Predigt am Ostermontag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und beim ökumenischen Gottesdienst in der Rosenkranzbasilika zu Berlin (Jesaja 25, 6-8)
Wolfgang Huber
Es gilt das gesprochene Wort.
I.
Das ist ein fremder, ungewohnter Text für Ostern. Aber gerade in seiner Fremdheit ist er richtig für dieses besondere Osterfest. Der Prophet öffnet einen universalen Horizont. Die Weite der Völker tritt in den Blick. Das passt zu dem ökumenischen Osterfest, das wir in diesem Jahr feiern können. Zum ersten Mal seit elf Jahren fallen das östliche und das westliche Osterfest auf das gleiche Datum. Am Anfang des neuen Jahrtausends haben die westlichen und die orthodoxen Kirchen auf diese Weise Gelegenheit, gemeinsam die Auferstehung Jesu zu begehen, Christus als den lebendigen Herrn zu feiern, sich seines Sieges über Sünde, Leiden und Tod zu freuen. Damit beginnt eine ungewöhnliche Serie. In den Jahren zwischen 2001 und 2011 kommt es insgesamt fünfmal vor, dass die westliche und die östlich-orthodoxe Christenheit zusammen Ostern feiern können. Die Unterschiede zwischen dem julianischen und dem gregorianischen Kalender spielen in diesen Fällen keine Rolle. 2004 wird sich zum nächsten Mal eine solche Gelegenheit bieten.
Das ist eine ungewöhnliche Häufung zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Wir dürfen, ja wir sollen sie als einen ökumenischen Fingerzeig nehmen. Wir dürfen, ja wir sollen die Gunst dieses Jahrzehnts nutzen, um zu einer ökumenischen Verständigung über den Termin des Osterfests zu kommen. Oder soll auf Dauer die Kalenderreform des Jahres 1582 uns daran hindern, die Auferstehung Christi gemeinsam -und das heißt auch am selben Osterdatum - zu feiern?
Damals wurden die Ungenauigkeiten des julianischen Kalenders dadurch ausgeglichen, dass zehn Tage ausgelassen wurden. Auf den 4. Oktober folgte damals im Westen unmittelbar der 15. Oktober. Das ist der Kern des Problems, bei weitem kein Bekenntnisgegensatz. Schon seit Jahren bemühen Papst Johannes Paul II. und der Ökumenische Rat der Kirchen sich darum, eine Lösung zu finden. Darin, Ostern einfach auf ein bestimmtes Kalenderdatum zu fixieren, kann die Lösung nicht bestehen. Denn das Osterfest ist mit dem jüdischen Passa unlöslich verbunden. Dadurch ist es an den Sonntag gebunden, der auf den ersten Vollmond nach der Frühlingstag- und nachtgleiche folgt. Wenn man sich daran hielte und den Astronomen die genaue Berechnung übertrüge, wäre das Problem wohl zu lösen. Mein Wunsch ist, dass es in den nächsten Jahren, die uns nach der herkömmlichen Berechnung eine so ungewöhnliche Zahl gemeinsamer Ostertermine bescheren, dauerhaft gelöst wird.
In einer Stadt wie Berlin spürt man die Notwendigkeit einer Verständigung besonders. Es gehört zu den Besonderheiten in dieser Stadt, dass die orthodoxe Familie in ihr die drittgrößte Konfession darstellt. Mit den orthodoxen Geschwistern gemeinsam Ostern zu feiern, empfinde ich deshalb als ein besonderes Geschenk. Wie gut, dass wir dem am heutigen Ostermontag auch durch einen gemeinsamen Gottesdienst Ausdruck geben. So bezeugen wir gemeinsam unsere Freude darüber, dass Christus nicht im Tod blieb, sondern zu neuem Leben erweckt wurde.
II.
Die Osterbotschaft zu verkündigen, ist nicht einfach. Das zeigt beispielhaft eine kleine Szene, die sich vor ungefähr einhundertundfünfzig Jahren in einem kleinen märkischen Dorf abspielte. Die Osterpredigt war dem jungen Vikar übertragen worden, den man dem alten, kränklichen Pfarrer zur Hilfe beigegeben hatte. Dieser Vikar Büchsel - er kam später in unserer Kirche zu beachtlichen Ehren - stieg auf die Kanzel und sagte: "Auf Karfreitag kommt Ostern. Auf das Leiden Christi folgt seine Erhöhung. Darum folgt: Auf Nacht - Licht! Auf Irrtum - Wahrheit! Auf Gefangenschaft - Freiheit! Auf Ohnmacht - Weite!" Als er so weit gekommen war, stieg zur allgemeinen Überraschung der alte Pfarrer mit allen Zeichen des Unmuts auf die Kanzel. Nun fing er an: "Der Mund eines unerfahrenen Menschen hat geredet. Es ist alles umgekehrt. Auf die Jugend folgt - das Alter. Auf die Arbeit - die Schwäche. Auf die Hoffnung - die Enttäuschung. Auf das Erlebnis - das Vorbei!"
Wer hatte recht: die Erfahrung des Alters oder das Ungestüm der Jugend? Die Osterbotschaft lehrt, dass wir dem Tod keine Macht einzuräumen brauchen über unsere Gedanken: Die Lebenshoffnung ist stärker als die Todesangst, das Licht mächtiger als die Nacht, die Wahrheit siegt über den Irrtum, der Frieden herrscht über die Gewalt. Darin hat der junge Vikar recht. Aber Christi Auferweckung ist nur der Vorgeschmack des Künftigen. Noch liegt der Tod nicht hinter uns, sondern vor uns. Unsere Hoffnung weist über den Tod hinaus, hebt ihn aber noch nicht auf. Darauf wies der alte Pfarrer hin.
Die Osterbotschaft sagt uns: Wir stehen im Licht; das hilft uns, auch den Schatten von dem Licht her zu sehen, das überhaupt erst Schatten wirft. Wir halten uns zu der Wahrheit, die uns frei macht. Nur von hier aus können wir uns mit der Lüge und ihrer andauernden Macht überhaupt auseinandersetzen. Wir feiern die Auferstehung Christi; das gibt uns den Mut, uns nach der Auferstehung auszustrecken, auf die wir alle zugehen. Wir leben in der Spannung zwischen einem "Schon" und einem "Noch nicht". Nur von Ostern her, nur von diesem gewaltigen "Schon" Gottes her, können wir dieser Spannung standhalten. Ja, von Ostern her wird diese Spannung zu einer Antriebskraft unseres Glaubens. Sie hilft uns bei unserem Einsatz für Menschenwürde und Menschenrechte, für Frieden und Gerechtigkeit.
Von Jesu Auferstehung her können wir die kühne Aussage des Propheten als ermutigend annehmen. "Gott beseitigt den Tod für immer." Kurz und lapidar wird das gesagt, ohne Vorbehalt, ohne Wenn und Aber. Auf das Gericht, das in diesen Kapiteln des Jesajabuchs so dramatisch angekündigt wird, auf die Kämpfe, von denen da die Rede ist, folgt die Verheißung des Gottesfriedens. Weit kühner ist diese Verheißung als in anderen Partien des Alten Testaments. Nur hier - und in dem vorhin gehörten Abschnitt aus dem Propheten Ezechiel - wird mit so klaren Worten die Überwindung des Todes in einer allgemeinen Totenauferstehung angekündigt.
Vom Glauben an Jesu Auferstehung her können wir das nachvollziehen. Von Ostern her können wir dem Blick des Propheten standhalten. Er richtet sich auf eine Zukunft, in welcher der Tod nicht mehr herrscht und kein Leid oder Geschrei mehr zu hören ist.
III.
Drei Bilder sind es, in denen diese Zukunftshoffnung Gestalt gewinnt. Ein Festmahl wird begangen. Die Nationen stehen unverhüllt vor Gott. Und schließlich: Gott wischt die Tränen ab.
