CyberChurch? Kirche im Internet

Schlussbetrachtung: Perspektiven für die Zukunft

Strategien kirchlicher Internetarbeit, in: CyberChurch? Kirche im Internet, hrsg. v. Wolfgang Nethöfel und Matthias Schnell, Frankfurt am Main 1998, S. 163-173.

Strategien kirchlicher Internetarbeit

Christen in der englischsprachigen Welt engagieren sich schon seit einigen Jahren aktiv im Internet. Mittlerweile werden dort jeden Tag schätzungsweise 16.000 neue christliche Informationsseiten publiziert. Die Kirchen in Deutschland haben inzwischen auch das Internet als Medium für sich entdeckt und seit im Spätherbst 1995 die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ins Netz ging, sind eine ganze Reihe neuer Angebote hinzugekommen: Neben aktuellen Informationen aus den Landeskirchen, Akademien, theologischen Fakultäten, Werken, Vereinen, Verbänden, Fortbildungsstätten und Gemeinden werden auch christliche Inhalte wie die Tageslosung, Predigten, Meditationen, Andachten, die Zehn Gebote, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und diverse Bibelausgaben angeboten. Erklärungen, Pressemitteilungen, Synodenberichte, Adressen und Kontaktmöglichkeiten zu verschiedenen kirchlichen Stellen finden sich ebenso wie interaktive Angebote zu Seelsorge, Diskussionsforen, Gästebücher und Mailinglisten. Mittlerweile spiegelt das Internet auch im deutschsprachigen Raum die bunte Vielfalt christlicher Initiativen und kirchlichen Engagements wider.

Defizite kirchlicher Internetarbeit

Diese Angebote werden jedoch oft nur durch engagierte kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auch einen Teil ihrer Freizeit diesem Engagement widmen, betreut, gepflegt und aufrecht erhalten. Viele kreative Ideen werden in konkrete Projekte umgesetzt, hochmotivierte, kirchliche Medienfachleute bemühen sich um professionelle kirchliche Internetauftritte, mit viel Mut und Sympathie stellen sich Pfarrerinnen und Pfarrer den Menschen im Netz als Gesprächspartner zur Verfügung.

Doch diese positive Bilanz der Pionierphase darf nicht darüber hinweg täuschen, daß sich die meisten christlichen Internetangebote zumeist auf elektronische Ausgaben kirchlicher Printpublizistik beschränken: Selbstdarstellungen, Presseerklärungen, Nachrichten, Zeitschriftenartikel, Veranstaltungskalender, Andachten und Predigten. Texte, die ohnehin produziert werden, landen meist unverändert auf den Webservern von Landeskirchen, Kirchengemeinden, Werken und Einrichtungen. Manchmal kann man froh sein, wenn wenigstens die Nachrichten unter der Rubrik "Aktuell" nicht völlig veraltet sind und man Ostern nicht noch mit der Weihnachtsseite begrüßt wird. Oft wird einfach zu wenig über die Gestaltung eines attraktiven Angebotes nachgedacht: Das Internet ist eben keine Anhäufung von Bleiwüsten , sondern interaktive Kommunikation über das Medium Computer, das Menschen zusammenbringt, die sich sonst nie getroffen hätten.

Aufgeben oder weitermachen?

Mittlerweile hat es sich zwar auch in christlichen Kreisen herumgesprochen, daß es notwendig ist, auch in diesem Medium präsent zu sein, doch die Pflege der Datenbestände muß meistens eine Dienststelle nebenbei erledigen. Mit zwei Stunden Arbeitsaufwand in der Woche läßt sich kein attraktives Angebot im Internet inszenieren. Das wissen alle, die mit diesem Medium arbeiten. Vielen Institutionen dient die eigene Präsenz lediglich der Imagepflege und Informationsverbreitung. Und weil die Präsenz im Medium Internet von der technischen Seite her recht preiswert zu haben ist, wird nur allzu leicht vergessen, daß der Aufwand vor allem in der konzeptionellen Entwicklung von interessanten Internetangeboten liegt. Dafür werden kaum personelle Kapazitäten geschaffen. Die Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre zeigen, daß das Hauptproblem bei fast allen kirchlichen Internetangeboten darin besteht, daß in einem ersten Kraftakt die Internetpräsenz realisiert wird, dann aber keine organisatorischen Strukturen aufgebaut werden, um das Angebot auch weiterhin aktuell zu halten. In welchen Landeskirchen wurden denn Koordinationsstellen eingerichtet, die die organisatorischen Abläufe überwachen, für aktuelle Informationen sorgen und die Internetangebote konzeptionell weiterentwickeln?

Viele Christen sind einfach froh, wenn der Zugang zum Netz über Computer, Modem und Telefonleitung gelungen ist und sie ihre Informationen ins World Wide Web gebracht haben. Wenn die Angebote für die Nutzer interessant bleiben sollen, müssen sie jedoch ständig aktualisiert und erweitert werden. Dazu fehlt vielen die Zeit. Und so stehen die Menschen in der Kirche, die sich im Internet für den christlichen Glauben engagieren, heute vor der Alternative, entweder weiter freiwillig 10 bis 14 Stunden am Tag in die laufenden Projekte zu investieren oder aufzugeben, weil sie keine Unterstützung erhalten und dringend benötigte MitarbeiterInnen aufgrund der angespannten finanziellen Lage nicht eingestellt werden können.

Langfristig besteht die Gefahr, daß die Kirchen den Anschluß an die Entwicklungen der digitalen Revolution verpassen und unter dem wirtschaftlichen Druck ihre Chancen im kirchlichen Medienengagement durch falsche Entscheidungen verspielen. Damit dies nicht passiert, sollen im folgenden Perspektiven für die Zukunft der kirchlichen Internetarbeit entwickelt werden. Zunächst die inhaltlichen Zielvorgaben, in einem zweiten Schritt die dafür notwendigen organisatorischen Rahmenbedingungen.

Kommunikation und Information

Ein wichtiges Ergebnis der Erfahrungen mit der Internetpräsenz in den vergangenen zwei Jahren ist, daß das Internet nicht so sehr der Information sondern in viel stärkerem Maße der Kommunikation dient. Das bestätigen sowohl die sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über das Verhalten von Internetnutzern als auch die Berichte der kirchlichen Kommunikationsinitiativen, der Beratungs- und Seelsorgeanbieter. Die Präsenz im World Wide Web führt dazu, daß viele Menschen den Kontakt über Foren oder E-Mail zur Kirche suchen. Beobachtet man regelmäßig die religiösen Foren bei den Online-Diensten T-Online, CompuServe und AOL verstärkt sich dieser Eindruck: Die überwiegend jungen "User" haben das Bedürfnis, sich über religiöse Fragen auszutauschen. Es scheint darum notwendig, vor allem den Bereich der Kommunikation in den kirchlichen Internetangeboten stärker auszubauen. Wer ein Kommunikationsangebot im Internet macht ("Schreiben Sie uns..."), muß sicherstellen, daß die eingehenden Mails auch beantwortet werden. Wer Diskussionsforen anbietet, muß dafür sorgen, daß sich kompetente Gesprächspartner beteiligen, die sich mit den Gepflogenheiten des Netzes auskennen und seriöse Hilfe anbieten können. Besonders für geistliche Fragen, Seelsorge und die Betreuung von Gesprächsforen bedarf es einer personellen Verstärkung durch Pfarrer und Pfarrerinnen.

Seelsorge und Beratung

Die Erfahrungen im Team der ökumenischen Internetseelsorge machen deutlich, daß es keinen Sinn macht, Internetseelsorge als Einzelperson zu betreiben. Ein gutes Team ist aus mehreren Gründen unabdingbar: Wer Internetseelsorge anbietet, muß dafür sorgen, daß auch bei Krankheit oder Urlaub der Seelsorger die E-Mails nicht ungelesen bleiben. Wer ein solches Angebot macht, muß dafür Sorge tragen, daß die Anfragen innerhalb einer angemessenen Zeit (ca. 24 Stunden) auch beantwortet werden können. Ist das aufgrund der personellen Lage nicht gewährleistet, sollte von einem Beratungsangebot im Internet Abstand genommen werden. Ein einzelner Mensch kann kein Spezialist für alle Fragen des Lebens sein. In einem Team kann man dagegen die Anfragen weitergeben und sich gegenseitig bei schwierigen Fällen weiterhelfen. Weil Seelsorge auch in den meisten Fällen mit einer seelischen Belastung der Seelsorger verbunden ist, sollte notwendigerweise eine Supervision bei der Konzeption berücksichtigt werden. Für die Internetseelsorge gelten somit die gleichen Standards wie für andere Seelsorge- oder Beratungsteams.

Da es sich bei der Kommunikation über Computer und Datennetz um eine spezielle, vielen Menschen noch unvertraute Form der Kommunikation handelt, scheint eine spezielle Schulung der Seelsorger notwendig. Eine Internetseelsorge kann nur dann wirklich kompetent helfen, wenn die Möglichkeit einer Vermittlung zu lokalen Seelsorgern und Beratungsstellen bedacht wird. Das heißt: In den Fällen, wo eine weitergehende Beratung, Betreuung oder Therapie notwendig erscheint und der Kontakt über E-Mail nicht mehr weiterhelfen kann, muß die Seelsorgestelle in der Lage sein, lokale Ansprechpartner zu vermitteln.

Anders als die Telefonseelsorge, die in der Regel lokal arbeitet, ist das Internet ein Medium, in dem Orte und Regionen zunächst eine untergeordnete Rolle spielen. Wer also irgendwo im deutschsprachigen Raum Beratungsangebote im Internet macht, muß damit rechnen, aus dem gesamten deutschsprachigen Raum Anfragen zu bekommen. Von daher sind die Anforderungen an eine Internetseelsorge höher als an andere Formen der Seelsorge: Wer nur lokal arbeitet, kann sich schnell einen Überblick über mögliche Hilfsangebote verschaffen. Wer im Internet arbeitet, müßte eigentlich einen kompletten Index oder eine Datenbank aller Beratungsstellen im gesamten deutschsprachigen Raum zur Hand haben, um kompetent weiterhelfen zu können. Da es für eine einzelne Seelsorgestelle im Internet nicht möglich ist, alle lokalen Angebote im deutschsprachigen Raum zu kennen, geschweige denn diese nach Qualität oder spezifischen Hilfsangeboten beurteilen zu können, ist eine Vernetzung der verschiedenen Seelsorgeangebote ein notwendiger Schritt für alle Anbieter, um den Ratsuchenden im Internet kompetent weiterhelfen zu können.

Eine Variante wäre, daß sich die verschiedenen Seelsorge-Anbieter gegenseitig helfen und einzelne Menschen zu regionalen oder lokalen Seelsorgern weiterleiten, wenn dies erforderlich werden sollte. Die schwierigere aber auch vielversprechendere Variante wäre, daß man sich im deutschsprachigen Raum auf eine gemeinsame Internet-Adresse und Seelsorgekonzeption einigt (z. B. http://www.seelsorge.de/) und eine Zentralstelle einrichtet, die alle Anfragen sichtet und sie regional und/oder nach Schwerpunktgebieten weiterleitet. Der Aufwand wäre sicher hoch, doch für die Nutzer hätte das den Vorteil, gleich zu kompetenten Seelsorgern geleitet zu werden, statt über viele Umwege schließlich und endlich bei einem Seelsorger vor Ort zu landen.

