Predigt im Zoom-Gospelgottesdienst am 17. Mai 2020 in München
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
Es gilt das gesprochene Wort
Predigttext: Mt 6, 5-13
Liebe Zoom-Gemeinde,
manchmal hat der Heilige Geist wirklich Humor. Das habe ich mir jedenfalls gedacht, als ich geschaut habe, was der für den heutigen Sonntag in unseren Predigtordnungen vorgesehene Predigttext ist. Da haben wir jetzt lauter Wochen hinter uns, in denen wir in unseren Kirchen heftigst darüber diskutiert haben, ob es möglich ist, Gottesdienst auch von zu Hause aus zu feiern, ob die Einschränkung der Religionsfreiheit, die mit dem Verbot, Gottesdienste in unseren Kirchen zu feiern, verbunden ist, hinzunehmen sei, und dann kommt ausgerechnet direkt nach der begrenzten Wiederzulassung gottesdienstlicher Versammlungen in unseren Kirchen ein Predigttext, der uns mit ziemlich scharfen Worten dazu auffordert, beim Beten zu Hause zu bleiben: „Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.“
Ich nehme es jetzt mal nicht als göttliche Parteinahme in der Corona-Krise für diejenigen, die sagen, dass die Gottesdienstöffnungen zu früh kommen. Aber dass auch das Beten von zu Hause aus eine dichte Form der Gotteserfahrung sein kann, das dürfen wir aus den Worten Jesu ganz bestimmt mitnehmen.
Deswegen – das wage ich zu sagen - liegt Segen auf unserem heutigen Zoom-Gottesdienst, in dem jetzt so viele Menschen von zu Hause aus miteinander verbunden sind. Und ich sage es umso mehr, als schon die Vorbereitung dieses Gottesdienstes vieles von dem gezeigt hat, was ich mir für die Zukunft der Kirche wünsche. Dass wir das „Priestertum aller Gläubigen“ ernstnehmen, das insbesondere für die evangelische Tradition so wichtig ist. Viele haben diesen Gottesdienst mitgeplant, mitkonzipiert. Und es waren nicht die Pfarrer, die die Initiative ergriffen haben. Die Idee ist aus den Zoom-Proben des Gospelchors St. Lukas hier in München entstanden und hat schnell Begeisterung geweckt und immer mehr Menschen einbezogen. Die Konfession spielt bei diesem Gottesdienst keine Rolle. Das ist die Zukunft. Die Zukunft der Kirche wird eine ökumenische sein! Und: Menschen haben mitgeplant und feiern jetzt mit, die sich von den traditionellen Formen unseres Kirchseins nur bedingt angezogen füllen.
Genau da wollen wir hin! Die Mauern unserer Kirchen, in die so viele Segensgeschichten eingeschrieben sind, die aber manchmal auch Menschen fernhalten, diese Mauern öffnen, viel frische Luft und – mehr noch – frischen Wind hereinlassen, alle willkommen heißen, einladende Kirche sein und damit ausstrahlen, wovon wir sprechen!
Das Beten zu Hause, von dem Jesus spricht, hat für viele Menschen eine ganz neue Bedeutung bekommen. In den Kirchen konnten wir in den letzten Wochen nicht gemeinsam beten, weil das zu sehr mit Risiken behaftet war. Zu Hause aber haben gerade jetzt in Corona-Zeiten nicht wenige das Beten für sich neu entdeckt. Und vielleicht dabei auch die Erfahrung gemacht, dass es gar nicht so einfach ist, die richtigen Worte zu finden. Da ist es wunderbar, dass Jesus uns Worte mit auf den Weg gibt, die wir uns einfach leihen können, wenn wir selber keine Worte haben.
Schon die erste Bitte sagt etwas ganz Entscheidendes: „geheiligt werde dein Name“. Es ist wichtig, dass der, zu dem wir beten, nicht irgendein Etwas ist, nicht irgendetwas Diffuses, Unberechenbares wie etwa irgendein Schicksal oder eine undefinierbare Kraft. Der zu dem wir beten, hat einen Namen. Und wenn die Juden den Gottesnamen bewusst nicht aussprechen, dann tun sie das nicht, weil sie nicht wüssten, zu wem sie beten, sondern als Ausdruck der Achtung gegenüber Gott und seiner Größe. Wir kennen Gott, wir wissen, dass er uns in Liebe zugewandt ist, weil wir von den wunderbaren Geschichten wissen, die die Bibel über ihn erzählt.
Und Ihr, die Ihr im Gospelchor St. Lukas oder in anderen Chören singt, wisst das erst recht ganz genau: Denn Ihr habt euch genau das zur Aufgabe gemacht hat: in den Gospels und Spirituals von diesem Gott und seinem Befreiungshandeln zu singen:
„Joshua fit the Battle of Jericho…“ Die Mauern von Jericho fallen, ganz ohne Gewalt, einfach durch den Klang der Posaunen!
„Oh when the Saints go marching in“ – wenn die von Gott Geheiligten ihres Weges ziehen, dann will ich dabei sein!
„Go tell it on the Mountains“ – verkündet es auf allen Hügeln, dass Jesus Christus geboren ist!“
„Amazing grace, how sweet the sound“ – wunderbare Gnade, welch süßer Klang! Ich bin gerettet, ich werde heil!
Und ich könnte noch soviel mehr Titel dieser Lieder nennen, die alle davon erzählen, wie Gott Menschen befreit, wie Gott Menschen rettet, wie Gott Menschen Kraft gibt.
Deswegen kann ich diese Bitte des „Vater Unser“ aus vollstem Herzen und mit großer Freude mitbeten: Geheiligt werde dein Name!!
Und so geht es mir auch mit der nächsten Bitte: Dein Reich komme!
Nein, ich gebe mich nicht zufrieden mit der Welt wie sie ist! Es steht noch etwas aus, ich erwarte es, ich ersehne es! Das endlich Hass, Unrecht und Gewalt aufhören. Dass endlich die Tränen, die Menschen in ihrem persönlichen Leben vergießen, weil sie schlimmes Leid erfahren, abgewischt werden und kein Schmerz, kein Leid, kein Geschrei mehr sein wird. Ja, aus vollstem Herzen bete ich das mit: Dein Reich komme!
Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Ja! Glaube ist nichts rein Jenseitiges! Die Liebe, die Jesus als Zusammenfassung aller Gebote Gottes gesehen und selbst ausgestrahlt hat, ist jetzt schon in unserem Leben relevant. Die Gerechtigkeit und der Frieden, von der schon die alttestamentlichen Propheten so eindrucksvoll gesprochen haben, sind nichts, was allein ins Jenseits gehört, sondern sie sollen jetzt schon unter den Menschen sichtbar und erfahrbar werden!
Da passt es dazu, dass dann direkt danach die Bitte um das tägliche Brot und die Bitte um Vergebung unserer Schuld kommt. Dafür, dass wir das täglich Brot auf dem Tisch haben, können wir gar nicht dankbar genug sein. Und es ist gut, die Bitte darum immer wieder auszusprechen und dadurch überhaupt erst wahrzunehmen, wie wenig selbstverständlich es ist, dass wir genug zu essen haben.
Zugleich aber werden wir dadurch auch darauf hingestoßen, wie skandalös es ist, dass jeden Tag 8.500 Kinder unter fünf Jahren sterben, weil sie kein täglich Brot bekommen, obwohl genügend Nahrungsmittel für alle auf dieser Welt vorhanden sind. Das sind mehr Kinder unter fünf Jahren, die sterben, als Deutschland während der gesamten Pandemie bisher an Corona-Toten zu beklagen hatte. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass wir das Skandalöse an diesem täglichen hungerbedingten Sterben gar nicht mehr wahrnehmen.
„Unser täglich Brot gibt uns heute. Und vergib uns unsere Schuld.“ Mich berührt es besonders, dass die Bitte um Vergebung direkt der Bitte um das tägliche Brot folgt. Ich würde angesichts der Fakten über die tägliche Ungerechtigkeit, die ich selbst ja auch viel zu sehr hinnehme, wahnsinnig werden, wenn ich nicht auf Vergebung hoffen könnte. Und genau dadurch aus dem lähmenden Schuldgefühl herauskommen könnte, um mich aus innerer Freiheit für eine Veränderung dieses Zustandes einzusetzen. Mit der heutigen Kollekte für unser Projekt Wikwiheba in Ruanda werden unsere Freunde dort Nahrungspakete für Kinder besorgen, die jetzt nicht nur von der Pandemie, sondern zusätzlich auch noch von einer schlimmen Flutkatastrophe betroffen sind. Wikwiheba heißt auf Deutsch: „Verlier nicht die Hoffnung“, Erlöse uns von dem Bösen – so beten wir weiter im Vater Unser. Und enden mit der Quelle aus der die Kraft für all das kommt: Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. AMEN
Welch ein Gebet – dieses „Vater Unser“! Es nimmt die existentiellen Fragen des Lebens auf und gibt uns Worte dafür, dass wir sie vor Gott bringen, in Gottes Hand legen und Kraft und Orientierung für den Umgang damit bekommen können. Man kann es immer wieder beten. Seine Worte immer mehr in die Seele einsickern lassen. Gott in die Seele einziehen lassen. Spüren, wie diese Worte so etwas werden wie eine Standleitung zu Gott, die uns die Gewissheit gibt: Gott ist für mich immer erreichbar. In den guten und in den schweren Zeiten begleitet er mich. Und gibt mir das tiefe Gefühl, dass ich nie tiefer fallen kann als in seine Hand.
Das, genau das ist es, was die Gospels und Spirituals, die der Gospelchor St. Luks und so viele andere Chöre uns immer wieder in die Herzen hineinsingen.
Heaven help us all – das wird uns jetzt der Gospelchor St. Lukas singen. Und damit das tiefe Vertrauen zum Ausdruck bringen, das auch die Worte des Vater Unser prägt. Ja, Gott, du bist da. Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
AMEN