Ein Festmahl wird begangen. Wo immer Gott geschaut werden kann, ist das ein Fest. Und immer wieder wird dieses Fest als ein Mahl beschrieben und gefeiert. Als Gott mit seinem Volk am Sinai einen Bund schließt, steigen Mose und Aaron mit siebzig Ältesten auf den Berg und sehen Gott. "Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist." Aber als sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie. Der Bogen spannt sich bis zu der Auferstehungserfahrung der beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Als Jesus sich auf ihrer Wanderung zu ihnen gesellt, sind sie "wie mit Blindheit geschlagen" und erkennen ihn nicht. Dass er ihnen anhand der Schrift erklärt, was sie erlebt haben, öffnet ihnen nicht die Augen. Erst als er mit ihnen zu Tisch sitzt, das Brot nimmt, den Lobpreis spricht und das Brot mit ihnen teilt, erst da gehen ihnen die Augen auf. Das Mahl wird zum Festmahl, indem sie den Auferstandenen erkennen.
Die Nationen stehen unverhüllt vor Gott. Die Verschiedenheit der Nationen verliert ihren bedrohlichen Charakter. Die Sprachverwirrung, die mit dem Turmbau von Babel begann, kommt an ein Ende. Fremdheit ist nicht bmehr bedrohlich. Verschiedenheit kann den Frieden fördern. Der Reichtum der Kulturen kann der Entfaltung der Menschheit und auch der Entfaltung des Glaubens dienen. Am Ende, wenn die Nationen unverhüllt vor Gott stehen, wird deshalb nicht eine uniforme Einheitlichkeit das Feld beherrschen. In ihrer Vielfalt werden die Nationen sich ergänzen, wie in einem großen, von unsichtbarer Hand aufeinander abgestimmten Chor.
Die Tränen werden abgewischt. Wenn Gott sich bereit erklärt, die Tränen abzuwischen, dann lässt er Tränen zu. Der Gott, der die Tränen abwischt, verspottet die Weinenden nicht. Er nimmt die Trauer ernst, aber er führt über sie hinaus. Die Verheißung gewinnt Gestalt, die das Neue Testament in der Offenbarung des Johannes aufnimmt: "Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen."
IV.
Nicht nur der gemeinsame Ostertermin, sondern mehr noch diese österliche Verheißung kann uns in Bewegung setzen. Denn in ihrem Licht ist das Verbindende im christlichen Glauben wichtiger als das Trennende. In den zurückliegenden Monaten ist auf manchen Seiten erneut das in den Vordergrund gerückt worden, was die Kirchen voneinander trennt. Die Verschiedenheit bleibt wichtig; die Kirchen werden vor Gottes Stuhl so wenig in unterschiedsloser Uniformität erscheinen wie die Nationen. Aber miteinander werden wir gefragt, ob wir das Entscheidende gemeinsam bezeugt haben: den Sieg Christi über den Tod, seinen Triumph über die Mächte des Todes und der Sünde.
Die Folgen eines solchen gemeinsamen Zeugnisses sind nicht zu verkennen. In der gegenwärtigen Diskussion über die Sterbehilfe können wir gemeinsam den Gott bezeugen, der ein Freund des Lebens ist. Dort, wo religiöse Unterschiede noch immer und immer wieder neu in den Dienst von ethnischen Konflikten und politischen Machtgegensätzen gestellt werden, können wir gemeinsam den Gott bezeugen, der ein Fürsprecher des Friedens ist. Dort, wo auch im Namen von Kirchen und Religionen die Wahrheit über die Vergangenheit verdeckt oder verdrängt wird, können wir gemeinsam den Gott bezeugen, der Vergebung gewährt und gerade deshalb einen aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit ermöglicht.
In der vor uns liegenden Woche wird in Straßburg ein ökumenisches Grundlagendokument für Europa unterzeichnet: die Charta Oecumenica für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa. Gebe Gott, dass damit ein neuer Abschnitt vertiefter ökumenischer Zusammenarbeit in Europa beginnt. Gebe Gott unserer ökumenischen Gemeinschaft hier in Berlin und Brandenburg die Tiefe, aus der unser gemeinsames Zeugnis die nötige Kraft empfängt: das Bekenntnis zu Christus, der den Tod hinter sich lässt und die Mächte des Todes überwindet. Christus ist auferstanden - er ist wahrhaftig auferstanden.
Amen.
Aus dem Buch des Propheten Jesaja: "Der Herr der Heerscharen wird auf dem Berg Zion für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen, mit besten, erlesenen Weinen. Er zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die Decke, die alle Völker bedeckt. Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht. Auf der ganzen Erde nimmt er von seinem Volk die Schande hinweg. Ja, der Herr hat gesprochen." (Jesaja 25, 6-8)
I.
Das ist ein fremder, ungewohnter Text für Ostern. Aber gerade in seiner Fremdheit ist er richtig für dieses besondere Osterfest. Der Prophet öffnet einen universalen Horizont. Die Weite der Völker tritt in den Blick. Das passt zu dem ökumenischen Osterfest, das wir in diesem Jahr feiern können. Zum ersten Mal seit elf Jahren fallen das östliche und das westliche Osterfest auf das gleiche Datum. Am Anfang des neuen Jahrtausends haben die westlichen und die orthodoxen Kirchen auf diese Weise Gelegenheit, gemeinsam die Auferstehung Jesu zu begehen, Christus als den lebendigen Herrn zu feiern, sich seines Sieges über Sünde, Leiden und Tod zu freuen. Damit beginnt eine ungewöhnliche Serie. In den Jahren zwischen 2001 und 2011 kommt es insgesamt fünfmal vor, dass die westliche und die östlich-orthodoxe Christenheit zusammen Ostern feiern können. Die Unterschiede zwischen dem julianischen und dem gregorianischen Kalender spielen in diesen Fällen keine Rolle. 2004 wird sich zum nächsten Mal eine solche Gelegenheit bieten.
Das ist eine ungewöhnliche Häufung zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Wir dürfen, ja wir sollen sie als einen ökumenischen Fingerzeig nehmen. Wir dürfen, ja wir sollen die Gunst dieses Jahrzehnts nutzen, um zu einer ökumenischen Verständigung über den Termin des Osterfests zu kommen. Oder soll auf Dauer die Kalenderreform des Jahres 1582 uns daran hindern, die Auferstehung Christi gemeinsam -und das heißt auch am selben Osterdatum - zu feiern?
Damals wurden die Ungenauigkeiten des julianischen Kalenders dadurch ausgeglichen, dass zehn Tage ausgelassen wurden. Auf den 4. Oktober folgte damals im Westen unmittelbar der 15. Oktober. Das ist der Kern des Problems, bei weitem kein Bekenntnisgegensatz. Schon seit Jahren bemühen Papst Johannes Paul II. und der Ökumenische Rat der Kirchen sich darum, eine Lösung zu finden. Darin, Ostern einfach auf ein bestimmtes Kalenderdatum zu fixieren, kann die Lösung nicht bestehen. Denn das Osterfest ist mit dem jüdischen Passa unlöslich verbunden. Dadurch ist es an den Sonntag gebunden, der auf den ersten Vollmond nach der Frühlingstag- und nachtgleiche folgt. Wenn man sich daran hielte und den Astronomen die genaue Berechnung übertrüge, wäre das Problem wohl zu lösen. Mein Wunsch ist, dass es in den nächsten Jahren, die uns nach der herkömmlichen Berechnung eine so ungewöhnliche Zahl gemeinsamer Ostertermine bescheren, dauerhaft gelöst wird.
In einer Stadt wie Berlin spürt man die Notwendigkeit einer Verständigung besonders. Es gehört zu den Besonderheiten in dieser Stadt, dass die orthodoxe Familie in ihr die drittgrößte Konfession darstellt. Mit den orthodoxen Geschwistern gemeinsam Ostern zu feiern, empfinde ich deshalb als ein besonderes Geschenk. Wie gut, dass wir dem am heutigen Ostermontag auch durch einen gemeinsamen Gottesdienst Ausdruck geben. So bezeugen wir gemeinsam unsere Freude darüber, dass Christus nicht im Tod blieb, sondern zu neuem Leben erweckt wurde.
II.
Die Osterbotschaft zu verkündigen, ist nicht einfach. Das zeigt beispielhaft eine kleine Szene, die sich vor ungefähr einhundertundfünfzig Jahren in einem kleinen märkischen Dorf abspielte. Die Osterpredigt war dem jungen Vikar übertragen worden, den man dem alten, kränklichen Pfarrer zur Hilfe beigegeben hatte. Dieser Vikar Büchsel - er kam später in unserer Kirche zu beachtlichen Ehren - stieg auf die Kanzel und sagte: "Auf Karfreitag kommt Ostern. Auf das Leiden Christi folgt seine Erhöhung. Darum folgt: Auf Nacht - Licht! Auf Irrtum - Wahrheit! Auf Gefangenschaft - Freiheit! Auf Ohnmacht - Weite!" Als er so weit gekommen war, stieg zur allgemeinen Überraschung der alte Pfarrer mit allen Zeichen des Unmuts auf die Kanzel. Nun fing er an: "Der Mund eines unerfahrenen Menschen hat geredet. Es ist alles umgekehrt. Auf die Jugend folgt - das Alter. Auf die Arbeit - die Schwäche. Auf die Hoffnung - die Enttäuschung. Auf das Erlebnis - das Vorbei!"
Wer hatte recht: die Erfahrung des Alters oder das Ungestüm der Jugend? Die Osterbotschaft lehrt, dass wir dem Tod keine Macht einzuräumen brauchen über unsere Gedanken: Die Lebenshoffnung ist stärker als die Todesangst, das Licht mächtiger als die Nacht, die Wahrheit siegt über den Irrtum, der Frieden herrscht über die Gewalt. Darin hat der junge Vikar recht. Aber Christi Auferweckung ist nur der Vorgeschmack des Künftigen. Noch liegt der Tod nicht hinter uns, sondern vor uns. Unsere Hoffnung weist über den Tod hinaus, hebt ihn aber noch nicht auf. Darauf wies der alte Pfarrer hin.
Die Osterbotschaft sagt uns: Wir stehen im Licht; das hilft uns, auch den Schatten von dem Licht her zu sehen, das überhaupt erst Schatten wirft. Wir halten uns zu der Wahrheit, die uns frei macht. Nur von hier aus können wir uns mit der Lüge und ihrer andauernden Macht überhaupt auseinandersetzen. Wir feiern die Auferstehung Christi; das gibt uns den Mut, uns nach der Auferstehung auszustrecken, auf die wir alle zugehen. Wir leben in der Spannung zwischen einem "Schon" und einem "Noch nicht". Nur von Ostern her, nur von diesem gewaltigen "Schon" Gottes her, können wir dieser Spannung standhalten. Ja, von Ostern her wird diese Spannung zu einer Antriebskraft unseres Glaubens. Sie hilft uns bei unserem Einsatz für Menschenwürde und Menschenrechte, für Frieden und Gerechtigkeit.
Von Jesu Auferstehung her können wir die kühne Aussage des Propheten als ermutigend annehmen. "Gott beseitigt den Tod für immer." Kurz und lapidar wird das gesagt, ohne Vorbehalt, ohne Wenn und Aber. Auf das Gericht, das in diesen Kapiteln des Jesajabuchs so dramatisch angekündigt wird, auf die Kämpfe, von denen da die Rede ist, folgt die Verheißung des Gottesfriedens. Weit kühner ist diese Verheißung als in anderen Partien des Alten Testaments. Nur hier - und in dem vorhin gehörten Abschnitt aus dem Propheten Ezechiel - wird mit so klaren Worten die Überwindung des Todes in einer allgemeinen Totenauferstehung angekündigt.
Vom Glauben an Jesu Auferstehung her können wir das nachvollziehen. Von Ostern her können wir dem Blick des Propheten standhalten. Er richtet sich auf eine Zukunft, in welcher der Tod nicht mehr herrscht und kein Leid oder Geschrei mehr zu hören ist.
III.
Drei Bilder sind es, in denen diese Zukunftshoffnung Gestalt gewinnt. Ein Festmahl wird begangen. Die Nationen stehen unverhüllt vor Gott. Und schließlich: Gott wischt die Tränen ab.
