatz wert ist, und ich verspreche Ihnen, dass wir Sie darin unterstützen werden, das auch gesellschaftlich deutlicher sichtbar zu machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.