Voraussetzung ist jedoch, daß die Institution, die die Internetseelsorge betreibt, klar benannt und auch überprüfbar sein muß. Im Internet kann jeder zunächst alles behaupten und sich für jemanden ausgeben, der er gar nicht ist. Sekten z. B. könnten unter der Tarnadresse einer Kirchengemeinde Seelsorge anbieten und die Daten dann für eine gezielte Mitgliederwerbung einsetzen oder die Menschen an eine ihrer Institutionen weitervermitteln. Der Nachweis und die institutionelle Absicherung eines Seelsorgeangebotes im Internet ist unerläßlich. Es muß völlig und unzweideutig klar sein, wer sich hinter diesem Angebot verbirgt.

Die Grenzen der Internetseelsorge liegen dort, wo sich Menschen mit gravierenden seelischen Störungen an sie wenden. Diese können nicht sinnvoll über diese reduzierte Form der Kommunikation behandelt werden. Die Seelsorge über Internet kann nur den Erstkontakt herstellen, Ansprechadresse für Menschen sein, die Hilfe brauchen, aber nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Über das Internet muß die Vermittlung zu kompetenten Seelsorgern, Psychotherapeuten oder Beratungsstellen am Wohnort der Betreffenden geschehen. Grenzen zeigen sich auch da, wo schnelle und sofortige Hilfe erforderlich ist. Selbst wenn es möglich sein sollte, über eine direkte Verbindung von Computer zu Computer in Echtzeit zu kommunizieren oder sogar eine Videokonferenz abzuhalten, so ist doch dieses Medium kaum geeignet, in Notsituationen wirksam zu helfen. Ausnahmen werden auch hier die Regel bestätigen, doch eine Konzeption der Internetseelsorge sollte darauf ausgerichtet sein, in solchen Fällen schnelle Hilfe vor Ort vermitteln zu können.

"Edutainment" und "Relitainment"

Die Vermittlung des christlichen Glaubens kann sich in den globalen Datennetzen nicht nur auf Information, Lebensberatung, Seelsorge, Diskussionsgruppen, Online-Magazine und persönliche Glaubensgespräche beschränken. All das ist sehr wichtig. Doch wenn die kirchlichen Angebote in dem unendlichen Universum von Angeboten im Internet wahrgenommen werden sollen, braucht es auch spielerische, multimediale, sinnlich erfahrbare Applikationen der christlichen Botschaft. Immer mehr Menschen interessieren sich nicht mehr für lange Texte und trockene Erklärungen. Verwöhnt durch Fernsehen und Video, Bilder und Töne, werden nur noch Informationen im "Drei-Minuten-Format" wahrgenommen. Alles, was länger dauert, wird weggezappt und weggeklickt.

Innerhalb der kirchlichen Informations- und Kommunikationsangebote (oder unter eigens dafür bereitgestellten Adressen) muß es darum auch Denk-, Spiel- und Erfahrungsräume geben, die sinnliche Erfahrungen der christlichen Botschaft ermöglichen. Denn mit der wachsenden Geschwindigkeit auf den Datenleitungen wird das Internet immer mehr zu einem "Multi-Medium" werden. Schon jetzt müssen die Konzepte für den Tag entwickelt werden, an dem die Geschwindigkeiten zum Endnutzer ausreichen, um das Altarbild der Herrenberger Stadtkirche virtuell begehen zu können. Nicht zuletzt darum ist das in der Einleitung erwähnte Projekt vorbildlich.

Multimedia-Produktionen sind teuer. In den Kirchen aber wird das Geld knapp. Qualitativ hochwertige Multimedia-Projekte werden in Zukunft nur noch dann möglich sein, wenn mehrere Stellen zusammenarbeiten, wenn Ressourcen gebündelt und die Produktionen für möglichst unterschiedliche Plattformen, z. B. Internet und CD-ROM, entwickelt werden. Außerdem müssen diese Produktionen kommerziell erfolgreich sein, indem sie die getätigten Investitionen wieder einspielen. Dafür braucht es kirchliche Produktionsgesellschaften, die solche Projekte abwickeln können und die ein professionelles Marketing ebenso beherrschen wie originelle und neue Wege der Vermarktung.

Homiletik und Publizistik Verkündigung unter den Bedingungen digitaler Medien - das machen die Beiträge zu Beginn des ersten Teils des Buches deutlich - braucht neue Konzepte. Viele potentielle "Hörer des Wortes" sitzen nicht mehr unter der Kanzel im Gottesdienst am Sonntagmorgen. Manche Menschen werden nur noch über die Medien erreicht. Eine zeitgemäße Homiletik kann folglich nicht mehr nur die Situation des Hörers unter der Kanzel voraussetzen, sondern muß die Verkündigung in den Medien in die Überlegungen mit einbeziehen. Bislang richtete sich der Blick dabei auf die Verkündigung in Hörfunk und Fernsehen. Doch auch die Konzepte der Rundfunkgottesdienste und -andachten müssen für die Verkündigung des christlichen Glaubens in interaktiven Medien neu bedacht werden, denn die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme und Teilhabe am Programm verändert die Form der Verkündigung radikal. Statt der üblichen "Einbahnstraßenkommunikation" von Hörfunk und Fernsehen sind nun Partizipation und Dialog gefragt.

Verkündigung im Internet wird daher eher eine dialogische, kommunikative und diskursive Struktur haben. Der Online-Bibelkreis der bayerischen Landeskirche ist ein gutes Beispiel dafür. Dort wird ein Thema oder ein Text zu einer den christlichen Glauben betreffenden Frage vorgegeben. Kurze Begleittexte erschließen den Teilnehmenden das Thema. In der Diskussion wird das Thema vorangebracht, werden Fragen aufgeworfen und von der Moderatorin und anderen Teilnehmern beantwortet. Auf diese Weise wird ein Netz von Meinungen, Thesen und Gedanken geknüpft, an dem die Teilnehmenden aktiv partizipieren.

Verkündigung im Internet geschieht nicht schon dadurch, daß die Sonntagspredigten und die im Altenheim gehaltenen Andachten ins Web gestellt werden. Das mag für "kirchliche Insider" noch interessant sein, die auf der Suche nach neuen Ideen für ihre Arbeit im Internet recherchieren. Doch kein Mensch liest wirklich lange Texte am Bildschirm. Das Internet braucht ein neues Format von der Länge einer Bildschirmseite. Kurze, prägnante, pointierte, leicht erfaßbare Textstücke, die aus sich heraus die Leser ansprechen, von denen aus aber auch über die Verweisstruktur des Web weitere Perspektiven zugänglich werden, z. B. verwandte biblische Texte, exegetische Hintergrundinformationen, literarische Texte, Photos von Kunstwerken zum Thema, Lieder, Videosequenzen etc. Auf diese Weise entsteht ein Gewebe von Texten, Bildern, Tönen, das den Lesern die Möglichkeit bietet, entweder kurz etwas zur Kenntnis zu nehmen oder sich auf eine Entdeckungsreise zu einem bestimmten Thema oder biblischen Text zu machen.

Die Herausforderungen für die evangelische Publizistik liegen noch auf einem anderen Gebiet. Focus, Spiegel und Stern stellen schon lange nicht mehr nur ihre Artikel im Internet zur Verfügung. Sie bieten dem Nutzer zu vielen Themen einen Mehrwert und -nutzen an. Zum Thema Reisen oder Immobilien hat Focus-Online z. B. Reisedatenbanken und Immobiliendatenbanken, ebenso Informationen rund um das Thema mit Hinweisen und Verweisen auf weitere interessante Informationen im Internet. Ähnlich könnte dies für ein kirchliches Online-Magazin im Internet entwickelt werden. In Zusammenarbeit mit Unternehmen oder anderen Medien könnten in der Gesellschaft umstrittene Themen aufgegriffen, Beratung und Lebenshilfe angeboten und Diskussionen initiiert werden. Gerade die Verbundaktivitäten mit anderen Medien (Rundfunk, Fernsehen, Print) erweisen sich bei Internet-Projekten als ausgesprochen hilfreich, weil jedes dieser Medien spezielle Zielgruppen erreicht, spezielle Vorteile hat und sich damit im Verbund eine große Reichweite erzielen ließe.

