„Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude"

Ratsbericht: Nikolaus Schneider vor der EKD-Synode in Timmendorfer Strand

Es gilt das gesprochene Wort!

Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, hat am heutigen Sonntag vor der Synode der EKD in Timmendorfer Strand den mündlichen Ratsbericht eingebracht. Schneider stellte über seinen Bericht als Titel die Anfangszeile des Chorales „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude“ von Johann Konrad Allendorf (1693-1773) aus dem Evangelischen Gesangbuch, dessen Strophen den Bericht gliedern.

„Wie ist Menschen eine Gottes-Erkenntnis überhaupt möglich? Wie werden Menschen dazu fähig, angemessen über Gottes Wort nachzudenken und von Gott zu reden?“ Dieses grundsätzliche Fragen der Religionen warf der Ratsvorsitzende zu Beginn des Berichtes auf und gab diese Antwort: „Dreh- und Angelpunkt für die Antwort des christlichen Glaubens auf dieses Fragen ist das Bekenntnis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Jesus Christus ist ,Grund ewiger Freude‘, denn in Jesus Christus hat Gott seine Ewigkeit untrennbar mit der Zeitlichkeit und der Zeit von Menschen und Welt verbunden.“

Indem Gott in Jesus Christus zum Menschen komme, werde der Mensch verwandelt, hinein in die "herrliche Freiheit der Kinder Gottes", so der Präses in Anspielung auf den Apostel Paulus (Römer 8,21). Aber heute entstehe häufig der Eindruck, „dass diese herrliche Freiheit der Kinder Gottes weder gesehen noch begehrt wird.“ Schneider: „Stellt euch vor, Gott kommt, und niemanden interessiert's!“ Heute gäbe es eine Unkenntnis Gottes in zweiter und dritter Generation. Vor allem in den östlichen Bundesländern, aber auch in manchen Stadtteilen westlicher Großstädte lasse sich eine religiöse Kultur wahrnehmen, in der nicht erst „theologische Antworten“, sondern schon die „Frage nach Gott“ für viele Menschen „schlicht unverständlich“ sei.

Diese „Gott-Vergessenheit“ sei eingezeichnet „in eine sich insgesamt ausbreitende kulturelle Amnesie“, eine Vergesslichkeit, in der sich Menschen „immer weniger ihr eigenes Gedächtnis und immer mehr nur noch ihr eigenes Experiment“ seien, wie Schneider in Anlehnung an den Theologen Johann Baptist Metz (* 1928) formulierte. Vergesslichkeit aber führe in eine "Totalität der Gegenwart" und in eine "Absolutheit des Jetzt", die weder Zeit für den Blick zurück, noch Hoffnung für den Blick nach oben habe. Leben werde so zur Fortsetzung der „immer gleichen Gegenwart.“

Dagegen bleibe es die zentrale Aufgabe der Kirche, die Frage nach Gott „aufrichtig zu stellen“ und die Sehnsucht nach Gott „wach zu halten.“ Dabei sei die Gotteskrise aber auch die Krise „eines verharmlosenden Gottesbildes.“ Schneider: „Eine Kirche, die es sich mit Gott zu leicht macht, überzeugt die Seele eines sehnsüchtigen Menschen nicht und arbeitet damit unabsichtlich einem weiteren Vergessen Gottes zu.“ Angesichts des christlichen Traditionsabbruchs dieser Zeit brauche es eine neue Kreativität für das „Zur-Sprache-Bringen der Befreiung“, die den Menschen im Kommen Christi zuteil geworden sei. „Wir brauchen eine theologische Sprache von Gott, die elementarisiert, ohne zu simplifizieren.“

In der jüngeren Vergangenheit, so Schneider, häuften sich die Forderungen einiger Parteien oder Verbänden nach einem laizistischen Staat und einer "religionsbereinigten Gesellschaft." Religionslosigkeit werde als "Normalzustand" der Gesellschaft gefordert. Dagegen verwahrte sich der Ratsvorsitzende: „Zusammen mit jüdischen und muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern treten Christinnen und Christen ein für das Recht auf positive, sichtbare Religionsausübung in der Gesellschaft. Wir wissen es zu schätzen, in einem demokratischen und religiös neutralen Staat zu leben, der aber bewusst kein laizistischer Staat ist.“

