Am Puls der Zeit.
Beispiel Internet: Der Nutzen für die Kirche, in: Vom Klingelbeutel zum Profitcenter? Strategien und Modelle für das Unternehmen Kirche
hrsg. von Arnd Brummer und Wolfgang Nethöfel, Hamburg 1997, S. 179-189.
1. Sparen, aber wo?
Es wird ernst; die Kirchen müssen eisern sparen. Doch wie und wo? Jedenfalls nicht dort, wo ihre Aktivitäten von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden: im diakonischen Bereich, bei den Kindergärten und Schulen, bei den Gemeinden und Pfarrstellen, in der Verkündigung, Seelsorge und Beratung und auch nicht bei der Publizistik, dem Medienengagement und den Internetaktivitäten. Denn die Mitgliedschaft in einer der großen Kirchen ist heute nicht mehr so selbstverständlich wie in früheren Zeiten.
Viele Menschen rechnen nach: "Wieviel Kirchensteuer bezahle ich, und was bringt mir das?" Die kirchlichen Aktivitäten werden stärker als das bisher der Fall war, auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitglieder zugeschnitten werden müssen, wie das in den USA seit jeher üblich ist, ohne daß dies mit einer Deformation der Verkündigung einhergehen muß. Das erfordert auch mentale Veränderung bei den Menschen, die in der Kirche arbeiten. Die Beamtenmentalität einiger kirchlicher MitarbeiterInnen und die teilweise noch immer anzutreffende Selbstzufriedenheit tragen mit dazu bei, daß Kirche oft nur noch als Institution wahrgenommen wird, die sich überwiegend mit sich selbst beschäftigt.
Der Bundesfinanzminister empfiehlt den Kirchen angesichts der drohenden Einbußen ihre innere Organisation und Aufgabenerfüllung zu optimieren und ihre Mittel intelligent und effektiv einzusetzen. Wenn man sich die kirchliche Verwaltung, die innerkirchlichen Gremienlandschaften, die Dienstwege, Kommunikations- und Entscheidungsprozesse anschaut, scheint - wie auch sonst im Behördenstandort Deutschland - in der Tat noch sehr viel Spielraum zur Optimierung vorhanden zu sein. Eine Kirche kann sicher nicht wie ein profitables Großunternehmen strukturiert, organisiert und geführt werden, doch einige Maßnahmen, die in großen Unternehmen erfolgreich durchgeführt wurden, dürften auch in den Kirchen zur Optimierung von Aufwand und Nutzen führen: Verflachung von Hierarchien, Einführung einer leistungsbezogenen Entlohnung, kürzere Entscheidungs- und Dienstwege, konsequente Delegation von Verantwortung, Evaluierung der Leistung von kirchlichen Einrichtungen und Dienststellen, Straffung von Gremien, Ausschüssen und Kommissionen, Controlling der Kosten und nicht zuletzt der effiziente Einsatz von Computersystemen und Telekommunikation.
2. Den Anschluß verpaßt?
Gerade beim letzten Punkt haben die Kirchen in den letzten zehn Jahren keine besondere Weitsicht gezeigt. Die kirchlichen Verwaltungen haben Millionen in den Ausbau der Rechenzentren gesteckt, aber die Entwicklungen im PC-Bereich und dezentraler Netzwerkstrukturen kaum zur Kenntnis genommen. Während in den Rechenzentren auch heute noch Heerscharen von Programmierern an hausgemachten Software-Lösungen stricken, fehlen in den Gemeinden oft die 250,- DM, die zur Anschaffung eines Modems benötigt werden. Uneffektive Projekte wie die Entwicklung eigener PC-Anwendungsprogramme haben zudem in einigen Landeskirchen riesige Summen verschlungen und dazu geführt, daß dort heute mit einer völlig veralteten und bedienerunfreundlichen Software gearbeitet werden muß. Kirchliche MitarbeiterInnen, die schon sehr früh die Vorteile computergestützter kirchlicher Arbeit gesehen haben, wurden (und werden!) oft als "Computerfreaks" belächelt und von den Verwaltungen nicht ernst genommen.
Galt der Computer lange Zeit als "bessere Schreibmaschine", so entwickelt er sich mehr und mehr zu einem Kommunikationsinstrument und gewinnt durch die globale Vernetzung eine ganz neue Bedeutung. Diejenigen, die vor zehn Jahren dachten, daß sie sich mit der Computertechnologie nicht selbst beschäftigen müßten, weil Schreibarbeit ja eine untergeordnete Tätigkeit ist, registrieren heute, daß sie ein wenig den Anschluß verpaßt haben. Wer noch nie mit einer Maus einen Computer bedient hat, dem fällt es heute schwer, Anschluß an die rasanten Entwicklungen im Computer- und Telekommunikationsbereich zu finden. Das betrifft Pädagogen genauso wie Journalisten, Wirtschaftslenker, Pfarrer und kirchliche Verwaltungsmitarbeiter. Überall fehlt es an Know how, Erfahrungen, aber auch an Visionen und kreativen Ideen.
3. Das Internet als preiswerter Vertriebsweg
Das Internet wächst vor allem deswegen mit einer riesigen Geschwindigkeit, weil es ein sehr preisgünstiges Medium ist. Mit einem Minimum an produktionstechnischem Aufwand kann sehr viel erreicht werden. Fernseh- und Hörfunkproduktionen sind aufwendig und teuer; um im Internet, sprich: World Wide Web (kurz: "WWW" oder einfach "Web") präsent zu sein, reicht ein handelsüblicher Computer (ca. 2500,- DM), ein Modem (ca. 250,- DM), eine Telefonsteckdose und ein gemieteter Platz auf einem WWW-Server, den man bei den großen Online-Diensten (AOL, T-Online, CompuServe) als Teilnehmer sogar kostenlos bekommt oder bei einem kommerziellen Internet Service Provider für 100-300 DM anmieten kann. Wer nur Informationen abrufen und nicht anbieten will, kann auf einen solchen Informationsserver verzichten. Er braucht nur seinen Computer und ein Modem (oder eine ISDN-Karte) und kann dann für 10-50 DM im Monat weltweit Daten "saugen" oder im WWW "surfen".
Jeder kann seine Informationen mit geringem Aufwand für das WWW aufbereiten und dann weltweit anbieten. Mit den Entwicklungen im "Real Audio-" und "Real Video-Bereich", kann auch bald jeder seinen eigenen Hörfunk oder Fernsehsender betreiben und weltweit Programme an Interessierte ausstrahlen. Kommerzielle Services und Dienstleistungen werden über Internet genauso angeboten wie Software und die gesamte Produktpalette von Versandhäusern. Längst lassen Softwarefirmen - und hier zeigt sich die Tragweite der sozio-ökonomischen Veränderungen, die uns bevorstehen - Programme in Billiglohnländern wie Indien und der Ukraine schreiben und über Datenleitungen überspielen. Dadurch wird Teamwork über tausende von Kilometern möglich. Menschen arbeiten dann nicht mehr nur mit einem zentralen Server im eigenen Haus, sondern mit Netzwerkservern in der ganzen Welt. Darum kommt Software auch heute zunehmend weniger über Disketten oder CD-ROMs auf den PC des Endverbrauchers, sondern über Datenleitungen direkt auf die Festplatte.
Das Internet ist nicht nur ein ausgesprochen preiswertes Medium zur Verbreitung von Informationen, es eignet sich auch besonders zur Zusammenarbeit verschiedener Menschen an ganz verschiedenen Orten an den gleichen Projekten und Dateien. Dies soll nun an drei Beispielen näher erläutert werden:
A. Electronic Mail und Mailinglisten
Gerade angesichts der ständig teurer werdenden Portogebühren lohnt es sich darüber nachzudenken, E-Mail, die elektronische Post, als schnelles, bequemes und billiges Transportmittel von Informationen einzusetzen. Die Vorteile liegen auf der Hand:
- Der Unterschied zwischen der herkömmlichen Post und E-Mail liegt zunächst in der Geschwindigkeit, mit der Informationen ausgetauscht werden: Eine Nachricht benötigt über die Leitungen des Internet nur noch wenige Sekunden, um vom Absender beim Empfänger im "Briefkasten" zu landen.
- Ein weiterer Vorteil, z. B. gegenüber dem Telefax, das ja schon eine ähnliche Beschleunigung mit sich brachte, liegt darin, daß E-Mail fast nichts kostet, weil der Transport über die Standleitungen des Internet erfolgt.
- Außerdem lassen sich die elektronischen Informationen direkt auf dem Computer weiterverarbeiten, ohne daß diese (wie beim Papierfax) vorher noch einmal erfaßt werden müssen.
- Darüber hinaus können beliebige Dateien (Texte, Bilder, Töne etc.) an eine E-Mail angehängt und verschickt werden.
