Ansprache bei der Gedenkfeier für Hedwig Bollhagen in der Friedenskirche zu Potsdam-Sansscouci (Jesaja 55,1)
Wolfgang Huber
geb. 10. November 1907 gest. 8. Juni 2001
Hedwig Bollhagens Geburtstag - der 10. November 1907 - war ein Sonntag. Im Losungsbuch der Herrnhuter Brüdergemeine stand über diesem Tag ein Wort aus dem Buch des Propheten Jesaja: “Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst!“ (Jesaja 55,1).
Im Rückblick auf das lange Leben von Hedwig Bollhagen findet man ein vielfältiges Echo auf dieses Losungswort, das am Anfang ihres Lebens stand.
Vom Stil des Bauhauses beeinflusst, wollte Hedwig Bollhagen mit ihren handgearbeiteten Produktserien und Unikaten auch denen schönes Gebrauchsgeschirr anbieten, die über keine hohen Einkünfte verfügten, denjenigen etwas Besonderes in die Hand geben und vor Augen stellen, die sich kein Porzellan leisten konnten. „Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“ – so heißt es bei Jesaja. Am Leben und Wirken von Hedwig Bollhagen können wir sehen, dass der Mensch wahrlich nicht vom Brot allein lebt, sondern auch von der Freude an dem, was sein Leben umgibt, wie von dem Wort, das sein Leben trägt. Auch in kargen Zeiten von Wirtschaftskrise, Krieg und sozialistischer Mangelwirtschaft hat sie in ihrer Werkstatt an der „Vollendung des Einfachen“ gearbeitet. Die von ihr entworfenen Tassen und Teller, Kannen und Vasen – jenseits von Kitsch und Massenkonsum - übersteigen inzwischen den Wert manchen Porzellans um ein Mehrfaches.
Eindrücklich ist nicht nur ihr Werk, sondern auch die Geradlinigkeit, mit der sie sich in den verschiedenen Gesellschaftsordnungen des vergangenen Jahrhunderts für die „Kunst im Alltag“ einsetzte. Gebrauchsgegenstände, die von Hedwig Bollhagen entworfen worden sind, waren nicht allein auf ihre Funktionalität reduziert. Die handgearbeiteten Serien, die so zeitlos schön sind, dass sie den Wechsel der Zeiten überdauern, belegen den kunstvollen Zusammenklang von Form und Dekor, Funktionalität und ästhetischem Anspruch auf ihre Weise. Ihre Unikate haben den Blick für das Individuelle und Einzigartige geprägt und Menschen ermutigt, den Versuchungen des Kollektivismus zu widerstehen, als die Freiheit des Geistes und der Kunst sich nur in engen Grenzen entfalten konnte.
Einer der bekanntesten Sätze von Hedwig Bollhagen heißt: "Kunst? Ach Gott, ja, manche nennen das so. Ich mach' Teller, Tassen, Kannen."
Aus ihrem Handwerk ist die Kunst entstanden. Anders kann es doch auch nicht sein! Welchem Künstler aber gelingt es, seine Kunst so in das Leben zu stellen, dass mehrere Generationen von Menschen im täglichen Gebrauch sehen, erkennen und spüren, wie wohltuend und lebensprägend die „Vollendung des Einfachen“ sein kann?
Auch darin findet sich eine Parallele zum christlichen Glauben: Das Vertrauen auf Gott, aus dem die Kraft für das Leben und der Trost im Sterben erwächst, lässt sich nicht auf wenige Tage im Jahr begrenzen. Das vom Glauben getragene wie das von der Kunst im Alltag geprägte Leben sind ein besonderes Geschenk.
Und noch eines verbindet den christlichen Glauben und die Kunst: Beide leben aus der Erfahrung des Bewahrtseins und des Gelingens. Was Künstler an der Arbeit hält, auch über Zeiten vergeblicher Versuche hinweg, ist die Erfahrung des Gelingens.
