Versäumte Chance
Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, nimmt Stellung zu der Veröffentlichung der römischen Kongregation für die Glaubenslehre "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche"
1. "Der katholische Ökumenismus mag auf den ersten Blick paradox erscheinen." So heißt es in dem amtlichen Kommentar zu den "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche", die heute von der römischen Kongregation für die Glaubenslehre veröffentlicht worden sind. Paradox ist der römisch-katholische Ökumenismus nicht nur auf den ersten Blick; er ist es auf Dauer. Daran ändert leider auch das neue Dokument nichts. Es will zwar anerkennen, dass es auch außerhalb der römischen Kirche "echte kirchliche Wirklichkeiten" gibt. Aber insbesondere den Kirchen der Reformation verweigert es zugleich die Anerkennung als "Kirchen im eigentlichen Sinn".
2. Neu ist das nicht. Die "Antworten" selbst verweisen ausdrücklich auf die Erklärung "Dominus Iesus", die die Kongregation für die Glaubenslehre unter ihrem damaligen Vorsitzenden Joseph Kardinal Ratzinger im Jahr 2000 veröffentlicht hat. Der Stein des Anstoßes in der Erklärung "Dominus Iesus" war insbesondere der Satz: "Die kirchlichen Gemeinschaften ..., die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn". Ökumenisch Gesonnene auf beiden Seiten waren bemüht, diese Formulierung als missglückt und missverständlich, mithin als Fahrlässigkeit zu entschuldigen. Der jetzt veröffentlichte Text der Glaubenskongregation, der die Unterschrift des neuen Präfekten William Kardinal Levada trägt, aber vom Papst ausdrücklich "bestätigt" wurde, erweist sich jedoch als unveränderte Neuauflage der anstößigen Aussagen von "Dominus Iesus". In vollem Bewusstsein der innerkatholischen wie der ökumenischen Diskussion seit dem Jahr 2000 werden die damaligen Aussagen wiederholt. Von Fahrlässigkeit kann niemand mehr sprechen; es handelt sich um Vorsatz.
3. Von vielen Seiten, auch von hoher Stelle in der römischen Kurie, wurden in den vergangenen Jahren Vorschläge gemacht, um die anstößige Ausdrucksweise zu überwinden, die reformatorischen Kirchen seien "nicht Kirchen im eigentlichen Sinn". Es würde ja auch vollständig reichen, wenn gesagt würde, die reformatorischen Kirchen seien "nicht Kirchen in dem hier vorausgesetzten Sinn", oder sie seien "Kirchen anderen Typs". Aber keine dieser Brücken wird in den "Antworten" betreten. Insofern sind diese "Antworten" eine vertane Chance. Die Einsicht, dass ökumenische Fortschritte wechselseitigen Respekt für das Kirchesein des ökumenischen Partners voraussetzen, bleibt unberücksichtigt. Es bleibt nur zu hoffen, dass die ökumenische Sensibilität, von der die Beziehungen zwischen den christlichen Kirchen in Deutschland weithin geprägt sind, sich bewahren und weiterentwickeln lässt. Zuletzt wurde durch die Unterzeichnung der Vereinbarung über die wechselseitige Anerkennung der Taufe am 29. April 2007 für diese Art ökumenischer Sensibilität ein wichtiges Zeichen gesetzt.
4. Die römischen "Antworten" jedoch lassen einen tieferen Sinn für die Relativität des eigenen Standpunkts vermissen; dadurch wirken sie ökumenisch brüskierend. Sie werfen erneut die Frage auf, worin nach römisch-katholischem Verständnis das Ziel ökumenischer Verständigung besteht. Die "Antworten" sehen dieses Ziel darin, dass die in der römischen Kirche bereits gegenwärtige "Fülle der katholischen Kirche ... zunehmen muss in den Brüdern und Schwestern, die nicht in voller Gemeinschaft mit ihr stehen." Da die römisch-katholische Kirche nicht von der Überzeugung ablässt, "die einzige wahre Kirche Christi zu sein", ist damit der von ihr beschrittene ökumenische Weg vorgezeichnet. Geschah es im Blick auf diesen Weg, dass der evangelischen Auffassung von Ökumene von römischer Seite unlängst vorgehalten wurde, sie gehe nur die "Hälfte des Weges"? Nach evangelischem Verständnis muss in der Tat ein ökumenischer Weg gefunden werden, der die Anerkennung des römischen Primats und die Bindung der Apostolizität der Kirche an die bischöfliche Amtssukzession nicht als unumgängliche Voraussetzungen ökumenischer Verständigung ansieht.
5. Der neue Text der Glaubenskongregation knüpft an die Aussage des II. Vatikanischen Konzils an, wonach die Kirche Christi in der römisch-katholischen Kirche "subsistiere". Die Frage liegt nahe, warum dort der Ausdruck "subsistiert in" und nicht einfach das Wort "ist" gebraucht wird. Man spürt den "Antworten" ab, wie schwer sie sich mit dieser Frage tun. Denn mit der Aussage des II. Vatikanischen Konzils ist der Weg verstellt, die römisch-katholische Kirche und die wahre Kirche Christi einfach gleichzusetzen. Die "Antworten" legen jedoch allergrößten Wert darauf, dass dadurch die katholische Lehre über die Kirche nicht verändert wurde. Der Ausdruck "subsistiert in" soll freilich zugleich zum Ausdruck bringen, dass außerhalb des Gefüges der römisch-katholischen Kirche "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit" zu finden sind, "die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen". Diese Einsicht könnte so fruchtbar gemacht werden, dass zwischen der "katholischen (also: umfassenden) Einheit" und der römisch-katholischen Kirche differenziert wird. Diese Möglichkeit wird in den "Antworten" so wenig genutzt wie in der Erklärung "Dominus Iesus" aus dem Jahr 2000.
6. An einer Stelle des Kommentarteils wird eine Sensibilität dafür erkennbar, dass die Unterscheidung zwischen den "Kirchen im eigentlichen Sinn" und den kirchlichen Gemeinschaften, denen der Name "Kirche" vorenthalten wird, "bei den betroffenen Gemeinschaften und auch in katholischen Kreisen Unbehagen verursacht" hat. Mit folgendem Argument wird trotzdem an dieser Unterscheidung festgehalten: Diese Gemeinschaften "nehmen den theologischen Begriff von Kirche im katholischen Sinn nicht an; ihnen fehlen Elemente, die von der katholischen Kirche als wesentlich betrachtet werden." Hier ist immerhin der Ausdruck "Kirche im eigentlichen Sinn" vermieden und durch die weniger anstößige Formulierung "Kirche im katholischen Sinn" ersetzt. Der Gedanke freilich, auch der römisch-katholischen Kirche könnten Elemente fehlen, die anderen Kirchen wichtig sind – zum Beispiel der Respekt vor der Urteilsfähigkeit der Gemeinden, der gleiche Zugang von Frauen zum geistlichen Amt oder die Einsicht in die Fehlbarkeit des kirchlichen Lehramts – , erhält keinen Raum. Deshalb wird die Einsicht in die Relativität der eigenen Position sofort wieder zurückgenommen. Dabei läge genau darin die Chance, unterschiedliche Sichtweisen miteinander ins Gespräch zu bringen. Das kann freilich nur gelingen, wenn keine Seite von vornherein einen Anspruch darauf erhebt, der Wahrheit näher zu sein als die andere.
7. Die Fragen, auf die der Text der Glaubenskongregation antwortet, kommen im wesentlichen nicht aus anderen Kirchen, sondern aus "katholischen Kreisen". Die Glaubenskongregation ist spürbar beunruhigt darüber, dass neue Beiträge des theologischen Nachdenkens immer noch und immer wieder "nicht ... frei sind von irrigen Interpretationen." Sie sortiert säuberlich zwischen "gesunder Lehre", für die sie selbst zuständig ist, und "irrigen Interpretationen". In reformatorischer Perspektive hingegen ist es nicht immer schon im Vorhinein ausgemacht, wer irrt und wer in der Wahrheit ist. Aber auch in der katholischen Diskussion wird der neue Text der Glaubenskongregation die Frage nicht zum Schweigen bringen, ob die Vorstellung von einer abgestuften Nähe zur Wahrheit, wie sie bisher vom römisch-katholischen Lehramt vertreten wird, vor der biblischen Botschaft Bestand hat.
8. "Die Zukunft der Kirche wird eine ökumenische sein. Das entspricht der Verheißung Jesu Christi, und es entspricht - in Deutschland ebenso wie an anderen Orten - den praktischen Notwendigkeiten von Zeugnis und Dienst der Kirche. Darin kann uns auch die Kongregation für die Glaubenslehre nicht irre machen. Die ökumenische Zukunft der Kirche bedeutet aber nicht die Auflösung und Nivellierung aller konfessionellen Profile, sondern die Überwindung ihres trennenden Charakters." Diese Sätze beenden die Stellungnahme, mit der Präses Manfred Kock, mein Vorgänger im Amt des Ratsvorsitzenden der EKD, am 5. September 2000 auf die Veröffentlichung der Erklärung "Dominus Iesus" reagiert hat. Sie gelten heute genauso wie vor sieben Jahren.
Die Hoffnung auf einen Wandel der ökumenischen Situation ist mit dem heute veröffentlichten Dokument zwar erneut in die Ferne gerückt. Aber "wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden" (Römer 5,3-5).
Hannover, 10. Juli 2007
Für die Richtigkeit:
Pressestelle der EKD
Silke Römhild