- Über Mailinglisten lassen sich Nachrichten, Rundschreiben, Newsletter, Artikel etc. in einer beliebig hohen Auflage in Sekundenschnelle für eine Telefoneinheit über den ganzen Globus verbreiten.
- Bei E-Mail entfallen Porto- und Verpackungskosten. Ebenso die Zeit, die man für das Kuvertieren und Verteilen der Mitteilungen braucht, weil man die Nachricht sofort verschicken kann.
Ein Problem besteht zur Zeit noch darin, daß die Empfänger ebenfalls eine E-Mail Adresse haben müssen. Da aber immer mehr Menschen eine solche E-Mail Adresse bekommen und dann regelmäßig auch in Ihren elektronischen Briefkasten sehen werden, lohnt es sich heute schon, elektronische Verteiler aufzubauen. Auf absehbare Zeit werden noch mehrere parallele Verteiler nötig sein, um die Informationen an die Adressaten zu liefern, aber gerade bei großen Verteilern macht sich die Ersparnis des Versandes über E-Mail im Vergleich zu herkömmlichen Wegen schnell bemerkbar. Allerdings sollte hier bedacht werden, daß wegen der diversen Sicherheitslücken bei der Übertragung von Daten im Internet keine sensiblen Daten verschickt werden sollten.
B. Online Publishing
Daß das Internet heute in aller Munde ist, hat es vor allem der Entwicklung des World Wide Web zu verdanken, einer grafischen, multimedialen Plattform, die es erlaubt, weltweit Dateien miteinander zu verknüpfen und per Mausklick abrufbar zu machen. Dadurch wurde diese Technik auch für den durchschnittlichen PC-Anwender interessant. Doch längst ist das Internet kein reines Textmedium mehr: die Integration von bewegten und unbewegten Bildern, Tönen und Animationen wird nur von den immer noch recht bescheidenen Datenübertragungsraten zum Endnutzer hin gebremst.
Publizieren im World Wide Web ist eine preiswerte und komfortable Möglichkeit, um Texte, Bilder, Tonbeiträge und in Zukunft auch Videomaterial zu verbreiten. Anders als bei der elektronischen Post, die die Nutzer automatisch in ihren elektronischen Briefkasten bekommen, müssen diejenigen, die diese Informationen haben wollen, selbst aktiv werden, indem sie eine bestimmte Adresse eingeben und die Informationen abrufen. Die Vorteile dieses Informationsdienstes gegenüber herkömmlichen Printmedien und auch E-Mail sind schnell benannt:
- Der Vorteil gegenüber E-Mail besteht darin, daß die Informationen allgemein zugänglich sind: Sie werden nicht an einen bestimmten, festgelegten Nutzerkreis adressiert. Sie lagern auf den Webservern und können jederzeit und weltweit abgerufen werden.
- Die Texte können bei den großen Suchmaschinen (z.B. Altavista, Yahoo etc.) im Netz kostenlos registriert werden. Diese erfassen die Texte in einer Volltextdatenbank, in der dann wiederum weltweit Nutzer nach Schlag- und Stichworten suchen und die entsprechenden Texte in Sekunden finden können.
- Im Unterschied zur statischen Informationspräsentation herkömmlicher Printmedien können verschiedene Datenformate zu einem multimedialen Gesamtkonzept verschmolzen werden: Texte, Töne, statische und bewegte Bilder bilden eine Informationseinheit. Die Hypertext-Struktur erlaubt es zudem, mehrdimensionale Informationssysteme zu entwickeln, die je nach Interesse der Nutzer von einer oberflächlichen Ebene hin zu einer tieferliegenden strukturiert sind.
- Der Aufwand für die Erstellung der Daten ist in etwa so wie der Aufwand für eine gut gemachte Zeitung oder Zeitschrift, nimmt jedoch mit den sich permanent weiterentwickelnden Möglichkeiten im Multimediabereich zu. Dafür entfallen die Kosten für den Druck ebenso wie die Kosten für den Versand der Publikationen. Es müssen lediglich die Kosten für das Lagern der Daten auf einem Webserver bezahlt werden. Die Einspeisung einer Zeitschrift in das World Wide Web ist derzeit zu einem Preis ab etwa 150 DM im Monat möglich.
Für die Präsenz im Internet gelten die gleichen Standards wie für eine gute Printpublikation: Die Inhalte müssen aktuell, interessant, zielgruppenspezifisch und mit der Organisation oder Institution identifizierbar sein. Design und Layout sollten nicht nur dem Stand der Technik entsprechen sondern auch ansprechend und einladend wirken.