Auch in der Kirche kennen wir das. Was uns in unserem Glauben hält, ist die Gewissheit: Es fällt nicht alles unter die Dornen oder auf steiniges Land. Es gibt fruchtbare Erde, es gibt guten Ton, aus dem Neues geformt werden kann. Der Prophet Jeremia beschreibt es in seinem Töpfergleichnis so: „Mach dich auf und geh hinab in des Töpfers Haus; dort will ich dich meine Worte hören lassen. Und ich ging hinab in des Töpfers Haus, und siehe, er arbeitete eben auf der Scheibe. Und der Topf, den er aus dem Ton machte, missriet ihm unter den Händen. Da machte er einen andern Topf daraus, wie es ihm gefiel. Da geschah des HERRN Wort zu mir: Kann ich nicht ebenso mit euch umgehen, ihr vom Hause Israel, wie dieser Töpfer? spricht der HERR. Siehe, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand“ (Jeremia 18).
Mich bewegt es am heutigen Tag sehr, dass Hedwig Bollhagens Kunst schon im Alten Testament als Gleichnis für das Handeln Gottes dient. Das ist ein Hinweis auf den grundlegenden wie weltumspannenden, den ebenso elementaren wie universalen Charakter dieser Kunst: Die Tätigkeit des Töpfers ist eine Grundform schöpferischer Tätigkeit, eine elementare Antwort des Menschen auf das schöpferische Handeln Gottes. Hedwig Bollhagen hat uns dafür mit ihrer besonderen Verbindung von schöpferischer Kraft, Entschlossenheit und Selbstironie ein eindrückliches Beispiel gegeben.
Hedwig Bollhagen hat nicht nur Keramik gestaltet, sondern auch die Freude an der schlichten Schönheit gelehrt.
Das Kokettieren mit der „kleinen Bude in der Provinz“ am Rande von Berlin, die wachen Augen und die über viele Jahrzehnte flinken Hände, der trockene Humor und die gedankliche Schärfe, die Bescheidenheit und die Menschenfreundlichkeit haben sie zu einer eindrucksvollen Künstlerin gemacht.
Neues zu entwerfen lag ihr ebenso am Herzen, wie Altes zu erhalten. Sichtbarer Ausdruck dafür sind sowohl die blau-weiße Keramik als auch die Baukeramik für Kirchen und historische Gebäude.
Die aufwendigen Arbeiten zur Sanierung des Klosters in Chorin belegen das ebenso eindrücklich wie die Steine, die in ihrer Werkstatt für den Wiederaufbau der Friedrichwerderschen Kirche in Berlin hergestellt worden sind ( aber auch für das Rote Rathaus, das Schloss Sanssouci, die Katharinenkirche in Brandenburg und andere Beispiele sind zu nennen.). Auf diese Weise war ihr Schaffen der Freude und der Lebenskultur der einzelnen genauso zugewandt wie der Erhaltung unseres kulturellen Erbes und dem Gemeinwohl.
Der Tod von Hedwig Bollhagen erfüllt uns mit Traurigkeit – auch wenn er sich in einem gesegneten biblischen Alter von 93 Jahren und in der Müdigkeit der letzten Lebensmonate nicht überraschend einstellte.
Mit welcher Großzügigkeit verschenkte sie, was ihr geschenkt war! Die Vorstellung, das Licht ihrer Menschlichkeit leuchte uns nur noch in der Erinnerung, fällt uns schwer. Doch größer als das Hadern ist die Dankbarkeit für dieses große, erfüllte und vollendete Leben.
Wir können in Dankbarkeit Abschied nehmen und Gott anvertrauen, was wir abgeben müssen. Wir dürfen auf ihn hoffen, der in seiner Geborgenheit Lebende und uns Vorausgegangene miteinander verbindet.
Der Philosoph Immanuel Kant hat einmal gesagt: „Alle Bücher, die ich gelesen habe, haben mir den Trost nicht gegeben, den mir ein Wort der Bibel gab: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Ich lade Sie ein, auf die Worte des 23. Psalms zu hören und mit dem Psalmisten zu beten:
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.
Es segne und behüte uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen.