Kirche und Diakonie bedauern Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Bewerberin erhält Entschädigung zugesprochen – Diakoniepräsident Lilie rechnet mit erheblichen Konsequenzen

der achte Senat des Bundesarbeitsberichts unter unter Vorsitz von Anja Schlewing betritt den Gerichtssaal in Erfurt

Der achte Senat des Bundesarbeitsgerichts unter Vorsitz von Anja Schlewing (Mitte) entschied über den Fall.

Berlin (epd). Die Diakonie Deutschland und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) haben mit Enttäuschung auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) reagiert, wonach die Diakonie einer abgelehnten Stellenbewerberin ohne Kirchenzugehörigkeit eine Entschädigung zahlen muss. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte nach der Urteilsverkündung in Erfurt, bei der Personalauswahl für den kirchlichen Wohlfahrtsverband sei auch bisher die Anforderung der Kirchenmitgliedschaft nicht willkürlich gestellt worden.

Die Berlinerin Vera Egenberger hatte vor dem Bundesarbeitsgericht wegen Diskriminierung aufgrund von Religion geklagt und konnte ihren Anspruch gegen den evangelischen Wohlfahrtsverband durchsetzen. Die Diakonie muss ihr eine Entschädigung von knapp 4.000 Euro zahlen. Das Gericht hatte Zweifel, dass die Benachteiligung aufgrund fehlender Kirchenmitgliedschaft im konkreten Fall gerechtfertigt gewesen sei, hieß es zur Begründung. Egenberger hatte sich 2012 erfolglos um eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben.

„Das Zeug zum Grundsatzurteil“

„Dieses Urteil kann uns nicht zufriedenstellen“, sagte Lilie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Entscheidung der Erfurter Richter habe „das Zeug zum Grundsatzurteil“. Bleibe es dabei, „dann können wir alles durch Weisungsrecht machen, dann brauchen wir überhaupt keine evangelischen Christen in unseren Einrichtungen mehr“, sagte der Diakonie-Präsident. Er rechne nun für die Diakonie mit erheblichen Konsequenzen.

Die EKD und die Diakonie hätten ihr Arbeitsrecht weiterentwickelt, teilten EKD und Diakonie mit. Nichtchristinnen und -christen könnten an vielen Stellen in Kirche und Diakonie arbeiten. Ausnahmen gebe es aber für Aufgaben in der Verkündigung, der Seelsorge und der evangelischen Bildung, bei denen die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche vorausgesetzt wird. Leitungskräfte müssen einer christlichen Kirche angehören.

Begründung abwarten, Konsequenzen prüfen

Lilie sagte, für die konkrete Stelle, auf die sich die Klägerin beworben hatte, sei eine Person erforderlich gewesen, die sich stark mit den christlichen Werten identifiziert und sich durch ihre Mitgliedschaft in der Kirche dazu auch bekenne. Der Diakonie-Präsident fügte hinzu, die Klägerin habe zudem nicht die formalen Voraussetzungen für die Stelle besessen, auf die sie sich beworben habe. Deshalb sei sie nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden.

Der Fall um die kirchliche Einstellungspraxis ging durch alle Instanzen in Deutschland und beschäftigte auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Luxemburger Richter entschieden im April, dass kirchliche Arbeitgeber nicht pauschal und unbegründet die Zugehörigkeit zu einer Kirche verlangen dürfen. Die Anforderung müsse „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ sowie gerichtlich überprüfbar sein, urteilte der EuGH. Vor dem Hintergrund dieser Klarstellung aus Luxemburg musste das Bundesarbeitsgericht erneut verhandeln.

Diakonie und EKD erklärten, sie sähen in dem Erfurter Urteil eine Abweichung von der langjährigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat den Kirchen bisher in einem festgelegten Rahmen die Entscheidung überlassen, für welche Tätigkeiten die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche erforderlich ist. Diakonie und EKD erklärten, sie würden nun die Urteilsbegründung abwarten und Konsequenzen prüfen. Dazu gehöre auch die Erwägung, ob gegen den Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Bundesverfassungsgericht angerufen werde.

Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig geht davon aus, dass das jüngste Kirchenurteil des Bundesarbeitsgerichts die Einstellungspraxis der kirchlichen Arbeitgeber nicht grundsätzlich verändern wird. Arbeitsstellen mit Aufgaben in der Verkündigung und Glaubensvermittlung könnten nach der Rechtsprechung des EuGH weiter mit einem Konfessionserfordernis versehen werden, sagte der Göttinger Rechtswissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst. „Auch für Leitungsfunktionen werden besondere Loyalitätsobliegenheiten einer gerichtlichen Prüfung standhalten.“ In vielen sonstigen Bereichen arbeiten in der evangelischen Kirche bereits bislang Menschen mit, die nicht Mitglied der evangelischen Kirche sind.