Das Bekenntnis zu Gott - Störfall der Forschung?

Manfred Kock

Berlin, Kongress der CDU Deutschlands: Auch in Zukunft menschenwürdig leben. Ethik und Gentechnologie im 21. Jahrhundert

Meine Damen und Herren, Sie haben mich gebeten, zu Ihnen zum Themenkomplex der Bioethik zu sprechen. Ich danke Ihnen für diese Gelegenheit und komme Ihrer Bitte um eine Einschätzung der Gentechnik aus der Sicht der evangelischen Kirche auch darum gerne nach, weil mir sehr an einem breiten Konsens über die angemessene ethische Beurteilung von Chancen und Risiken der Gentechnik mit den Maßstäben und den Kriterien des christlichen Glaubens gelegen ist.

Die evangelische Kirche hat sich an der Auseinandersetzung mit der Gentechnik in den letzten Jahren beteiligt und in verschiedenen Veröffentlichungen, teilweise gemeinsam mit der römisch-katholischen Kirche, Stellung bezogen.

In diesem Beitrag werde ich zunächst an einem Beispiel den ethischen Kernpunkt benennen (Teil 1). Dann sage ich etwas zum christlichen Schöpfungsverständnis und Menschenbild (Teil 2). Im dritten Teil beschreibe ich Leitlinien ethischen Handelns (Teil 3). Abschließend nenne ich drei Forschungsbereiche, um an ihnen den "Störfall" zu verdeutlichen, der aus der Sicht der evangelischen Kirche vorliegt.

1 Der Streitfall Watson - oder: Worum geht es ethisch bei der modernen Genetik?

Zweifellos markiert die Entschlüsselung des menschlichen Genoms einen Meilenstein in der Wissenschaftsgeschichte. Bei einer aus diesem Anlass veranstalteten Pressekonferenz am 26. Juni 2000 verkündete US-Präsident Clinton "Heute lernen wir die Sprache, in der Gott Leben geschaffen hat." Ob es schon so weit ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Es sind ja sozusagen erst die Buchstaben der Wörter entdeckt, die in der Sprache der Gene Verwendung finden. Aber ich teile mit vielen Menschen die Hoffnung, dass dadurch die Chance wächst, in Zukunft manche Krankheiten erfolgreich zu bekämpfen.

Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist aber nicht nur der Erfolg eines großen Forschungsprojekts festzustellen, sondern es ist auch zu konstatieren, dass dadurch die bisher gültigen Grundlagen des Lebensschutzes in einem bisher nie gekannten Ausmaß in Frage stehen. Häufig sprechen Wissenschaftler und Produzenten biomedizinischer Technik den Kirchen das Recht ab, sich mit dem Hinweis auf das vom Wort Gottes her Gebotene einzumischen und Forschungsziele und -methoden in Frage zu stellen. Sie empfinden den Einspruch der christlichen Ethik als einen unzeitgemäßen Versuch, den Fortschritt zu bremsen. Den Titel meines Vortrages habe ich deswegen ein wenig provozierend formuliert: "Das Bekenntnis zu Gott - Störfall der Forschung?"

Ein prominenter Naturwissenschaftler hat seinen Ärger über seine frommen Kritiker kürzlich so ausgedrückt:

"Ich sehe ... nur unnötiges Leid durch Gesetze entstehen, die auf der Grundlage der Macht willkürlicher religiöser Eingebungen die Geburt erblich behinderter Kinder erzwingen, obwohl die Eltern es vorziehen würden, solche Schwangerschaften abzubrechen, weil sie hoffen, daß ihr nächstes Kind gesund sein wird."

Diese Worte führen mitten hinein in unser Thema. Sie stammen von dem Molekularbiologen und Nobelpreisträger James D. Watson, der zusammen mit Francis Crick 1953 die Doppelhelixstruktur der DNS entdeckt und damit den atemberaubenden Weg der Genforschung angebahnt hat. Fast vierzig Jahre später gehörte er zu den Initiatoren des staatlich finanzierten Human-Genom-Projektes zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes.

James D. Watson hat in einem viel beachteten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. September christliche Glaubensüberzeugungen angegriffen und Gründe dafür propagiert, dass behinderten Föten kein unbedingtes Lebensrecht zukomme.

Watson sucht nach Zustimmung zu seinem Ansatz, indem er auf die Dramatik einzelner Krankheitsbilder hinweist. Er prognostiziert einen in den nächsten Jahren wachsenden Konsens darüber, " ... daß Menschen das Recht haben, dem Leben erbgeschädigter Föten ein Ende zu setzen." Wie bei den schon jetzt gegebenen Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik wird die Entschlüsselung des genetischen Codes Krankheitsprognosen verfeinern und dazu herausfordern, das Übel "im Keim" zu vernichten. Aber der Keim ist ein Mensch.

Watson, der die Relevanz zentraler Glaubensinhalte für die ethische Urteilsbildung in Frage stellt, schätzt immerhin den Einfluß des christlichen Glaubens als so stark ein, dass er durch den Einspruch der christlichen Ethik die Forschung gestört sieht. Aus seiner Sicht kann er einen "Störfall der Forschung" nicht wollen. Schließlich verfolgt er ein großes Ziel: "Wenn das Humangenomprojekt abgeschlossen sein wird, wird es in unserer Macht stehen, die grundlegenden genetischen Eigenschaften zu erkennen, die uns zu Menschen machen."

Keine Frage: Da ist sie wieder, die alte Sehnsucht, Gott in die Karten zu schauen, um sie selber nach eigenen Vorstellungen neu zu mischen - das war schon immer ein Traum vieler Forscher. Und nun scheint der Triumph nahe, die Evolution des Menschen gezielt beeinflussen zu können.

Bei Watson klingt trotz seiner Ablehnung grundlegender christlicher Überzeugungen am Schluss seines FAZ-Artikels eine bemerkenswerte Einsicht an: Es stehe zu befürchten, so sagt er, "wir könnten zu schnell in jene Rolle hineinwachsen, die wir in der Vergangenheit den Göttern zugedacht haben" . Es lässt aufhorchen, wenn ein kirchenkritischer Forscher und dezidierter Gentechnik-Befürworter wie James Watson im Blick auf die Entwicklung der eigenen Wissenschaft zur Vorsicht und zur Demut mahnt angesichts der Versuchung, das Wissen zu mißbrauchen, um "genetisch segregierte Gesellschaften zu erschaffen, in denen nicht allen Bürgern die Aussicht auf Hoffnung und Menschenwürde gegeben wäre."

Dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen entspricht unserem menschlichen Wissensdrang. Die Mahnung zur Vorsicht und Demut verrät etwas von der Einsicht, dass das Wissenwollen nicht frei ist vom Streben nach Macht und Überlegenheit. Die Vorstellung von einer reinen Wissenschaft wäre eine Fiktion, die von wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Bedingungen des Wissenschaftsbetriebs absieht. Manche Reproduktionsmediziner fordern heute eine Liberalisierung des Embryonenschutzgesetzes, wohl auch deshalb, weil die Erfüllung eines Kinderwunsches auch ansehnlichen finanziellen Gewinn ermöglicht. Gegenwärtig liegt eine ganze Branche im Goldrausch und hofft, so bald wie möglich das neue Wissen in pharmazeutische Produkte und medizinische Verfahren überführen zu können. Was kranken Menschen nützt, soll zugleich Gewinn abwerfen. Die Risiken und Nebenwirkungen sind ähnlich schwer zu kalkulieren, wie die auf den sprichwörtlichen Packungsbeilagen von Medikamenten. Eine verantwortliche Gesellschaft muß in nüchterner Einschätzung der Ambivalenz menschlichen Handelns immer wieder Regeln und Grenzen definieren, die Mißbrauch eindämmen und nicht wünschbare Entwicklungen verhindern. Es gilt auch im Blick auf die Gentechnik, den realen Gegebenheiten von Irrtumsfähigkeit, finanzkräftigen Egoismen und ungleich verteilten Chancen standzuhalten.

Der Genuß vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen währt bekanntlich nicht lange. Dem Genuß folgt die Erkenntnis der Blöße und die Frage: "Adam, wo bist du?" Auf die hat "Adam", der Mensch, bis heute noch keine schlüssige Antwort aus eigener Kraft gefunden. Es ist ein realistisches Menschenbild, das der biblische Glaube vermittelt. Zu ihm gehört die unbequeme Wahrheit, dass nicht alles, was Menschen erforschen können, dem Menschen auch dient.