C. Telearbeit und Teamwork über das Internet
Telearbeit und Teamwork sind Schlagworte, die immer wieder in den Diskussionen über das Internet genannt werden. Die Dimensionen und Möglichkeiten sind gewaltig: Während in Asien die Menschen schlafen gehen, übernehmen Menschen in Europa die Arbeit an Projekten, bearbeiten Texte, beantworten E-Mails, arbeiten Bestellungen ab oder schreiben an Computerprogrammen weiter. Wird es auch hier langsam Abend, übernehmen die Kollegen auf dem amerikanischen Kontinent diese Aufgaben. Der Austausch von Daten kann dabei auf zwei unterschiedlichen Wegen erfolgen: zum einen über E-Mail zum anderen über zentrale WWW-Server:
- Über E-Mail können Kollegen an den gleichen Texten arbeiten, Konzepte entwickeln, gemeinsam an Artikeln schreiben oder Zeitschriften herausgeben. Der EKD-Newsletter z. B. entsteht auf diese Weise: Die Texte werden ein paar Tage vor dem Versand mehrmals täglich zwischen der Projektstelle in Frankfurt und der EKD-Pressestelle in Hannover ausgetauscht, ergänzt und überarbeitet, bis ein Newsletter versandfertig ist, der anschließend über eine Mailingliste verteilt wird. Vom "Redaktionsschluß" bis zum Versand vergehen dann lediglich noch ein paar Minuten, in denen der fertige Text in eine E-Mail kopiert und abgeschickt wird.
- Über einen WWW-Server können verschiedene Informationsangebote dezentral aktualisiert und gepflegt werden. Beim EKD-Server z. B. ist ein Pfarrer aus der Nähe von Kassel für die Daten des Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland verantwortlich, die er selbständig aktualisiert und pflegt. Das Verzeichnis der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen wird von Magdeburg aus betreut; die EKD-Pressestelle und die Projektstelle in Frankfurt können Dateien direkt vom Schreibtisch in Frankfurt oder Hannover auf den Server, der in Stuttgart steht, ablegen. Arbeitsteilung und Zusammenarbeit über das Netz gibt es auch bei der Übersetzung von Texten: Die englischen Texte entstehen in Tübingen und werden auch von dort auf den Server gestellt.
Damit sind die Möglichkeiten aber noch nicht erschöpft. Das, was von Kassel, Magdeburg, Tübingen, Frankfurt und Hannover aus möglich ist, läßt sich natürlich auch von Boston, Tokio, Johannesburg oder Bangkok aus bewerkstelligen. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß die Leitung etwas länger ist. Jeder kann jeden Rechner im Netz erreichen, egal wo er seinen Zugang auf der Welt zu diesem Netz hat. Es braucht allerdings nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, welche kriminellen Möglichkeiten darin enthalten sind: Der weltweite Versand von Kinderpornographie, die Abwicklung von Drogengeschäften, Einsatzbefehle für Terrorkommandos und die Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts sind die Alpträume vieler Fahndungsbehörden und Geheimdienste.
4. Defizite christlicher Internet-Angebote
Doch das Internet ist nicht nur ein Informationsmedium, sondern vor allem auch ein Kommunikationsmedium. Schon heute können die Internet-Nutzer über einen Mausklick auf eine E-Mail-Adresse direkt mit dem Informationsanbieter Kontakt aufnehmen, in absehbarer Zeit werden Telefongespräche und Videokonferenzen für die meisten Nutzer zum Alltag gehören.
Die Mehrzahl christlicher Internet-Angebote beschränkt sich derzeit allerdings noch auf elektronische Ausgaben kirchlicher Printerzeugnisse: Selbstdarstellungen, Presseerklärungen, Nachrichten, Zeitschriftenartikel, Veranstaltungskalender, Andachten und Predigten. Texte, die ohnehin produziert werden, landen meist unverändert auf dem Webservern von Landeskirchen, Kirchengemeinden, Werken und Einrichtungen. Das kann immer nur ein Anfang, nicht aber Ziel eines Internet-Engagements sein. Zu wenig Gedankenarbeit wird in die Gestaltung eines attraktiven Angebotes gelegt, das im Internet nämlich nicht so sehr in der Anhäufung von Bleiwüsten besteht, sondern vielmehr in der interaktiven Kommunikation über das Medium Computer, das Menschen zusammenbringt, die sich sonst vielleicht nie getroffen hätten. Wo ist denn der christliche Chat-Kanal, in dem jeden Abend "über Gott und die Welt" gesprochen wird? Warum gibt es noch keine Internet-Seelsorge, die - analog zur Telefonseelsorge -ständig besetzt den Menschen in Not rund um die Uhr weiterhilft? Wo sind denn die Online-PfarrerInnen, die mit den Menschen im Netz über den Glauben reden? Wer hat sich denn schon über kreative, dem Medium entsprechende Formen christlicher Verkündigung Gedanken gemacht? Auf welchem Schreibtisch entstehen die theologischen Entwürfe einer neuen Internet-Homiletik? Wo sind die religionspädagogischen Konzepte für die Vermittlung des Glaubens im 21. Jahrhundert?
