Statement anläßlich der Verleihung des Hans-Ehrenberg-Preises

Manfred Kock

Christuskirche Bochum

I.
Anrede,

ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Wenn man über etwas sprechen soll, für das man selber ausgezeichnet wird und wenn man nach Worten sucht, während in einem noch nachklingt und weiter klingt, was Sie, Graf Lambsdorff, gerade gesagt haben, dann ist das nicht ganz einfach.

Aber heute gibt es ja doppelten Trost für mich. Erstens bin ich in dieser schwierigen Lage nicht allein, sondern habe mit Kardinal Karl Lehmann einen verlässlichen Partner und Mitstreiter.
Und zweitens gefällt mir die Sache,

  • um die es heute geht,
  • die hinter diesem Festakt steht,
  • und die mit dem Namen Hans Ehrenbergs verbunden ist.

Deshalb sage ich: Es ist schön, für etwas geehrt und ausgezeichnet zu werden, das einem selber Herzenssache ist.

II.
Ich will und brauche hier nicht das Leben und das Werk dieses Philosophen und Theologen nachzuerzählen. Hans Ehrenberg war in vielerlei Hinsicht ein Grenzgänger, ein Pionier, ein Brückenbauer, ein Visionär.

Aber ich will doch sagen, dass in einer Stunde wie dieser einem deutlich wird, dass Hans Ehrenbergs Leben Judentum und Christentum verband. In seiner Herkunft und Lebensgeschichte spiegelt er die Kräfte, welche die europäische und deutsche Kultur reich gemacht haben.
Zugleich aber ist gerade dieses Leben auf der Grenze der Religionen auch mit dem Teil deutscher Geschichte verbunden, der zu den dunkelsten Teilen aller Geschichte überhaupt gehört.

"Deutschland im Schmelzofen", so lautet ein Buchtitel Ehrenbergs. Ehrenberg wurde von den Nationalsozialisten überfallen, weil seine Vorfahren Juden waren. Sein Pfarrhaus wurde verwüstet, es wurde zerstört. Und ihn steckte man ins KZ. Er war in Sachsenhausen, wo auch Martin Niemöller saß.
All das ist nicht dunkle Vergangenheit, sondern wirkt hinein in unsere Zeit und hat mit uns selber zu tun, wie wir nicht nur im Vorfeld  der Bundestagswahlen gesehen haben, sondern auch auf manchen Computerseiten sehen und in manchen Äußerungen hören, die schon lange Anonymität und Stammtisch verlassen haben.
Man hat den Eindruck: Viele wissen es nicht mehr: Es gibt nicht nur den 11.9., es gibt auch den 9.11.

III.
Ökumene ist ein Thema, das Hans Ehrenberg wichtig war. Und Ökumene ist auch ein Thema dieser Stadt. Es ist auch ein Thema hier im Ruhrgebiet.

Hier im Ruhrgebiet gibt es seit über 40 Jahren die gemeinsame Sozialarbeit der Kirchen im Bergbau und bei Opel in Bochum. Hier haben die Kirchengemeinden gemeinsam die Familien begleitet, die durch die Zechenkrise in Bedrängnis kamen; haben gemeinsam aufmerksam gemacht auf das Schicksal der Menschen in den sozialen Umbrüchen.

Hier hilft man sich gegenseitig selbstverständlich und bietet sich gegenseitig Kirchen zur Gastnutzung an, wenn bei großen Ereignissen das eigene Gotteshaus zu klein ist, oder wenn bei Renovierungen die eigene Kirche nicht benutzbar ist.

Ich sage das alles nicht nur, weil es zu Hans Ehrenberg passen würde und er sich darüber gewiss gefreut hätte, sondern weil auch ich mich freue über diese Zeichen.

