Einladung zum Gespräch und zum Dialog
Handreichung zum Thema Christen und Muslime in Deutschland
Am heutigen Dienstag, 28. November, hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) seine zweite Handreichung zum Dialog zwischen Christen und Muslimen in Deutschland vorgestellt. Sie solle sowohl Mitgliedern der evangelischen Kirche als auch der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zur Orientierung dienen, erklärte der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, bei der Vorstellung in Berlin. Dabei verstehe der Rat die 124-seitige Broschüre auch als einen sachorientierten Beitrag zum Gespräch mit Muslimen in Deutschland. Zusammen mit dem Vorsitzenden der vom Rat eingesetzten Ad-hoc-Kommission, Jürgen Schmude, wies der Ratsvorsitzende darauf hin, dass der EKD-Text 86 „Klarheit und gute Nachbarschaft“ die aktuellen gesellschaftlichen Debatten wahrnehme und gleichzeitig den Kirchengemeinden Leitlinien an die Hand gebe für die Zusammenarbeit mit muslimischen Partnern. Die gute Nachbarschaft werde längst zwischen Christen und Muslimen praktiziert, meinte der frühere Bundesminister und Präses der EKD-Synode, Jürgen Schmude. Sie habe auch weiterhin gute Entwicklungschancen. Kritische Fragen bei den Gesprächen seien deshalb keine Angriffe, sondern notwendiges Bemühen um Verständigung und Verständnis.
Hannover / Berlin, 28. November 2006
Pressestelle der EKD
Christof Vetter
Hinweis:
EKD-Texte 86, „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland. Eine Handreichung des Rates der EKD“, kann zum Preis von 2 Euro bestellt werden beim Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover, Fax: 0511/2796-457; Email: versand@ekd.de
Die Einführung des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber im Wortlaut:
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland stellt heute eine neue Ausarbeitung zum Zusammenleben von Christen und Muslimen in Deutschland vor. Diese trägt den Titel "Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland".
Nach der Veröffentlichung der Handreichung "Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen" im Jahr 2000 ist dies die zweite Handreichung zu diesen Fragen. Sie soll sowohl Mitgliedern der evangelischen Kirche als auch der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zur Orientierung dienen. Sie versteht sich auch als ein sachorientierter Beitrag zum Gespräch mit Muslimen in Deutschland.
In den zurückliegenden Jahren haben neue Entwicklungen im Verhältnis zum Islam ein neues Nachdenken herausgefordert. Der Missbrauch des Islam durch radikalislamische Gruppen, die Diskussion um das Kopftuch im Schuldienst, die Frage nach den geeigneten Schritten zur stärkeren gesellschaftlichen Integration von Muslimen, die Bemühungen muslimischer Verbände um ihre Position in der deutschen Gesellschaft, die Bemühungen um islamischen Religionsunterricht sind nur einige der signifikanten neuen Herausforderungen, vor die sich unsere Gesellschaft und mit ihr auch unsere Kirche gestellt sieht. Der 11. September 2001 ist zu einem Datum geworden, nach welchem eine Reihe von Fragen neu zu stellen war. Der Karikaturenstreit und andere Auseinandersetzungen des Jahres 2006 haben den Orientierungsbedarf in wichtigen Fragen unterstrichen.
Dies hat auch in der evangelischen Kirche zu ausführlichen und zum Teil kontroversen Diskussionen geführt. Von den Leitungsorganen der Kirche wurden immer wieder orientierende Klärungen erwartet. Der Rat der EKD hat deshalb vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Dr. Jürgen Schmude beauftragt, diese neuen Herausforderungen zu durchdenken. Das Ergebnis dieser Arbeit liegt in der neuen Handreichung vor. Angesichts der komplexen Fragestellung und eingedenk der Tatsache, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe sich dieser Aufgabe ehrenamtlich neben ihren sonstigen Verpflichtungen gewidmet haben, ist die Arbeit zügig zum Abschluss gekommen. Auch im Namen des Rates der EKD danke ich der Arbeitsgruppe und ihrem Vorsitzenden Jürgen Schmude sehr herzlich für die Sachkunde und die beharrliche Zielorientierung bei der Erarbeitung dieses Textes.