Anspruch, Methoden, Ziele und Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse sind daraufhin zu prüfen, ob sie der Humanisierung der Lebenswelt dienen oder ihr zuwiderlaufen.

Darum fragen wir: Welche ethischen Kriterien helfen uns bei der Beurteilung problematischer Forschungsvorhaben?

Das Ziel dieser Frage ist eine breite gesellschaftliche Verständigung darüber, wie der Fortschritt der Forschung verantwortlich zu begleiten ist. Die Folgen treffen alle; über sie kann daher nicht früh genug nachgedacht werden.

Allerdings erweist es sich als schwierig, die Verantwortung im Umgang mit den neuen Möglichkeiten wahrzunehmen.

  • Die Forschung ist durch die elektronische Verarbeitung der Datenmengen ungeheuer beschleunigt, so daß ethische Reflexion kaum Schritt halten kann.
          
  • Folgen bzw. Nebenwirkungen sind von einer kaum schätzbare Reichweite
          
  • Die hochgradige Arbeitsteilung in den Wissenschaften und in der Anwendung von Forschungsergebnissen erschwert die interdisziplinäre Verständigung.
          
  • Forschungsaktivitäten werden global organisiert und sind nur äußerst schwer zu kontrollieren.
    Vieles ist zudem in einem frühen Stadium der wissenschaftlichen Entwicklung. Noch längst ist nicht alles klar, auch wenn der Fortschrittsoptimismus glaubt, der Nebel sei im Schwinden.

Gleichwohl macht es Sinn, grundsätzliche ethische Fragen aufzuwerfen und Kriterien für ein verantwortliches Handeln zu benennen.

2 Zum christlichen Schöpfungsverständnis und Menschenbild

Die Gentechnik-Studie der EKD von 1991 hat sich dieser Herausforderung gestellt und für einen verantwortlichen Umgang mit der Gentechnik ein neues Naturverständnis gefordert. Dafür hat sie den - damals durchaus nicht gängigen - Begriff "Einverständnis mit der Schöpfung" geprägt. Damit ist gemeint, dass menschliches Verhalten, Planen und Handeln der Schöpfung entsprechen soll, d.h. das von Gott geschaffene Leben soll gefördert, bewahrt und zur Entfaltung gebracht werden. Nicht nur zahlreiche Psalmen (z.B. Ps 104), sondern besonders die beiden biblischen Schöpfungsberichte und nicht zuletzt die Botschaft von der Auferstehung Jesu bezeugen, dass Gott Eigentümer und Anwalt allen menschlichen Lebens ist. Der Mensch soll über die Natur verfügen, nicht aber über menschliches Leben. Töten ist nach Gottes Gebot nicht erlaubt. Es bedeutet immer Verletzung des Gottesrechts.

So heißt es im ersten Schöpfungsbericht: "Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei ..." (1. Mose 1,26) Nach biblisch-christlicher Überlieferung gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Tier: Von allen Geschöpfen ist allein der Mensch zum Bild Gottes geschaffen und als Gottes Gegenüber dazu bestimmt, an dem von Gott selber angestoßenen Prozeß der Erneuerung und Vollendung der Schöpfung in Jesus Christus teilzuhaben.

Es ist der Mensch, mit dem Gott eine Geschichte haben will; durch Jesus Christus geht es um ihn, um seine Würde und seine Unverletzlichkeit. Sie darf nicht vom Menschen bestritten, verletzt oder vorenthalten werden. Im Bild des Menschen Jesus will Gott auf Erden gegenwärtig sein. Der alte Adam soll sein ursprüngliches Bild, die ihm von Gott zugedachte Rolle als Mitwirkender in der Schöpfung, wiederfinden und danach handeln. Die Christusbotschaft will ihn gerade aus der Abhängigkeit und Sklaverei befreien. Gottes Knechte sind frei!