Mit zwei Stunden Arbeitsaufwand in der Woche läßt sich kein attraktives Angebot einer Landeskirche im Internet inszenieren. Und weil die Präsenz im Medium Internet von der technischen Seite her recht günstig zu haben ist, vergißt man nur allzu leicht, daß der Aufwand vor allem in der konzeptionellen Entwicklung von interessanten Internet-Angeboten liegt. Dafür werden aber kaum personelle Kapazitäten geschaffen. Mittlerweile hat es sich zwar auch in christlichen Kreisen herumgesprochen, daß es notwendig ist, auch in diesem Medium präsent zu sein und Flagge zu zeigen, doch die Pflege der Datenbestände muß bislang meistens noch von einer Dienststelle nebenher erledigt werden. Dies führt unter anderem dazu, daß man im Februar immer noch mit der Adventsseite einer Kirchengemeinde im Internet begrüßt wird. Was ebenfalls zur Zeit weitgehend fehlt, ist die theologisch-ethische und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Medium selbst, mit seinen Gepflogenheiten, der "Netiquette" (dem Verhaltenskodex im Internet), und den Auswirkungen, die die Entwicklungen im Bereich der Telekommunikation auf die Gesellschaft und jeden einzelnen Menschen haben.
5. Ziele und Inhalte christlicher Internet-Arbeit
Das Ziel der christlichen Aktivitäten im Internet sollte es sein, sowohl christlich interessierte Menschen anzusprechen als auch Menschen, die dem christlichen Glauben fernstehen. Für diese Zielgruppen müssen unterschiedliche Angebote gemacht werden, was keine ganz leichte Aufgabe ist. Verfolgt man dabei allzu platte Missionsstrategien, werden vielleicht einige andere Christen Beifall zollen, aber Fernstehende werden sicher nicht wieder auf dieser "Website" vorbeischauen. Ein qualitativ hochwertiges und für die Benutzer interessantes Angebot könnte darin bestehen, eine möglichst breite Palette von Themenschwerpunkten und Kommunikationsangeboten aufzubauen:
- wichtige Informationen und Nachrichten werden zum Abruf bereitgestellt,
- interaktive Wettbewerbe, Spiele, Preisrätsel sorgen für "fun & action",
- dem Medium entsprechende Aufbereitungen der christlichen Botschaft bieten geistliche Nahrung,
- Diskussionsforen und Chat-Kanäle dienen der Kommunikation und Begegnung,
- Lebensberatung, Seelsorge, persönliche Glaubensgespräche bieten dem einzelnen Hilfe und Trost.
Je ausgefeilter und breiter ein solches Angebot aufgebaut wird, desto mehr Menschen werden sich sicher auch dafür interessieren, da es in unserer ausdifferenzierten Gesellschaft und mit zunehmender Verbreitung des Internet wohl kaum mehr den typischen Internet-Nutzer geben wird. Es liegt auf der Hand, daß für alle diese verschiedenen Aktivitäten mehr personelle Kapazitäten geschaffen werden müssen als dies bislang der Fall ist.
Die Strategie kirchlicher Internet-Arbeit muß darauf ausgerichtet sein, eine Identifikation der Nutzer mit der Kirche herzustellen, um damit wiederum das Leben innerhalb der Kirche zu beleben, sowohl im Internet selbst als auch in der "realen" Welt. Wichtig ist darum das Profil, der Stil und die Form der kirchlichen Internet-Angebote. Kirchengemeinden und Landeskirchen können sich im Internet nicht anders präsentieren als sie sonst auch wahrgenommen werden: Anbiederung an den Nutzer wird dieser sicher schnell durchschauen. Das Profil einer Gemeinde, einer Kirche muß klar erkennbar sein und das sowohl von der Präsentation her - bis hin zu Logos, Schriftzügen, Farbgebung, Adressen, Telefonnummern etc. - als auch von den Inhalten, dem Stil der Kommunikation und vom Umgang miteinander in Foren und persönlichen Gesprächen.
