Arbeitsrechtler Joussen von BAG-Urteil gegen die Diakonie überrascht

Joussen hält eine Fortsetzung des Streits am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für möglich

Bochum (epd). Den Bochumer Arbeitsrechtler Jacob Joussen hat das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur kirchlichen Einstellungspraxis nach eigenen Worten überrascht. „Die Entscheidung hat die Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) gemacht hat, offensichtlich sehr eng umgesetzt", sagte Joussen der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.

Das Bundesarbeitsgericht habe den vom Gerichtshof eröffneten Spielraum nicht genutzt. „Gerade bei der fraglichen Stelle wäre es auch vor dem Hintergrund des EuGH möglich gewesen, die Kirchenzugehörigkeit zu verlangen“, sagte der Jurist, der dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hatte am 25. Oktober der Berlinerin Vera Egenberger, die sich als Konfessionslose erfolglos um eine Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte, eine Entschädigung zugesprochen. In der Ausschreibung für die Referentenstelle war neben der fachlichen Qualifikation eine Kirchenmitgliedschaft vorausgesetzt worden. Daraufhin machte die Klägerin eine Diskriminierung aufgrund der Religion geltend.

Joussen hält eine Fortsetzung des Streits am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe für möglich: „Die Diakonie wird überlegen müssen, ob man das vom  Bundesverfassungsgericht überprüfen lässt. Denn jetzt fallen BAG und EuGH auf der einen und Bundesverfassungsgericht auf der anderen Seite weit auseinander.“

Diakonie-Reaktionen auf BAG-Urteil fallen unterschiedlich aus

Diakonische Arbeitgeber reagieren unterschiedlich auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nach dem kirchliche Arbeitgeber die Religionszugehörigkeit nicht in jedem Fall zur Voraussetzung bei Stellenbesetzungen machen dürfen. Das Diakonische Werk Baden zeigte sich auf Anfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) nicht überrascht von dem Urteil. Gesellschaftliche Veränderungen hätten ohnehin die Frage aufgeworfen, ob Arbeitgeber eine Kirchen-Mitgliedschaft „in einer zunehmend multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft noch verlangen können“, sagte Sprecher Christian Könemann.

Das BAG-Urteil sei eine Chance, genau zu überlegen, welche Tätigkeiten wirklich die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche verlangen, sagte er weiter. Diakonische Einrichtungen müssten nun ihre eigene Praxis überdenken. Die gelebte Realität in Deutschland sei bei dem Thema je nach Region sehr unterschiedlich.

„An vielen Stellen muss man auf den Einzelfall schauen“

Die Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf erklärte, bei Einstellungen werde bereits eine differenzierte Praxis angewandt, die sich an der offiziellen Richtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) orientiere. Wenn in Stellenanzeigen eine Kirchenzugehörigkeit gefordert sei, werde diese immer auch begründet. „An vielen Stellen muss man auf den Einzelfall schauen“, sagte eine Sprecherin. So sei eine Kirchenmitgliedschaft etwa für die Pflege auf der Palliativstation wichtig, weil Mitarbeiter dort oft mit religiösen Themen konfrontiert würden. Bei einer OP-Schwester in der Orthopädie sei das hingegen nicht unbedingt der Fall.

Die Diakonie in Niedersachsen äußerte sich kritisch zu dem BAG-Urteil: „Um der Glaubwürdigkeit des Dienstes in der Diakonie willen ist es uns wichtig, dass sich unsere Mitarbeitenden mit dem christlichen Glauben identifizieren und dies grundsätzlich auch durch ihre Kirchenmitgliedschaft zum Ausdruck bringen“, sagte der juristische Vorstand Jens Lehmann dem epd. Deshalb teile die Diakonie nicht die Auffassung des Gerichts, dass die Religionszugehörigkeit keine Rolle spiele, wenn der Mitarbeiter nur nach Anweisung des Arbeitgebers in Fragen des Ethos und des Selbstverständnisses der Kirche handeln könne.