Mit anderen Worten: Die Würde des Menschen ist keine statische Größe; sie wird nicht durch eigene Leistungen oder Verdienste oder aufgrund bestimmter Eigenschaften erworben. Vielmehr eignet sie jedem Menschen von der Zeugung bis zum Tode. Wir haben daher nicht das Recht, ein Urteil über den "Lebenswert" eines Menschen zu fällen und ihm seine Würde abzusprechen. Wir können auch nicht sagen, menschliches Leben hätte diese Würde zu irgend einem Zeitpunkt noch nicht oder nicht mehr.

Dieses christliche Menschenbild unterscheidet sich fundamental von einer anderen Denkrichtung. Diese setzt einen Personbegriff voraus, der auf John Locke (1632-1704) zurückgeht und auf den sich z.B. auch Peter Singer und wohl auch Watson beziehen. Nach diesem Verständnis wird das "Personsein" eines Menschen an empirisch aufweisbaren geistigen Fähigkeiten festgemacht, die sich in der Artikulation von Interessen konkretisieren. Nur wer Bewußtsein und Interessen hat, ist 'Person' im Sinne dieses Ansatzes und muss bei ethischen Abwägungen berücksichtigt werden. Im Umkehrschluß bedeutet das: Wo Menschen ihre Interessen nicht äußern können - weil sie dement, appallisch oder komatös, weil sie ungeboren, schwerbehindert oder alt sind -, haben sie keinen Anspruch auf den Schutz des Lebens und damit kein Lebensrecht.

Angesichts der neuen diagnostischen Möglichkeiten wird die Frage wieder öffentlich diskutiert, ob es ethisch geboten ist, einen nach dem Entwicklungsgrad des Embryo abgestuften Schutz des Lebens einzuführen. Dabei beruft man sich auf unsere Rechtsregelungen, die bei besonderen Konfliktsituationen einen Schwangerschaftabbruch straffrei lassen.

Es ist zu unterscheiden zwischen einer Konfliktsitutaion von betroffenen Eltern und der Frage, ob diagnostische Verfahren genutzt werden dürfen, die im Eergebnis nicht auf Therapie, sondern auf Tötung zielen.

In dieser Frage sind wir Kirchen ein "Störfall der Forschung". Damit stellen wir uns nicht über die Menschen, die in der Forschung arbeiten. Nicht wenige sind unsere Gemeindeglieder. Wir können ihnen weder den Glauben noch ein verantwortungsvolles Berufsethos absprechen. Aber wir wollen sie mit Fragen konfrontieren, die sich aufgrund des Glaubens stellen.

3 Leitlinien ethischer Beurteilung

Ich habe mich bis hierher in der Betrachtung der Forschungsfolgen fast ausschließlich auf die ethischen Probleme beschränkt, die mit den neuen Diagnosemöglichkeiten durch Genomentschlüsselung gegeben sind.
Genforschung zielt aber viel weiter. Dementsprechend weit reichen die ethischen Fragen zu den mit ihr verbundenen zu problematischen Aspekten. Sie betreffen auch andere Forschungszweige, wie etwa die medizinische Gentherapie, die Entwicklung neuer Lebensmittel und verschiedene Anwendungen im Bereich in der Landwirtschaft etwa bei Saatgutherstellung und Tierzucht. Vor allem in diesem letztgenannten Bereich wird die Notwendigkeit der Genforschung damit begründet, dass die früher verwendeten Technologien etwa beim Pflanzenschutz und der Verbrauch von Boden-Ressourcen Probleme bereitet haben, die nun ganz neue Anstrengungen in der Forschung brauchen, damit sie gelöst werden.
Daher ist es auch für diese Bereiche dringend erforderlich, Leitlinien ethischer Beurteilung zu benennen. Ich berufe mich dabei auf frühere Veröffentlichungen der Kirchen:

  1. Menschenwürde, Respekt vor dem Leben der Anderen und das Tötungsverbot .
    Das Tötungsverbot markiert Insbesondere am Anfang und am Ende des Lebens nicht nur eine Grenze, die im Verhalten zum Mitmenschen nicht überschritten werden darf. Es muss vielmehr im Licht des umfassenderen Liebesgebotes verstanden und als positiver Auftrag zur Bejahung des Lebens gesehen werden. Der menschlichen Gemeinschaft kann Leben mit Behinderten und Sterbenden zugemutet werden.
          
