Predigt im Gedenkgottesdienst anlässlich des Trauerstaatsaktes für Dr. Wolfgang Schäuble im Berliner Dom

Amtierende Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs

Kirsten Fehrs

Mit einem Gottesdienst haben am Montag (22.01.2024) im Berliner Dom die offiziellen Trauerfeierlichkeiten fuer den verstorbenen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) begonnen. (Foto: Bischöfin Kirsten Fehrs, amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin im Sprengel Hamburg und Luebeck, waehrend ihrer Predigt) Im Dom kamen die Spitzen des Staates, politische Weggefährten sowie Vertreter und Vertreterinnen aus Politik und Religionsgemeinschaften zusammen. 

Liebe Frau Schäuble, liebe Familie Strobl und Schäuble,
liebe Weggefährtinnen und Weggefährten, Freunde und Freundinnen, liebe Schwestern und Brüder.

Denn meine Augen haben den Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung.

Nun ist er im Licht der anderen Welt. Wolfgang Schäuble starb am 2. Weihnachtstag, friedvoll, gelöst, gehalten von seiner geliebten Frau und Familie. Und gehalten von seinem Gott, dem er sein Leben lang in eigen- und tiefsinniger Weise vertraut hat. Wohl auch und besonders in den schmerzhaften Momenten seines Lebens. Gerade halten, das Leben nach vorn leben! Es ist dir von Gott geschenkt, damit du etwas daraus machst. Mit diesem Hoffnungsmut hat Wolfgang Schäuble unglaublich vielen Menschen Kraft gegeben. Es gibt Schweres, ja, Rollstühle, Barrieren, Grenzen aller Art, aber nichts, woraus man nicht das Beste machen könnte. Bis zum Ende war es so. Berührend fand ich, mit welchem Einverständnis er dann schließlich gehen konnte. Auch mit Ihrem Einverständnis, liebe Familie. Hinüber in diese andere Welt, von der wir nichts wirklich wissen. Aber alles glauben. Weltwechsel eben – hinüber in das Licht, das schon der lebenssatte Simeon glaubend erhoffte.

Wolfgang Schäuble ist nun dort, im Licht der Erleuchtung, wie es im Evangelium eben hieß. Im Licht des Heilands. Dort, wo kein Schmerz mehr ist und kein Leid und keine Krankheit.  Ein Ort des Heils, der aber nicht im Jenseits verbleiben will! Diese Welt des Heilsamen, sie will genau in diese komplizierte, gebrochene Welt hineingedacht, gelebt, gestaltet werden. Dafür genau stand Wolfgang Schäuble. Für Weltwechsel der besonderen Art. Tag für Tag in seinem ereignisdichten Leben. Zu verbinden waren schließlich die Welt zwischen Ost und West, Deutschland und Frankreich, überhaupt die Welten der europäischen Völker, die der Religionen, zu verbinden waren wichtige und leise Menschen innenpolitisch, in der Fraktion, im Kabinett, in drei Ministerien, im Parlament.  51 Jahre politischer Fleiß über sage und schreibe 14 Legislaturperioden hinweg.  Tag für Tag atemberaubende Weltwechsel und am 26. Dezember ein endgültiger. Ins Licht. Dorthin, wo womöglich auch für himmlische Streitigkeiten ein Konfliktlöser gebraucht würde, wie seine Tochter anmerkte. In jedem Fall ist man dort nun um einen erfahrenen und engagierten Streitschlichter reicher... 

So hat Wolfgang Schäuble als gläubiger Protestant gelebt und gehandelt: Unrecht, unsoziale Verhältnisse, Unwuchten wahrnehmen, um sie so gut es geht zu heilen. Dafür zu streiten.  Als Mitmensch für die Würde der Anderen, Würde, die unantastbar ist.  Gleich, was er oder sie glaubt und wie er oder sie lebt. Ob Frau, Mann, Kind. Würde, die ausnahmslos jedem Menschen ein Recht auf Freiheit gibt und darauf, Verantwortung zu übernehmen.  Mit dieser seiner Verantwortungskraft war Wolfgang Schäuble viel mehr als ein herausragender Politiker und nichts weniger als ein starker Charakter.

Gerade auch in seiner Freiheit als Christenmensch! Sie hat den Politiker und Denker Schäuble so unabhängig, frei gemacht. Nicht der Mensch nämlich ist die letzte Instanz, Gott ist es. Und so ist es auszuhalten, nicht bis ins Letzte Antwort geben zu können, obwohl man in politischen Ämtern für unzählige Menschen Verantwortung trägt. Und so musste er während der Pandemie deutlich machen, dass nicht der Schutz des Lebens an sich der höchste Wert des Grundgesetzes ist, sondern die Würde des Menschen. Es geht um würdiges Leben! Er konnte frei von dem verbreiteten Ringen um Zustimmungswerte ein wahrlich orientierendes Wort sprechen, das einen nachdenklich zurückließ. Nicht nur mit diesem wichtigen Einspruch war er für mich ein imponierender Antipopulist. So wie wir sie brauchen, gerade jetzt in diesen Zeiten! Ein Antipopulist und zugleich Mensch, der sich ganz und gar, mit all seiner Kraft, Leidenschaft und Hingabe in den Dienst unseres Gemeinwesens und unserer Demokratie gestellt hat. Und dem mit seiner Willenskraft so vieles gelang.  Wie würde unser Land jetzt aussehen, wenn nicht ein so weitsichtiger Politiker wie er den deutschen Einigungsvertrag ausgehandelt hätte?

Bei einer seiner Bibelarbeiten auf dem Evangelischen Kirchentag eröffnete er seine kluge Rede damit, dass ja die ganze Bibel voller Menschheitsgeschichten sei, die man sich als Finanzminister tunlichst hinter die Ohren schreiben solle: Der Tanz ums goldene Kalb zum Beispiel. Er zog eine ganze Halle sofort in Bann. Durch diese Selbstironie und den Schalk, seine sagenhafte Präsenz. Den Intellekt und seinen Scharfsinn, der auch Schärfe kannte. Voller Disziplin, das merkte man, Disziplin, die ihm selbst viel abverlangt hat- und anderen in seinem Umfeld gewiss auch.  Wie wird es nun sein ohne ihn? Heftig fehlen wird er. Ihnen als Familie allem voran und Ihnen als Freunde und Weggefährtinnen über Jahrzehnte hinweg.  Ohne die freundschaftlichen Gespräche, Beratungen, ohne diesen wachen Blick und kritischen Geist. Ohne ihn, der, den Kopf leicht zur Seite geneigt, mit seinem markanten Akzent aktuelle Probleme in große Kontexte zu stellen verstand. An Tagen wie diesen merken wir, was fehlt, aber auch, was bleibt: Mit großer Dankbarkeit werden wir gewahr, wie viel Gutes Wolfgang Schäuble für unser Land, für Europa, für unsere Welt vorangebracht hat.

Meine Augen haben den Heiland gesehen. Diese Worte des alten Simeon sind ein einziger Ausruf des Trostes. Ja, der Erlösung. So lange hat er gewartet, hat geglaubt, gehofft, und nun hält er tatsächlich in fassungsloser Freude das Gotteskind, den kleinen Heiland in seinen Armen. Dieses Kind, das die Geburt einer neuen Welt verkündet. Simeons alte Augen sehen, dass nun ein anderes Maß gelten wird, an dem Welt gesunden soll. Wo der Mensch in seiner ganzen Menschlichkeit und Fehlbarkeit zärtlich geliebt ist. Ohne Wenn und Aber. Ohne ein Zurück. Aber mit Kraft. Als Mitmensch auch. Denn kein Mensch kann ohne andere sein. Für Wolfgang Schäuble war dies so grundlegend: Der Mensch ist nie allein, er ist angewiesen, von Geburt an bis zum Tod. Er ist zur Freiheit begabt und in Fehlbarkeit gefangen.  Und deshalb braucht er Regeln, Bewusstsein für das Leben der Gemeinschaft, braucht Ordnung und Recht, wenn der Frieden gewahrt bleiben soll. Und er braucht Religion. Sie ist Ressource, Zuversicht und Grenze zugleich. Der Glaube ist die Haltung, in der politisches Handeln gründet. Doch weder der Glaube noch die Haltung ist selbst schon Politik, denn Politik ist immer gebunden an diese Welt, an das Machbare, an den Kompromiss. Diese Unterscheidung, die Wolfgang Schäuble selbst auf Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre zurückführte, ist in ideologisch aufgeladenen Zeiten notwendiger denn je. Um stets das Bewusstsein wachzuhalten, dass wir auf dieser Welt nicht allmächtig sind. Deshalb ist es so wichtig für uns Christenmenschen, auf diesen Heiland zu schauen. Als Ansicht der unverbrüchlichen Hoffnung auf eine bessere Welt. Gerade inmitten klarer, geistreicher Realpolitik, die Wolfgang Schäuble auszeichnete. Und der deshalb den interreligiösen Dialog so förderte, die erste Islamkonferenz einberief. Als Dialogiker per excellence. Dialog eben, nicht um Unterschiede einzuebnen, sondern im Gegenteil, um uns in allem Respekt mit ihnen zu befreunden. Und so ist es ein wunderbares Zeichen auch interreligiöser Ökumene, dass viele Religionsgemeinschaften und Konfessionen diesen Gottesdienst mitfeiern und gestalten.

Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben den Heiland gesehen.

Just, als dieses Christuskind geboren wurde, als er sein Licht am Weihnachtstag gesehen hatte, konnte Wolfgang Schäuble loslassen. Nach langem Kampf mit der Krankheit, der er jeden Moment an Leben abgerungen hat. Er konnte gehen, getragen von der Liebe, die niemals aufhört. 

Er ist nun im Licht der anderen Welt. Im Frieden Gottes, der Zeit und Welt in Händen hält, Wolfgang Schäubles Leben, unser aller Leben.

Wir danken Gott für diesen über alle Maßen prägenden Politiker und hingebungsvollen Demokraten, wir danken Gott für diesen großartigen Menschen.

Amen.