Grußwort beim Internationalen Symposion zum Abschluss des Karl-Barth-Jahres in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden
Bundesministerin a.D. Präses Dr. Irmgard Schwaetzer
Es gilt das gesprochene Wort
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Jahrhundert-Theologe“ – kleiner geht’s nicht, wenn man die Medienberichterstattung über Karl Barth durchsieht. Die Berichte machen auf das umfängliche Werk Karl Barths aufmerksam, auf den Kommentar zum Römerbrief, die Dogmatik, fast alle mit dem Hinweis auf Karl Barth als dem impulsgebenden Theologen der Barmer Theologischen Erklärung. Grund genug also für die EKD, gemeinsam mit dem Reformierten Bund mit einem Karl-Barth-Jahr an ihn zu erinnern: an den 50. Todestag des Theologen, an das Erscheinen des Kommentars zum Römerbrief vor 100 Jahren, an sein Thema, der „Rede von Gott“. Natürlich hat das Gedenkjahr auch eine Losung, die sozusagen die Theologie Karl Barths in eine Nussschale legt: „Gott trifft Mensch“.
Wo trifft Gott uns heute? Dem können wir nur aus unserer menschlichen Perspektive nachgehen und fragen: Wo und wie reden wir von Gott? Als Kirche wie auch als einzelne Christinnen und Christen müssen wir uns dieser Frage immer wieder stellen. Mit dieser Frage sind wir niemals, aber auch niemals fertig. Barth’s Warnung, uns nicht auf fromme Worte zurückzuziehen, ist für die heutigen Christen in der Regel kein Problem. Aber sein Postulat, Theologie zu treiben heiße, sich auseinanderzusetzen mit der Welt um uns herum, genau und kritisch hinzuschauen auf die Situation der Kirche, der Gesellschaft und Politik – das trifft die aktuelle Situation genau.
Dabei ist Barths Theologie als ein ständiges Durchdenken, Hinterfragen und Neuformulieren der Rede von Gott der säkularen Gesellschaft durchaus fremd. Und doch ist seineTheologie zeitgemäß, denn diese beständige Frage nach Gott führt für Barth in die intensive Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit und mit der Frage: Wie reden wir von Gott? Wie können wir das Evangelium zur Sprache bringen: verständlich und relevant für die Menschen, die wir damit erreichen wollen?
Dieses Anliegen Karl Barths ist die Aufgabe jeder Generation von Theologen, Pfarrerinnen, Gläubigen. Dabei ist mir ganz wichtig herauszustellen: Reden und Handeln müssen aufeinander bezogen sein, sonst ist die Botschaft nicht glaubwürdig. Dieser Zusammenhang beschäftigt uns als Kirche aktuell sehr: Letzte Woche wurde die sogenannte „Freiburger Studie“ vorgestellt. Sie prognostiziert einen enormen Rückgang der Mitgliedszahlen für beide großen Kirchen in Deutschland, was in der Konsequenz einen Verlust an Finanzkraft bedeutet. Viele meinen, zurückgehende Finanzen bedeuteten auch einen Verlust an Relevanz. Aber ist das wirklich so? Angesichts dieser Zukunftsperspektive stellen wir uns die zentrale Frage mit noch größerer Dringlichkeit: Was haben wir den Menschen heute von Gott zu sagen, das für ihr Leben relevant ist? Wie und wo reden wir so von Gott, dass sein Evangelium unseren Alltag trifft? Und wie müssen wir uns verändern, damit dies gelingt?
Innerhalb der EKD arbeiten wir in verschiedenen Prozessen an diesen Zukunftsfragen. Mit der Auswertung des Reformationsjubiläums 2017 hat die EKD-Synode das Thema „Kirche mit Resonanz“ zu einer Leitfrage gemacht. Welche Resonanzorte kennt der reformatorische Glaube? Welche sind neu zu entdecken? Es geht darum, die Rede von Gott in die Gesellschaft hineinzutragen. Die Kirche und ihre Vertreter dürfen nicht hinter Kirchenmauern darauf warten, dass Menschen zu ihnen kommen. Wir brauchen eine Haltung der Zuwendung zu den Menschen, damit wir als Kirche dort sind, wo Menschen leben, arbeiten, ihre Sorgen haben oder glücklich sind.