Die neue Handreichung beginnt mit theologischen Reflexionen über den Wahrheitsanspruch von Christentum und Islam, über Gemeinsames und Trennendes in beiden Religionen und über die Motivation der evangelischen Kirche zur Begegnung mit Muslimen.
In dem umfangreichen Teil über "Spannungsbereiche gesellschaftlicher Integration" werden Schlüsselfragen der gegenwärtigen Debatte erörtert. Es geht um die Rolle der Religionen im säkularen Rechtsstaat, um das Verhältnis des Islam zu demokratischen Prinzipien, um Religionsfreiheit und Religionswechsel, um die Menschenrechte insgesamt, um den Umgang mit Minderheiten, um religiös legitimierte Gewalt und um die Friedensverpflichtung der Religionen. In besonderer Weise beschäftigt sich dieser Teil mit der Wechselwirkung zwischen Religion, Migration und Integration.
Der dritte Teil konzentriert sich auf die Spannungsbereiche des praktischen Zusammenlebens. Der Blick richtet sich auf Ehe und Familie, das Verhältnis der Generationen, die Geschlechterrollen, die Probleme und Chancen christlich-muslimischer Ehen, die Situation in den Bildungseinrichtungen einschließlich der Kindertagesstätten, den islamischem Religionsunterricht und das Kopftuch im Schuldienst. In diesem Abschnitt geht es aber auch um das religiöse Gemeinschaftsleben; dabei werden der Bau von Moscheen, die Nutzung kirchlicher Räume durch Muslime, das Schächten und der Umgang mit Tod und Sterben angesprochen. Die Aufgabe der interkulturellen Öffnung sozialer Dienste wird in dem Abschnitt über "Muslime in der Diakonie" konkretisiert.
Den Kirchengemeinden werden konkrete Leitlinien für die Zusammenarbeit mit muslimischen Partnern gegeben. Deswegen werden im vierten Teil Informationen über den "Organisierten Islam" zusammengestellt und Gesichtspunkte dargelegt, die bei der Zusammenarbeit zu beachten sind.
Schließlich werden im abschließenden Teil "Ziele und Inhalte interreligiöser Zusammenarbeit" präzisiert; dabei greift die evangelische Kirche auf jahrzehntelange Erfahrungen zurück. Die Kritik, die an manchen Gestaltungsformen des christlich-islamischen Dialogs geäußert wird, wird dabei aufgegriffen. Zur Frage von gemeinsamen Gebeten und religiösen Feiern werden nicht nur Möglichkeiten erwogen, sondern auch Grenzen deutlich markiert.
Die erste Handreichung zu diesem Thema, die im Jahr 2000 veröffentlicht wurde, behält weiterhin ihre Gültigkeit und ihren Wert. An zahlreichen Stellen des neuen Textes wird auf diese Handreichung Bezug genommen, um Zusammenhänge nicht zu wiederholen, sondern damalige Erkenntnisse und Positionen erneut zu unterstreichen. Der neue Text macht deutlich, an welchen Stellen wir unsere Positionen bekräftigt, an welchen wir sie neu durchdacht und weiterentwickelt haben.
Die neue Handreichung trägt den Titel "Klarheit und gute Nachbarschaft", weil sie eine Reihe von kontroversen Fragen aufgreift und zu Klärungen beitragen will. In das Verständnis des Islam und seiner Wegleitung durch die Muslime selbst wollen wir damit nicht eingreifen.
Der Respekt vor dem Glauben und der Überzeugung des anderen ist eine Grundbedingung. Das schließt die Bereitschaft ein, die Motive und Intentionen der jeweils anderen zu verstehen und zu respektieren, auch wenn man sie nicht unbedingt teilt. Doch haben Überzeugungen dort ihre Grenze, wo sie anderen den Respekt versagen und grundlegende Menschenrechte in Frage stellen. Eine Grenze zeigen wir beispielsweise dort auf, wo Menschen den nach ihrer Auffassung mangelnden Respekt gegenüber dem, was ihnen heilig ist, zum Anlass nehmen, mit Gewalt zu drohen oder Gewalt anzuwenden. Der Aufforderung, wir sollten uns als Kirche am flammenden Protest von Muslimen gegen einen solchen Mangel an Respekt ein Beispiel nehmen, folgen wir deshalb nicht. Den gewaltfreien Charakter von geistigen Auseinandersetzungen halten wir vielmehr für unaufgebbar. Wir sind auch nicht der Auffassung, dass jedes Verhalten aus der Religionsfreiheit gerechtfertigt werden kann. Der Rat der EKD hält deshalb an seiner Auffassung fest, dass der Wunsch einer muslimischen Lehrerin, in ihrem Unterricht an der öffentlichen Schule durchgängig ein Kopftuch zu tragen, Zweifel an ihrer Eignung für diese Aufgabe begründet. Ob diesen Zweifeln durch eine Prüfung des Einzelfalls und der konkreten schulischen Situation oder durch eine generelle gesetzliche Regelung Rechnung getragen wird, steht demgegenüber auf einem anderen Blatt. Respekt vor dem Glauben anderer muss auch einschließen, dass man solche kritischen Rückfragen stellt; man muss freilich auch bereit sein, sich selbst solchen Rückfragen auszusetzen. Wenn Unklarheiten bearbeitet und Unsicherheiten vermindert werden, können Verständnis und Vertrauen wachsen.
Gute Nachbarschaft von Christen und Muslimen ist das Ziel, dem sich die evangelische Kirche verpflichtet weiß und zu dem sie mit dieser Handreichung beitragen möchte. Deshalb ist diese Ausarbeitung eine Einladung zu Gespräch und Dialog.
Die Bundesregierung hat vor wenigen Wochen einen Dialog mit muslimischen Repräsentanten in Deutschland begonnen, um weitere Schritte zur gesellschaftlichen Integration aktiv und im intensiven Gespräch mit den Muslimen selbst zu gestalten. Dies ist von vielen Seiten ausdrücklich begrüßt worden.
Ich selbst habe Repräsentanten muslimischer Verbände in Deutschland Anfang 2005 zum ersten Mal zu einem Spitzengespräch eingeladen, dem ein Fachgespräch folgte. Dies ist auch in diesem Jahr so geschehen, und ich werde das auch im kommenden Jahr fortsetzen.
Der Rat der EKD hofft, dass er mit den hier vorliegenden Erfahrungen und Reflexionen Klarheit und gute Nachbarschaft in unserer Gesellschaft zum Wohle aller fördert.
Die Einführung des Vorsitzenden der Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Islam“ des Rates der EKD, Dr. Jürgen Schmude
Mit dem Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft“ hat die Arbeitsgruppe ihr Ziel beim Schreiben dieser Handreichung benannt. Zum Erreichen beider Zielpunkte will sie sachliche Hilfen bereitstellen. Das könnte nicht gelingen, wenn man vor allem kritische Abgrenzung betriebe, und ebenso nicht, wenn diplomatische Sprache jeglichen Anschein von Zumutungen vermeiden sollte.
Die gute Nachbarschaft wird längst zwischen Christen und Muslimen praktiziert. Sie hat weiterhin gute Entwicklungschancen. Kritische Fragen bei den Gesprächen sind keine Angriffe, sondern notwendiges Bemühen um Verständigung und Verständnis. Die neueren Ereignisse und Entwicklungen, die den Rat der EKD zur Auftragserteilung für diese Schrift veranlasst haben, müssen in der Begegnung mit den Muslimen Gesprächsgegenstände sein können.
Betrachtet man die Schwerpunkte der Handreichung, die einerseits auf Nachfragen und Klarstellungen abzielen, andererseits Verständigung und Zusammenarbeit unterstützen, dann sind die letzteren weit zahlreicher und gewichtiger. Also handelt es sich um kein Abgrenzungspapier. Und auch nicht um die Anleitung für das den Kirchen so gern – und so unzutreffend – vorgeworfene „blauäugige“ Umgehen mit den Muslimen.
Wer bei Dialog und gemeinsamen Aktionen von Christen und Muslimen helfen will, muss auch theologisch Handreichung bieten (S. 15 ff., 106 ff.). Da geht es um Hilfen für weitere Gemeinsamkeiten in der religiösen Praxis ohne Vermischung mit der Folge der Irritation auf beiden Seiten.