Hier wird direkt und praktisch zusammengearbeitet und manches geht unkomplizierter als auf den Leitungsebenen der Kirchen, die stärker abzuwägen und einzubeziehen haben, was aus der Gesamtverantwortung heraus auch noch zu bedenken ist.
Da bin ich froh,

  • dass ich bei allen Unterschieden in den Kirchenstrukturen mit Ihnen, Herr Kardinal, stets ein "Mehr" an Gemeinsamkeit gespürt habe,
     
  • dass wir so viel Vertrauen zueinander haben aufbauen können,

     
  • dass der Schutz der Gemeinsamkeiten an Wert nicht eingebüßt hat - im Gegenteil: vieles hat sich bewährt und ist weiter gewachsen und hat an Bedeutung gewonnen.

Denn es sind ja die gleichen Menschen, mit denen wir es zu tun haben in unseren Kirchen. Und es sind die selben Fragen und Aufgaben, denen sich unsere Kirchen stellen.
Und deshalb sage ich allen Zeitungsmeldungen zum Trotz: Die Ökumene ist nicht auf dem Weg in eine neue Eiszeit. Wer das vereinfachend schreibt oder pauschal behauptet, ist nicht auf der Höhe der Zeit.

Die Christen im Land sind mündiger als so mancher Bischof oder Präses meint. Aber: auch Bischöfe und Präsides sind in vielen Dingen weiter, als die Menschen vor Ort es vermuten. Die Zukunft der Kirche wird ökumenisch sein!

Im Lichte des Denkens von Hans Ehrenberg müssen wir aber das, was wir Ökumene nennen, noch weiter fassen.

Hans Ehrenberg war einer der Pioniere des interreligiösen Dialogs. Er hat seinen Standort besonders vor dem Hintergrund des Denkens von Franz Rosenzweig und Martin Buber formuliert.

Das war lange bevor die Kirchen den jüdisch-christlichen Dialog für sich entdeckt haben.

Wir leben auch heute in einer Zeit, in der wir die Aufgabe haben, einen Standpunkt für das Gespräch mit dem Islam zu formulieren. Auf diesen Diskurs sucht die Kirche sich einzustellen. Es gibt hoffnungsvolle Ansätze, aber noch viel aus der Welt der Vorurteile und des Unwissens liegt vor uns.
Sind wir wirklich weiter als Lessing? Und: Hat Lessing die drei Religionen richtig eingeschätzt?

Das Bild des Islam jedenfalls ist komplex, die Gesprächspartner sind sehr unterschiedlich, mit vielen findet ein Gespräch noch nicht statt.

Die Aufgabe ist schwieriger geworden. Bei Hans Ehrenberg können wir lernen, wie ein solches Gespräch möglich sein kann.

IV.
Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen, die mehr mit diesem Tag als mit dem Anlass zu tun hat, der uns heute zusammengeführt hat.

Heute ist Buß- und Bettag. Das ist der Tag, dessen gesetzlicher Schutz für die Pflegeversicherung hergegeben worden ist.

In einem Jahr, in dem den Kirchen mit immer gleichen Falschmeldungen ein ungeheurer Reichtum angedichtet wird, ist es mir wichtig daran zu erinnern: Die Kirche steht in der Mitte der Gesellschaft. Sie zielt und schielt nicht auf finanzielle Gewinne, sondern es geht ihr um das Wohl der Menschen.

Dafür ist das gemeinsame Sozialwort der Kirchen von 1997, auf das Sie, Herr Graf Lambsdorff, eben hingewiesen haben, ein Beispiel. Dessen Umsetzung und Weiterentwicklung, dessen gesellschaftliche Durchdringung haben wir noch vor uns.

Das Wohl der Menschen und ihr in der Bibel verheißenes Heil gehören für die Kirche zusammen.

Und der Buß- und Bettag ist ein Tag der geistlichen und geistigen Selbstbesinnung in einer Zeit der vielfach verklärten und verherrlichten Selbstbestimmung.

Wer nicht mehr zur Selbstbesinnung fähig ist, ist im Begriff, seine Würde zu verlieren.

V.
Ich danke den Verantwortlichen herzlich für das in der Preisverleihung ausgedrückte Vertrauen.

Ich danke Ihnen, Graf Lambsdorff, für Ihre Worte, in denen ich viele Zeichen der Verbundenheit wahrgenommen habe.