Die EKD, so der Ratsvorsitzende weiter, trete für eine „offene Gesellschaft“ ein, in der Religionen und atheistische Weltanschauungen in einem kritischen Diskurs miteinander stehen und in der zugleich gesetzliche Grundlagen geschaffen und erhalten werden, die eine freie Religionsausübung sichern und schützen. Schneider: „Die Gleichbehandlung der Religionen im öffentlichen Bereich ist uns dabei ein wichtiges Anliegen, auch wenn die historisch gewachsene christliche Prägung von Kultur und Gesellschaft in unserem Land nicht unkenntlich gemacht werden darf.“

Eine aggressiv religionskritische Haltung habe sich in den vergangenen Wochen und Monaten während der Diskussion um das Thema "Beschneidung" gezeigt. Für den christlichen Glauben habe die Beschneidung zwar keine Heilsbedeutung, sagte Schneider in Verweis auf Galater 5,6 ("Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“). Auf dem Hintergrund dieser Gewissheit respektiere die EKD jedoch die „grundlegende Bedeutung“ der Beschneidung von Jungen für andere Weltreligionen. Deshalb habe die EKD die Entscheidung des Landgerichts Köln vom Mai dieses Jahres kritisiert, und deshalb begrüße sie den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Die Anerkenntnis der eigenen Erlösungsbedürftigkeit, so der Präses weiter, sei eine „unverzichtbare Wurzel“ für eine selbstkritische und tolerante Lebenshaltung. Dies gelte für das individuelle Leben wie auch für das Leben der Kirche. Deswegen werde die EKD im Zuge der Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum 2017, das am 31.10. begonnene Themenjahr "Reformation und Toleranz" der Lutherdekade in doppelter Weise aufnehmen. Schneider: „Zum einen wollen wir uns selbstkritisch unserer eigenen Geschichte der Intoleranz stellen.“ Zum anderen aber müsse deutlich werden, dass Toleranz nicht ein „gleichgültiges Dulden und Ertragen anderer Meinungen“ sei, sondern vielmehr „eine aktive Aufgabe, das jeweils Andere, Fremde und Unverständliche verstehen und respektieren zu wollen.“ Schneider: „Selbstkritik, Toleranz, Dialog und streitbarer Diskurs gehören für uns zusammen.“

Der Ratsvorsitzende verlieh schließlich seiner Freude darüber Ausdruck, dass es zahlreiche ökumenische Aktivitäten im Hinblick auf das Reformationsjubiläum gäbe. Schneider: „Mit Freude nehme ich Zeichen einer Bereitschaft beider Kirchen wahr, die unterschiedlichen Zugänge zu diesem Datum im Geiste einer ,Ökumene der Gaben‘ nicht zu Gegensätzen werden zu lassen.“ Dafür stünden neben den vielen ökumenischen Aktivitäten an der Basis der Gemeinden die jüngsten offiziellen Verabredungen zwischen der Deutschen katholischen Bischofskonferenz und dem Rat der EKD. So sei jüngst eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die sich der Frage zuwenden werde, ob es auf dem Weg zum Reformationsjubiläum einen gemeinsam Buß- und Versöhnungsgottesdienst geben könne, der all die Verletzungen vor Gott bekenne, die sich die beiden großen Kirchen im Laufe der 500 Jahre angetan haben. Es gehe darum, „ein aufrichtiges und selbstkritisches Erinnern anzuregen, die gegenseitigen Verletzungen wahrhaftig zu benennen und sie mit der Bitte um Vergebung vor Gott zu stellen.“

Abschließend setzte sich der Ratsvorsitzende dafür ein, dass der 31. Oktober 2017 in ganz Deutschland ein staatlicher geschützter Feiertag werden solle. Nikolaus Schneider: „Die Reformation war in ihrer Mitte eine religiöse Tiefenerfahrung, in ihren Wirkungen aber ein weltveränderndes Ereignis, das unsere Gesellschaft bis heute prägt. Darum plädieren wir dafür, dass der 31.10.2017 ein staatlich geschützter Feiertag wird.“


Timmendorfer Strand, 4. November 2012

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick