Predigt zu Jesaja 2, 1-5

in der Gedächtniskirche Rosow in Mescherin

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus…

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

heute vor zwei Wochen jährte sich der deutsche Überfall auf Polen und mit ihm der Beginn des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal. Millionen Menschen – Zivilisten wie Soldaten – fielen diesem Krieg zum Opfer. Wir haben sie nicht vergessen und wir werden sie nicht vergessen. Sie sind uns eine stete Mahnung, uns für den Frieden in Europa und der Welt einzusetzen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Polen und Deutsche sich ausgesöhnt. Das war nicht selbstverständlich und ist Grund zu großer Dankbarkeit. Aber die Welt insgesamt ist darüber nicht friedlicher geworden: Menschen fliehen aus der Hölle Syriens; im Jemen sterben Tausende, die wegen des Krieges keine Nahrung und keine Medikamente erhalten; der jüngste Staat der Erde, der Süd-Sudan, hat seit seiner Gründung vor acht Jahren kaum einen friedlichen Tag erlebt; Afghanistan wird nahezu täglich von Anschlägen erschüttert. Und dann der Nahe Osten mit der nicht enden wollenden Spirale von Gewalt und Gegengewalt…

 

Das alles darf uns Christen nicht kalt lassen, denn Jesus sagt: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen!“ Der Friede auf Erden muss also jedem Christenmenschen ein Herzensanliegen sein. Aber was können Christinnen und Christen heute für den Frieden tun? Wie können wir Friedensstifter sein?

 

Zunächst einmal können wir von Gottes kommendem Friedensreich erzählen. Das schildert der heutige Predigtabschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja. Ich lese die ersten fünf Verse des zweiten Kapitels:

 

(Lesung des Predigttextes)

 

Was für eine großartige Friedensvision ist das! Schon der Ort ist bemerkenswert: „Der Berg, da des HERRN Haus ist“. Liebe Schwestern und Brüder, diesen Ort gibt es ja. Es ist der Tempelberg in Jerusalem, den Juden und Muslime gleichermaßen als heiligen Ort beanspruchen.  Der Tempelberg ist darüber zum Symbol des Unfriedens und der Unversöhnlichkeit geworden. Und nun sieht der Prophet Jesaja, dass sich „zur letzten Zeit“ genau dort alle Völker der Welt friedlich versammeln und nach Gottes Weisungen fragen werden. Gottes Weisungen, von denen es in den Psalmen heißt, dass sie Licht und Leben bedeuten. Der Ort, der heute ein Symbol des Nichtverstehens und der Gewalt ist, wird zu dem Ort werden, wo die Menschen Gott und einander verstehen und Frieden stiften: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln.“ Und dieser Friede wird keine Episode sein, sondern ein dauerhafter Friede: „Sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

 

Liebe Schwestern und Brüder, an Gottes kommendes Friedensreich zu erinnern, das ist es, was wir Christen in dieser friedlosen Welt tun können und sollen. So protestieren wir gegen Krieg und Gewalt und erklären unmissverständlich: Krieg, Terror und Gewalt sind nicht zwangsläufig und der Unfriede wird nicht ewig andauern. Oder mit den Worten der Gründungsversammlung des Weltrates der Kirchen 1948 in Amsterdam: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“

 

Die Friedensvision des Jesaja belässt es aber nicht dabei, Gottes kommendes Friedensreich in leuchtenden Farben auszumalen. Am Schluss steht ein Appell. Oder ist es eher ein Lockruf? „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!“

 

Da auch wir Christen uns angesprochen wissen – wir glauben ja an denselben Gott wie das Haus Jakobs, also Israel – fragen wir: Wie können wir im Licht des Herrn wandeln? Wie können wir die Welt heute sehen, hören und spüren lassen, dass Krieg und Gewalt nicht das letzte Wort haben werden? Antwort: Wir wandeln im Licht des Herrn, wenn wir erstens für den Frieden beten, wenn wir zweitens Geschichten von geglückter Versöhnung erzählen und wenn wir drittens die Politik an ihre Friedensverantwortung erinnern.