  2. Autonomie, d.h. forschende Verantwortung für die Schöpfung übernehmen.
    Vorausschauendes Handeln ist unerläßlicher Bestandtteil eigenverantwortlicher Existenz.
          
  3. Recht auf Integrität und Identität:
    Jeder gentechnische Eingriff, der am Menschen vorgenommen wird, muss das Recht des Menschen auf leibliche Integrität und auf personale Identität achten. Der Mensch ist von Anfang an Person, und deshalb kann er niemals nur Objekt des Handelns sein. Selbst als Objekt ärztlichen Handelns ist er immer auch Subjekt, und als solches darf er niemals nur Mittel zum Zweck sein.
         
  4. Recht auf Nichtwissen:
    Die Methoden der pränatalen und prädiktiven Medizin können zu Prognosen führen, die nur belasten, da für die prognostizierten Krankheiten oftmals keine Therapien zur Verfügung stehen. In solchen Situation ist es besonders wichtig, von dem "Recht auf Nichtwissen" Gebrauch zu machen, also bewusst auf ein Wissen über die genetische Ausstattung z.B. eines ungeborenen Kindes zu verzichten.
         
  5. Einbeziehung von Alternativen:
    Die Erfahrung lehrt: Menschliche Vernunft kann sich mit viel intellektuellem Aufwand in Sackgassen hineinmanövrieren. Sie wird nicht selten dadurch in die Irre geführt, dass sie an einmal eingenommenen Perspektiven festhält und mögliche Alternativen nicht oder nicht rechtzeitig in den Blick nimmt.
          
  6. Eigenwert und Eigenrecht der Mitgeschöpfe:
    Pflanzen und Tiere dürfen nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für den Menschen bewertet werden. Im Zusammenhang unserer Ökosysteme hat jedes Lebewesen einen Wert, auch wenn er für uns nicht in jedem Fall erkennbar ist. Alle tiefgreifenden Veränderungen der Natur, soweit sie vom Menschen beeinflusst oder herbeigeführt werden, haben dieses Eigenrecht zu beachten. Wir brauchen einen neuen Respekt vor dem Gegebenen, der wächst aus dem Staunen über die Wunder der Schöpfung, deren Vielfalt wir nicht zerstören dürfen.
          
  7. Abschätzung der Folgen und Bewertung der Risiken:
    Aus unserem Verhältnis zur Natur und der Autonomie der Menschen ergibt sich die moralische Forderung, die Folgen, die das eigene Handeln haben könnten, bei der Handlungsentscheidung selbst zu berücksichtigen. Dies gilt in verstärktem Maße dort, wo die Eingriffstiefe des Handelns durch neue technische Möglichkeiten erheblich gesteigert wird.
    Ich habe damit nicht alle, aber doch einige der wohl wichtigsten Kriterien erwähnt, die bei der Bewertung der Gentechnik herangezogen werden müssen.

Noch einmal möchte ich betonen: Aus dem Schöpfungsauftrag Gottes leiten wir das Recht des Menschen ab, die Natur zu gestalten und die Pflicht, das Leben zu schützen. Aus christlicher Sicht kann es nicht um eine Verdammung der Genforschung oder um ein apodiktisches Nein zum Gebrauch gentechnischer Anwendungen gehen. Die Kirchen haben die Pflicht, dass sie ihre Bedenken gegebenenfalls auch als lauten Zwischenruf artikulieren, dessen "störende" Wirkung man durchaus in Kauf nehmen muss. Denn uns liegt daran, dass durch produktiven Streit mehr Nachdenklichkeit erzeugt und so den Fragen der Bioethik jene Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihnen zum Wohl der Schöpfung gebührt.

4 Störfälle der Forschung

Ich will im letzte Teil meines Vortrages drei Forschungsgebiete aufzeigen, in denen nach meiner Überzeugung die Kirchen zum Innehalten und Nachdenken auffordern, also "stören" müssen.