Die Perspektive einer an Mitgliedern kleiner werdenden Kirche stellt uns auch vor die Frage, wer zu uns gehört. Denn wir erleben viel Engagement dort, wo glaubwürdig von Gott geredet wird – in Chören, in diakonischen, sozialen und kulturellen Projekten. Dort geht es um die Sache selbst, um Gott, ohne dass nach Mitgliedschaft gefragt wird. Als Kirche, als EKD werden wir in den kommenden Jahren stark damit beschäftigt sein – und sind es ja schon jetzt –, wie wir unsere Strukturen den geringer werdenden finanziellen Ressourcen anpassen können. Dabei ist es so wichtig und so ermutigend, über den eigenen Tellerrand hinwegzuschauen und zu sehen, dass es diese Formen der Zugehörigkeit zur Kirche gibt. Und da sind wir wieder bei Barth, der unsere Aufmerksamkeit darauf lenkt, was wesentlich ist: Wo und wie reden Menschen von Gott?
Diese Frage verlangt uns heute viel ab, vor allem die Bereitschaft zu kritischer Selbstüberprüfung, zu wirklich tiefgreifenden Änderungen unserer institutionellen Strukturen und die Arbeit an einer neuen Grundhaltung, mit der wir die frohe Botschaft von Kreuz und Auferstehung, von Gerechtigkeit und Frieden in die säkulare Gesellschaft hineintragen. Mit der Wanderausstellung zum Karl-Barth-Jahr und mit verschiedenen Veranstaltungen gehen Sie in die Kirchengemeinden und sprechen mit den Menschen vor Ort über die Grundbegriffe unseres christlichen Glaubens. Das ist so wichtig und das wünsche ich mir von unseren Pfarrerinnen und Pfarrern vor Ort ebenso wie von den leitenden Geistlichen unserer Kirchen und den Professoren. Denn das Evangelium ist doch wirklich eine frohe Botschaft und die kann nur gehört werden, wenn wir von ihr erzählen, wenn wir unsere christliche Überzeugung als Grundsatz unseres Handelns sichtbar machen. Und zwar im Modus des Erzählens, der Zuwendung zum Nächsten und der Kritik (einschließlich der Selbstkritik) an Strukturen, die Ungerechtigkeiten erzeugen, Menschen unterdrücken oder vorhandenes Leid verdecken.
„Wo wir Menschen um Gerechtigkeit, Liebe, Freiheit und Wahrheit ringen sehen, sind wir gewiß, daß in ihnen der Auferstandene, der lebendige Gott ringt und arbeitet. Sie selber brauchen davon gar nichts zu wissen. (...) Das macht Gott gar nichts aus, denn er ist ein Gott der Freiheit.“[1] So fasst Friedrich-Wilhelm Marquardt Barths Botschaft auf der Tambacher Konferenz 1919 zusammen. Er nimmt in diesem Zitat Bezug darauf, dass in der, wie er sie wahrnimmt, atheistischen Sozialdemokratie Christus wirkt. Nun hat sich die Sozialdemokratie im Laufe der Jahrzehnte gewandelt wie die Gesellschaft insgesamt. Die Botschaft von Karl Barth ist mitten hinein gesprochen in unsere säkulare Zeit. Das nehmen wir aus dem Karl-Barth-Jahr mit.
[1] Friedrich-Wilhelm Marquardt: Der Christ in der Gesellschaft: 1919-1979; Geschichte, Analysen und aktuelle Bedeutung von Karl Barths Tambacher Vortrag, München 1980, 25.