Mittel und Ressourcen teilen

Daß die hier vorgeschlagenen Perspektiven der Weiterentwicklung kirchlicher Internetangebote nicht ohne zusätzliche Mittel und Ressourcen zu bewältigen sind, liegt auf der Hand. ZDF, Spiegel und Focus beschäftigen mittlerweile 30 und mehr Leute in Ihren Online-Redaktionen. In der evangelischen Kirche kann man diejenigen, die sich hauptberuflich mit dem Internet beschäftigen, immer noch an einer Hand abzählen. Die Programme und Dienstleistungen, die über das Internet möglich sind, werden immer zahlreicher, komplexer, vielfältiger und können auf Dauer nicht von einzelnen allein bewältigt werden. Sind ein paar Webseiten noch mit wenig Aufwand herzustellen, so erfordern Datenbanken, Suchmaschinen und Online-Shops einen Investitionsaufwand im sechsstelligen Bereich. Mit den zunehmenden Möglichkeiten im Multimediabereich werden diese Kosten noch steigen. Dann ist es mit ein paar Webseiten wirklich nicht mehr getan.

Strategisch gesehen muß deshalb entweder eine Konzentration der Mittel und Ressourcen stattfinden oder aber es müssen insgesamt mehr Arbeitsstellen mit mehr Mitarbeitern ausgestattet werden. Da die zweite Variante aufgrund der angespannten finanziellen Situation vieler kirchlichen Einrichtungen wohl kaum in Betracht kommen wird, werden sich die kirchlichen Einrichtungen die Ressourcen teilen müssen. Das, was im Publizistischen Gesamtkonzept der EKD im Hinblick auf die Strukturen im Printbereich gesagt wird, gilt in gleicher Weise auch für die elektronischen Medien: "Aus publizistischen wie aus wirtschaftlichen Gründen wäre eine Zusammenfassung der publizistischen Arbeit in einer begrenzten Zahl leistungsfähiger Presse- und Medienverbände wünschenswert. Durch größere Einheiten könnten vorhandene publizistische Ressourcen effektiver genutzt werden." Das betrifft im Internet vor allem die schon vorhandene Hard- und Software, Spezialisten für HTML-Programmierung und Grafik-Design: Durch Mehrfachnutzung und Konzentration könnten ineffektive Parallelstrukturen und Doppelarbeiten vermieden werden.

Die teilweise recht gute Zusammenarbeit mit den Freikirchen und den katholischen Partnern wäre ebenfalls auszubauen. Es bleibt zu hoffen, daß sich auch dort in Zukunft noch engere strategische Allianzen bilden lassen. Die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Projekten wie bei der christlichen Suchmaschine "ChristWeb" und Sprungadressen wie "www.kirchen.de" machen jedenfalls Hoffnung. Gerade im Hinblick auf die ökumenische Zusammenarbeit stellt sich aber immer wieder die Frage, wie eine solche institutionell abgesichert werden kann. Eine Möglichkeit wäre, die ökumenischen Vereine "Kirche Online" und "Pfarrer & PC" zu solchen Plattformen auszubauen oder die "Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen" (ACK) stärker mit in die Internetarbeit einzubinden. Dabei müssen auch die Bestrebungen im Blick auf eine europäische Vernetzung im Blick bleiben, denn die Vernetzung der Kirchen wird gerade im Hinblick auf das vereinte Europa dringlich. European Christian Internet Conference (ECIC) und die Leuenberger Kirchengemeinschaft sind Einrichtungen die zu einer stärkeren Zusammenarbeit der Kirchen im Medienbereich beitragen können.

Intensivierung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Auch wenn noch nicht alle Journalisten über E-Mail und einen Internet-Zugang verfügen, so lassen sich Informationen doch schon sehr gut über Internet in die Presse lancieren. Online-Events wie der WebFish-Wettbewerb und die Olympiaberichte sowie kirchliche Informationsschreiben wie der EKD-Newsletter erhöhen die Chancen, daß in anderen Medien über die Internetaktivitäten der Kirchen berichtet und Menschen damit auf die kirchlichen Inhalte im Internet aufmerksam gemacht werden. Denn wie sollen die Menschen, die nicht regelmäßig kirchliche Veranstaltungen frequentieren oder kirchliche Publikationen zur Kenntnis nehmen, davon erfahren, was die Kirchen im Internet machen?

Funktioniert der Informationsfluß über Projekte, Arbeitsstellen und Aktivitäten innerhalb der Kirchen noch ganz gut, so werden die Internetaktivitäten der evangelischen Kirchen in der breiten Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen. Eine größere Breitenwirkung kirchlicher Internetprogramme könnte durch Kooperationen mit säkularen Partnern erreicht werden, mit denen man bei konkreten Aktionen zusammenarbeitet, beispielsweise mit anderen Medien oder der Industrie, die dann die kirchlichen Angebote wieder durch ihre Werbung bekanntmachen. Dadurch ergeben sich Synergieeffekte, die beiden Partnern von Nutzen sind.

Insgesamt wird man aber nach zwei Jahren wohl sagen müssen, daß nach einem anfänglichen Interesse am Thema "Kirche und Internet" das Interesse der Medien abgeflaut ist. Jede Institution und jeder Verein ist mittlerweile im Internet. Deswegen ist das bloße Vorhandensein auch keine Nachricht mehr wert. Nur wenn es interessante Dinge zu berichten gibt, wird die Presse noch davon Notiz nehmen. Gerade darum ist die konzeptionelle Weiterentwicklung der Inhalte so wichtig für die kirchlichen Angebote. Wer sich nicht ständig etwas Neues einfallen läßt, geht irgendwo in der Masse der Millionen von Webseiten unter.

Schulung und Training für kirchliche Mitarbeiter

Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten könnten auch innerhalb der Kirche intensiver eingesetzt werden, wenn entsprechende Schulungsmöglichkeiten vorhanden wären. Es hilft nichts, Büros und Dienststellen mit Computern und ISDN auszustatten, wenn niemand in der Lage ist, die Technik zu bedienen. Auch in der Kirche muß das Bewußtsein dafür geschärft werden, daß der Umgang mit Computern und Telekommunikation eine Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts werden wird. Die in kirchlichen Kreisen salonfähige und oft zur Schau gestellte Technikfeindlichkeit wirkt äußert kontraproduktiv. Die leitenden kirchlichen Stellen müssen darauf aufmerksam machen, daß der Computer nicht das Spielzeug weniger Enthusiasten ist, sondern ein mittlerweile reguläres Arbeitsgerät, das die Arbeit effizienter und damit billiger macht.

Gerade angesichts der ständig teurer werdenden Portogebühren lohnt es sich darüber nachzudenken, E-Mail, die elektronische Post, als schnelles, bequemes und billiges Transportmittel von Informationen einzusetzen. Da immer mehr Menschen E-Mail-Adressen bekommen und regelmäßig in ihren elektronischen Briefkasten sehen, lohnt es sich schon heute, E-Mail-Verteiler aufzubauen. Auf absehbare Zeit werden noch mehrere parallele Verteiler nötig sein, um die Informationen an die Adressaten zu liefern. Aber gerade bei großen Verteilern macht sich die Ersparnis des Versands über E-Mail im Vergleich zu herkömmlichen Wegen schnell bemerkbar. Ideal ist diese Art der Kommunikation auch für geschlossene Verteilergruppen, die alle über eine eigene E-Mail-Adresse verfügen. Dies setzt jedoch voraus, daß nicht nur alle MitarbeiterInnen über die Technik verfügen, sondern auch entsprechend geschult werden.