Ein Festmahl wird begangen. Wo immer Gott geschaut werden kann, ist das ein Fest. Und immer wieder wird dieses Fest als ein Mahl beschrieben und gefeiert. Als Gott mit seinem Volk am Sinai einen Bund schließt, steigen Mose und Aaron mit siebzig Ältesten auf den Berg und sehen Gott. "Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist." Aber als sie Gott geschaut hatten, aßen und tranken sie. Der Bogen spannt sich bis zu der Auferstehungserfahrung der beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Als Jesus sich auf ihrer Wanderung zu ihnen gesellt, sind sie "wie mit Blindheit geschlagen" und erkennen ihn nicht. Dass er ihnen anhand der Schrift erklärt, was sie erlebt haben, öffnet ihnen nicht die Augen. Erst als er mit ihnen zu Tisch sitzt, das Brot nimmt, den Lobpreis spricht und das Brot mit ihnen teilt, erst da gehen ihnen die Augen auf. Das Mahl wird zum Festmahl, indem sie den Auferstandenen erkennen.
Die Nationen stehen unverhüllt vor Gott. Die Verschiedenheit der Nationen verliert ihren bedrohlichen Charakter. Die Sprachverwirrung, die mit dem Turmbau von Babel begann, kommt an ein Ende. Fremdheit ist nicht bmehr bedrohlich. Verschiedenheit kann den Frieden fördern. Der Reichtum der Kulturen kann der Entfaltung der Menschheit und auch der Entfaltung des Glaubens dienen. Am Ende, wenn die Nationen unverhüllt vor Gott stehen, wird deshalb nicht eine uniforme Einheitlichkeit das Feld beherrschen. In ihrer Vielfalt werden die Nationen sich ergänzen, wie in einem großen, von unsichtbarer Hand aufeinander abgestimmten Chor.
Die Tränen werden abgewischt. Wenn Gott sich bereit erklärt, die Tränen abzuwischen, dann lässt er Tränen zu. Der Gott, der die Tränen abwischt, verspottet die Weinenden nicht. Er nimmt die Trauer ernst, aber er führt über sie hinaus. Die Verheißung gewinnt Gestalt, die das Neue Testament in der Offenbarung des Johannes aufnimmt: "Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen."
IV.
Nicht nur der gemeinsame Ostertermin, sondern mehr noch diese österliche Verheißung kann uns in Bewegung setzen. Denn in ihrem Licht ist das Verbindende im christlichen Glauben wichtiger als das Trennende. In den zurückliegenden Monaten ist auf manchen Seiten erneut das in den Vordergrund gerückt worden, was die Kirchen voneinander trennt. Die Verschiedenheit bleibt wichtig; die Kirchen werden vor Gottes Stuhl so wenig in unterschiedsloser Uniformität erscheinen wie die Nationen. Aber miteinander werden wir gefragt, ob wir das Entscheidende gemeinsam bezeugt haben: den Sieg Christi über den Tod, seinen Triumph über die Mächte des Todes und der Sünde.
Die Folgen eines solchen gemeinsamen Zeugnisses sind nicht zu verkennen. In der gegenwärtigen Diskussion über die Sterbehilfe können wir gemeinsam den Gott bezeugen, der ein Freund des Lebens ist. Dort, wo religiöse Unterschiede noch immer und immer wieder neu in den Dienst von ethnischen Konflikten und politischen Machtgegensätzen gestellt werden, können wir gemeinsam den Gott bezeugen, der ein Fürsprecher des Friedens ist. Dort, wo auch im Namen von Kirchen und Religionen die Wahrheit über die Vergangenheit verdeckt oder verdrängt wird, können wir gemeinsam den Gott bezeugen, der Vergebung gewährt und gerade deshalb einen aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit ermöglicht.
In der vor uns liegenden Woche wird in Straßburg ein ökumenisches Grundlagendokument für Europa unterzeichnet: die Charta Oecumenica für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa. Gebe Gott, dass damit ein neuer Abschnitt vertiefter ökumenischer Zusammenarbeit in Europa beginnt. Gebe Gott unserer ökumenischen Gemeinschaft hier in Berlin und Brandenburg die Tiefe, aus der unser gemeinsames Zeugnis die nötige Kraft empfängt: das Bekenntnis zu Christus, der den Tod hinter sich lässt und die Mächte des Todes überwindet. Christus ist auferstanden - er ist wahrhaftig auferstanden.
Amen.