Christ lag in Todesbanden…

Robert Leicht

Morgenandacht im NDR

 

(Aus: J.S. Bach, Partita II für Violine solo, BWV 1004, Takte 1 – 12, 1. Viertel)

 

 

Sie werden sich wundern! Merkwürdige Klänge und Worte: Bach, die Chaconne… Aber welche Stimmen, welche Worte? „Den Tod…“ Und damit will er uns in der noch finsteren Morgenstunde einen hellen Tag wünschen? – Ja! Wir werden uns mit dem Tod auseinandersetzen – in dieser letzten Woche des Kirchenjahres nach dem sogenannten Totensonntag. Warum? Weil wir anders nicht - leben können. Wir bilden uns zwar ein, dass man am besten leben kann – wenn man den Tod einfach vergisst. Aber etwas vergessen – das heißt doch: Es ist immer noch da. Wir wollen uns mit dem Tod auseinandersetzen – so wie dies offenbar auch Johann Sebastian Bach getan hat, als er seine Chaconne für Violine solo komponierte – und in sie, wie eine Musikwissenschaftlerin herausfand, die Trauer über seine plötzlich verstorbene Frau Maria Barbara einflocht. Und zwar so, dass er in den Klang-Teppich insgeheim lauter, dem Ohr zunächst verborgene Choralfäden einfädelte, die um das Thema „Tod und Auferstehung“ kreisen. Wir hörten eben einen Ausschnitt aus diesem musikalisch-geistlichen Flechtwerk, aufgenommen vom Hillard Ensemble, zusammen mit dem Violinisten Christoph Poppen. Und nun wollen wir versuchen, in dieses Klanggewebe unser eigenes Todes-Gedenken, unsere Angst, Hoffnung und Traurigkeit einzuweben – auf dass die Tage heller, bis dass die Tage heller werden.

„Den Tod niemand zwingen kunnt!“ In diesem Zitat erscheint uns der Tod als der schlechthin Unbezwingbare, wie gewiss auch dem Johann Sebastian Bach, als er von einer Reise 1720 zurückkehrte und – entsetzt! – seine Frau schon begraben fand. Der Tod – als der schlechthin Unbezwingbare. Das ist er zunächst auch, machen wir uns nichts vor! Er ist es gerade dort, wo wir in süchtiger Lebensgier gehetzt vor ihm davonlaufen – und damit auch das ganze uns bleibende Leben in tödliche Gefahr bringen. „Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren.“

Jedoch: Der Satz, den Bach immerzu in seiner Trauer-Chaconne zitiert, der Satz also: „Den Tod niemand zwingen kunnt...“ – dieser Satz spricht zu uns im Imperfekt, mithin in der vollendeten Vergangenheit. Er stammt nämlich aus dem Osterlied „Christ lag in Todesbanden“. Der Tod ist aus christlicher Lebenserfahrung und Glaubenshoffnung dreierlei zugleich: Zukunft, Gegenwart – aber eben auch vollendete, überwundene Vergangenheit. Vollendet und überwunden wie in dem Choral, den Bach gleich zu Beginn in den Totentanz auf das Sterben seiner Frau eingeflochten hat:

Christ lag in Todesbanden, für unsere Sünd gegeben,
Der ist wieder erstanden und hat uns bracht das Leben,
Des sollen wir fröhlich sein,
Gott loben und dankbar sein
Und singen Halleluja

(aus: Morimur, The Hillard Ensemble, Christoph Poppen, Band 4)