Als erstes nenne ich die sog. Keimbahntherapie. Bei dieser Therapie soll ein defektes Gen schon im befruchteten Ei ersetzt werden. Dieser therapeutische Ansatz hat Vorzüge gegenüber der in etlichen Fällen von Erberkrankungen jetzt schon möglichen Selektion von Risikoembryonen durch Tötung. Mit der Manipulation aber würde die Veränderung im Erbgut auch an Nachkommen des behandelten Embryos weitergegeben. Hier fände also - jedenfalls im Gedankenexperiment, denn weltweit sind solche Versuche noch verboten - eine Art "positiver" Auslese mit nachhaltiger Wirkung statt. Die enormen Risiken eines solchen Schritts lassen sich nicht mit dem Hinweis vom Tisch fegen, wir müssten nur noch einiges mehr wissen, um bessere Entscheidungen treffen zu können.
Die Öffnung der Tür zu Eingriffen in die Keimbahn wäre nur zu verantworten, wenn es eine Gewähr gäbe, in Zukunft sicher zwischen Leidensverhinderung und willkürlicher "Optimierung" zu unterscheiden. Diese Gewähr sehe ich nicht.
Ein erfolgreicher, zielgerichteter Eingriff in die Keimbahn ist nicht von heute auf morgen zu erreichen, sondern er würde eine längere experimentelle Phase voraussetzen. Das bedeutet jedoch, dass man jedenfalls für die experimentelle Entwicklung und Verfeinerung des Verfahrens in Kauf nehmen müsste, Fehlschläge zu erleiden. Das hieße jedoch, man müßte bereit sein, menschliche Embryonen zu opfern und Föten als fehlgeschlagene Menschen zu beseitigen. Man kann nicht einerseits konsequent das Tötungsverbot durchhalten wollen und andererseits ein prinzipielles Ja zu verändernden Eingriffen in die Keimbahn sprechen.

Ein anderes Beispiel ist das auch in Deutschland inzwischen viel diskutierte Verfahren der sogenannten Präimplantationsdiagnostik . Bei dieser Methode werden nach einer Reagenzglasbefruchtung Zellen des Embryos genetisch untersucht, um nur diejenigen Embryonen in die Gebärmutter einzupflanzen, die eine bestimmte Krankheit oder die entsprechende Disposition dafür nicht haben. Hier handelt es sich also um eine "negative" Auslese, um die Ausschaltung schwerer Erbkrankheiten. Doch wird auch bereits bei diesen Verfahren menschliches Leben nur nach bestimmten "Qualitätsmerkmalen" beurteilt. Im Endeffekt könnte die Anwendung solcher Methoden dazu führen, dass die in Teilen der Gesellschaft ja durchaus noch oder schon wieder vorhandene Überzeugung mehrheitsfähig würde, kranke oder behinderte Kinder bräuchten nicht mehr zur Welt zu kommen.

Damit zeichnet sich ein Dammbruch zur Eugenik ab, denn eine Expansion dieser Technik in andere Bereiche kann nicht ausgeschlossen werden. Die Präimplantationsdiagnostik gilt unter Wissenschaftlern als "Türöffner" für das therapeutische Klonen: Wenn man Embryonen untersuchen und verbrauchen darf, ist der Schritt zur gezielten Herstellung von Embryonen zwecks Gewinnung embryonaler Stammzellen nicht mehr weit.

Es ist erst wenige Wochen her (5.10.00), dass wir von der gezielten Erzeugung des Adam Nash in den USA lesen konnten. Er wurde unter 15 im Reagenzglas gezeugten Embryonen ausgewählt, um Stammzellen zu liefern, mit dem das Leben seiner schwerkranken Schwester erhalten werden soll. Der benannte Zweck ist anrührend. Leiden soll verhindert werden. Das Bild des Menschen als Abbild Gottes erfordert Solidarität mit dem Kranken. Aber was der Heilung einzelner Menschen dient, darf den grundsätzlichen Lebensschutz nicht zur Disposition stellen. Lebensschutz von Embryonen ist höherrangig als die Erfüllung des - verständlichen - Wunsches einzelner Menschen nach Gesundheit. Hier ist eine wichtige Grenze bereits überschritten, und niemand weiß wie schnell es geht, bis jemand die vorgebliche Normalität der Herstellung von Designerbabies als Organspender zumindest behaupten wird.

Das dritte Forschungsgebiet ist das Klonen bzw. die Stammzellforschung . Nachdem sich das sog. "reproduktive Klonen", also die Entwicklung eines Lebewesens nach der sog. "Dolly-Methode", weltweit in vielen Tierexperimenten etabliert hat, zieht nun eine zweite Form der Klonierung Forscher in den Bann: das sogenannte "therapeutische Klonen".

