Eröffnungspredigt über Micha 6, 8
Christian Krause
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht: nichts anderes als Recht üben, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott.
(Micha 6, 8)
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus.
Liebe Gemeinde,
Micha aus Moreschet war ein wortgewaltiger Mann.
Er hatte prophetische Gaben und konnte erfassen, welche Folge das Tun der Menschen hat. - Gutes und Böses.
Er hielt die Augen offen und nannte, was er sah, beim Namen.
Er sah, dass die Leute in seinem Umfeld, die Reichtum und einflussreiche Positionen hatten, geltendes Recht beliebig aushebelten und sich jeden erdenklichen Vorteil herausholten. Das brachte ihn auf. Und er ging dagegen an, der Mann Micha aus dem Dörfchen Moreschet, ging öffentlich an gegen Unrecht und Korruption und stellte sich auf die Seite der Schwachen, die dem Unrecht hilflos ausgeliefert waren. Er wusste: Wer das Recht mit Füßen tritt, macht die Schwachen schutzlos und treibt damit das ganze Volk, alle miteinander, in den Ruin und in die Selbstzerstörung. Wer das Recht bricht, bricht mit Gott. Und wer mit Gott bricht, verliert seine Zukunft.
Moreschet, das Dorf, wo Micha im 8.Jh. vor Christus wohl Sprecher des Ältestenrates war, liegt unweit von Jerusalem mitten auf der Achse von Nordost nach Südwest zwischen der West Bank und dem Gaza Streifen im Nahen Osten.
Das war schon immer ein Konfliktgebiet. Da ist schon immer um die Macht gerungen worden. Und da sind schon immer Menschen unter die Räder gekommen.
Nicht zufällig ist gerade jenen Schriften des Mannes aus Moreschet der Aufschrei der Sehnsucht nach Frieden hinzugefügt worden, der bis in unsere Zeit hinein im Ohr geblieben ist: "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen." (Micha 4,3)
Das ist eine Hoffnung, die aus dem Recht wächst, welches auch den Armen und Schwachen Schutz und Chance zum Leben bietet und es nicht zum Bruch mit der Barmherzigkeit Gottes kommen lässt.
Symbol der Sehnsucht nach Frieden ist das geworden, dass Schwerter zu Pflugscharen werden mögen, auch über den Bestand der Mächte hinaus, die dieses Symbol benutzt oder verfolgt haben bis in unsere Zeit.
Gewaltig in Eisen gegossen steht es vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York, ein Geschenk der ehemaligen Weltmacht Sowjetunion. Und auf kleinen Aufnähern wurde es von zumeist jungen Christen getragen, die um solcher Hoffnungszeichen willen unter den Druck der ehemaligen Staatsmacht der DDR gerieten.
Die Mächte sind dahin, aber die Hoffnung und die Sehnsucht sind geblieben, - nicht zuletzt mit dramatischer Aktualität im Blick auf jene Region rund um Jerusalem, aus der die sprachgewaltigen und prophetischen Bilder aus dem Buch Micha stammen. Steinwürfe und Gummigeschosse, Kreisläufe von Hass und Wut und Angst und Agitation, von Verzweiflung und Gewalt ohne Perspektive zum Leben.
"Warum hast du das getan?", wird ein Junge in einem von Kindern und Jugendlichen überfüllten Gefängnis in Ruanda gefragt. "Warum hast du das nur getan?" "Nur eben so", sagt er achselzuckend. Zwei Mädchen hat er im Blutrausch des ostafrikanischen Völkermordes erschlagen. Nebenan wohnten sie, waren aber vom anderen, vom verfeindeten Stamm. "Alle haben es getan", sagt er. "Es war einfach so."
Das Böse, liebe Gemeinde, ist lehrbar und lernbar. Es kann zum machtvollen System werden, aus dem nur schwer, nur mit größter Zivilcourage und unter größten Risiken herauszukommen ist.
"Warum habt ihr das getan? Wie konnte es dazu kommen?"
Das Entsetzen ist nicht gewichen, wird wiederbelebt, wenn wir in diesen Tagen erneut Dimensionen des Holokausts aus der jüngsten Geschichte des eigenen Volkes dokumentarisch vor Augen geführt bekommen. Holokaust nun mit "k" geschrieben - eingedeutschtes Entsetzen.
Was hätte man dagegen tun können? Was war, was ist heute dagegen zu tun?
Worauf müssen wir Acht haben, damit Gewalt und Menschenverachtung nicht unter der Hand wieder die Oberhand gewinnen?