Intranetstrukturen für die Kirchen

Die Erfahrungen in der hannoverschen Landeskirche mit der Vernetzung klingen sehr vielversprechend - auch für andere Landeskirchen. Doch nur selten sind die Strukturen so ausgebaut wie in der hannoverschen Landeskirche. Dezentrale Entscheidungs- und Organisationsstrukturen erschweren es manchen Landeskirchen, eine einheitliche technische Infrastruktur aufzubauen, von der alle profitieren könnten: Rundverfügungen ließen sich auf den Intranetservern ablegen oder per E-Mail zu einem Preis verschicken, der weit unter dem liegt, was derzeit aufgewendet wird. Die Verwaltung der Gemeinden und anderer kirchlicher Einrichtungen könnte ebenfalls erheblich effektiver und kostengünstiger abgewickelt werden.

Während in der Wirtschaft mit mehrstelligen Millionenbeträgen leistungsfähige Intranets aufgebaut werden, fließt in Kirche und Diakonie weiterhin immens viel Geld in die überholten Großrechner der Kirchlichen Rechenzentren. Die kirchlichen Verwaltungen haben in den vergangenen 15 Jahren zig Millionen Mark in den Ausbau dieser Rechenzentren gesteckt, die Entwicklungen im PC-Bereich und dezentralen Netzwerkstrukturen aber kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn gefördert. Während in den Rechenzentren heute noch Heerscharen von Programmierern an hausgemachten Software-Lösungen stricken, fehlen in den Gemeinden oft die 250 Mark, die zur Anschaffung eines Modems benötigt werden. Uneffektive Projekte wie die Entwicklung eigener PC-Anwendungsprogramme haben zudem in einigen Landeskirchen riesige Summen verschlungen und dazu geführt, daß dort heute mit einer völlig veralteten und bedienerunfreundlichen Software gearbeitet werden muß.

Rückblick und Ausblick

Die Erfahrungen, die in den vergangenen Jahren mit dem Internet in der Kirche gemacht wurden, sind sehr vielversprechend. Sie zeigen, daß es viele gute Ansätze und Initiativen gibt, von der Jugendarbeit über die Seelsorge und Verkündigung bis hin zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Verwaltungsstrukturen, die dadurch effizienter und kostengünstiger werden.

Wenn die Internetarbeit in der evangelischen Kirche aber weiterhin erfolgreich betrieben werden soll, sind grundlegende Weichenstellungen und Strukturanpassungen nötig. Ohne tragfähige Konzepte und ohne Mitarbeiter geht es nicht. Die Zeiten des Ausprobierens, Bastelns und des semiprofessionellen Einsatzes sind vorbei. Mit nur dreieinhalb Texten und ein paar bunten Bildern lassen sich heute keine Nutzer mehr ansprechen. Die Qualität der Internetangebote steht in direkter Relation zur Zeit, die für die Betreuung, Pflege und Weiterentwicklung des Angebotes aufgewendet wird.

Und so wird es von den Ideen und der personellen Ausstattung abhängen, welchen Weg die kirchliche Internetarbeit nehmen wird, ob sie den Anschluß an die multimedialen Entwicklungen und Netzstrukturen des heraufkommenden 21. Jahrhunderts finden wird, ob sie durch intelligente Konzepte und interessante Inhalte auch die der Kirche fernstehenden Menschen für den Glauben begeistern kann, oder ob die kirchlichen Internetangebote zu einem Nischenangebot für einige wenige, an kirchlichen Themen ohnehin interessierte Menschen werden.

Autor: Dr. Matthias Schnell