Predigt zum Lied "Sollt ich meinem Gott nicht singen?"

des Bevollmächtigten des Rates der EKD am 19. Mai 2019 auf Spiekeroog

EG 325 - Sollt ich meinem Gott nicht singen?

 

Die Gnade unseres Herrn…

 

(bitte aufschlagen)

 

Liebe Schwester, lieber Bruder,

 

hin und wieder, zum Beispiel an deinem Geburtstag oder zum Jahreswechsel, ziehst du Bilanz. Du schaust auf dein Leben zurück, nimmst einzelne Stationen genauer in den Blick, ordnest ein und bewertest. Wohl dir, wenn du ganz am Ende deines Weges noch einmal Gelegenheit bekommst, Bilanz zu ziehen, dann über dein ganzes Leben.

 

Wie deine Lebensbilanz ausfällt, hängt entscheidend davon ab, welchen Blickwinkel du für deinen Rückblick wählst, welchen Rahmen du deinem Bilanzieren gibst: Fragst du nach dem Erfolg, den du verbuchen konntest? Schaust du danach, ob du gesund geblieben bist? Betrachtest du die äußeren Bedingungen, unter denen du zu leben hattest?

 

Hätte der Pfarrer und Dichter Paul Gerhardt in dieser Weise bilanziert, er hätte zu dem Ergebnis kommen müssen: Mein Leben ist gescheitert und wertlos. Erfolg? Davon konnte bei ihm kaum die Rede sein. Seine theologische Überzeugung als Lutheraner führte dazu, dass er seines Amtes als Pfarrer in Berlin enthoben wurde. Gesundheit? Jedenfalls nicht für seine Frau und seine Kinder. Vier seiner fünf Kinder musste er zu Grabe tragen und auch seine Frau starb in jungen Jahren. Die äußeren Bedingungen? Die waren alles andere als angenehm. Schrecken und Not des Dreißigjährigen Krieges hat er von Anfang bis Ende erlitten. Also umsonst gelebt? Paul Gerhardt kommt zu einem anderen Ergebnis, nämlich diesem: „Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht dankbar sein?“

 

Dass Paul Gerhardt in dieser Weise Bilanz zieht, liegt an dem Rahmen, in den er seinen Lebensweg einzeichnet. Dieser Rahmen ist Gottes ewige Liebe zu uns Menschen.  „Ist doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herze regt, das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben…“ heißt es in der ersten Strophe und in der letzten: „Weil denn weder Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe find…“ Alle Strophen dazwischen enden mit dem Bekenntnis: „Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.“ In diesen Rahmen stellt Paul Gerhardt sein ganzes Leben. Ob auch du dein Leben von Gottes ewiger Liebe her betrachten kannst?

 

Wenn du dir Gottes ewige Liebe als Rahmen für deine Lebensbilanz vorgeben lässt, dann erkennst du zuerst, wie der dreieinige Gott für das Wohlergehen deiner Seele sorgt. Die Strophen 2 bis 4 des Liedes erzählen davon.

 

Gott, der Schöpfer, hat für dich gesorgt, lange bevor du selbst für dich sorgen konntest: „…alsobald im Mutterleibe, da er mir mein Wesen gab.“ heißt es in der zweiten Strophe. Gott hat dir dein Wesen, deine Identität gegeben, lange bevor du dafür arbeiten oder darum ringen konntest. Das wird dich trösten in jenen bangen Momenten, da du dich fragst: „Wer bin ich eigentlich?“ und die Antwort sich nicht ohne weiteres einstellen will. Diese Einsicht wird dich aber auch entlasten, nämlich wenn du Kinder zu erziehen hast: Ihr Wesen ist ihnen von Gott schon lange gegeben. Deine Aufgabe ist es nur, sie mit deiner Lebenserfahrung helfend und kritisch zu begleiten.

 

In der dritten Strophe erfährst du, was Gott in seinem Sohn Jesus Christus für dich tut: „Dass er mich vom ewgen Feuer durch sein teures Blut gewinn…“ Gott will dich davor bewahren, dass du an deiner Trägheit und an deiner Feigheit, an deinem Hochmut und an deiner Lüge zu Grunde gehst.  Christus hat deine Sünde ans Kreuz getragen. Da ist sie festgenagelt und du bist frei. Frei, Gott zu ehren und deinen Nächsten zu lieben. Frei, für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt einzutreten. Frei, mitzuhelfen, dass die einst so gute, jetzt aber so schwer verwundete Schöpfung Gottes in einen guten und lebensdienlichen Zustand zurück findet.

 

Was dir Gott, der Heilige Geist Gutes tut, ist in der vierten Strophe beschrieben: „…dass er mir mein Herz erfülle mit dem hellen Glaubenslicht.“ heißt es da. Du musst deinen Glauben also nicht selbst produzieren. Das kannst du auch gar nicht. Aber du kannst Gott deine Hände entgegen strecken und ihn um den Heiligen Geist bitten, vielleicht mit dem alten Pfingstlied: „Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist.“ Diese Bitte wird nicht vergeblich sein: „Seinen Geist, den edlen Führer, gibt er mir in seinem Wort…“ Welcher Trost liegt darin! Welcher Trost, wenn du in deinem Glauben unsicher geworden bist. Wenn du angesichts von Katastrophen, Krankheit und Krieg nicht an den gütigen Gott glauben kannst. Wenn dir der Glaube an Gottes Liebe schwer wird, weil du dich selbst so wenig liebenswert findest. Oder wenn dein Glaube erschüttert ist, weil der Schatten des Todes auf dich fiel und du den Leben schaffenden Gott aus dem Blick verloren hast.