Wissen wir es wirklich nicht besser, oder zumindest: könnten wir es nicht besser wissen?
Dazu noch einmal wieder Micha:
"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott bei dir sucht. Nichts anderes als Recht üben, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott." (Micha 6,8)
So, liebe Gemeinde, steht es als ein Zitat aus dem Buch des Micha über dieser Woche, die für viele der hier im Braunschweiger Dom versammelten auch eine Synodenwoche ist. Die Ökumene, das Zusammenleben der Menschen hier und weltweit über die vielen zwischen uns gezogenen Grenzen hinweg, soll das Thema dieser Synode sein. Und da nun diese Erinnerung an das, was Gott uns Menschen ins Herz gegeben hat, damit wir's tun. Alles drei gehört zusammen, bedingt einander in der Kraft der Liebe Gottes: Recht üben, das heißt Freundlichkeit lieben, das heißt aufmerksam mitgehen mit deinem Gott. An der Seite des barmherzigen Gottes gewinnt das Recht seine Schutzfunktion für die Schwachen, gibt Lebenschancen den Armen, bringt Heimat den Heimatlosen. Wir könnten das wissen, wollen uns heute morgen daran erinnern lassen, dass es das ist, was Gott bei uns sucht und erhofft, fast möchte ich sagen, was Gott von uns erbittet um unseres Lebens willen.
Es geht nicht um aufgesetzte und moralisierende Forderungen.
Im Gegenteil: Das soziale Gewissen wurzelt in der Barmherzigkeit Gottes. Schwache brauchen Hilfe. Das gilt in den eigenen Reihen wie weltweit. Schutz der Menschenwürde ist Schutz des Menschenrechtes. Recht üben und Freundlichkeit lieben, wie es Micha sagt, sind elementare Voraussetzungen für unser Zusammenleben so, dass Schwerter zu Pflugscharen werden können. Nichts zerstört solchen Frieden mehr als Rassismus und Fremdenhass, die Exponenten von Unmenschlichkeit und Menschenverachtung. Dagegen steht auf! Es ist euch doch gesagt, ihr wisst es doch, was gut ist, was dem Leben dient. Dafür setzt eure Kraft ein, euren Mut, auch euer Geld - viel mehr als bisher -, dass unter uns auch auf schwierigen, mühevollen Wegen gelernt und erfahrbar gemacht wird, Recht zu üben und Freundlichkeit zu lieben gegen jede und jeden. Wir wissen es doch, haben es erneut vor Augen, was es bedeutet, wenn solches Recht mit Füßen getreten und solche Freundlichkeit in Hass gewandelt wird. Und deshalb auch dies: macht es nicht zum Streitthema, das unser Volk teilt, ob und wie Fremde und Flüchtlinge unter uns Gastfreundschaft und neue Heimat finden können. Es sei vielmehr unsere gemeinsame Sorge, die unser Volk eint, dass niemand verloren gehe.
Als Ende 1944, jetzt im Oktober vor 56 Jahren, diese Stadt Braunschweig im Bombenhagel zusammenfiel und Tausende von Menschen unter den Trümmern begraben lagen, da hingen hier im Dom noch die Hakenkreuzfahnen in langen Bahnen von der Decke und Nazi-Embleme füllten den Raum. Eine "nationale Weihestätte" war dieser Ort, wie es damals hieß. Und als schließlich alles vorbei war und nur das Entsetzen blieb, da brachten Menschen das Zeichen der Hoffnung zurück in den Dom, in das geschändete Gotteshaus. Es war das nach dem Meister Imervard genannte Kruzifix aus dem 12. Jh., dort drüben an der Wand. Der segnende, heilende, werbende und wärmende Christus - noch am Kreuz des Leidens und des Todes, und doch schon der Überwinder und Wegweiser zum Leben.-
"Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist." So könnten die Worte aus dem Buch Micha nun aus seinem Munde zu uns kommen: "Es ist dir gesagt, Mensch, was zum Leben hilft und was Gott bei dir sucht: nichts anderes als Recht üben, Freundlichkeit lieben und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott."
Aufmerksam, hellwach und sensibel mitgehen auf dem Weg, den er vorangeht. Durch's Kreuz in's Leben. In die Nachfolge Jesu mündet der Ruf zum Guten, das Gott bei uns sucht. Da wächst sein Friede, der höher ist als unsere Vernunft. Der erhalte auch eure Herzen und Sinne in ihm: Jesus Christus.
Amen