Politischer Buß- und Bettag

Predigt zum Thema "DEMUT - Was zügelt uns?"

 

Gnade sei mit euch und Friede…

 

„Demut – was zügelt uns?“ heißt das Jahresthema 2020 der Domgemeinde. Als dieses Thema im vergangenen Jahr ausgewählt wurde, konnte niemand wissen, wie aktuell es in diesem Jahr werden würde. Seit nunmehr acht Monaten sind wir von der Covid-19-Pandemie betroffen. Dabei sind uns Zügel angelegt worden und wir konnten Demut lernen.

Wir bekamen Zügel angelegt. Vieles von dem, was selbstverständlich zu unserem Leben gehörte, ist bis auf weiteres nicht möglich: Konzertbesuche in der gefüllten Philharmonie, die Feier des runden Geburtstages oder des Ehejubiläums im Familien- und Freundeskreis, Gottesdienste in großer Gemeinde hier im Dom, das Bad in der Menge auf einem Weihnachtsmarkt. Vielen Menschen machen diese und andere Einschränkungen sehr zu schaffen, verständlicherweise.

 

In den vergangenen Wochen und Monaten wurden uns Zügel angelegt. Und wir konnten Demut lernen. Wir konnten erkennen, was wir Menschen sind: Sterblich. Zerbrechlich. Ein Luftzug nur. „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nicht mehr da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.“ heißt es in Psalm 103.

 

In der vergangenen Woche traf sich – aus gegebenem Anlass zum ersten Mal digital – die Synode der EKD. Zu Beginn der Tagung trug Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm den Bericht des Rates der EKD vor. Schwerpunkt war auch hier die Covid-19-Pandemie. Glaube, Liebe und Hoffnung, so der Ratsvorsitzende, seien für Christen die Kraftquellen in dieser Ausnahmesituation. In diesem Zusammenhang richtete er den Blick auf die noch verbleibende Zeit des zu Ende gehenden Kirchenjahres und sagte wörtlich: „Am Buß- und Bettag werden wir innehalten und darüber nachdenken, ob die Richtung in unserem Leben stimmt und wo wir Schuld auf uns geladen haben. ‚Wir werden uns viel zu verzeihen haben‘ – hat der Bundesgesundheitsminister über die Zeit der Pandemie mit allen ihren Dilemmata-Entscheidungen gesagt – ein bemerkenswerter, treffend demütiger Satz, der hineinführt in die stärkende Kraft des Buß- und Bettages.“ Soweit der Vorsitzende des Rates der EKD.

 

Eigentlich war mit Bundesminister Jens Spahn verabredet, dass er in diesem Gottesdienst am Buß- und Bettag für ein Gespräch zur Verfügung steht. Mich hätte zum Beispiel sehr interessiert, wen er heute, acht Monate nach Beginn der Pandemie, wohl um Verzeihung bitten würde. Und vielleicht hätte er auch die Frage beantwortet, wieviel Demut in der Politik notwendig ist. Schade, dass das Gespräch heute nicht stattfinden kann, aber auf eine Video-Grußbotschaft des Bundesgesundheitsministers direkt im Anschluss an die Predigt dürfen wir uns freuen.

 

Zurück zur Synode: „Am Buß- und Bettag werden wir innehalten und darüber nachdenken, ob die Richtung in unserem Leben stimmt und wo wir Schuld auf uns geladen haben“, erklärte der Ratsvorsitzende den vor den Bildschirmen versammelten Synodalen. Wie es sich mit der Schuld in der Covid-19-Pandemie verhält, ist gar nicht leicht zu sagen. Wir wissen heute, dass es voreilig und unbedacht war, viele Wochen lang die Kindertagesstätten und die Schulen zu schließen. Die pädagogischen, psychologischen und sozialen Folgen waren seinerzeit nicht ausreichend im Blick. Ganz sicher war es falsch, alte und sterbende Menschen von sozialen Kontakten abzuschneiden. Insofern sind es wohl besonders die Kinder und die Alten, die um Verzeihung gebeten werden müssen. Aber es war – und ist immer noch – eben eine Dilemmasituation: Wir haben Schuld auf uns geladen, unsere Politikerinnen und Politiker und wir, die wir ihre Entscheidungen mehrheitlich guthießen. Wir wären aber auch schuldig geworden, wenn die Schwerpunkte anders gesetzt worden und die Bildungs- und die Pflegeeinrichtungen offen geblieben wären: Zwar wären Kinder und Jugendliche nicht einer solchen Belastung ausgesetzt gewesen und Menschen nicht einsam gestorben, aber es hätte wohl mehr Infektionen und damit auch wieder Leid und Tod gegeben. Was können wir angesichts dieses Dilemmas tun? Wir können, und das tun wir heute am Buß- und Bettag, unsere Schuld vor Gott bringen - und auf Vergebung hoffen. Der schon erwähnte Psalm 103 bekennt, nachdem er die Vergänglichkeit des Menschen in Erinnerung gerufen hat: „Die Gnade aber des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten.“ Wir vertrauen darauf, dass das wahr ist, für unsere Politikerinnen und Politiker und für jede und jeden von uns…

 

„Am Buß- und Bettag werden wir innehalten und darüber nachdenken, ob die Richtung in unserem Leben stimmt und wo wir Schuld auf uns geladen haben“, erklärte Landesbischof Bedford-Strohm vor der EKD-Synode. Wir bekennen heute die Schuld, die wir in einer verzweifelten Dilemmasituation auf uns geladen haben. Wir bekennen aber auch, dass wir uns schuldig machten, weil wir träge, gleichgültig und gierig waren. Auch wenn wir durch die Pandemie Demut lernen konnten und viele wohl auch Demut gelernt haben, so gibt es Bereiche, wo unser Hochmut schweren Schaden angerichtet hat. Auch wenn uns in den letzten Monaten Zügel angelegt wurden, kennzeichnet in mancher Hinsicht Zügellosigkeit unseren Lebensstil.