Gleich zu Anfang sei gesagt: "Therapeutisches Klonen" ist ein beschönigender Ausdruck. Denn dieses Klonen hat selbst nichts Therapeutisches an sich. Genau das Gegenteil ist der Fall: Embryonen werden nach der Dolly-Methode produziert und - nachdem man ihnen die begehrten embryonalen Stammzellen entnommen hat - vernichtet. Aus den Stammzellen sollen dann verschiedene Gewebe und vielleicht eines Tages ganze Organe gezüchtet werden.

Mit anderen Worten: Embryonen werden erzeugt, um als biologisches Ersatzteillager, als medizinischer Rohstoff bereitzustehen. Danach sind sie wertlos und werden getötet. Das ist verbrauchende Embryonenforschung! Der Eindruck ist falsch, therapeutisches Klonen habe nichts mit menschlichen Lebewesen zu tun, da es nicht der Fortpflanzung diene und damit "nicht reproduktiv" sei. Nebenbei bemerkt ist auch hierbei in keiner Weise zu erkennen, durch welche Mechanismen der Übergang vom therapeutischen zum reproduktiven Klonen verhindert werden könnte.

Mehrfach hat die evangelische Kirche zur Embryonenforschung betont: Wenn die Vernichtung eines Embryo zur Voraussetzung für Gesundheit, Überlebensfähigkeit oder verbesserte Therapiechancen von anderem menschlichen Leben wird, dann ist dies eine Instrumentalisierung eines Menschen, und die kann auch um hochrangiger Ziele willen nicht statthaft sein.

Deshalb muss unter diesen Umständen auf mögliche wissenschaftliche und partielle therapeutische Fortschritte verzichtet werden, eine Unterlassung müsste aus sittlichen Gründen auch durch Verbote rechtlich erzwungen werden.

Auch wenn in Deutschland bisher das Embryonenschutzgesetz ausnahmslos jegliche verbrauchende Embryonenforschung und auch das Klonen verbietet, müssen wir uns auf die Debatte über Stammzellforschung einlassen. Denn mit den Möglichkeiten des Klonens hat sich die Situation zugespitzt: Es geht nicht mehr nur um Grenzziehungen des wissenschaftlichen Versuchs am Menschen; sondern das Menschwerden selbst ist Gegenstand des Versuchs geworden. Dies ist eine neue ethische Fragestellung von bisher nicht gekannter Dimension. Der Mensch kann sich durch die Methoden des Klonens in einem neuen Sinne selber "machen". Er ist nicht mehr auf Wege der natürlichen oder künstlichen Befruchtung angewiesen, sondern wird beliebig unter den Menschen diejenigen auswählen können, die er für kopierfähig hält.

Die Gefahr einer Selektion von Menschen gemäß ihres Genpools tut sich hier auf. Sogar gezielte Menschenzüchtung oder Manipulationen am Erbgut nach Katalog sind nicht mehr ausgeschlossen. Wir müssen allen Ansätzen zur gezielten Menschenzüchtung widerstehen! Angesichts des Wunderwerkes der evolutionären Anpassung des Menschen an die übrige Schöpfung ist es Größenwahn, das genetische Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Wie hatte James Watson so treffend formuliert: Es steht zu befürchten, "wir könnten zu schnell in jene Rolle hineinwachsen, die wir in der Vergangenheit den Göttern zugedacht hatten".

Die christliche Botschaft warnt vor dieser Gefahr. Die Kirche vermag nur soweit wirksam davor zu schützen, als sie ihren Verkündigungsauftrag ernstnimmt und öffentlich daran erinnert, dass der Mensch in einem Verhältnis zu Gott steht und selbst nicht das Maß aller Dinge sein kann. Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung, um Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen, mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen zur Unterstützung jener Grundhaltung zu gewinnen, dass nicht der Mensch Herr des Lebens ist. Die Bibel verheißt uns, Gott als "Freund des Lebens" (Weisheit Salomos 11,26) zu erkennen, der uns Menschen dazu beruft, befähigt und verpflichtet, selbst Freunde des Lebens zu sein.