Auch Muslimen bietet die Demokratie des Grundgesetzes großartige Chancen zu einem Leben in Frieden und Religionsfreiheit (S. 22 ff.). Die evangelische Kirche hat den Wert und die großen Vorteile des säkularen und demokratischen Rechtsstaats längst erkannt und mehrfach bekräftigt. Diese Vorzüge dienen auch Angehörigen anderer Religionen, und sie sollen es. Sie dürfen freilich nicht, auch nicht um der Religionsfreiheit willen, selbst in Frage gestellt werden.
Es verdient Hervorhebung, dass nach Meinung der meisten Muslime in Deutschland Islam und Demokratie vereinbar sind (S. 26). Die anderen, die sich darüber ausschweigen oder gegenteiliger Meinung sind, müssen sich dazu kritisch befragen lassen.
In mehrheitlich islamischen Ländern ist die Religionsfreiheit für Christen vielfach eingeschränkt oder praktisch aufgehoben. Eine Vergeltung dieses Unrechts an den in Deutschland lebenden Muslimen kommt rechtlich, aber auch aus Glaubensgründen nicht im Geringsten in Betracht (S. 28).
Das islamische Menschenrechtsverständnis und Folgerungen aus der Scharia, der religiösen Rechtsordnung der Muslime, sind auch in Deutschland relevant (S. 33 ff.). Die Schrift gibt dazu Informationen und stellt klare Fragen.
Insbesondere wird gegen jegliche Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen Front gemacht. Von der Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen darf es keine Abstriche geben, auch aus religiösen Gründen nicht. Wo Frauen gar Gewalt angetan wird, muss das Strafrecht mit möglichst noch größerer Konsequenz als bisher eingesetzt werden (S. 42, 54/55).
Terroranschläge und Gewaltakte haben dazu geführt, dass die Öffentlichkeit nicht den Friedensauftrag der Religionen, sondern Gefahren und Gewaltpotentiale in den Blick genommen hat. Dem nachdrücklich und nach Möglichkeit gemeinsam entgegenzutreten, ist Aufgabe der Muslime wie der Christen (S. 42 ff.).
Weiterhin tritt die evangelische Kirche für die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts im Sinne des Artikels 7 Grundgesetz ein (S. 61 ff.). Die für alle Religionsgemeinschaften bestehenden Voraussetzungen dafür müssen freilich auch die Muslime erfüllen.
Auch gegen die Verleihung des Status der Körperschaft öffentlichen Rechts an islamische Religionsgemeinschaften erhebt die EKD keine grundsätzlichen Bedenken (S. 79 ff.). Dabei darf es ebenfalls keinen Verzicht auf die bewährten rechtlichen Erfordernisse einer solchen Verleihung geben. Der evangelischen Kirche liegt daran, dass in diesem Zusammenhang beachtet wird, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft zum gedeihlichen Zusammenleben der Menschen beiträgt, wie es die christlichen Kirchen tun, oder ob von ihr abträgliches, desintegrierendes Verhalten zu erwarten ist.
Bewährte Fachleute aus Theologie, Islamwissenschaft und praktischer kirchlicher Arbeit mit Muslimen haben in der Arbeitsgruppe dafür gesorgt, dass die Schrift ausführliche Informationen und Gesprächsanleitungen enthält.. Weiterhin sollen Gemeinden und kirchliche Amtsträger den Kontakt mit Vertretern muslimischer Vereine und Verbände pflegen und dabei auch vor dem Risiko von Missverständnissen in der Öffentlichkeit nicht von vornherein zurückschrecken (S. 77 ff.)
Gespräche und Zusammenarbeit mit den Muslimen haben auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Kirche zugenommen (S. 106). Die EKD begrüßt diese Entwicklung und möchte sie mit dieser Schrift durch Hilfen und Ratschläge fördern. Die in Deutschland bestehenden großen Chancen für ein gelingendes Miteinander sollen weiter genutzt werden (S. 119). Dann kann das von dieser Gemeinsamkeit ausgehende Signal auch über die Grenzen unseres Landes hinaus wirken.