"Aktive Sterbehilfe muss Tabu bleiben"
Huber fordert Ausbau der Palliativmedizin
Aktive Sterbehilfe muss in Deutschland ein Tabu bleiben, erklärte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in einem Gastbeitrag für die Allgemeine Zeitung Mainz (Ausgabe vom 10. Juli 2004). Der Mensch empfange das Leben und das Sterben aus Gottes Hand. Er dürfe sich deshalb nicht zum Richter über das Leben machen. "Niemand darf die Lizenz zum Töten verlangen und erhalten." Huber sprach sich auch gegen die ärztliche Mitwirkung bei der Selbsttötung aus.
Huber forderte die Weiterentwicklung und den Ausbau der palliativen Schmerztherapie. "Die palliativmedizinische Ausbildung der Ärzte und die entsprechende Ausstattung der Krankenhäuser sollte verbessert werden." Bei der stationären Pflege müssten die "grundlegenden Ideen und praktischen Erfahrungen der Hospizbewegung" stärker berücksichtigt werden. Der Bischof wies auf die von den Kirchen herausgegebene Patientenverfügung hin. Damit könne jeder Mensch "für die Gestaltung seiner letzten Lebenszeit Vorsorge treffen".
Deutschland müsse einen eigenen Weg in der Diskussion um Selbstbestimmung der Patienten und die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung finden. "Unsere Geschichte verpflichtet uns zu besonderer Wachsamkeit", so Huber. Zudem sei klar, dass "einmal getroffene Entscheidungen nur schwer zu revidieren" seien. Ausgangspunkt aller Überlegungen müsse die Pflicht sein, jedem Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. "Auch am Ende seines Lebens ist ein Patient nicht einfach ein Objekt der ärztlichen Heilkunst, sondern ein selbstbestimmter Partner des Arztes."
Hannover, 10. Juli 2004
Pressestelle der EKD
Silke Fauzi
Hinweis: Nachfolgend finden Sie den Originalbeitrag des Ratsvorsitzenden für die Allgemeine Zeitung Mainz.
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und der Pflicht zur Lebenserhaltung: Begleitung im Sterben
Gastkommentar in der Allgemeinen Zeitung Mainz, 10. Juli 2004
Auch in Deutschland ist die Diskussion erneut in Gang gekommen: Wie unterscheiden sich Sterbebegleitung und Sterbehilfe? Wie weit geht die Patientenautonomie und was nützt ein Patiententestament? Namhafte Kommissionen beschäftigen sich mit dieser Thematik. Vor allem aber brennt sie vielen Menschen auf den Nägeln. Sie fürchten sich davor, dass der Segen der Medizin zum Fluch wird, wenn das Sterben auch dann noch aufgehalten wird, wenn man meint, es sei an der Zeit.
Die Gesetzgebung in manchen Nachbarländern hat zusätzliche Verunsicherung hervorgerufen. Die Niederlande und Belgien haben die so genannte „aktive Sterbehilfe“ legalisiert; die Schweiz lässt die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung in bestimmten Ausnahmefällen zu. Welchen Weg soll Deutschland einschlagen?
So wichtig die Wahrnehmung der Diskussions- und Rechtslage in unseren Nachbarländern auch ist, müssen wir doch unseren eigenen Weg finden. Unsere Geschichte verpflichtet uns zu besonderer Wachsamkeit. Vor allem aber wissen wir, dass einmal getroffene Entscheidungen nur schwer zu revidieren sind.
Den Ausgangspunkt bildet die Pflicht, jedem Menschen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Dabei kann niemand beanspruchen, für einen anderen zu bestimmen, was dieser am Lebensende für sich selbst als menschenwürdig anzusehen hätte. Auch am Ende seines Lebens ist ein Patient nicht einfach ein Objekt der ärztlichen Heilkunst, sondern ein selbstbestimmter Partner des Arztes.
Deshalb sollten Arzt, Patient und Angehörige bis zuletzt im Gespräch gemeinsam zu verantwortende Lösungen suchen. Die so genannte "aktive Sterbehilfe" aber muss weiterhin ein Tabu bleiben. Weil wir das Leben wie das Sterben aus Gottes Hand empfangen, dürfen wir uns nicht zum Richter über das Leben machen. Niemand darf die Lizenz zum Töten verlangen und erhalten. Deshalb spreche ich mich auch gegen die ärztliche Mitwirkung bei der Selbsttötung aus.
Es gibt Alternativen:
- Jeder Mensch kann heute für die Gestaltung seiner letzten Lebenszeit Vorsorge treffen. Die Kirchen geben seit 1999 eine Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung – die „Christliche Patientenverfügung“ – heraus.
- Auf der medizinischen Ebene sind vor allem die Weiterentwicklung und der Ausbau der Palliativmedizin zu fordern, die sich der Schmerztherapie und der Linderung weiterer Krankheitssymptome widmet. Die palliativmedizinische Ausbildung der Ärzte und die entsprechende Ausstattung der Krankenhäuser sollte verbessert werden.
- Für den Gesamtbereich stationärer Pflege sind die grundlegenden Ideen und praktischen Erfahrungen der Hospizbewegung stärker zur Geltung zu bringen. Der Hospizgedanke zielt auf Sterbebegleitung im Krankenhaus ebenso wie in familiärer und nachbarschaftlicher Zuwendung und Hilfe.
Das sind drei alternative Möglichkeiten zur aktiven Sterbehilfe. Wir alle sollten Sterbenden so beistehen, dass der Wunsch, getötet zu werden oder sich selbst zu töten, gar nicht erst aufkommt.
Für die Richtigkeit
Hannover/Berlin, 10. Juli 2004
Pressestelle der EKD
Christof Vetter