Glaube junger Menschen - Jugendstudien

Jugendstudien: Wie Jugendliche heute glauben

„Ich bin gerne evangelisch, da es eine Konfession der Freiheit ist, in der sich Yin und Yang das Gleichgewicht halten.“

Janine

Tradierte religiöse Formen und konfessionelle Bindungen verlieren für Jugendliche an Bedeutung. Der Glaube verlagert sich auf die individuell-persönliche Ebene.

Fassen wir die großen Studien zum Thema Jugend, Religion und Kirche der letzten Jahre zusammen (z.B. Shell 2015, Bertelsmann Religionsmonitor 2008-2017, DJI-Survey AID:A 2014, V. KMU), so lässt sich eine Verlagerung des Glaubens auf die individuell-persönliche Ebene beobachten. Die Studien zeigen, dass tradierte religiöse Formen und konfessionelle Bindungen zunehmend an Bedeutung verlieren. Die Jugendlichen gewinnen dadurch mehr Freiheiten, selbst zu bestimmen, was, wem und woran sie glauben.

Die Subjektivierung des Glaubens

Dieser privatisierte Glaube nährt sich aus den subjektiv biographischen Erfahrungen der Jugendlichen. In den Studien der letzten Jahre wird dieses Phänomen als „religiöse bricolage“, „Patchwork-Religion“ oder „multireferentielle Collage“ bezeichnet. Das Gros der Jugendlichen durchläuft dennoch nach wie vor die kirchlichen Stationen von der Taufe bis zur Konfirmation. Neuere Studien zeigen, dass für junge Menschen Gemeinschaft und Gemeinschaftszusammenhänge wichtiger werden als die Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten. Gemeinschaft wird so zum Kern des Glaubens. Dieser ist eher unabhängig von einer immanenten oder transzendenten Glaubenseinstellung. Es kommt zu einer Verschiebung von der inhaltlichen Ausgestaltung des Glaubens hin zu einer größer werdenden Bedeutung von sozialen Beziehungen in der Gruppe. Geselligkeit und Gemeinschaft rücken auf Kosten der Glaubenseinstellungen in den Vordergrund.

„Beten gibt mir oft Kraft, also im Leben, wenn man dann auftanken kann, wenn man irgendwie am Boden ist, das hilft einem da immer, neuen Schwung zu bekommen. So direkte Situation weiß ich nicht. Schwierig zu sagen.“

Maria

Diese Beobachtungen werden von der der größten Studie über Glaube und Religion, dem Bertelsmann Religionsmonitor (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/religionsmonitor/) mit Blick auf die 18 bis 29-Jährigen zwar bestätigt, doch auch in diesem individualisierten Glauben ist das grundsätzliche Interesse an Gott und den Glauben erstaunlich hoch. So bejahen 51 Prozent, dass sie an eine höhere Macht glauben, und 34 Prozent der befragten Personen geben an, dass sie stark oder sehr stark an einen persönlichen Gott glauben. Die Frage, welcher Gott genau oder welche höhere Macht hier gemeint ist, bleibt allerdings offen. Interessant ist, dass nur zehn Prozent der Befragten davon sprechen, dass sie religiöse Erfahrungen machen.[1] Wir können also festhalten, dass zwar der konfessionell gebundene Glaube abgenommen hat, nicht aber das grundsätzliche Interesse an Gott und Religion.

[1] Ziebertz, Hans-Georg 2007. Gibt es einen Traditionsabbruch? In: Religionsmonitor 2008. Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus.

„Ich wünsche mir außerdem von der Kirche, dass man sich nicht immer versteckt. Die Kirche tut so viel Gutes, ich finde das sollte man viel mehr in den Mittelpunkt rücken, oft machen wir uns so klein.“

Luis

Was heißt das jetzt für die kirchliche Arbeit? Bevor Rückschlüsse auf mögliche Konsequenzen für das kirchliche Handeln gezogen werden können, sollen zunächst die Ergebnisse der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsstudie (KMU aus dem Jahr 2014) vorgestellt werden.

 

Glaube ja, Kirche nein!?

„An Kirche ärgert mich am meisten, wie schwerfällig man einen Wandel vollzieht. Natürlich soll Tradition irgendwo bestehen bleiben, aber man sollte sich immer neu erfinden um attraktiv bleiben zu können. Ich finde es wichtig, dass man den anderen nicht immer nur hinterher schwimmt, sondern auch mal selbst vorweg geht.“

Jörg

Die Ergebnisse der V. KMU zeigen, dass es deutliche Unterschiede in der Beziehung zwischen jungen Menschen (14 bis 29 Jahre) zur Kirche gibt. Hilke Rebenstorf hat in ihrer Analyse der KMU unterschiedliche Typen kirchlicher Bindung herausgearbeitet, von denen besonders die Typen A4 („Überdurchschnittliche Verbundenheit und häufiges Beten“, neun Prozent) und A6 („Stark Verbundene mit intensiver religiöser Praxis“, 15 Prozent) eine starke Bindung aufweisen.[1] Zwei Typen weisen eine mittlere Verbundenheit auf (Typen A2: Mittlere Verbundenheit ohne religiöse Praxis, 8,5 Prozent und Typen A3: Mittlere Verbundenheit mit mittlerer religiöser Praxis, 14,9 Prozent). Die größte nachgewiesene Gruppe der V. KMU in diesem Altersspektrum ist mit 47 Prozent der Befragten interessanterweise nicht der kirchlich gebundene, sondern der kirchlich ungebundene Typ (A1 „Nicht Verbundene ohne religiöse Praxis“). Die Gründe dafür sind vielfältig, haben aber mit der abnehmenden konfessionellen Glaubensprägung der Jugendlichen zu tun (Elternhaus und Kirche), sowie mit der Selbsteinschätzung, dass Glaube für sie eine subjektive Rolle spielt. Auch wegen dieser Ergebnisse folgert die fünfte Kirchenmitgliedschaftsstudie von 2014: „Der Haltung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Religion kommt eine besondere Bedeutung für die weitere Entwicklung der Kirche zu.“[2]

 

[1] Rebenstorf (2017): Die Generation U30 - wie hält sie's mit der Religion? Signifikante empirische Befunde in der V. KMU. In: Jugend und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, Schröder, Bernd / Hermelink, Jan / Leonhard, Silke (Hg.), S. 49–74, hier S. 51 ff.

[2] http://www.kirchegeld.de/EKD-Texte/92120.html, abgelesen am 10. Juni 2018.

„Ich war mal sehr oft in der Kirche und die Predigten waren eher für die älteren Damen gedacht.“

Kevin

Schlüssel: Mitgestaltung und Engagement

Im Vergleich zur vierten KMU zeigt sich ein deutlicher Befund: Die Zahl der Jugendlichen, die sich der Kirche schwach verbunden fühlt, ist im Vergleich zu vor zehn Jahren gestiegen. Innerhalb der Kirchenmitglieder in den jüngeren Generationen ist eine steigende Distanzierung zur Kirche zu beobachten, die mit zunehmender religiöser Indifferenz einhergeht. Wie diese Verbundenheit gestärkt werden kann, zeigt beispielsweise die große Konfirmandenstudie von Friedrich Schweitzer, Wolfgang Ilg u.a. (2016-2018), die feststellt, dass junge Menschen nach ihrer Konfirmandenzeit der Kirche dann eher verbunden bleiben, wenn sie diese als besonders positiv erlebt und hierbei Anerkennung sowie Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements (z.B. Konfi-Praktikum) und Gemeinschaft erfahren haben. Unter den jungen Erwachsenen (20 bis 26 Jahre) sind nur noch 11 Prozent in der evangelischen Kirche aktiv. 35 Prozent der 20 bis 27-Jährigen insgesamt vertrauen der Kirche, wobei die jungen Protestanten mit 41 Prozent ein deutlich höheres Vertrauen äußern als die konfessionell Ungebundenen mit 18 Prozent. Seit Beginn der 2000er Jahre zeigen sich für kirchliches Engagement und das Vertrauen in die Kirche bei den jungen Erwachsenen relativ stabile Ergebnisse (DJI-Survey AID:A). Schauen wir auf diese Gruppe von hochengagierten jungen Erwachsenen, dann stellen wir fest, dass es einen Zusammenhang zwischen Engagement, Verbundenheit und Glauben gibt.[1] Im Religionsmonitor wird diese Gruppe als die Hochreligiösen bezeichnet, da sie sich überdurchschnittlich hoch engagieren und Glaubenspraxis in ihrem Leben einen hohen Stellenwert hat.

 

[1] Tobias Faix und Tobias Künkler 2018. Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche. Neukirchen, Neukirchener Verlag.

„Wenn man in der Kirche hustet oder niest, ist es wie ein Bruch der Gebote und man wird von allen Seiten böse angeschaut, obwohl es nur menschlich ist und doch jedem schon mal passiert.“

Felix

Der Glaube an Gott wird häufig dann stärker, wenn es eine persönliche und vertrauensvolle Beziehung zu Gott gibt und eine religiöse Sozialisation im persönlichen Hintergrund steht. Ebenfalls konnte beobachtet werden, dass einerseits die religiöse Praxis in Form des Betens und des Gottesdienstbesuches mit dem Alter nachlässt, andererseits jedoch das Nachdenken über religiöse Fragen und der Austausch mit anderen über Glaubensfragen zunimmt – gerade unter den nicht religiös sozialisierten jungen Erwachsenen.


Literatur:

Gille, Martina: Jugend heute. Ausgewählte Ergebnisse der Jugendforschung. Vortrag für den Vorbereitungsausschuss zur Tagung der 12. Synode der EKD, in Hannover, am 24. April 2018

Ilg, Wolfgang/Pohlers, Michael/Gräbs Santiago, Aitana/Schweitzer, Friedrich, 2018: Jung – evangelisch – engagiert. Langzeiteffekte der Konfirmandenarbeit und Übergänge in ehrenamtliches Engagement im biografischen Horizont. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus

Huber, Stefan (2007): Aufbau und strukturierende Prinzipien des Religionsmonitors. In: Bertelsmann Religionsmonitor 2008, Bertelsmann Stiftung (Hg.), S. 21–31

Rebenstorf, Hilke (2017): Die Generation U30 - wie hält sie's mit der Religion? Signifikante empirische Befunde in der V. KMU. In: Jugend und Religion. Analysen zur V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD, Schröder, Bernd / Hermelink, Jan / Leonhard, Silke (Hg.), S. 49–74.

Schweitzer, Friedrich; Wissner, Golde; Bohner, Annette; Nowack, Rebecca; Gronover, Matthias; Boschki, Reinhold (2018): Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht. Münster, New York: Waxmann.

Shell Deutschland Holding (Hrsg.), 2015: Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag

Flaig, Berthold Bodo, Borchard, Inga und Calmbach, Marc, 2016. Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14-17 Jahren.