 

Erstens: Für den Frieden beten. Das geschieht zum Beispiel Woche für Woche, wenn freitags in den so genannten Nagelkreuzgemeinden das Versöhnungsgebet von Coventry gebetet wird. Am 14. November 1940 wurde die englische Stadt Coventry von der deutschen Luftwaffe angegriffen. 550 Menschen starben, die Schäden waren verheerend. Auch die spätmittelalterliche St. Michael‘s Kathedrale wurde zerstört. Die Antwort der englischen Christen war jedoch nicht der Ruf nach Vergeltung sondern das Angebot der Versöhnung. Der damalige Dompropst Richard Howard ließ aus drei großen Zimmermannsnägeln, die man in den Trümmern gefunden hatte, ein Kreuz herstellen. Dieses Nagelkreuz ist heute das Kennzeichen der so genannten Nagelkreuzzentren auf der ganzen Welt. Die Nagelkreuzzentren sind durch den Willen zu Frieden und Versöhnung miteinander verbunden. Der drückt sich besonders im Versöhnungsgebet von Coventry aus, das wir gleich gemeinsam sprechen werden. Es beginnt mit den Worten: „Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.“ Wir können uns auch an Franz von Assisi orientieren, der betete: „O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.“ Oder wir finden eigne Worte.

 

Zweitens: Geschichten von geglückter Versöhnung erzählen. Geschichten von geglückter Versöhnung machen Mut. Sie stärken den Glauben daran dass Frieden nicht erst „zur letzten Zeit“ sondern bereits heute möglich ist. Eine solche Geschichte ist die von Coventry und den Nagelkreuzzentren. Die Versöhnungsgeschichte, die ich besonders gern erzähle, handelt von der Nichtregierungsorganisation parents circle families forum in Israel. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um Eltern (parents). Eltern von israelischen und von palästinensischen Kindern und Jugendlichen, die von der je anderen Partei im Nahost-Konflikt getötet wurden. Als ich mit einer Besuchergruppe vor einiger Zeit in Israel war, hatten wir Gelegenheit, zwei Vertreter von parents circle families forum kennenzulernen, zwei Väter, die jeder eine Tochter verloren hatten. Die vierzehnjährige Tochter des israelischen Vaters war bei dem Selbstmordattentat eines Palästinensers auf offener Straße ums Leben gekommen. Der palästinensische Vater betrauerte seine siebenjährige Tochter, die auf dem Schulweg von einem israelischen Soldaten erschossen worden war. Beiden hat der Schmerz das Herz zerrissen. Aber beide haben nicht die naheliegende Konsequenz gezogen und neben Schmerz und Trauer auch den Hass in ihr Herz einziehen lassen. „Hass und Vergeltung bringen uns unsere Kinder nicht zurück und verhindern nicht, dass andere Eltern dasselbe erleiden müssen wie wir. Im Gegenteil! Dieses Schicksal können wir anderen Vätern und Müttern nur ersparen, wenn wir einander begegnen, einander die Hand reichen und gemeinsam für Frieden und Versöhnung im Heiligen Land eintreten.“ Die beiden Männer haben dieser Einsicht Taten folgen lassen. Sie haben sich mit anderen palästinensischen und israelischen Eltern und nahen Angehörigen von Opfern des Konfliktes zusammengetan und verantworten gemeinsam eine beeindruckende Friedens- und Versöhnungsarbeit. Darüber sind die beiden Männer übrigens unzertrennlich geworden… - Es gibt nicht wenige solcher Versöhnungsgeschichten, sicherlich kennen auch Sie eine. Solche Geschichten machen Mut, sie wollen, sie müssen erzählt werden, damit möglichst viele Menschen zu der Einsicht kommen: Frieden ist möglich, und es lohnt sich, für den Frieden zu arbeiten und zu kämpfen.

 

Drittens: Die Politik an ihre Friedensverantwortung erinnern. In einer Demokratie können die Regierten unmittelbar Kontakt zu den Regierenden aufnehmen. Jeder Bundes- und Landtagsabgeordnete hält Bürgersprechstunden oder ist bei Veranstaltungen und Festen ansprechbar. Wir Christen sollten solche Gespräche suchen. Unter anderem sollten wir nach deutschen Rüstungsexporten fragen. Und wir sollten darauf bestehen, dass hier strengste Maßstäbe angelegt werden. Panzer und Gewehre sind keine x-beliebigen Verbrauchsgüter wie Kühlschränke oder Fahrräder. Rüstungsgüter werden produziert, um Menschen verletzen oder töten zu können. Sie dürfen deshalb unter keinen Umständen in Kriegs- und Spannungsgebiete geliefert werden. Dass dadurch Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie gefährdet werden, kann angesichts der Gefahr für Leib und Leben von Menschen kein Argument sein.

 

Lasst uns, liebe Schwestern und Brüder, für den Frieden beten; lasst uns Geschichten von geglückter Versöhnung erzählen und lasst uns die Politik an ihre Friedensverantwortung erinnern. Kurzum: „Lasst uns wandeln im Licht des HERRN.“

Und der Friede Gottes…