Es ist schon viel gewonnen, wenn die kirchlichen Internet-Angebote Menschen positiv überraschen. Wenn E-Mails schnell beantwortet werden und Menschen registrieren, daß in der Kirche nicht immer alles "ewig und drei Tage" braucht, wenn Menschen sehen, daß Christen nicht nur "fromme Lieder" singen, sondern auch gute Programmierer oder kreative Designer sind, wenn auch mal herzlich über eine witzig gemachte Seite gelacht werden kann und nicht immer alles "bierernst" zugeht, wenn Menschen Rat, Hilfe und Unterstützung erfahren, die sie in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht erleben.
Nicht zuletzt können Christen auch einen Beitrag zur Ausformung einer "Netzkultur" leisten, indem sie sich aktiv an der Entwicklung von ethischen Standards beteiligen oder einen vorbildlichen Umgang mit den Nutzern im Netz pflegen. Auf diese Weise können Christen in diesem Medium etwas von der Liebe Gottes, die sie motiviert, weitergeben und von ihr Zeugnis ablegen. Je mehr Christen sich darum aktiv an diesem Geschehen beteiligen, desto mehr werden wir gemeinsam an den verschiedenen Ecken dieses globalen Netzes ausrichten können.
6. Und in Zukunft mehr Mut
Das Internet ist sicher kein Allheilmittel zur Lösung der gegenwärtigen kirchlichen Probleme und wird auch nicht paradiesische Zustände auf dieser Welt herbeiführen. Es hat - zunächst einmal - einen ganz praktischen und unsensationellen Nutzen: den preiswerten Austausch und die schnelle Verbreitung von Informationen. Kirchlichen Stellen hilft es, Kosten zu reduzieren und den Nutzern, schneller und mit weniger Aufwand als auf herkömmlichen Wegen an relevante Daten heranzukommen. Dann aber - und hier liegen die eigentlichen Herausforderungen für die Kirchen - wird es darauf ankommen, gute Konzepte für die Internet-Arbeit zu entwickeln, die dem Medium und seinen Nutzern gerecht werden. Hier stehen wir alle noch am Anfang.
Wohin das letztlich alles führen wird, können wir heute noch nicht absehen. Dafür geht die Entwicklung einfach zu schnell voran. Keiner, der sich im Internet engagiert, kann für mehr als zwei Jahre im voraus planen. Das Medium wächst mit schwindelerregender Geschwindigkeit. Es gibt keinen Weg zurück: "Präsent sein oder nicht?", lautet lediglich die Frage. Nehmen wir unseren Auftrag, das Evangelium von Jesus Christus weiterzusagen, ernst, kann diese Frage eigentlich nur mit einem "Ja" beantwortet werden, auch bei allen Schattenseiten, die dieses Medium mit sich bringt. Die Kommunikation des Evangeliums ist unsere Aufgabe als Kirche. Sie steht in der Spannung zwischen dem Bewahren der Tradition und dem Aufbruch zu neuen Formen der Kommunikation. So wie Martin Luther sich einst die neu erfundene Drucktechnik zunutze machte, so sollten wir heute auch das Internet für die Kommunikation mit anderen einsetzen.
Die zweitausendjährige Geschichte des Christentums zeigt, daß sich die Formen christlichen Lebens immer wieder verändert haben. Die protestantische Tradition hat sogar das "ecclesia semper reformanda" zum Prinzip erhoben. Darum gibt es auch hinsichtlich der zukünftigen Entwicklungen im Bereich Internet keinen ernsthaften Grund, sich Bange machen zu lassen. Im Vertrauen auf den, der da ist und der da kommt, kann die Christenheit auch den Weg in die Welt der globalen Datennetze antreten. Dabei werden sich die konkreten Formen, die Ausgestaltungen des christlichen Glaubens verändern - wie sie es in den letzten 2000 Jahren immer wieder getan haben. Die nachwachsenden Generationen werden selbstverständlich mit diesem neuen Medium aufwachsen. Sie werden - wie alle Generationen - neue Ausdrucksweisen und Formen christlichen Glaubens und christlichen Lebens finden. Dem können wir aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrung und im Vertrauen auf Gott ruhig und gelassen, aber mit einem wachem Auge und einem wachen Geist entgegensehen.
Autor: Dr. Matthias Schnell