 

(Str. 5-7 singen)

 

Wenn du dir Gottes ewige Liebe als Rahmen für deine Lebensbilanz vorgeben lässt, dann erkennst du auch, wie Gott für das Wohlergehen deines Leibes sorgt. Die Strophen 5 bis 7 des Liedes erzählen davon. Du bist für Gott eben nicht nur Seele, sondern ein ganzer Mensch. Deine Kirche hat dich das vielleicht anders gelehrt. Vielleicht hat sie gesagt, dein Leib sei ein Gefängnis für deine Seele und überhaupt sei der Körper ein Ort des Verderbens und böser Lust. Glaub ihr nicht, sondern glaube deinem Gott und Schöpfer, der dich mit Leib und Seele, mit Gefühl, Verstand und Willen und mit fünf Sinnen ausgestattet hat.

 

Die fünfte Strophe des Paul-Gerhardt-Liedes erinnert dich vielleicht an schwache Momente in deinem Leben: „Wenn mein Können, mein Vermögen nichts vermag, nichts helfen kann.“ Da denkst du vielleicht daran zurück, wie du oder ein Mensch, den du lieb hattest, krank wurde und wie machtlos du warst. Oder wie dein Kind sich innerlich von dir entfernte und du früher erlebte Nähe nicht wieder fandest. Aber schau noch einmal genau hin: Hast du vielleicht auch das andere erlebt, was sich bei Paul Gerhardt so anhört: „…kommt mein Gott und hebt mir an sein Vermögen beizulegen.“?

 

Ganz gewiss, liebe Schwester, lieber Bruder, kannst du jene Fürsorge Gottes für dich erkennen, von der das Lied in seiner sechsten Strophe singt: „Wo ich nur mein Aug hinkehre, find ich, was mich nährt und hält: Tier und Kräuter und Getreide…“  Ein Gang oder eine Fahrt über Land wird dich gerade in diesen Wochen daran erinnern, wie gut Gott für dich sorgt. Im Überfluss ist alles vorhanden, was du zum Leben brauchst.

 

Aber nicht nur in diesen Wochen, sondern zu jeder Jahreszeit und an jedem Tag kannst du dir Gottes Großzügigkeit und Güte bewusst machen. Morgens beim Aufstehen nämlich. Daran erinnert die siebte Strophe des Liedes. Es ist doch alles andere als selbstverständlich, dass „ich alle liebe Morgen schaue neue Lieb und Güt.“  wie es hier heißt oder wie wir es zu Beginn dieses Gottesdienstes mit einem anderen Paul-Gerhardt-Lied gesungen haben, „dass unsre Sinnen wir noch brauchen können und Händ und Füße, Zung und Lippen regen…“ Nein, das versteht sich an keinem neuen Tag von selbst!

 

(Str. 8-9 singen)

 

 

Wenn du dir Gottes ewige Liebe als Rahmen für deine Lebensbilanz vorgeben lässt, dann wirst du auch die dunklen Abschnitte deines Lebensweges, die finsteren Täler, in denen du wandertest, nicht aussparen. Mit der achten und der neunten Strophe nimmst du sie in den Blick.

 

Ob du der Deutung, die Paul Gerhardt seinem Leiden in der achten Strophe gibt, etwas abgewinnen kannst? Dem Gedanken, dass dein Leid eine Strafe Gottes war, mit dem er dich erziehen wollte? Das wird dir vielleicht eher fremd sein, schon weil für dich, anders als für Paul Gerhardt, Erziehung und Schläge nicht mehr zusammengehören. Aber vielleicht bringst du ja dein Leid und die Güte Gottes auf andere Weise zusammen. Vielleicht siehst du es so, dass Gott dich selbst in deinen dunkelsten Zeiten nicht allein gelassen hat. Er hat ja selbst gelitten, wie sollte er da den Leidenden nicht besonders nah sein? - Paul Gerhardt sagt dann noch, dass Gott „mich von der schnöden Welt, die uns hart gefangen hält, durch das Kreuze zu ihm lenke“? Vielleicht hast du das ja auch erlebt: dass dir in deiner schweren Zeit bewusst wurde, was wichtig und was unwichtig ist. Dass dir spürbar wurde, wie oberflächlich und belanglos unsere Welt des Konsumierens und Amüsierens mitunter ist. Dass du verstanden hast, worauf es im Leben wirklich ankommt und vor allem, wer dein einziger Trost im Leben und im Sterben ist…

 

Die neunte Strophe enthält Tröstliches. „Christenkreuz hat seine Maße und muss endlich stillestehn.“  Gott hat deinem Kreuz sein Maß gesetzt. Gott lässt nicht zu, dass das Leiden über dich triumphiert. Am Ostermorgen war es. Da hat Gott das Kreuz entmachtet. Das Kreuz Jesu und dein Kreuz. Da hat Gott dir jene Aussicht eröffnet, die im letzten Buch der Bibel so ausgemalt wird: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“

 

Nun bist du, liebe Schwester, lieber Bruder fast am Ende des Liedes angelangt. Mit Paul Gerhardt hast du dein Leben in den Rahmen der ewigen Liebe Gottes eingezeichnet. Dabei hast du entdeckt, wie Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist für deine Seele sorgt. Dir ist aufgegangen, dass du im Überfluss auch das hast, was dein Leib zum Leben braucht. Und du weißt, dass Gott sich nicht von dir zurückzieht, wenn du durch tiefe Täler musst. Was wirst du nun tun? Weil Gottes ewige Liebe dir diesen Blick auf dein Leben ermöglichte, wirst du dich Gott zuwenden und ihn ohne Ende loben: „Weil denn weder Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe find, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, bitte, wollst mir Gnade geben, dich aus aller meiner Macht zu umfangen Tag und Nacht hier in meinem ganzen Leben, bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit“.

 

Und der Friede Gottes…

 

(Str. 10 singen)