 

Schwerer Schaden ist entstanden, weil seit vielen Jahren die meisten von uns immer mehr Fleisch essen und immer mobiler sein wollen. Mit unserem Konsumverhalten haben wir die planetarischen Grenzen bei weitem überschritten und einen weltweiten Klimawandel verursacht. Die Quittung dafür erhalten Menschen in entlegenen Regionen der Erde, vor allem im globalen Süden. Menschen, die nicht zur Erderhitzung beigetragen haben. Sie leiden unter Dürre und Unwettern. Vielen ist die Lebensgrundlage entzogen, andere mussten bereits ihre Heimat verlassen. Alle diese Menschen können wir nur um Verzeihung bitten!

 

Auch unsere Kinder und Kindeskinder werden wir für unseren rücksichtslosen Umgang mit ihrem Lebensraum um Verzeihung bitten müssen. Das reicht aber nicht. Wenn wir uns nicht alle in Demut gegenüber unserem Planeten und vor allem gegenüber seinen künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern üben und uns selbst Zügel anlegen, wird noch größerer Schaden entstehen. Darauf machen die jungen Leute von „Fridays for future“ seit vielen Monaten beharrlich aufmerksam. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat die deutsche und die europäische Politik zu größeren Anstrengungen in Sachen Klimaschutz aufgefordert und zugleich einen entsprechenden Appell an alle Kirchengemeinden gerichtet.

Schwerer Schaden ist auch dadurch entstanden, dass wir uns kaum oder gar nicht für die Herkunft unserer Verbrauchsgüter interessieren.  Wir haben die Menschen, die unseren Kaffee, unsere Kleidung und unsere Mobiltelefone produzieren, nicht im Blick und die Bedingungen, unter denen diese Menschen leben und für uns arbeiten, sind uns gleichgültig. Wer es wissen will und genau hinschaut, erkennt jedoch: Um hiesige Konsumgewohnheiten zu gewährleisten, werden in anderen Regionen der Erde Menschenrechte missachtet: Kinder, die eigentlich zur Schule gehen sollten, schuften in Steinbrüchen, Frauen nähen für Hungerlöhne, Männer werden krank, weil sie in Bergwerken mit giftigen Substanzen hantieren und nicht ausreichend geschützt sind. Auch diese Opfer unserer Ignoranz sind um Verzeihung zu bitten, und auch das kann nicht alles sein. Die Synode der EKD hat deshalb gefordert, dass Betriebe in Deutschland und Europa ihre Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette wahrnehmen und dass Verstöße dagegen geahndet werden.

 

Warum eigentlich mahnt ausgerechnet die Kirche zur Demut? Warum ruft gerade sie dazu auf, die Zügel anzuziehen? Sie tut das, weil sie allen Grund zu der Annahme hat, dass Gott unser hochmütiges und rücksichtsloses Verhalten zutiefst missbilligt. „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen“, heißt es zu Beginn des 24. Psalms. Wie sollte es Gott da nicht das Herz brechen, wenn sein Eigentum ruiniert wird und die Rechte der Menschen, die er doch zu seinem Bild geschaffen hat, fortwährend missachtet werden?

 

Die Kirche mahnt aber auch deshalb zur Demut und ruft dazu auf, sich zu zügeln, weil sie um die Kraftquelle weiß, aus der schuldig gewordene Menschen schöpfen können. Jene Kraftquelle, von der schon die Rede war: „Die Gnade … des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten.“ Wenn wir Gott unsere Schuld bekennen und ihn um Vergebung bitten, werden wir nicht zugrunde gehen. Das macht uns frei. Frei, unser Leben neu nach Gottes Willen auszurichten. Frei, die Richtung neu zu bestimmen. Frei, unseren Lebensstil zu verändern. Frei, Verantwortung für andere zu übernehmen. Vor wenigen Tagen hat der Rat der EKD einen Grundlagentext mit dem Titel „Sünde, Schuld und Vergebung aus Sicht evangelischer Anthropologie“ veröffentlicht. Da kann man nachlesen, wie wunderbar Vergebung uns von unserer Schuld befreit und in ein verantwortungsvolles Leben führt.

 

Liebe Schwestern und Brüder, „Demut – was zügelt uns?“ In diesem zu Ende gehenden Jahr hat das Jahresthema der Domgemeinde viele Menschen veranlasst, sich in Predigten und Vorträgen über das Thema „Demut“ Gedanken zu machen. Am Buß- und Bettag schließe ich meine Überlegungen dazu mit einem Gebet, das das Wort „Demut“ zwar nicht gebraucht, aber im besten Sinne demütig ist. Es ist das so genannte „Serenity Prayer“, zu Deutsch: „Gelassenheitsgebet“ des US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr. Manche von Ihnen werden es kennen: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

 

Und der Friede Gottes…

Grußwort Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Buß und Bettag 2020

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat seinen Appell zu mehr Nachsicht mit Fehlern und schweren Entscheidungen in der Corona-Pandemie erneuert. "Kein Mensch ist fehlerlos", sagte Spahn in einem Videogrußwort für einen Gottesdienst zum Buß- und Bettag am Mittwochabend im Berliner Dom. Christen würden den Wert der Vergebung kennen. Die Bereitschaft zu verzeihen sei für ihn persönlich eine Lehre dieser Pandemie, sagte Spahn. Man habe politisch in kurzer Zeit viele schwierige Entscheidungen treffen müssen.

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